Das Ergebnis der Arbeit der Treuhand

Von der Treuhand sollten zunächst 8.500 Betriebe mit rund vier Millionen Beschäftigten privatisiert werden. Schließlich verwaltete die Treuhand mehr als 23.000 Betriebe. Etwa die Hälfte dieser Unternehmen wurde von der Treuhand vollständig oder mehrheitlich privatisiert, etwa ein Viertel der Unternehmen wurde liquidiert, also aufgelöst. Und diese Privatisierungen und Liquidationen gingen mit einem erheblichen Arbeitsverlust einher. So sind Millionen Arbeitsplätze, nämlich fast zwei Drittel der Arbeitsplätze, die 1990 unter der Verantwortung der Treuhandanstalt standen, durch deren Umstrukturierungsmaßnahmen bis 1994 verloren gegangen. Das heißt: Gab es in den der Treuhand unterstellten Unternehmen 1990 noch 4,1 Millionen Arbeitsplätze, so waren davon 1994 gerade mal 1,5 Millionen übrig geblieben.

Schließlich entpuppte sich die Privatisierungstätigkeit der Treuhand auch als Verlustgeschäft. D.h.: Hatte die Treuhand noch im Herbst 1990 den Wert aller DDR-Unternehmen auf 600 Milliarden D-Mark geschätzt, so verdiente sie am Ende mit 66,6 Milliarden D-Mark gerade mal ein Zehntel dieser Summe. Und auch diese Einnahme hat sich irgendwann in Luft aufgelöst, denn die Abschlussbilanz der Treuhand ergab einen Schuldenstand von rund 300 Milliarden Mark. Innerhalb von nur fünf Jahren war also durch die Tätigkeit der Treuhand eine komplette Volkswirtschaft in einen riesigen Schuldenberg verwandelt worden. Wie konnte das geschehen?

Das zweifelhafte Vorgehen der Treuhand

Die katastrophale Bilanz der Treuhand ist vor allem darauf zurückzuführen, dass die Verantwortlichen unter dem Druck der politischen Forderungen nach einer schnellen Wirtschafts- und Währungsunion die ehemaligen DDR-Staatsbetriebe überstürzt privatisiert, also letztlich zu Dumpingpreisen an Investoren veräußert haben und dabei in vielen Fällen auf Wirtschaftskriminelle oder sogar Mafiosi hereingefallen sind, also auf "Investoren", deren oberstes Ziel nicht Sanierung war, sondern Betrug und Geldwäsche. Dabei war ein besonders "beliebtes Grundmuster des Betruges": Ankündigen von Investitionen in Millionenhöhe – Kassieren von Zuschüssen und Fördermitteln ebenfalls in Millionenhöhe – Überweisen der Fördermittel auf ausländische Konten, wo sie verschwanden.

Ferner wurden von zahlreichen Westfirmen unter Ausnützung von Fördermitteln Firmen in Ostdeutschland übernommen und anschließend sofort ausgeschlachtet, zerstückelt, veräußert oder in den Konkurs geführt, und zwar mit dem Ziel, sich unliebsame Konkurrenten vom Hals zu schaffen. Und das alles war deshalb so einfach, weil bei den Verträgen mit der Treuhand Vertragsstrafen wegen nicht eingehaltener Arbeitsplatz- und Investitionszusagen oftmals gar nicht vorgesehen waren. Eine wichtige Rolle hat hier aber auch gespielt, dass die Treuhandspitze seitens der damaligen Bundesregierung von der Haftung für eigene grobe Fahrlässigkeit freigestellt und dadurch beim Umgang mit dem DDR-Volksvermögen zur Außerachtlassung der im Geschäftsverkehr üblichen Sorgfaltspflicht geradezu ermuntert wurde. Befördert wurde die Neigung der Treuhand-Direktoren, bei potenziellen Investoren nicht so genau hinzuschauen, aber auch durch die Einführung eines Bonussystems für schnelle Privatisierung.

Bewertung der Arbeit der Treuhand

Grundsätzlich muss festgestellt werden, dass die Treuhand ihren ursprünglichen Auftrag, nämlich die Wirtschaft der ehemaligen DDR zu Gunsten der Bevölkerung umzustrukturieren, klar verfehlt hat. Denn 80 Prozent des DDR-Produktionsvermögens gingen bis Mitte 1994 an Westdeutsche, 14 Prozent an Ausländer und lediglich sechs Prozent an einstige DDR-Bürger. Aus DDR-Bürgern, die – als Kollektiv – das gesamte Produktionsvermögen der DDR besessen hatten, waren besitzlose und oft auch arbeitslose Ostdeutsche geworden. Zudem waren spätestens 1993 nahezu alle Führungspositionen und Beraterposten der Treuhandanstalt mit Managern aus Westdeutschland besetzt.

