Bild: A. Steidten, www.pixelio.de

Erziehung?

 

Dass die Erziehung nicht für den Beginn des Werteverfalls verantwortlich gemacht werden kann, ist offensichtlich; denn die Generation, die den Werteverfall in den 1950er und 60er Jahren angestoßen hat, ist noch wertebewusst erzogen worden. Natürlich trägt die Erziehung dazu bei, den Werteverfall zu perpetuieren; insofern ist es nicht ganz falsch, wenn man heute der Erziehung eine Mitverantwortung für die Misere zuschreibt. Die Rolle der Eltern ist aber auch lange überschätzt worden. Man weiß heute, dass ab einem gewissen Alter, das schon vor der Pubertät beginnt, die "peer group”, d.h. andere Kinder ungefähr im gleichen Alter, mit denen man in der Nachbarschaft und in der Schule zu tun hat, einen weit größeren Einfluss ausübt als die Eltern. Nun zu sagen, die schlechten Freunde seien schuld, trifft den Kern des Problems freilich genausowenig – denn woher haben diese wiederum ihre schlechten Charaktereigenschaften? Wenn man auf die Statistik verweist, derzufolge Menschen, die mit Schlägen erzogen wurden, selbst überdurchschnittlich oft zu Schlägern werden oder anderweitig auf die schiefe Bahn geraten, dann wird dabei übersehen, dass dies ebensogut auf die Gene zurückgeführt werden kann. Tatsächlich haben adoptierte Kinder charakterlich mit ihren leiblichen Eltern mehr gemeinsam als mit den Adoptiveltern, von denen sie erzogen wurden. Durch Untersuchungen adoptierter Kinder wie auch von Zwillingspaaren lässt sich sagen, dass Persönlichkeits- und Charaktereigenschaften zu etwa 40 bis 60 Prozent vererbt werden. Zudem ist Gewalt als Erziehungsmethode rückläufig, im Gegensatz zum Anstieg der Gewaltdelikte.

Verlust der Religiosität?

Dieses Argument scheint zunächst überzeugend zu sein, denn der Werteverfall widerspricht den Geboten fast aller Religionen. Waren also die Menschen früher deshalb ehrlicher, weil sie die ewige Verdammnis fürchteten?

So unglaublich es erscheint: Religiöse Menschen sind keine besseren Menschen, oder jedenfalls kaum. Das belegen mehrere Studien, bei denen religiöse Probanden ebenso oft ein unmoralisches Verhalten zeigten wie Agnostiker oder Atheisten. Der Verlust der Religiosität könnte also allenfalls einen sehr kleinen Anteil am Werteverfall für sich beanspruchen. Gegen den Verlust der Religiosität als Ursache spricht auch, dass es sich um einen bereits im 18. Jahrhundert beginnenden, langsamen Prozess handelt, während der Wertewandel erst in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts begann, dann aber sehr schnell voranschritt.

Arbeitslosigkeit?

Es wird manchmal argumentiert, Arbeitslose hätten einfach mehr Zeit und Gelegenheit, Straftaten zu begehen, und in Zeiten hoher Arbeitslosigkeit wie heute gäbe es deshalb mehr Straftaten. Das ist aber deswegen falsch, weil auch und gerade am Arbeitsplatz bzw. in Ausübung einer Erwerbstätigkeit Straftaten begangen werden können: Diebstahl, Schwarzarbeit, Steuerhinterziehung, Betrugsdelikte. Außerdem erklärt es nicht, warum es eine Veränderung in den Köpfen gegeben hat, warum Straftaten von wesentlich mehr Menschen als früher gebilligt und begangen werden.

Ausländer / Migranten?

Zumindest in Deutschland sind Ausländer bzw. Migranten an der Kriminalität überproportional beteiligt. Leider wurde die "echte Tatverdächtigenzählung” erst 1984 eingeführt, so dass sich über die Entwicklung in den ersten Jahrzehnten des Werteverfalls nichts aussagen lässt. Hinzu kommt, dass immer mehr ursprüngliche Ausländer eingebürgert werden, ebenso wie inzwischen viele in Deutschland geborene Kinder und Jugendliche trotz deutscher Staatsbürgerschaft einen "Migrationshintergrund” haben. Während also die Grenzen zwischen In- und Ausländern zusehends verschwimmen, unterscheidet die Polizeiliche Kriminalstatistik nur zwischen "Deutschen” und "Nichtdeutschen”.

Aber denken wir nur an die USA: In diesem klassischen Einwanderungsland, wo seit langem zahlreiche Ethnien zusammenleben, ist die Kriminalität insbesondere von Kindern und Jugendlichen zwischen 1950 und 1979 geradezu explodiert: Die Anzahl der von unter 15jährigen begangenen Verbrechen stieg auf das 83fache bei weniger schweren, auf das 110fache bei schweren Verbrechen. Das war kein Ausländerproblem.

Unsere moderne/böse/kalte/egoistische/Leistungs-Gesellschaft?

