Entstehung und Entwicklung der SPD im 19. Jahrhundert

Die SPD entstand 1875 durch den Zusammenschluss des 1863 gegründeten Allgemeinen Deutschen Arbeitervereins mit der 1869 gegründeten Sozialdemokratischen Arbeiterpartei. Die SPD gilt deshalb als die älteste noch bestehende Partei Deutschlands. Zunächst bezeichnete sie sich als "Sozialistische Arbeiterpartei Deutschlands". Massiv in ihrer Existenz bedroht war die Partei bereits kurz nach ihrer Gründung durch das von Reichskanzler Otto von Bismarck initiierte "Gesetz gegen die gemeingefährlichen Bestrebungen der Sozialdemokratie" (Sozialistengesetz). 1890 wurde das Gesetz wieder aufgehoben, und die SPD gab sich ihren heutigen Namen.

In den folgenden Jahren entwickelte sich die SPD hinsichtlich ihrer Mitgliederzahlen und Wahlergebnisse zu einer Massenpartei und stellte nach der Reichstagswahl 1912 erstmals die stärkste Fraktion im Reichstag. Ideologisch geprägt vom Marxismus, strebte die SPD eine sozialistische Umgestaltung der Gesellschaft an. Unter dem Einfluss der von Eduard Bernstein entwickelten Theorie des Revisionismus spaltete sich die SPD vor dem 1. Weltkrieg in einen Flügel, der die sozialistische Umgestaltung der Gesellschaft durch eine Revolution, und einen Flügel, der diese Umgestaltung durch Reformen nach einer demokratisch legitimierten Regierungsübernahme durch Wahlen erreichen wollte. Der SPD-Vorsitzende August Bebel schaffte es jedoch bis zu seinem Tod 1913, zwischen den beiden Flügeln zu vermitteln und so die Partei zusammenzuhalten.

Die SPD in der 1. Hälfte des 20. Jahrhunderts – Der Verrat an den eigenen Genossen

Im Laufe des 1. Weltkriegs kam es in der SPD zum Streit zwischen denjenigen Parteimitgliedern, die die Kriegsteilnahme Deutschlands durch die Gewährung von Kriegskrediten billigend in Kauf nahmen, und denjenigen Parteimitgliedern, die dies ablehnten. Folge war eine Spaltung der Partei in eine Mehrheits-SPD (MSPD) unter Führung von Friedrich Ebert und Hugo Haase und eine Unabhängige SPD (USPD). Der linksrevolutionäre Spartakusbund, der 1916 unter Federführung von Karl Liebknecht und Rosa Luxemburg innerhalb der SPD gegründet worden war, schloss sich ebenfalls der USPD an und bildete deren linken Flügel. Damit war es nun doch zur Trennung zwischen dem revolutionären und dem reformistischen Flügel der Sozialdemokratie gekommen, und nicht nur zu Trennung: Beide Flügel sollten sich fortan als Feinde gegenüberstehen.

Dies zeigte sich bereits bei der sogenannten Novemberrevolution von 1918 und beim Spartakusaufstand im Januar 1919. Die Novemberrevolution war von revoltierenden Matrosen ausgelöst worden und breitete sich schließlich über das ganze Land aus. Dies führte zum Ende des 1. Weltkriegs, zur Abschaffung der Monarchie und zur Umwandlung Deutschlands in einer Republik. Und in der ersten provisorischen Regierung der jungen Republik hatten MSPD und USPD einschließlich Spartakusbund noch zusammengearbeitet. Dann wurden friedlich demonstrierende Spartakisten und revolutionäre Marinesoldaten von Regierungstruppen beschossen und in großer Zahl getötet. Die USPD-Mitglieder verließen nun die Übergangsregierung, die Spartakisten trennten sich ihrerseits von der USPD und gründeten ihre eigene Partei, die KPD, der sich aber auch USPD-Mitglieder anschlossen. Im Januar wagten dann die Spartakisten aus Enttäuschung über den bisherigen Verlauf der Revolution den Aufstand.

