Der G20-Gipfel in Hamburg aus Sicht der Nichtregierungsorganisation "Campact"
Eine Stellungnahme der Nichtregierungsorganisation "Campact" bringt die Probleme des G20-Gipfels in Hamburg auf den Punkt.Elbphilharmonie: trügerische Idylle (Bild: monikawl999/pixabay.com)
Zum Verhältnis von Protest und Gewalt
Zunächst wird in dem Newsletter von "Campact" klargestellt, wie sehr die Gewalt beim G20-Gipfel den Anliegen der Protestierenden geschadet hat:"…Die inhaltliche Kritik am G20-Gipfel verschwand völlig hinter der Debatte um gewaltsame Auseinandersetzungen. Mit Gewalt erreicht man nicht die Herzen der Menschen, sondern bringt sie gegen sich auf. Wer Autos anzündet und Polizist/innen attackiert, wer marodierend alles kurz und klein schlägt und Geschäfte plündert, der sabotiert und diskreditiert das Engagement zehntausender Menschen, die ihre Kritik friedlich an der Politik der G20 äußern.[1] Das ist anmaßend. Das ist dumm. Das ist kriminell. Und braucht eine klare Ansage: Mit uns habt ihr nichts gemein."
Die Rolle von Angela Merkel
Für "Campact" ist vor allem Bundeskanzlerin Angela Merkel die Nutznießerin der Krawalle: "Die Rauchschwaden über Hamburg helfen vor allem Angela Merkel. Links von ihr legen Vermummte alles in Schutt und Asche, rechts von ihr verbreiten Autokraten Angst und Schrecken – und sie kann sich inszenieren als diejenige, die im Sturm noch Sicherheit bietet. So gewinnt man Wahlen. Für Kritik bleibt dann kein Raum: Wie katastrophal Merkels ideologische Sparpolitik für Griechenland und Co. sich auf Europa auswirkt. Wie doppelbödig ihre Klimapolitik ist, wenn sie daheim Kohlekraftwerke munter weiter laufen lässt. Wie sie Politikverdrossenheit fördert, indem sie jede politische Auseinandersetzung einschläfert."
Das Versagen der Organisatoren des Protests
"Campact" kritisiert das unklare Verhältnis der Organisatoren des Protests zur Gewalt: "Wir wissen nicht, wer sich alles schwarz vermummte, und etliche waren vielleicht schlicht kriminelle Hooligans. Das ist ein Grund mehr, endlich das Geschwurbel mancher Organisatoren des Protests zu beenden, die sich vor einer klaren Distanzierung von Gewalt drücken.[2] Es reicht nicht, wenn sich jetzt einige von "sinnloser Zerstörung"[3] distanzieren oder von einer "Form von Militanz, die sich an sich selbst berauscht hat".[4] Das impliziert ja, dass es in einer parlamentarischen Demokratie sinnvolle Militanz und Zerstörung gäbe. Auch Fehlverhalten der Polizei rechtfertigt in keinster Weise tätliche Angriffe auf Polizist/innen und Vandalismus."
Die Verantwortung der Politik
Für "Campact" sind "die Ursachen für das Ausmaß der Gewalt aber auch woanders zu suchen: bei den politisch Verantwortlichen für den Polizeieinsatz – bei Angela Merkel, bei Hamburgs Bürgermeister Olaf Scholz (SPD) und auch bei den Grünen, die so tun, als wären sie gar nicht Teil des Senats.[5] Viele Berichte belegen: Statt besonnen und verhältnismäßig vorzugehen, hat die Polizei schon im Vorfeld des Gipfels Auseinandersetzungen provoziert und trat immer wieder martialisch auf.[6] Als dann die Ausschreitungen während des Gipfels eskalierten, war sie völlig überfordert. Ausgerechnet ein bekannter Hardliner, Hartmut Dudde, wurde vom rot-grünen Senat zum Einsatzleiter der Polizei ernannt. Schon mehrmals haben Gerichte ihm Verstöße gegen geltendes Recht attestiert.[7] Hinzu kommt, wie massiv das Versammlungsrecht ausgehebelt wurde, ein Grundpfeiler einer lebendigen und streitbaren Demokratie. Demos pauschal auf 38 Quadratkilometer untersagen.[8] Der Versuch, Camps für Demonstrant/innen generell zu verbieten.[9] Das ist eines Rechtsstaats unwürdig."