Das ist die häufigste, aber auch bequemste, weil ungenaueste Erklärung. Und es ist wohl die unzutreffendste: Die Menschen sind böse, weil es die Gesellschaft ist? Wohl eher umgekehrt, denn die Gesellschaft setzt sich aus einzelnen Menschen zusammen. Jedenfalls war der Anstieg der Kriminalität von den 1950er bis zu den 1990er Jahren begleitet von einer stetigen Zunahme des Lebensstandards und einem stetigen Ausbau der sozialen Absicherungen und staatlichen Leistungen bei gleichzeitigem Rückgang der Arbeitszeit. Gewalt wird als Erziehungsmethode immer weniger akzeptiert und ist seit 2000 sogar gesetzlich verboten. Kinder und Jugendliche hatten noch nie so große Freiheiten wie heute. Gewiss weht seit dem Beitritt der neuen Länder und zuletzt mit der Finanzkrise wirtschaftlich ein etwas härterer Wind, und seit Einführung von G8 ist die Arbeitsbelastung für Gymnasiasten gestiegen; aber seit Mitte der 1990er Jahre stagnieren die Straftaten auf hohem Niveau: Der große Anstieg fand vorher statt, in der Zeit des wirtschaftlichen Aufschwungs, als sich die Lebensbedingungen mehr und mehr verbesserten.

Bildschirmgewalt?

Nun kommen wir der Sache schon näher, denn dass Gewalt in Film und Fernsehen gewaltfördernd wirkt, ist inzwischen vielfach und eindeutig belegt. Am Ende des 20. Jahrhunderts betrug die Zahl der Studien, die den Zusammenhang zwischen Mediengewalt und Gewalt im Alltag untersucht haben, bereits über 3.500. Über 99 Prozent davon haben den Zusammenhang bestätigt. Auch zu Computerspielen gibt es inzwischen genügend Studien, um klare Aussagen machen zu können. Craig A. Anderson hat zusammen mit zwei anderen Autoren 2007 ein Buch vorgelegt, das den Stand der Forschung zusammenfasst; außerdem haben sie drei neue Studien hinzugefügt. Die Botschaft ist eindeutig: Gewalthaltige Videospiele machen aggressiv, und das in hohem Maße. Eine der drei neuen Studien kann als Langzeitstudie beweisen, dass der Konsum von Gewaltvideospielen tatsächlich eine Ursache für die Zunahme gewalttätigen Verhaltens darstellt. Die Überraschungen: Niemand ist von diesem Effekt ausgenommen, weder Erwachsene noch Kinder, weder Männer noch Frauen; und als harmlos eingestufte Spiele in Zeichentrick-Darstellung für kleine Kinder haben eine ebensogroße Wirkung wie die realistischeren Spiele für Ältere.

In einer anderen Langzeitstudie an der Universität Potsdam (Möller 2006) wurde festgestellt, dass der Einfluss von aggressiven Videospielen auf die Aggressivität höher ist als umgekehrt der Einfluss der Persönlichkeit auf die Neigung, solche Spiele zu spielen. Das widerlegt klar die immer wieder zu hörende Behauptung, der Zusammenhang zwischen dem Konsum von Videospielen und aggressivem Verhalten käme einzig daher, dass sich aggressive Menschen mehr zu Killerspielen hingezogen fühlten. Das ist eben nur ein Teil der Wahrheit, und offenbar der kleinere!

Wir hatten schon gesagt, dass in Deutschland Ausländer bzw. Menschen mit Migrationshintergrund eine höhere Kriminalitätsrate als Einheimische aufweisen. Nun hat das Kriminologische Forschungsinstitut Niedersachsen (Pfeiffer et al. 2007) herausgefunden, dass Kinder und Jugendliche mit Migrationshintergrund über eine wesentlich bessere Ausstattung mit elektronischen Medien im eigenen Zimmer verfügen als einheimische Deutsche, dass Sie diese Medien in größerem Umfange nutzen, und dass sie häufiger "entwicklungsbeeinträchtigende Medieninhalte” (also Gewalt und Sex) konsumieren. Die Unterschiede zu einheimischen Deutschen sind beträchtlich: Kinder mit Migrationshintergrund haben bereits in der 4. Schulklasse eine um 37 % höhere Nutzungsdauer von Computerspielen und eine um 63 % höhere Nutzungsdauer von Fernsehen und Video. Für diese Altersgruppe unerlaubte Medieninhalte werden von Migrantenkindern etwa zwei- bis dreimal so häufig konsumiert wie von deutschen.

Eine Ursache: Bildschirmgewalt (Bild: Gerd Altmann/dezignus.com / pixelio.de)

Dieser Befund stützt also die These von der kriminalitätsfördernden Rolle gewalthaltigen Medienkonsums und bestätigt, dass dieser Konsum offenbar eine Erklärung für die hohe Kriminalität von Personen mit Migrationshintergrund darstellt.

Lautsprechergewalt?

Wir haben nun gesehen, dass Bildschirmgewalt, sei es durch Film und Fernsehen oder durch Computerspiele, unzweifelhaft die Gewaltbereitschaft erhöht. Doch die Verbindung zu anderen Formen der Kriminalität erscheint fraglich. Kann Bildschirmgewalt den allgemeinen Werteverfall erklären? Gehen wir zurück zu den Anfängen in den 1950er und 60er Jahren: Das Fernsehen wurde von allen Altersgruppen genutzt; der Werteverfall und die Zunahme der Kriminalität begannen aber bei der Jugend. Auch spielte Gewalt im Fernsehen der 1950er und 60er Jahre im Vergleich zu heute noch eine kleinere Rolle, die Sendezeiten waren begrenzt, und Jugendliche hatten normalerweise keinen eigenen Fernseher in ihrem Zimmer. Computerspiele gab es überhaupt nicht. Wieso stieg aber schon damals die Kriminalität stark an, die Gewaltkriminalität sogar besonders stark? Es muss demnach eine andere Ursache geben, die

