Oberitalienische ...

Ich bin viel in Italien gereist. Schuld daran war die immer schon gepflegte Sympathie zu unserem südlichen Nachbarland und ein Buch namens Die Weinmacher, von dem mir sehr geschätzten Christian Rischert. Beides kann man vortrefflich verbinden. So führte mich der Weg zum Lago d'Orta oder auf Deutsch - zum Ortasee. Er liegt im nördlichen Teil des Piemont und somit sehr nahe an den Weinanbaugebieten um Novara und Vercelli. Hier kommen große Weine wie Gattinara oder Ghemme her, die in Deutschland eines mit dem Ortasee gemein haben: Man kennt sie kaum. Ein Grund mehr, dort vorbei zusehen.

Der Lago d'Orta ...

Zugegeben, mittlerweile ist der Ortasee sicher kein echter Geheimtipp mehr. Aber Tourismus und die damit verbundene Kommerzialisierung sind immer noch recht zurückhaltend. Nur im Sommer sollte man den kleinen See, wenn es geht, nicht als Reiseziel aussuchen. Ohnehin sind Frühjahr und Herbst die besten Reisezeiten; finde ich. Die Gründe sind für mich dabei rein egoistisch. Zunächst kommt der Frühling dort immer mit all seiner umwerfenden Blütenpracht früher an und der Herbst ist in Oberitalien für uns Nordalpenbewohner zudem der verlängerte Sommer … und die beste Zeit für Restaurantbesuche.

Dann ist es auch in Orta San Giulio ruhig. Es ist der interessanteste Ort am See und eine charmante Begegnung mit dem Stillstand der Zeit. Wer durch die engen, verwinkelten Gassen mit den alten, sehr hübschen Häusern schlendert, wird irgendwann unwillkürlich einmal mit einem verzauberten Anblick überrascht. Es ist der Blick auf den See, die Insel San Giulio und die Piazza Mario Motta. Wer das Glück hat, diesen Anblick aus erhöhter Perspektive zu erleben, wird erstaunt stehen bleiben und den Ausblick genießen wollen. Übrigens windet sich Orta San Giulio vom See aus sanft in den Hügel, an den es sich anschmiegt. Somit ist eine "bella vista" fast immer gegeben. Es sei denn, man hat es sich an der Piazza Mario Motta bequem gemacht. Dann hat man keinen Überblick mehr, sondern den Einblick in eine längst vergangene Zeit.

Orta San Giulio ... wenn die Zeit stillsteht

Die Piazza Mario Motta bietet dafür einige Gelegenheiten. Cafés und Restaurants machen sie zum Mittelpunkt. Vielleicht ist es der morbide Charme, eine heitere Melancholie oder nur die Ahnung zu fühlen, wie es einmal war … damals. Denn die Piazza ist ein Ensemble aus dem auslaufenden 16. Jahrhundert, dessen Mittelpunkt der Palazzo della Communità ist. Der Renaissancebau wird als Rathaus heute nicht mehr genutzt. Er sieht ein wenig wie auf Stelzen gebaut aus. Ein nach allen Seiten offener Laubengang, der zu den belebten und beliebten Marktzeiten in das Geschehen mit einbezogen wird und seine allmählich immer blasser werdenden, herrlichen Wandmalereien passen gut in die Stimmung von Orta San Giulio. Man sollte sich unbedingt hier auf einen Espresso oder einen Pranzetto, ein kleines Mittagessen, einlassen und diese Stimmung auf sich wirken lassen. Aber wie das so ist mit den Italienern und ihrer Kreativität, verbinden sie nicht selten auf künstlerische, aber nicht gekünstelte Weise ihre Vergangenheit mit der Gegenwart. Und das sehr gern, indem sie vor historischen Gemäuern moderne Kunst etablieren.