Entsprechend harsch fällt das Urteil kritischer Zeitgenossen aus. So spricht der Schriftsteller Rolf Hochhuth rückblickend von einer "brutalen Enteignung der Ostdeutschen" durch die Treuhand im Auftrag der Bundesregierung und im Interesse westdeutscher Konzerne. Die BRD habe in der ehemaligen DDR agiert wie eine feindliche Besatzungsmacht. Nach 1989 habe sich also in Wirklichkeit keine Vereinigung abgespielt, sondern die feindliche Übernahme des schwächeren Bruders und dessen, was der sich geschaffen hatte, durch den größeren und finanziell stärkeren Bruder. Die Ostdeutschen seien ökonomisch entrechtet und überfahren worden. Insgesamt war deshalb für Hochhuth die deutsche Wiedervereinigung eher ein Gewaltakt.

Ähnlich wurde für den Wirtschaftswissenschaftler Artur P. Schmidt die deutsche Wiedervereinigung zum größten 'Unfriendly-Takeover' der Wirtschaftsgeschichte. Aber auch nach Meinung der Beauftragten der Bundesregierung für die neuen Bundesländer, der selbst aus Thüringen stammenden SPD-Politikerin Iris Gleicke, ist es nach der Wende versäumt worden, mit der Treuhand für eine gerechte Aufteilung des Volksvermögens zu sorgen, und deshalb sei die Treuhand zum Symbol eines brutalen, ungezügelten Kapitalismus geworden.

Die Ergebnisse einer Studie zur Treuhand

Die Ergebnisse einer Studie zum "erinnerungskulturellen Ort" der Treuhand in der nach der Wiedervereinigung entstandenen sogenannten "Berliner Republik" - die Historiker der Ruhr-Universität Bochum in Gleickes Auftrag durchgeführt und 2017 veröffentlicht haben - zeigen, dass auch im Denken vieler "normaler" ehemaliger DDR-Bürger die Treuhand das zentrale (Negativ)-Symbol einer umfassenden, regelrecht schockartigen Überwältigung "des" Ostens durch "den" Westen, durch einen westdeutschen Kolonialkapitalismus, darstellt.

Im Bild von der Treuhand verdichten sich mit anderen Worten bei vielen Bürgern der ehemaligen DDR alle negativen Seiten der mit der Wiedervereinigung einhergehenden Umbrüche, so dass die Treuhand die Rolle eines negativen "Gründungsmythos" der Berliner Republik spielt. Die Autoren der Studie sprechen hier auch von der "Auslagerung" aller mit der Wiedervereinigung verbundenen negativen Erfahrungen in eine erinnerungskulturelle "Bad Bank".

- Angesichts all dieser vernichtenden Urteile über die Arbeit der Treuhand stellt sich die Frage, ob nicht ein anderer Umgang mit dem Produktionsvermögen der ehemaligen DDR möglich gewesen wäre.

Hätte die Treuhand andere Wege gehen können?

Nachdem Anfang der neunziger Jahre des vorigen Jahrhunderts fast 90 Prozent des der Treuhand im Frühjahr 1990 übertragenen Betriebsbestandes an vornehmlich westdeutsche Investoren verkauft und damit privatisiert beziehungsweise stillgelegt worden waren, sprachen Kritiker bereits – wie in der Studie beschrieben wird - von einer Strategie der "Deindustrialisierung" Ostdeutschlands, der auch im Grunde durchaus wettbewerbsfähige ostdeutsche Betriebe mit etablierten Produkten und Absatzmärkten etwa in Osteuropa zum Opfer gefallen seien. In dieser Perspektive war nicht "das schwere Erbe" der zentralen Planwirtschaft in Gestalt unrentabler bzw. nicht-wettbewerbsfähiger Betriebe die eigentliche Ursache der Massenprivatisierungen, sondern die Ausrichtung der von der Treuhand und der hinter ihr stehenden Bundesregierung betriebenen Wirtschaftstransformation an den Interessen der westdeutschen Industrie, der ja, wie bereits angedeutet, das Ausschalten potenzieller Konkurrenten sehr gelegen kam. Hier wäre folglich die Alternative gewesen, DDR-Betriebe nicht von vornherein als wertlos und nicht-wettbewerbsfähig abzuqualifizieren, sie also nicht sofort wie etwas Minderwertiges zu betrachten, das schnellstmöglich zu verkaufen bzw. stillzulegen war.