1. etwa zeitgleich mit der Einführung des Fernsehens in Erscheinung trat, oder besser: die etwa zeitgleich oder kurz vor dem Anstieg der Kriminalitätsrate eingeführt wurde,

2. eine dem Fernsehen vergleichbare Massenwirkung entfalten konnte,

3. zunächst, in den 1950er und 60er Jahren, hauptsächlich auf die Jugend einwirkte. Und sie muss

4. in den USA einige Jahre früher aufgetreten sein als bei uns, denn dort begann auch der Wertewandel einige Jahre früher. Die gesuchte Ursache dürfte

5. auch in auffallender Verbindung zu illegalen Drogen stehen; denn Drogendelikte haben die höchsten Steigerungsraten überhaupt erfahren: In Deutschland vervierundneunzigfachten sie sich von 1964 bis 1989. Und idealerweise müssten sich noch weitere Elemente des Wertewandels mit dieser Ursache erklären lassen:

6. Rebellion gegen Elterngeneration und Staat,

7. Hedonismus und Egoismus,

8. der Rückgang der Werte "Pflichtbewusstsein” und "Bildung”, und nicht zuletzt

9. die sexuelle Revolution.

10. Schließlich sollte die gesuchte Ursache grundsätzlich dazu in der Lage sein, die menschliche Psyche zu beeinflussen.

Nur eine einzige Sache erfüllt jede einzelne dieser zehn Bedingungen: Die moderne populäre Musik, zunächst vertreten durch den Rock'n'Roll. Ansgar Jerrentrup beschreibt in seiner 1981 gedruckten Dissertation die Auswirkungen, welche diese Musikrichtung auf die jugendlichen Hörer hatte:

"Statt kultivierter Umgangsformen pflegte man eher mittelmäßige bis rohe. Man ließ deutliche Anzeichen von leichter Gereiztheit oder egoistischer Empfindlichkeit und von emotionaler Triebhaftigkeit in Erscheinung treten. Ein für viele als bedrohlich angesehener Machtanspruch wurde nach außen getragen, dem eine latente Gewalttätigkeit entsprach. Diese Gewalttätigkeit zeigte sich indes viel offener in den bekannten Jugendgruppierungen der Rocker und Teddy-Boys, die bezeichnenderweise die stärksten Anhänger der R&R-Musik waren [...]” Dann fasst der Autor stichwortartig zusammen: "Dies manifestierte sich z.B. in einer Gleichgültigkeit gegenüber öffentlichen Einrichtungsgegenständen, [...] Minderwertung intellektueller Leistungen, [...] Missachtung vieler restriktiver Maßnahmen, zur Schau getragene Geringschätzung von Kirche, Staat und Familie, Missachtung der sozialen Verantwortlichkeit des einzelnen für gesamtgesellschaftliche Belange. [...] direkteren und weniger durch Tabus eingeschränkten Beziehung zum anderen Geschlecht [...]”

Gewalt aus dem Lautsprecher

Gewalt aus dem Lautsprecher (Bild: joschka knoblauch / pixelio.de)

Zu ergänzen wäre der Konsum illegaler Drogen, der in den populären Musikszenen seinen Anfang nahm und über Liedtexte und die Vorbildfunktion der Interpreten auf die Hörer überging.

Gewaltmusik!

Die von Jerrentrup beschriebenen Eigenschaften und Auswirkungen sind noch heute charakteristisch für das mit den meisten Richtungen populärer Musik verbundene Lebensgefühl. Wir sollten diese Richtungen, beginnend bei aggressiveren Varianten des Jazz, über Blues, Pop, Rock, Metal bis hin zu Rap, Techno und anderen, als das bezeichnen, was sie wirklich sind: als Gewaltmusik.

Gewaltmusik ist quantitativ zu einem der wichtigsten Umwelteinflüsse geworden – und sie ist qualitativ einer der wirksamsten, wie wissenschaftliche Untersuchungen zeigen. Der Musikpsychologe Günther Rötter stellt die Wirkung von Musik mit der einer psychoaktiven Substanz gleich, und der Hirnforscher Eckart Altenmüller nennt Musik den "stärkste[n] Reiz für neuronale Umstrukturierung, den wir kennen”. Dabei ist die Wirkung speziell von Gewaltmusik durch den tranceartige Zustände erzeugenden "Beat” und durch die extreme Lautstärke, in der sie meist gehört wird, besonders effektiv. Man kann sogar vermuten: Würde Gewaltmusik mit ihren aggressiven Klängen nicht den Boden bereiten, dann würde sich kaum jemand für Gewaltfilme und Killerspiele interessieren.