Der morbide Charme der Vergangenheit am Lago d'Orta

Orta San Giulio in Black and White (Bild: Blooming-Garden / Flickr)

Die Isola San Giulio … für Romantiker

Das kann einem auch am Lago d'Orta passieren und macht einen reizvollen Kontrast zur historischen Kulisse aus. Diese wird bestimmt durch eine kleine Insel, die sich aus dem See vorsichtig erhebt, als wollte sie um keinen Preis auffallen. Es ist die Isola San Giulio, ein Ort, um den sich viele Geschichten drehen. Der Name der Insel geht zurück auf einen Griechen mit Namen Julius, der in der Gegend um den Lago d'Orta zu Beginn des fünften Jahrhunderts mit seinem Bruder zusammen die heidnischen Kultstätten zerstören und 99 Kirchen errichten sollte. Angeblich hat er das auch geschafft und dazu noch die Isola von Drachen und anderem bösartigem Gewürm befreit. Aus dem guten Julius wurde später in den Erzählungen irgendwie ein Ritter, sagen die Bewohner von Orta. Der hat dort auch Drachen und Schlagen erledigt, aber die Gründe waren weltlicher Natur. Eine Prinzessin lockte ihn wohl aus der Reserve und bekommen hat er sie auch. So ist das mit Sagen. Keiner weiß wirklich, was passiert ist, aber wichtig ist nur, dass sie schön zu erzählen sind. Keine Sage ist die beeindruckende Basilika auf der Isola San Giulio, deren Bau vom Bischof von Novara im Piemont im neunten Jahrhundert befohlen wurde. Sie ist immer noch in Betrieb und wird, wie die ganze Insel, bewohnt. Erreichbar ist das kleine Eiland mit dem Boot, das regelmäßig von der Piazza Mario Motta ablegt. In den engen Gassen der 270 Meter langen und 140 Meter Isola gibt es alte Geschäfte, Negozzi wie sie in Italien heißen, Andenkenläden laden zum Stöbern ein und tatsächlich sollen auch einige prominente Leute dort leben, die einfach ihre Ruhe haben möchten. Und ruhiger und beschaulicher als hier, geht es wohl kaum sonst wo zu.

Essen und Übernachten am Lago d'Orta

Pizza und Cola? Nein bitte, bitte nicht! Wir sind im Piemont. Das bedeutet: gutes Essen, gute Weine. Gute Pizza gibt's mittlerweile überall auf der Welt. Aber die Küche des Piemont ist etwas ganz Besonderes und lange nicht mehr so schwer, wie es oft gesagt wird. Und der Ortasee hat, wie die ganze Region um den Lago Maggiore, ein ausgezeichntes Angebot an Restaurants. Meist sind es die kleinen, familiengeführten Lokale. Genau diese sollte man besuchen. Sterne-Tempel brauchen echte Feinschmecker nicht, aber unverfälschte, typische Regionalküche mit den entsprechenden Produkten und den herrlichen Weine des Piemont, die dazu perfekt passen.

Hotels gibt es in und um Orta einige. Im Ort selber darf man nur zum Be- und Entladen vor das Hotel fahren. Denn Orta San Giulio ist autofrei. Und meistens auch motorinofrei. Somit bleibt man vom lauten Geknatter der Zwei-Takter weitgehendst verschont. Auch sehenswert und völlig unterbewertet ist die Gegend um den See inklusive des Sacro Monte, des Heiligen Berges, dessen 20 Kapellen sich harmonisch in die einzigartige Natur einfügen und den Wanderer in die Zeit der Renaissance führen.

Einfach hinfahren zum Ortasee

Es lohnt sich wirklich. Wer ein paar ruhige Ferientage verbringen möchte, das typische Italien erleben will und auf Museen und wichtige Kulturgüter verzichten kann, dem ist der Lago d'Orta zu empfehlen. Als Abstecher vom Lago Maggiore aus oder als Startpunkt für eine ebenso vergnügsame wie spannende (Wein-) Fahrt ins Piemont.

ErKaPe, am 30.06.2011
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Bildquelle:
Reisefieber (Dezember in Goa, Indien)

Autor seit 13 Jahren
5 Seiten
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