Mit der Niederschlagung des Spartakusaufstands und weiterer revolutionärer Aktivitäten beauftragte Friedrich Ebert den späteren Reichswehrminister Gustav Noske. Noske bediente sich bei der Durchführung seines Auftrags rechtsnationalistischer Freikorpssoldaten, denen die Möglichkeit zur Abrechnung mit dem verhassten politischen Gegner mehr als gelegen kam und die deshalb, gedeckt durch Noske, zahlreiche Morde begingen, darunter der Mord an Rosa Luxemburg und Karl Liebknecht am 15. Januar 1919. Vielleicht handelt es sich hier um eine der dunkelsten Stunden in der Geschichte der Sozialdemokratie, denn bis heute steht hinsichtlich des damaligen Vorgehens führender Sozialdemokraten der Vorwurf im Raum, die Revolution und damit ihre eigenen Genossen verraten zu haben. Hinzu kommt, dass die Feindschaft zwischen den Mehrheitssozialdemokraten und den zu Kommunisten gewandelten abtrünnigen Sozialdemokraten später entscheidend zum Scheitern der Weimarer Republik und zum Aufstieg des Nationalsozialismus beigetragen hat.

Bleibt die Frage, was Ebert und seine Mitstreiter dazu bewogen haben könnte, ihre eigenen Genossen "ans Messer zu liefern". Speziell von Ebert ist bekannt, dass er panische Angst hatte, der Bolschewismus, der ja gerade in Russland an die Macht gekommen war, könnte auf Deutschland übergreifen. Zudem wurde er von hohen Militärs unter Druck setzt, denen die Revolution in Deutschland schon viel zu weit ging. Deshalb hatte Ebert wohl auch Angst vor einem Bürgerkrieg. Man könnte aber auch mutmaßen, dass Ebert und seinen Mitstreitern einfach das Wissen, die Weitsicht und das Format fehlten, um die damaligen Probleme angemessen beurteilen und die richtigen Schlüsse daraus ziehen zu können.

Die SPD in der 2. Hälfte des 20. Jahrhunderts – Der Aufstieg zur Regierungspartei

Nachdem die SPD von den Nationalsozialisten zerschlagen worden war, kam es nach dem 2. Weltkrieg in den damaligen Westzonen des geteilten Deutschlands zur Neugründung der Partei, und zwar wiederum als marxistisch geprägte Arbeiter- bzw. Klassenpartei. Deshalb stand die SPD der sozialen Marktwirtschaft, wie sie in den Westzonen und der aus dieser hervorgegangen Bundesrepublik eingeführt worden war, zunächst sehr skeptisch gegenüber und setzte in der Industriepolitik weiter auf Sozialisierung. Infolge des zunehmenden Massenwohlstands in den Wirtschaftswunderjahren fand sie mit dieser Position aber keinen großen Anklang mehr.

Ähnlich erging es ihr infolge des damals herrschenden "Kalten Krieges" mit ihrer Betonung des Ziels einer Wiedervereinigung Deutschlands gegenüber der von Bundeskanzler Konrad Adenauer, dem "starken Mann" der CDU, betriebenen Politik der Westbindung und Wiederbewaffnung. Entsprechend mäßig waren die Ergebnisse der SPD in den fünfziger Jahren bei den Bundestagswahlen. Es mehrten sich deshalb in der Partei die Stimmen, die einen Kurswechsel forderten, und einen Wandel der SPD weg von der Arbeiterpartei hin zur Volkspartei. Diesen grundlegenden Wandel vollzog die SPD 1959 mit der Verabschiedung des sogenannten Godesberger Programms.

Daraufhin erzielte die SPD bei den Bundestagswahlen deutlich bessere Ergebnisse und konnte 1965 erstmals in der Bundesrepublik Deutschland Regierungsmitglieder stellen, und zwar als Juniorpartner in einer Großen Koalition mit der CDU. Nach der Bundestagswahl 1969 konnte mit Willi Brandt erstmals ein SPD-Vorsitzender Regierungschef werden. Die SPD bildete gemeinsam mit der FDP eine sozial-liberale Koalition, die von Brandts Nachfolger Helmut Schmidt fortgesetzt wurde. 1982 scheiterte diese Koalition, und zwar hauptsächlich aufgrund der neoliberalen Wende der FDP. Letztere trat in eine Koalition mit der CDU unter Bundeskanzler Helmut Kohl ein, und die SPD war für 16 Jahre wieder Oppositionspartei. In diese Zeit fiel die deutsche Wiedervereinigung. 1998 konnte die SPD dann mit Gerhard Schröder erneut den Regierungschef stellen, und zwar in einer Koalition mit Bündnis 90/Die Grünen. Diese rot-grüne Koalition bestand bis 2005.