Im Laufe der Geschichte, vor allem aber seit dem 20. Jahrhundert, haben zahlreiche Beobachter Kritik an bestimmten Musikarten geübt. Doch diese Kritik ist, zumal nach dem 2. Weltkrieg, irgendwo auf dem Weg ins Bewusstsein der Öffentlichkeit versandet und dem Zwang zu politischer Korrektheit zum Opfer gefallen. Dabei existieren an die hundert Studien, die den Zusammenhang zwischen aggressiven Musikrichtungen, Kriminalität und anderen problematischen Verhaltensweisen belegen. Zahlreiche Straftäter geben an, durch Rock, Metal oder Rap zu ihren Taten inspiriert worden zu sein. Auch Amokläufe haben meist nicht nur mit Computerspielen zu tun. Robert Steinhäuser, der Mörder von Erfurt, hörte unter anderem Musik von Slipknot. In einem Lied dieser Gruppe heißt es: "Schieße deine bösen Lehrer mit einer Pumpgun nieder!" Steinhäuser hätte diesen "Befehl" wörtlich befolgt – wenn die mitgeführte Pumpgun nicht Ladehemmung gehabt hätte, so dass er eine andere Waffe benutzen musste.

Als die Rapmusik in den 1990er Jahren auch in Europa in Mode kam, stieg in vielen europäischen Staaten die Jugendgewalt nochmals dramatisch an. Rap (HipHop) stammt aus dem Kriminellenmilieu US-amerikanischer Großstädte und brachte Kindern und Jugendlichen das Leben in gewalttätigen Jugendbanden, als Drogenhändler oder Zuhälter nahe. Die Sprache und Sprechweise ist aggressiv und überheblich. Viele Rapper sind oder waren selbst Kriminelle, wie etwa die Vergewaltiger Tupac und Shine, die Drogenhändler und Schläger 50 Cent und Bushido (letzterer auch ein Dieb), oder der Mörder Big Lurch.

Aber auch die Biographien anderer populärer Musiker sind voll von Straftaten: Drogenkonsum steht an erster Stelle; aber auch Schläger, Diebe, Brandstifter, Vergewaltiger und Mörder sind in einem Ausmaß vertreten, wie es in keiner anderen Berufsgruppe zu finden sein dürfte. Das sind die Vorbilder unserer Jugend.

Gewaltmusik ist auch für extreme politische Gruppierungen das ideale Mittel der Manipulation. Für den rechtsextremen Bereich ist das hinlänglich bekannt; so wurde beispielsweise die Rockgruppe Landser verboten. Aber auch der Linksextremismus ist schon seit den "68ern” eng mit Gewaltmusik verbunden. Ton Steine Scherben etwa, zu deren bekanntesten Liedern "Macht kaputt, was euch kaputt macht” und "Keine Macht für niemand” zählen; letzteres entstand im Auftrag der RAF. Atari Teenage Riot beteiligten sich 1999 an den Ausschreitungen zum 1. Mai; eine ihrer Liedzeilen sagt treffend: "Riot sounds produce riots”: Aufständische Klänge produzieren Aufstände. Inzwischen hat die linksextreme Szene auch den Rap/HipHop für ihre Zwecke entdeckt. Axel Lier schrieb am 16. 10. 2007 in der Welt: "Hip-Hop-Bands, die gegen das ‘System' rappen, sind aus der Szene kaum noch wegzudenken.” Die Staatsanwaltschaft Berlin ermittelte gegen die Rap-Gruppe DeineLTan: "In dem Stück ‘F[...] die Cops' geht es um Blut, Steine, 1.-Mai-Randale und ausgeschlagene Zähne. Nach Angaben der Staatsanwaltschaft werde dem Hörer sinngemäß vermittelt, dass nur ein toter Polizist ein guter Polizist sei.”

Hass und Aggression (Bild: Joachim Reisig / pixelio.de)

Diese und andere direkt oder indirekt zu Straftaten auffordernden Texte würden freilich kaum ihre Wirkung entfalten, wenn nicht auch die Musik aggressiv wäre. Dass die Verbindung zwischen Gewaltmusik und Kriminalität auch ohne Texte funktioniert, zeigt der Techno, dessen Hörer zu einem großen Teil Konsumenten illegaler Drogen sind. Nicht die Texte sind das Hauptproblem, sondern die aggressive Klanglichkeit der Musik ist es: Das martialische Gestampfe des "Beat”, häufig auch elektronische Klangverzerrung, und bei Vokalmusik nicht zuletzt der aggressive und hasserfüllte, gegebenenfalls auch sexuell herausfordernde Gesangsstil.

Klang - Text - Kontext

Gewaltmusik wirkt auf drei Ebenen: Erstens der Klang der Musik selbst, zweitens die Texte (die von den Hörern selbst dann, wenn sie harmlos sind, aufgrund der aggressiven Musik umgedeutet werden können), und drittens der Kontext, d.h. das Vorbild der Musiker und die mit der jeweiligen Musikszene und Jugendkultur verbundenen Einstellungen und Werte. Diese dritte Ebene wirkt einerseits bewusst, d.h. durch Identifikation, andererseits unbewusst, nämlich durch Aktivierung kognitiver Schemata. Letzteres sei anhand eines Experimentes demonstriert, das 1992 von Klaus-Ernst Behne an Schülern der 5. bis 10. Klasse vorgenommen wurde: Man zeigte den Schülern einen Film, in welchem sich eine Frau nach einem Verkaufsgespräch in einem Juweliergeschäft im Besitz eines wertvollen Rings befindet. Der Film wurde in zwei Versionen vorgespielt: mit einer "synthesizererzeugten Musik im Popidiom" beziehungsweise mit Ausschnitten aus den "Ungarischen Tänzen” von Johannes Brahms. Die Schüler sollten nun spekulieren, was in der Geschichte vorgefallen ist. Von denjenigen, welche die Popversion sahen, glaubten bis zu siebenmal so viele, dass die Frau den Ring gestohlen habe. Popmusik – hier wohlgemerkt rein instrumental, ohne Texte – aktivierte also bei den Schülern das kognitive Schema "Diebstahl”, oder allgemeiner: "Kriminalität”, Klassik dagegen kaum.