Ein weiterer Konfliktpunkt war die Dauer beziehungsweise Geschwindigkeit des vollzogenen Übergangs vom Plan zum Markt. Hier standen sich die von Bundesregierung und Treuhand-Spitze angewandte Schocktherapie, bestehend aus sofortiger Wirtschafts- und Währungsunion und möglichst vollständigen Privatisierungen, und das von alternativen Ökonomen, aber auch linken Oppositions- und Gewerkschaftsvertretern favorisierte Konzept eines Gradualismus für den postsozialistischen Wirtschaftsumbau gegenüber, das auf eine zeitliche Streckung und somit auch auf eine entsprechende Dämpfung der negativen gesellschaftlichen Folgen des Umbruchs (wie insbesondere der Arbeitslosigkeit) ausgerichtet war.

Es gab aber auch einen Grundsatzstreit über das Verhältnis von politischen beziehungsweise staatlichen Interventionen auf der einen sowie marktbezogenen beziehungsweise ökonomischen (Eigen-)Dynamiken auf der anderen Seite. So forderten linke Ökonomen, Oppositionsparteien, betroffene Belegschaften sowie weite Teile der ostdeutschen Gesellschaft eine bewusst und aktiv gestaltende Rolle des Staates beim Umbau der bedrohten Industrie ein. Statt einer kurzfristigen, marktorientierten Privatisierung – wie sie von der Treuhand betrieben wurde - sollte eine langfristige Sanierung der Betriebe unter Beteiligung des Staates im Mittelpunkt des praktischen Wirtschaftsumbaus stehen.

Gab es eine Alternative zur Treuhand?

Für den Präsidenten des Münchner Ifo Instituts für Wirtschaftsforschung, Hans-Werner Sinn, war bereits die Entscheidung, die Treuhand mit dem Verkauf des volkseigenen DDR-Vermögens zu beauftragen, ein schwerer Fehler und – was vielleicht noch schwerer wiegt – eine Missachtung des Einigungsvertrages. Denn der Auftrag nach Artikel 23, "das volkseigene Vermögen in verbriefter Form dem Volk zuzuführen", wurde seiner Meinung nach durch den Verkauf nicht ausgeführt. Um Artikel 23 des Einigungsvertrages zu genügen, hätte vielmehr das DDR-Vermögen über Aktienanteile an die ostdeutsche Bevölkerung verteilt werden müssen. Das heißt – so Sinn: Wenn man vom Kommunismus in die Marktwirtschaft übergeht, dann müsse man doch irgendwie dafür sorgen, dass dieses allgemeine Eigentumsrecht, wo jeder anteilig alles besitzt, zu einem privaten Eigentumsrecht wird, und zwar indem man tatsächlich an die Bevölkerung Aktien verschenkt. Dadurch hätte man auch die ostdeutsche Bevölkerung in die Entwicklung der Betriebe mit eingebunden.

Der dann tatsächlich unternommene Versuch, eine Volkswirtschaft am Markt für Unternehmen zu verkaufen, war deshalb Sinn zufolge auch ein Fehler, weil hier unterstellt wurde, es gäbe einen solchen Markt, also einen Markt, wo man solche Massenangebote absetzen kann, ohne dass es zu einem Preisverfall kommt und der Verkauf letztlich in eine Schleuderaktion ausartet. De facto verteile man hier jedoch "volkseigenes", in Anführungsstrichen, Vermögen, man verkaufe es nicht. Was da als Verkauf bezeichnet werde, sei ökonomisch nicht ein Verkauf. Man könne es vielleicht juristisch noch so bezeichnen, aber von der Sache her laufe es doch auf eine Verschenkungs- und Verteilungsaktion hinaus. Und da hätte man gleich die ostdeutsche Bevölkerung an dieser Verteilungs- und Verschenkungsaktion irgendwie mit beteiligen können.