Außenpolitische Blamage
Zu den Auswirkungen nach außen schreibt "Campact": "Wer Trump, Putin und Erdogan, wer Autokraten und Antidemokraten zu sich einlädt, der sollte ihnen sagen: Schaut her, bei uns werden Demos nicht verboten. Hier werden friedliche Demonstranten nicht verprügelt – auch wenn wir wehrhaft gegen Gewalttäter vorgehen. Für uns sind Grundrechte das höchste Gut – und wir sind stolz darauf. Wie soll nach den Tagen von Hamburg eine Bundesregierung noch Erdogan und Putin kritisieren, wenn sie auf friedliche Demonstrant/innen einschlagen lassen? Beide werden diebische Freude an den Bildern von Hamburg haben."
Das Schweigen der Politiker
"Campact" übt auch scharfe Kritik an der fehlenden Reaktion der Politik auf das unverhältnismäßige Vorgehen der Polizei: "Leider stößt das Aushöhlen des Versammlungsrechts und das in etlichen Situationen unverhältnismäßige Vorgehen der Polizei jenseits der Linkspartei auf wenig Widerspruch. Wo ist die scharfe Kritik einer Katrin Göring-Eckardt, eines Cem Özdemir oder einer Simone Peter von den Grünen, die sonst um keinen Tweet verlegen sind? Wo intervenieren Bürgerrechtler der SPD? Alle auf Tauchstation.[10] Und Olaf Scholz kommt zum irritierend pauschalen Urteil, die Polizei habe alles richtig gemacht.[11]
Heribert Prantl, Chefredakteur der Süddeutschen Zeitung, schreibt: "Die Hamburger Polizei hat die Demonstranten in toto als Gegner betrachtet, die man wegschieben muss[...]; die Hamburger Polizei – gemeint ist die politische Führung und die Einsatzleitung, nicht die zwanzigtausend Einsatzkräfte – hat schon im Vorfeld allein auf paramilitärische Taktiken gesetzt. Das war, das ist so von gestern wie die Politik von Herrn Trump." Ein so klares Statement hätte man sich auch von SPD und Grünen gewünscht.[12]"
Die Ergebnisse des G20-Gipfels
Zu den Ergebnissen des G20-Gipfels lesen wir bei "Campact: "… Trump wurde für seine Abkehr vom Pariser Klimavertrag klar isoliert... Die Gipfelerklärung unterzeichneten alle Staaten außer den USA. Nach dem Gipfel machte allerdings Recep Erdogan einen Rückzieher.[15] Somit steht es jetzt immerhin 18:2...Gleichzeitig ist der G20-Beschluss viel zu wenig: Wenn Trump beim Klimaschutz die Bremse durchtritt, hätten die 18 anderen den Turbogang einlegen müssen... Als "Klimakanzlerin" wäre es beim G20 an Angela Merkel gewesen, mutig voranzuschreiten...: indem sie endlich für Deutschland den Kohleausstieg verkündet. Doch Mut passt nicht zu Merkel.
Beim Welthandel einigten sich die G20 immerhin auf ein klares Bekenntnis gegen Protektionismus.[18] Die Grenzen hochziehen – wie Trump es im Wahlkampf ankündigte – wäre fatal. Doch die G20 propagieren die falsche Alternative: noch mehr Handelsabkommen à la TTIP und CETA. Was wir brauchen sind Abkommen, die Konzernen Regeln verordnen. Verbraucher/innen-Rechte stärken. Umweltgesetze schützen. Arbeitnehmer-Standards ausbauen. Doch nichts gab's. Die G20 bleiben in Hamburg auf stramm neoliberalem Kurs.