We don't need no education

In einer in den 1980er Jahren durchgeführten Langzeitstudie stellte Keith Roe bei schwedischen Kindern und Jugendlichen fest, dass schwache Schulleistungen mit Präferenzen aus dem Bereich der Rock- und Popmusik korrespondierten, gute Schulleistungen dagegen mit einer Vorliebe für klassische Musik. Dabei ließ sich anhand der bevorzugten Musik sogar der soziale Status des später ergriffenen Berufes vorhersagen.

Werte wie Bildung und Pflichtbewusstsein wurden in den Gewaltmusikszenen von jeher verlacht. Aber wer kommt schon auf die Idee, dass die schlechteren schulischen Leistungen von Jungen im Vergleich zu Mädchen auch damit zu tun haben könnten, dass Jungen tendenziell aggressivere Arten von Gewaltmusik bevorzugen und auch größere Nutzer von Bildschirmgewalt sind? Die bereits erwähnte Studie von Pfeiffer et al. (2007) bestätigt: "Als stärkster Belastungsfaktor für die Schulleistungen erweist sich die Vorliebe für Mediengewalt.”

Sex, Drugs and Rock‘n‘Roll

Auch die sexuelle Revolution wäre ohne Gewaltmusik nicht möglich gewesen. Wohin geht man, wenn man schnellen Sex haben will? In Diskotheken bzw. Clubs, wie sie sich heute meist nennen. Diese werden nicht zufällig mit populärer Musik beschallt, und das in extremer Lautstärke. Der permanente "Beat" schaltet das vernünftige Denken aus, die Musik aktiviert das kognitive Schema "Sex” – aber auch das Schema "Drogen”: Nach einer im Jahr 2002 durchgeführten Eurobarometer-Umfrage ist in Bars/Clubs und auf Partys, also im Umfeld von Gewaltmusik, am leichtesten an illegale Drogen zu kommen. Eine 2001 von der TU Berlin durchgeführte Untersuchung ergab, dass etwa 83 % der Besucher von Technoveranstaltungen regelmäßig illegale Drogen nehmen. Die Love Parade wurde von einem Sprecher der Gewerkschaft der Polizei als "größte Drogenparty der Welt" bezeichnet – was die Stadtverwaltungen von Berlin und inzwischen weiterer Städte nicht davon abhielt, diese massenkriminelle und lärmterroristische Veranstaltung (sowie andere Techno-Umzüge) Jahr für Jahr erneut zu genehmigen.

Laute Musik fördert auch den Alkoholkonsum, wie eine französische Studie (Guéguen 2008) herausgefunden hat. Aggressive Musik und Alkohol sind eine besonders brisante Mischung; doch was nach einer Straftat oder nach einem Verkehrsunfall gemessen wird, ist nur der Alkoholpegel. Niemand ahnt, wieviele Verbrechen und Unfälle auch oder ausschließlich auf die aggressiv machende Wirkung von Gewaltmusik zurückzuführen sind.

Mit der Rockmusik war das Maximum an musikalischer Aggressivität eigentlich schon in den 1960er Jahren erreicht. Dennoch fand man weitere Steigerungsmöglichkeiten: das Fallen jeglicher inhaltlicher Tabus im Heavy Metal und Rap, die technische Komprimierung zu immer größerer Lautstärke und Basslastigkeit, und nicht zuletzt eine Steigerung der Aggressivität anderer, ursprünglich weniger harter Musikstile, nämlich des Pop und schließlich auch des Schlagers, die inzwischen mit einem ähnlich lauten und aggressiven "Beat" unterlegt werden wie Rock und Techno.

Lärmterror

Durch die exzessive Lautstärke, die Basslastigkeit und die Impulshaltigkeit ist populäre Musik auch immer mehr zu einer Belastung und Gesundheitsgefährdung für Unbeteiligte geworden. Die überlauten tiefen Frequenzen, die von Privatwohnungen, Diskotheken, Kneipen, Boutiquen, Kraftfahrzeugen, Stadtfesten und inzwischen sogar Sportveranstaltungen ausgehen, durchdringen die dicksten Mauern und überwinden weite Distanzen. Millionen Menschen werden in ihrer eigenen Wohnung von den wummernden Bässen aggressiver Musik um ihre Ruhe, ihre Leistungsfähigkeit, ihren Schlaf und ihre Gesundheit gebracht.

