Woher stammen sie?

Auf Hokkaido, der nördlichsten der vier japanischen Hauptinseln, lebt das geheimnisvolle Volk der Ainu, das nur noch wenige Tausend zählt. Die Menschen haben einen stämmigen Körperbau, oft einen kräftigen, manchmal welligen Haarwuchs und viele von ihnen runde, gelegentlich sogar blaue Augen sowie eine hell-rosige Haut. Die Männer tragen kräftige lange Bärte. Ihre Frauen haben häufig Tätowierungen rund um die Lippen. Sie gelten als die eigentlichen Ureinwohner Japans, lebten dort schon Jahrtausende vor der Besiedlung Japans durch die übrigen Japaner*. Ihr Ursprung war nicht genau bestimmbar, wurde aber in paläosibirischen Volksgruppen mit europiden Merkmalen vermutet. Nicht wenige Ainu weisen allerdings auch deutlich ostasiatische Gesichtszüge wie schmale, schräggestellte Augen oder flache kleine Nasen auf, was auf Vermischung mit der japanischen Majoritätsbevölkerung oder bereits früher mit in Sibirien ansässigen mongolischen Völkern zurückgeführt wurde.

* Im Folgenden werden die Japaner als "Japaner" bezeichnet in dem Sinne, dass es sich dabei um die allgemein als "Japaner" geläufige mehrheitliche Bevölkerung Japans handelt, um den Artikel übersichtlich zu halten. Denn faktisch sind die "Ainu" natürlich ebenfalls Japaner als "eingeborene" Bewohner Japans.

 

DNA-Analysen erzählen Neuigkeiten

Dank neuer Forschungsmethoden ist die Ethnologie in der Frage der Herkunft der Ainu nicht mehr auf Fundstücke und Spekulationen angewiesen. Inzwischen steht fest, dass Ainu und Japaner miteinander verwandte Volksgruppen sind. Dies geht allerdings weit zurück bis zur Jōmon-Bevölkerung zu Anfang der Besiedlung Japans. Die Japaner wiederum sind mit einer weiteren frühzeitlichen japanischen Bevölkerungsgruppe verwandt, deren Gene sich bei den Ainu nicht nachweisen lassen. Umgekehrt sind die Ainu mit den sibirischen Niwchen genetisch verwandt, die Japaner nicht.

Nicht mehr aufrechterhalten lässt sich dazu die Theorie, dass die Ainu die alleinigen zuerst dort siedelnden Ureinwohner Japans sind. Der Besiedlungsbeginn vor circa 18.000 Jahren deutet auf mehrere als Jäger und Sammler lebende Urvölker hin.

Was unterscheidet die Ainu sonst noch von den Japanern?

Kulturell haben die Ainu mit den Japanern nichts gemein. Sie lebten noch bis vor wenigen Jahrzehnten sehr ursprünglich in ländlichen Gebieten in hüttenartigen Häusern aus Holz und Stroh. Ursprünglich gingen die Männer beruflichen Tätigkeiten wie Jagen, Fischen und Sammeln nach, während die Frauen neben häuslichen Erledigungen als Heilerinnen und Schamaninnen arbeiteten. Später erlernten sie von den Japanern landwirtschaftliche Techniken oder verdingten sich bei diesen beispielsweise als Arbeiter oder Pferdeknechte. 

Ainu glauben an ein höchstes Wesen und Naturgeister, die sie am häuslichen Herd und an bestimmten Plätzen in der Natur verehren. Das kann zum Beispiel in den Bergen sein, dem Meer oder auch den Wolken.

Der Bärenkult

Tieren sprechen Ainu eine eigene Seele zu, zumindest, wenn diese in einer Bären-, Hirsch- oder Seehundhülle stecken. Wird ein Tier getötet, kehrt seine Seele zum höchsten Wesen zurück und bittet um ein erneutes Leben.

Eine besonders große Rolle spielte bei den Ainu noch bis ins 20. Jahrhundert hinein der Bärenkult. Für die Ainu gilt der Bär als Bruder des Menschen. In den Bergen Hokkaidos kommen im Februar die jungen Bären zur Welt. Im Mai gingen die Ainu damals auf Bärenjagd und töteten die erwachsenen Bären, um jeder Familie des Dorfes einen lebenden Jungbären mitzubringen. Dieser wurde dort dann anfangs von einer ihrer Frauen oder einer Sklavin gesäugt und als Familienmitglied behandelt. Der kleine Bär lief frei im Haus herum. Später wurde er angebunden, um nicht fortzulaufen und wenn er schließlich zu stark geworden war, kam er in einen Käfig. Im Winter fand das Bärenfest statt, an dem der Bär geopfert wurde – zuerst der Bär des Häuptlings, danach ging es in hierarchischer Reihenfolge weiter. Zu Ehren der jeweiligen Bären wurden die Häuser geschmückt, Gäste eingeladen, die Festtagskleidung getragen, die Waffen geputzt und präsentiert und ein Festmahl hergerichtet. Später nahm die ehemalige Amme und Aufzieherin des Bären am Käfig weinend von ihm Abschied. Andere Frauen kamen hinzu und tanzten um den Käfig, bis schließlich ein junger Mann dem halbzahmen Tier durch die Gitterstäbe eine Schlinge um den Hals legte und der Bär von mehreren gemeinsam aus dem Käfig geholt und durch das Dorf geführt wurde, wobei ihm freundlich die Zeremonie erklärt wurde, um den gesamten Stamm der Bären für die anstehende Tötung des Tieres gnädig zu stimmen. Am Schluss wurde der Bär an einen Pfahl gebunden und mit Pfeilen beschossen und ihm zuletzt über zwei Holzbalken das Genick gebrochen. Die Feierlichkeiten gingen weiter, der Bär wurde betrauert und am Folgetag sein Fell abgezogen, sein Blut getrunken, sein Hirn verspeist und das Fleisch für weitere Mahlzeiten dieses Festes zubereitet.

