Der Fall Strauss-Kahn oder das merkwürdige Verhältnis von Journalisten zum Rechtsstaat
KOMMENTAR. Es schien so gut wie sicher: Ex-IWF-Chef Dominique Strauss-Kahn ist ein Vergewaltiger. Nun gibt es Zweifel an der Glaubwürdigkeit des mutmaßlichen Opfers.Ein unaufgeklärter Sex-Skandal als Medienereignis
Der tiefe Fall eines der mächtigsten Männer der Welt wurde zum Schlagerthema – vor allem im Fernsehen. Auch die Talk-Sendung von Maybrit Illner vom 19. Mai 2011 mit dem Thema "Sex, Macht und Öffentlichkeit – im Zweifel gegen den Angeklagten?" befasste sich mit der "Causa Strauss-Kahn". Heather De Lisle, US-amerikanische Journalistin bei der Deutschen Welle, kam mit einer mißverständlichen Äußerung zur Schuld Strauss-Kahns gehörig ins Rudern. Die Redaktion von Maybrit Illner ließ sich beim Thema "mächtige Männer" dazu hinreißen, Vergleiche aus dem Tierreich zu bemühen. Das mag eine effektvolle journalistische Zuspitzung sein, passt aber auch ins Bild.
Weiter ging es am 22. Mai 2011 bei Anne Will mit dem Thema "Lügen, Sex, Proxesse – Was ist los mit unseren Vorbildern?". Auch hier bemühte man sich eher halbherzig, eine mediale Vorverurteilung von Dominique Strauss-Kahn zu vermeiden. Gleich zu Beginn der Sendung wurde dieser in einem Atemzug mit Mosche Katzav genannt. Der ehemalige Staatspräsident Israels wurde jedoch – im Gegensatz zu Strauß-Kahn – Ende 2010 u.a. wegen Vergewaltigung und sexueller Belästigung gerichtlich verurteilt. Talk-Gast Alice Schwarzer, EMMA-Herausgeberin und BILD-Kolumnistin während des Prozesses gegen Jörg Kachelmann, war von der Schuld Strauß-Kahns sehr überzeugt: "[Die Nacht ist] sehr wahrscheinlich so gelaufen..., wie die schwarze Putzfrau sagt. Warum sehr wahrscheinlich? Es gibt Indizien, aber vor allem ist Strauß-Kahn seit Jahren und Jahrzehnten für seine sexuellen Aggressionen, für Überfälle bekannt.... Ich rede von sexueller Gewalt. Und das ist, glaube ich, der Punkt, der ihn anmacht.... Da können wir auch von anderen reden, Katzav und so weiter...." Schwarzer betonte insbesondere das Machtgefälle zwischen dem Banker Strauss-Kahn und dem Zimmermädchen aus Afrika.
Was nützt da die schönste Unschuldsvermutung?
Mark Twain wird das Zitat zugeschrieben: "Prognosen sind schwierig, vor allem wenn sie die Zukunft betreffen." Woher Alice Schwarzer die Sicherheit nimmt, von in der Vergangenheit ausgelebten Gewaltphantasien, die noch dazu nicht juristisch bewiesen sind, auf den konkreten Einzelfall schließen zu können, bleibt unklar. Auf die Bemerkung Anne Wills, dass die Unschuldsvermutung gelte, hatte Schwarzer prompt eine passende Antwort: "Ja, ja, sicher, klar, die gilt auch für die Frau..." Was nützt da die schönste Unschuldsvermutung?
Das Verhalten einiger, auch prominenter Journalisten zeigt gewisse Muster. Es drängen sich Parallelen zum "Fall Kachelmann" auf. Was dem deutschen Journalismus gut tun würde, wäre etwas weniger Meinung und wieder etwas mehr Darstellung der relevanten Fakten. Die erfährt man jedoch nicht während des Ermittlungsverfahrens, sondern in der öffentlichen Hauptverhandlung.