Das Versagen der Politik

Wir haben es also mit zwei Problemfeldern der Gewaltmusik zu tun: Der negativen Wirkung auf den Charakter der freiwilligen Hörer, und der negativen Wirkung auf die Gesundheit und Lebensqualität der unfreiwilligen Hörer. Die Politik hat in beiden Fällen auf ganzer Linie versagt. Was den Musiklärm betrifft, so gilt nach wie vor die dB(A)-Bewertung, bei der tiefe Frequenzen praktisch unberücksichtigt bleiben. Immer mehr gewaltmusikbeschallte Veranstaltungen werden von den Behörden genehmigt, Anwohner, die sich beschweren, als Querulanten abgestempelt. Ähnlich ist es mit den Autofahrern, die mit wummernden Bässen in extremer Lautstärke die Umgebung beschallen. Obgleich es sich hier um Ruhestörung und Verkehrsgefährdung in Tateinheit handelt, beträgt das Bußgeld nach wie vor lächerliche 10 Euro. Dabei hatte das Bundesumweltamt schon vor Jahren darauf gedrängt, das Bußgeld auf 40 Euro anzuheben und einen Punkt in Flensburg zu vergeben. Das Verkehrsministerium hat darauf nicht reagiert. Aufgrund des geringen Bußgeldes sehen es die Stadtverwaltungen als nicht lohnend an, gegen das Delikt vorzugehen. Kontrollen gibt es nicht. Anzeigen von Bürgern enden mit Einstellung, da die Beschuldigten die Tat regelmäßig abstreiten und Aussage gegen Aussage steht.

Nur wenige Parteien haben in ihrem Programm zur Bundestagswahl 2009 Mediengewalt thematisiert, und keine einzige Musikgewalt. (Allenfalls das angestrebte "Verbot Gewalt verharmlosender Inhalte in Rundfunk, Fernsehen und Internet” der ÖDP könnte Musik einschließen, meint aber vermutlich nur die Texte.) Das Wort "Lärm" erschien in den Programmen normalerweise im Zusammenhang mit Straßen- und Bahnverkehr; das Problem des Freizeit- und Musiklärms wurde dagegen von keiner Partei erkannt. Im Bundestagswahlkampf war sogar (wieder) zu erleben, wie Parteien verschiedenster Richtungen Gewaltmusik bei Veranstaltungen und in Werbefilmen verwenden. In der Kampagne "Schau hin, was deine Kinder machen” des Bundesministeriums für Familie, Senioren, Frauen und Jugend spielt Musik keine Rolle. 50 "Tipps zur Medienerziehung” werden da geboten unter den Stichworten "Fernsehen”, "Computer”, "Internet”, "Handy”, "Lesen”. Musik? Fehlanzeige.

Zum Versagen der Politik gehört auch, dass sogar Insassen von Haftanstalten unbeschränkt Radio- und Fernsehprogramme empfangen dürfen und so durch das Hören aggressiver Musik und das Betrachten gewaltverherrlichender Filme in ihrem kriminellen Charakter bestärkt werden. Sogar Gefängnisbands gibt es.

Wird die neue Regierung den Mut finden, gegen den von Gewaltmusik dominierten Zeitgeist vorzugehen? Alle drei, CDU, CSU und FDP, haben Gewaltmusik im Wahlkampf verwendet, sei es bei Veranstaltungen oder in ihren Werbefilmen (wo die CDU als Ausnahme immerhin auf verschmalzten Händel setzte). Die FDP stellte viele Jahre lang (und auch jetzt wieder) den Justizminister und ist damit für die "weiche Welle” gegenüber Straftätern hauptverantwortlich, die auf der ganzen Linie gescheitert ist. Liberale müssen außerdem erkennen, dass zuviel Freiheit auf der einen Seite einen Verlust an Freiheit auf der anderen Seite bedeutet. Freiheit für Gewalt, auch in den Medien, pervertiert das liberale Prinzip. Wo Mediengewalt zu realer Gewalt und Kriminalität führt, da muss ihr Einhalt geboten werden. Wer weiterhin auf "Einsicht statt Verbote” setzt, der hat die Rechnung ohne die menschliche Natur gemacht. Eine Entscheidung gegen die Freiheit zu treffen, wenn dies Straftaten verhindert und mittel- und langfristig zu einem Mehr an Freiheit führt, auch das kann liberal sein.

Gesellschaftsfähig

Gewaltmusiker sind längst gesellschaftsfähig geworden, auch wenn sie eine kriminelle Vergangenheit haben und in ihren Texten zu Straftaten aufrufen. Der Pornorapper Sido moderierte eine Fernsehsendung zur Bundestagswahl – mit Unterstützung der Bundeszentrale für politische Bildung. Sein Kollege Bushido, ein Schläger, Dieb, Drogenhändler und Plagiator, sagte, er wolle später auch einmal Kanzler werden, oder Bundespräsident. Und das erscheint gar nicht so ausgeschlossen. Brachte es doch ein Punkmusiker zum Jugendsenator von Berlin und zum Präsidenten der Bundeszentrale für politische Bildung (aha!), die Managerin der RAF-nahen Rockgruppe Ton Steine Scherben zur Bundesvorsitzenden von B 90/Die Grünen, und ein linksextremistischer Schläger und Hausbesetzer zum Außenminister. Nach den "68ern" könnte demnächst die "Generation HipHop" die Politik unterwandern. Müssen wir uns auf noch mehr Kriminalität und Porno einrichten? Auf Abschaffung der Gefängnisse? Auf Diebstahl und Zuhälterei als Schulfach? So unvorstellbar es auch scheint, es wäre die logische Weiterentwicklung der letzten Jahrzehnte. Wer konnte sich vor fünfzig Jahren Anleitungen zum Geschlechtsverkehr in einer Kinder- und Jugendzeitschrift vorstellen? Oder dass Lehrer vor Disziplinlosigkeit und Gewalttätigkeit der Schüler kapitulieren? Dass neun von zehn Jugendlichen straffällig werden?