Ein klares und trauriges Zeichen für diesen Kurs: In Brüssel wurde letzten Donnerstag symbolisch vor dem G20-Gipfel eine Grundsatzvereinbarung für JEFTA unterzeichnet, das EU-Handelsabkommen mit Japan.[19] Es würde ein Drittel der globalen Wirtschaftsleistung umfassen. JEFTA wäre das neue TTIP: Wieder wird geheim verhandelt. Wieder gibt es eine private Paralleljustiz für Konzerne. Wieder wird das Vorsorgeprinzip, der Grundpfeiler des europäischen Verbraucherschutzes, untergraben.
[1] "Randalierer verwüsten Schanzenviertel", Zeit Online, 8. Juli 2017
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Schlussfolgerungen
Folgt man der Argumentation von "Campact", hat der G20-Gipfel keines der drängenden Probleme der Gegenwart wirklich gelöst. Die Lösungsversuche, die es gegeben hat, sind vielmehr nach Auffassung von "Campact" so dubios, dass sie zu weiterem Protest Anlass geben. Und auch auf das Problem, dass alle Sachauseinandersetzungen überlagert hat, nämlich die Gewaltexzesse seitens einer großen Zahl von Demonstranten, hat es bisher noch keine angemessenen und befriedigenden Reaktionen gegeben. Vielleicht ist diesbezüglich genau das eingetreten, was Viele erwartet hatten, und vielleicht hat gerade diese Erwartungshaltung das Unheil heraufbeschworen - gemäß dem Prinzip der "self-fulfilling prophecy".
Das heißt: Wer – wie geschehen - bereits im Vorfeld von Demonstrationen und Protestveranstaltungen jeden Protestierer als potenziellen Gewalttäter betrachtet und deshalb das Grundrecht auf Versammlungsfreiheit massiv einschränkt, darf sich nicht wundern, wenn dann tatsächlich etliche Demonstranten "ausrasten" und viele andere, vielleicht erst noch friedlich Gesinnte mitmachen oder die Aggressivität zumindest tolerieren. Es gab mit anderen Worten auf Seiten der Politik die Rückkehr zu einem antiquierten "Law-And-Order-Denken", wie man es von Polizeistaaten kennt, in denen jeder Demonstrant als ein "Störer der öffentlichen Ordnung" betrachtet wird, und als Reaktion darauf kam es auf Seiten der zunächst friedlich Protestierenden zur stillschweigenden Duldung einer in Deutschland nicht für möglich gehaltenen Gewalt.
Das einzige Gegenmittel wäre die Isolierung der Gewalttäter gewesen, aber dazu hätte man die friedlichen Demonstranten eben als Verbündete betrachten müssen und hätte sie nicht mit den Gewalttätern "in einen Topf werfen" dürfen. Vielleicht wäre also die fatale Solidarisierung mit den Gewalttätern verhindert worden, wenn die Verantwortlichen im Vorfeld des Gipfels das Gespräch mit den Organisatoren des Protests gesucht, also sich um eine Deeskalation bemüht hätten, bei der das Gegenüber als Partner betrachtet wird. Aber anscheinend haben die Verantwortlichen wirklich einseitig auf eine "Politik der Stärke" gesetzt und dabei ignoriert, dass sich jemand, der Gewalt anwenden will, dadurch nicht einschüchtern lässt. Eine offene Frage ist für mich in diesem Zusammenhang, ob bei der Planung des Gipfels kein Gewaltforscher oder Polizeipsychologie zu Rate gezogen geworden ist.
Bildnachweis: pixabay.com
Quellennachweis:
https://www.campact.de/campact/
https://blog.campact.de/2017/07/g20-bittere-bilanz/
Bildquelle:
Global Unzensiert (Videoausschnitt)
(USA: 2/39 - Techmogule im Juli 2020 zum ersten Mal vor dem Senat im...)