Die SPD im 21. Jahrhundert – Der Verrat an der eigenen Identität

Von 2005 bis 2009 bildete die SPD wieder gemeinsam mit der CDU eine Große Koalition. Von 2009 bis 2013 war die SPD erneut in der Opposition, und seit 2013 regiert die SPD wiederum gemeinsam mit der CDU. Bei der Bundestagswahl 2009 erzielte die SPD mit 23% der Wählerstimmen ihr bis dahin schlechtestes Wahlergebnis der Nachkriegsgeschichte. Noch schlechter schnitt sie dann bei der Bundestagswahl 2017 mit 20,5 Prozent der Wählerstimmen ab. Und dieses Ergebnis wurde nun bei der Wahl zum Europaparlament noch unterboten. Mit dem Ende der Koalition mit den Grünen im Bund 2005 begann also für die SPD eine beispiellose Serie von Wahlniederlagen, die jetzt mit dem Desaster bei der Europawahl ihren bisherigen Höhepunkt erreicht hat.

Der Absturz der SPD wird von vielen Zeitgenossen mit der Wirtschafts- und Sozialpolitik unter Bundeskanzler Gerhard Schröder in Zusammenhang gebracht. Dieser hatte nämlich als Reaktion auf die hohe Arbeitslosigkeit am Anfang des neuen Jahrtausends – inspiriert vom britischen Premierminister Tony Blair - ein Paket von Maßnahmen zur Reform des Arbeitsmarktes und des Sozialsystems zusammengestellt und dieses unter der Bezeichnung "Agenda 2010" bis 2005 in die Tat umgesetzt, wobei es sich im Wesentlichen um Sozialabbau sowie eine Liberalisierung der Wirtschaft handelte und folglich um eine Politik, die gemeinhin als Neoliberalismus umschrieben wird. Beim Neoliberalismus aber sind Rücksichtslosigkeit, Mangel an Solidarität und Empathie, ja Herzlosigkeit und damit alle Untugenden des Kapitalismus Programm.

Folge war ein heftiger Zusammenprall zwischen dem, was die Wähler von sozialdemokratischer Politik erwarteten, nämlich die Herstellung sozialer Gerechtigkeit durch einen Ausbau des Sozialstaats, und dem, was durch sozialdemokratische Politik tatsächlich erreicht wurde, nämlich eine enorme Zunahme der sozialen Ungleichheit sowie des Anteils der Armen an der Bevölkerung. Man kann auch sagen: Selten hat eine Partei so sehr das genaue Gegenteil von dem praktiziert, was sie ursprünglich versprochen hatte. Vielleicht kann man deshalb im Hinblick auf die Schrödersche Politik vom zweiten großen Verrat in der Geschichte der SPD sprechen, wobei es sich diesmal um einen Verrat an den eigenen Werten handelte. Da aber diese Werte grundlegend sind für die Identität, die "Seele", dieser Partei, muss man sich eigentlich nicht darüber wundern, dass die SPD nun scheinbar orientierungs- und planlos ihrem Untergang entgegen taumelt.

Vielleicht noch gravierender aber ist – das Verschwinden einer Partei kann man noch verschmerzen – dass durch die Schrödersche Politik das Vertrauen gerade der ärmeren Bevölkerungsschichten in den Staat, ja in die Demokratie, untergraben worden ist. Denn viele sozial Abgehängte sind in das Lager der Nichtwähler abgewandert oder haben Zuflucht bei der rechtspopulistischen AfD gesucht. Vor allem im Osten Deutschlands könnte Letzteres noch verheerende Folgen haben, wobei die Vergiftung des gesellschaftlichen Klimas durch den Rechtspopulismus schon schlimm genug ist. Bleibt die Frage, was die SPD nun tun sollte?