Weitreichende Konsequenzen

Kaum jemand begreift, was Gewaltmusik angerichtet hat und noch immer anrichtet. Dabei müssen wir uns nur die allgemeine Erfahrung bewusst machen, dass Musik Emotionen ausdrückt und hervorruft. Wenn aber Musik das kann, dann kann sie es auch in bezug auf negative Emotionen wie Aggression und Hass. Wer diese Emotionen ablehnt, der wird sie als gegen sich gerichtet empfinden und die Musik nicht ertragen können. Wer aber diese Musik freiwillig und gerne hört, der muss sich mit den darin ausgedrückten Emotionen identifizieren. Dies tut die Mehrzahl der Menschen Tag für Tag. Das kann nicht ohne schwerwiegende Folgen bleiben.

Viele gesellschaftliche Fehlentwicklungen sind auf den Werteverfall zurückzuführen, sogar die astronomische Staatsverschuldung. Der Staat gab jahrzehntelang mehr aus als er einnahm, weil er nicht stark genug war, sich dem hedonistischen Anspruchsdenken der Bürger zu widersetzen, oder weil er es vielleicht auch nicht wollte. Genau dieses Anspruchsdenken ist aber eine Folge des Werteverfalls: Staatliche Fürsorge statt Eigenverantwortung, Spaß statt Pflichterfüllung. Hinzu kommt, dass durch die ebenfalls durch den Werteverfall bedingte "Erosion des Rechtsbewusstseins” jährlich Schäden in dreistelliger Milliardenhöhe durch Steuerhinterziehung und Sozialbetrug entstanden und weiterhin entstehen.

Es ist tatsächlich die in einer Gesellschaft vorherrschende Musik, die ihre Moral prägt. Schon Plato wusste das, und im Zeitalter der Massenmedien gilt es um so mehr. Auch Gewaltmusiker wie Jimi Hendrix wussten es: "Man hypnotisiert die Leute und bringt es so fertig, dass sie in ihren ursprünglichen Zustand zurückkehren,... Und wenn man die Leute an ihrem schwächsten Punkt erwischt hat, kann man in ihr Unterbewusstsein alles predigen, was man will.” Oder wie der Rapper Ice-T: "Das ist mein Job: Umerziehen und neu programmieren.”

Der Werteverfall war in den Gewaltmusikszenen des Blues und des Jazz, später des Rock'n'Roll vorgebildet. Der "Outlaw”, der Gesetzlose, war von jeher das typische "Image” des Gewaltmusikers. Die neuen elektronischen Massenmedien ermöglichten nach dem 2. Weltkrieg einer radikalen Minderheit, ihre Ideen von Rebellion, Drogenkonsum, Hedonismus und promiskuitivem Sex in die formbaren Gehirne der jungen Generationen einzuhämmern: durch das psychoaktive Mittel aggressiver Musik, welche die niedersten Instinkte des Menschen weckt, seine kognitiven Funktionen aber weitgehend ausschaltet. Der Rock'n'Roll-Musiker Bill Haley verkündete damals: "Wir haben eine neue Musik entdeckt, mit der wir die Jugend Amerikas beherrschen werden.” Dabei ist es nicht geblieben.

Die Chance

Dieser dramatische Befund beinhaltet aber auch eine Chance: Wir können etwas verändern, weil wir die Ursache kennen. Zwar lassen sich die langfristig persönlichkeitsverändernden Wirkungen kaum wieder rückgängig machen, aber Straftaten, die auf die unmittelbar aufstachelnde Wirkung von Gewaltmusik zurückgehen, würden weniger werden, und wir könnten eine neue Generation ohne den verderblichen Einfluss von Mediengewalt heranziehen. Ein völliges Verbot wird zunächst nicht durchsetzbar sein. Aber mit einer Reihe kleinerer Maßnahmen lässt sich ebenfalls etwas bewirken:

- Eine Quote, die den maximal zulässigen Gewaltanteil in Radio und Fernsehen festlegt.

- Eine Mediengewaltsteuer und Altersbeschränkungen.

- Warnhinweise auf Tonträgern und Konzertkarten.

- Ein Verbot von Gewaltmedien in Schulen, und das bedeutet auch ein Verbot der pädagogisch nicht zu verantwortenden "Schulbands”, für die mit staatlicher Unterstützung sogar Wettbewerbe organisiert werden.

- Gastronomische Betriebe müssen sich entscheiden, ob sie Alkohol ausschenken oder ihre Gäste mit Gewaltmusik beschallen möchten. Beides zusammen ist eine unverantwortliche Mischung, deren Folgen täglich in vermeidbaren Unfällen und Straftaten sichtbar werden.

- Jegliche öffentliche Förderung von Gewaltmusik und von mit solcher Musik beschallten Veranstaltungen muss unterbleiben.

- Dem Musiklärm ist durch niedrigere Schallpegel-Grenzwerte, durch ein Verbot elektronischer Klangverstärkung bei Freiluftveranstaltungen, und natürlich durch ein konsequentes polizeiliches Einschreiten zu begegnen.