Sinn kritisiert ferner, dass man hauptsächlich an Unternehmen aus Westdeutschland und kaum an ausländische Firmen verkauft hat. Bei einer größeren Beteiligung ausländischer Investoren hätten seiner Meinung nach "Joint Ventures" entstehen können, bei denen die ostdeutsche Bevölkerung als Eigentümer des ehemals volkseigenen Vermögens die Belegschaft und den Betrieb als solchen eingebracht und ein Investor sein Know-how, neues Eigenkapital, neue Produkte, neue Maschinen beigesteuert hätte, und jeder Aktienanteile erhalten hätte entsprechend dem, was er eingebracht hat.

Verpasste Chancen?

Für Sinn hatten insgesamt gesehen die neuen Bundesländer nach der Wiedervereinigung die unglaubliche Chance, 15 Jahre vor den anderen osteuropäischen Ländern in die EU reinzukommen und damit einen Markt von 300 Millionen Menschen zu erobern. Und diese Chance sei durch das "Verschleudern" des DDR-Vermögens vorwiegend an westdeutsche Unternehmen unter Missachtung der Ansprüche der ehemaligen DDR-Bürger und das weitgehende Abblocken ausländischer Investoren vertan worden.

Zunächst war – auch wenn dies weitgehend in Vergessenheit geraten ist - tatsächlich vorgesehen, dass die Treuhandanstalt als eine Art Notariat das ihr anvertraute Vermögen erst einmal vor fremden "Zugriffen" schützen und dieses Vermögen dann an die Bevölkerung der DDR (etwa in Form von Anteilsscheinen) verteilt werden sollte. Vor allem die im "Bündnis 90" versammelten Angehörigen vormaliger ostdeutscher Dissidentengruppen hatten Entwürfe zur "Verteilung" des "Volksvermögens" an die ostdeutsche Bevölkerung vorgelegt. Im Sommer 1990 machten dann aber das Treuhandgesetz sowie das Inkrafttreten der Wirtschafts-, Währungs- und Sozialunion solchen Plänen ein Ende.

Es wurde jedoch auch eine Grundsatzdiskussion geführt über die "Art und Weise" der deutschen Wiedervereinigung. Im Mittelpunkt standen hier die Artikel 23 und 146 des Grundgesetzes. So wurde dem – faktisch vollzogenen - "Beitritt" nach Artikel 23, der die von Treuhand und Bundesregierung betriebene umfassende und zügige "Übertragung" des bundesdeutschen Modells auf Ostdeutschland impliziert hat, das Szenario einer Wiedervereinigung nach Artikel 146 gegenübergestellt, das die Neugestaltung einer gemeinsamen Verfassung mit sich gebracht hätte, bei der auch die Mängel des bundesrepublikanischen Systems "auf den Tisch gekommen wären". Dahinter standen die – letztlich massiv enttäuschten – Hoffnungen auf einen alternativen "Dritten Weg" zwischen Kapitalismus und Sozialismus, der die ökonomischen Vorzüge des einen mit den sozialen "Errungenschaften" des anderen Systems kombinieren würde.

Dass ein solches Szenario schnell verworfen wurde, hatte sicherlich nicht nur rationale Gründe, sondern war auch auf die im Westen vorherrschende - von Arroganz und Selbstherrlichkeit zeugende - Meinung zurückzuführen, ein System zu besitzen, das keine Korrekturen nötig habe.

Quellennachweis:

https://www.bmwi.de/Redaktion/DE/Publikationen/Studien/wahrnehmung-bewertung-der-arbeit-der-treuhandanstalt-lang.pdf?__blob=publicationFile&v=24

https://www.deutschlandfunkkultur.de/gruendung-der-treuhandanstalt-vor-25-jahren-im-nachhinein.1008.de.html?dram:article_id=312893

http://www.spiegel.de/spiegel/privatisierung-der-ddr-wirtschaft-fuehrte-zu-traumata-a-1180354.html

https://www.hdg.de/lemo/kapitel/deutsche-einheit/baustelle-deutsche-einheit/treuhand.html

http://www.bpb.de/geschichte/deutsche-einheit/zahlen-und-fakten-zur-deutschen-einheit/211280/das-vermoegen-der-ddr-und-die-privatisierung-durch-die-treuhand

https://www.heise.de/tp/features/Fusionaere-und-Abzocker-3446342.html

https://www.heise.de/tp/features/Gewaltakt-namens-Wiedervereinigung-3368376.html

Bildbachweis: Tama66/pixabay.com

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