(Bildquelle: Templermeister  / pixelio.de)

 

Kunst im Alltag

Frühere Ainu-Frauen waren Bereich um die Lippen tätowiert, womit oft schon im Alter von drei Jahren begonnen wurde und in den Folgejahren stetig ergänzt. Die Spitzen konnten schließlich bis an die Ohren reichen. War es zu schmerzhaft, beendeten manche allerdings die Prozedur vorzeitig. Auch Vorderarme und Hände wurden gern mit geometrischen Mustern tätowiert. Die Tätowierung um den Mund herum sollte den Frauen den nicht vorhandenen Bart wie bei den Männern ersetzen. Bei der späteren Hochzeit ergänzte manchmal auch der Bräutigam noch einige Details. Anfang des 20. Jahrhunderts verboten die Japaner den Ainu die Tätowierungen.

Ein weltweit einzigartiger Gebrauchsgegenstand der Ainu ist der Schnurrbartheber. Er hat für sie neben der persönlichen auch eine rituelle Bedeutung. Der Schnurrbartheber ist aus Holz gefertigt, 35 bis 40 Zentimeter lang und 5 Millimeter dick. Ein Ende ist halbkreisförmig, das andere läuft in eine flache abgeschrägte Spitze aus. Die Bezeichnung "Schnurrbartheber" ist Programm: Er dient tatsächlich zur Anhebung des Schnurrbartes, zum Beispiel beim Trinken. Benutzt wird er vorrangig zu Gelegenheiten wie bei Besuchen oder Versammlungen. Schnurrbartheber sind mit den typischen Ainu-Ornamenten reich geschmückt: mit stilisierten Tieren, Linien oder anderen Mustern.

Die traditionelle Ainu-Kleidung sowie zahlreiche ihrer Gebrauchsgegenstände sind mit der spezifischen Ornamentik der Ainu-Kunst reich geschmückt. Großzügig verlaufende Kreise und gerade oder geschwungene Linien sowie angedeutete Tiersymbole würden auch manche westliche Mode zu etwas Besonderem machen.

 

 

Diskriminiert und totgeschwiegen

Es ist zu befürchten, dass das Volk der Ainu untergehen wird, bevor es in der Welt überhaupt näher bekannt geworden ist. Seine reiche und sehr spezielle Kultur ist bis auf Touristenattraktionen, Museumsausstellungen und Erinnerungsreste inzwischen zerstört und wird nicht mehr lebensnah praktiziert. Die Ainu-Sprache, die mit keiner anderen Sprache verwandt ist, spricht kaum noch jemand. Fast alle Ainu sprechen inzwischen Japanisch als Umgangssprache. Erstaunlicherweise gibt es aber die Ainu-Times, die vierteljährlich in der Ainu-Sprache erscheint.

Die Ainu stellen ein isoliertes Volk dar, das von der japanischen Regierung und Bevölkerung gern totgeschwiegen wurde und wird. Sie gelten als primitiv – zum einen wegen ihres den Japanern als haarig erscheinenden Aussehens, aber auch, weil sie meistens wirtschaftlich schlechter gestellten Gesellschaftsschichten angehören. Ainu hatten es schwer, sich in die moderne japanische Gesellschaft zu integrieren. Wie bei anderen indigenen Völkern endete bei ihnen ein Teil in Arbeitslosigkeit oder sogar Alkoholismus. Aufgrund Diskriminierungen zogen andere von ihnen, denen man ihre Abstammung nicht so deutlich ansah, fort, um woanders unerkannt in einer neuen Rolle ein leichteres Leben führen zu können. Andere leben weiterhin auf Hokkaido, wo sie heute vor Touristen ihre alte Kultur wiederaufleben lassen. 

Die noch in Japan lebenden rund 27.000 Ainu, davon 24.000 auf Hokkaido, erhielten vom japanischen Parlament erst 2008 die Anerkennung als indigenes Volk mit einer kulturellen Eigenständigkeit. Unterstützung erhalten sie bislang nicht, eine eigens gegründete Expertengruppe wird aber die Regierung in Angelegenheiten der Ainu beraten.

 

Fesselnde Lektüre

Wer sich gern näher über dieses interessante Volk informieren möchte, hat es schwer bei dem wenigen zur Verfügung stehenden Material. Sehr empfehlenswert ist das neben ausführlichen Textbeschreibungen mit sehr vielen Fotos und Zeichnungen versehene Buch "Eine Reise zu den Ainu" von Arlette und André Leroi-Gourhan. Leider ist es nur noch antiquarisch zu beziehen.

 

Ainu in der Enzyklopädie

Als Ainu bzw. Aynu, seltener Aino, werden die Ureinwohner Nord-Japans bezeichnet. Die populäre Bezeichnung der Ainu als die Ureinwohner Japans ist nicht korrekt, tatsächlich gab es mehrere japanische Urvölker. Ursprünglich waren sie Jäger...
Textdompteuse, am 02.09.2011
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Bildquelle:
Droemer-Verlag ("Wunder muss man selber machen" von Sina Trinkwalder - mehr als ein...)

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