Unsere Freiheit, Gewaltmedien fast unbeschränkt produzieren und nutzen zu dürfen, hat einen hohen Preis. Könnte man die kriminelle Energie durch Minimierung der Mediengewalt auf den Stand der 1950er Jahre zurückführen, gäbe es alleine in Deutschland jährlich etwa 400 Morde, 9.000 Sexualdelikte, 360.000 Rohheitsdelikte, 800.000 Verkehrsdelikte und anderthalb Millionen Diebstähle weniger – gemessen an den angezeigten Delikten! Tatsächlich sind es weit mehr, da das Dunkelfeld um ein Vielfaches größer ist. Hinter diesen Zahlen verbirgt sich unermessliches Leid und ein unermesslicher materieller Schaden. Man bedenke, dass beispielsweise die englische Stadt Newcastle alleine durch eine Umstellung der Beschallung ihrer U-Bahnhöfe von Gewaltmusik auf klassische Musik jährlich etwa eine halbe Million Pfund einsparen konnte, weil es weniger Schäden durch Vandalismus gab. Die gleiche Maßnahme führte in US-amerikanischen Einkaufszentren zu einem Rückgang der Ladendiebstähle.

Aber wir müssen auch langfristig denken: Wenn die nächste Generation nicht mehr mit Gewaltmedien sozialisiert wird, würde wieder mehr Ehrlichkeit in die Gesellschaft kommen und die Staatskasse und die Sozialkassen um viele Milliarden entlasten. Polizei und Gerichte könnten ihren Aufgaben besser nachkommen; das Vertrauen zwischen den Menschen würde wachsen. Die Schüler würden gute Leistungen anstreben und den Lehrern Respekt entgegenbringen anstatt Drogen zu nehmen, sich in kriminellen Banden zu organisieren und auf Hartz IV einzurichten. Da Gewaltmusik auch sexuell enthemmend wirkt, gingen die Menschen verantwortungsvoller mit ihrer Sexualität um; es gäbe weniger Abtreibungen und Geschlechtskrankheiten. (Natürlich müsste auch der Sexualisierung der Bildschirm- und Druckmedien begegnet werden, insbesondere in der Kinder- und Jugendzeitschrift Bravo.) Schließlich würde ein Ende der Zwangsbeschallung mit Gewaltmusik die Gesundheit der Menschen verbessern und ihre Produktivität erhöhen. Auch die durch lauten Musikkonsum bedingte Schwerhörigkeit würde zurückgehen und die Krankenkassen entlasten.

Die vielbeschworene "Erziehung zur Medienkompetenz” kann nur sehr begrenzt etwas bewirken, indem sie nur einige wenige intelligentere und zur Selbstbeherrschung fähige Jugendliche zu erreichen vermag. Die meisten werden weiterhin Gewaltfilme ansehen, Gewaltcomputerspiele spielen und insbesondere Gewaltmusik hören. Teils, weil sie sich schon längst von moralischen Werten verabschiedet haben, teils, weil jeder glaubt, er hätte es im Griff und ließe sich nicht beeinflussen.

Der Weg in eine bessere Zukunft führt über die Medien. Denn Medien manipulieren, und Musik tut das ganz besonders. Wenn wir Manipulation ablehnen, müssten wir die Medien vollständig abschaffen. Es kann also nur darum gehen, die unvermeidbare Manipulation in positive Bahnen zu lenken. Wer für eine massenmediale Verbreitung produziert, hat eine millionenfache Verantwortung. Dieser Verantwortung werden die Produzenten von Gewaltmedien nicht gerecht.

Der Werteverfall war kein Zufall, und die Ursachen waren für jeden, der sich vom "Beat" der Gewaltmusik nicht den Verstand aus dem Kopf hämmern ließ, offensichtlich. Schon 1964 berichtete der Jugendpsychologe Bernard Saibel über ein Konzert der Beatles in Seattle: "Das war [...] die Teilnahme an einem destruktiven Prozess, in dem Erwachsene ihren Kindern eine wilde, verrückte und erotische Welt ohne den nötigen Schutz vor sich selbst erlauben. [...] Zwei Stunden unter 14.000 entfesselten Beatle-Fans haben mich zu der Überzeugung kommen lassen, dass man so etwas nicht wieder zulassen sollte – zum Besten unserer Jugend.”

Heute stehen wir vor den Trümmern, welche die Toleranz gegenüber dem klanggewordenen Exzess hinterlassen hat: Hedonismus, sexuelle Maßlosigkeit, Gewalt, Komasaufen, Drogensucht, Kriminalität verschiedenster Art. Die Beweise liegen seit Jahrzehnten vor. Es gilt, sie endlich zur Kenntnis zu nehmen und zu handeln.

 

Literaturhinweise:

Anderson, Craig A. u Gentile, Douglas A. u. Buckley, Katherine E.: Violent Video Game Effects on Children and Adolescents, Oxford 2007.

Grossman, Dave u. DeGaetano, Gloria: Wer hat unseren Kindern das Töten beigebracht? 2Stuttgart 2003. (Orig.: Stop Teaching Our Kids to Kill, New York 1999).

Miehling, Klaus: Gewaltmusik – Musikgewalt. Populäre Musik und die Folgen, Würzburg 2006.

Spitzer, Manfred: Vorsicht Bildschirm! Elektronische Medien, Gehirnentwicklung, Gesundheit und Gesellschaft = Transfer ins Leben 1, Stuttgart, Düsseldorf u. Leipzig 2005.

Weiß, Rudolf H.: Gewalt, Medien und Aggressivität bei Schülern, Göttingen u.a. 2000.

Klaus_Miehling, am 12.11.2009
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Bildquelle:
Monika Hermeling (Bilanz der Kirchen zum Corona Weihnachten)

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