Quo vadis SPD?

Zunächst muss die SPD sich die Frage stellen, wofür sie eigentlich noch steht, was sie eigentlich will, warum der Bürger sie überhaupt wählen sollte. Vielleicht sollte sich die Partei dabei erst einmal auf ihre Grundwerte zurückbesinnen und überlegen, wo sie ein Alleinstellungsmerkmal hat. Das könnte das uralte Ziel der Herstellung sozialer Gerechtigkeit sein. Das heißt: Die SPD sollte sich fragen, wie Politik im Zeitalter der Digitalisierung und Globalisierung ein höheres Maß an sozialer Gerechtigkeit erreichen könnte. Daraus könnte sich möglicherweise eine Vision entwickeln, mit der die SPD wieder Menschen begeistern kann.

Und dabei dürfte es keine Denkverbote und Tabus geben, wie sie jüngst die Debatte um Vorstellungen des Juso-Chefs Kevin Kühnert hinsichtlich einer sozialistischen Umgestaltung der deutschen Wirtschaft bestimmt haben. Allein das Wort "sozialistisch" scheint neuerdings das Unwort schlechthin zu sein. Dabei hatte Kühnert, als er die Überlegung ins Spiel brachte, große Unternehmen wie BMW in Kollektiveigentum zu überführen, keineswegs, wie ihm unterstellt wurde, die Ersetzung der Marktwirtschaft durch eine staatlich kontrollierte Planwirtschaft im Auge. Er wollte lediglich einen Anstoß geben, darüber nachzudenken, ob in der Marktwirtschaft große Unternehmen immer in Privathand sein müssten, ob es nicht sinnvoller wäre, dass solche Unternehmen denen gehören, die dort arbeiten und den Reichtum erwirtschaften. Man nennt so etwas "Produktivgenossenschaft". Damit hat Kühnert – was seine Kritiker offensichtlich übersehen haben - schlicht und einfach an die Programmatik angeknüpft, die die SPD seinerzeit groß gemacht hatte.

Zurzeit wird auch öfter die Meinung vertreten, dass die SPD gar nicht mehr als Volkspartei betrachtet werden könnte, dass sie zu einer Splitterpartei verkommen sei. Dabei wird außer Acht gelassen, dass gegenwärtig in Deutschland die Sozialdemokraten in zwölf Regierungen (Bund, elf Länder) sitzen, in sieben Ländern den Regierungschef stellen und damit häufiger als jede andere Partei Regierungsverantwortung tragen. Also ist die SPD zumindest in den Bundesländern noch recht beliebt, was sicher auch mit dem dortigen Personal zusammenhängt. Jedenfalls besitzt die SPD in den meisten Bundesländern immer noch ein tragfähiges Fundament.

Man könnte weiter spekulieren, dass es auch mal eine Zeit geben könnte, in der die Zersplitterung des deutschen Parteiensystems vom Anfang des 21. Jahrhunderts wieder revidiert wird, so dass sich die SPD möglicherweise mit einer anderen Partei oder auch mit mehreren anderen Parteien zusammenschließt, so dass eine große linke Partei mit einem sozialdemokratischen Flügel entsteht. Wir dürfen jedenfalls gespannt sein, welcher "Frischzellenkur" sich die "alte Tante SPD" unterzieht und ob es ihr gelingt, eine neue Daseinsberechtigung zu finden – in welcher Form auch immer.

Quellennachweis:

https://www.bpb.de/politik/grundfragen/parteien-in-deutschland/spd/42082/geschichte

https://www.tagesspiegel.de/politik/ermordung-vor-100-jahren-was-rosa-luxemburg-fuer-uns-heute-bedeutet/23864736.html

https://www.stern.de/politik/deutschland/beispielloser-spd-absturz--darum-ist-die-spd-keine-volkspartei-mehr-8398668.html

https://www.spiegel.de/politik/deutschland/kevin-kuehnert-will-kollektivierung-von-grossunternehmen-wie-bmw-a-1265315.html

https://wirtschaftslexikon.gabler.de/definition/produktivgenossenschaft-44929

Bildnachweis:

OpenClipart-Vectors/pixabay.com

 

 

Laden ...
Fehler!