Die Erschließung und Besiedlung des "Miriquidi"

Bis zum frühen Mittelalter – etwa die Zeit von 500 bis 1050 – war die Region des heutigen Erzgebirges bedeckt von einem undurchdringlichen Urwald, der von dem frühmittelalterlichen Historiographen Thietmar von Merseburg als "Miriquidi" bezeichnet wurde. Diese Bezeichnung war abgeleitet von dem lateinischen Begriffspaar "Miriquidi silva", was man mit "Dunkel"- oder "Finsterwald" übersetzen kann.

Im Jahr 1168 wurden in der Umgebung von Christiansdorf, dem heutigen Freiberg, die ersten Silbererze gefunden, und dies löste ein erstes "Berggeschrey" aus, wie man traditionell im Erzgebirge die rasch umlaufende Kunde reicher Silbererzfunde bezeichnet - was man mit dem Goldrausch in Nordamerika vergleichen kann. Als Reaktion auf die reichen Silberfunde kamen nämlich schnell Bergleute, Händler, Köhler und Abenteurer in das damals noch unwirtliche Gebiet. Der Erzbergbau entstand und erfasste im Laufe der folgenden Jahrhunderte die gesamte Region. Zahlreiche Bergstädte und –siedlungen wurden gegründet. "Miriquidi" wandelte sich zu der Erzgebirgslandschaft, wie wir sie heute kennen.

Diese Entwicklung wurde dadurch befördert, dass dreihundert Jahre nach dem ersten Berggeschrey 1470 in Schneeberg und 1491/92 am Schreckenberg im heutigen Annaberg-Buchholz nochmals ergiebige Silbererzvorkommen entdeckt wurden, so dass es zu einem "zweiten Berggeschrey" kam, das auch als das "große Berggeschrey" bezeichnet wird. Eine Art "drittes Bergeschrey" wurde im 20. Jahrhundert ausgelöst, als nach dem Zweiten Weltkrieg im Erzgebirge durch die SDAG Wismut (Sowjetisch-Deutsche Aktiengesellschaft Wismut) für die sowjetische Atomindustrie in großem Umfang Uranerz abgebaut und verarbeitet wurde. Mit der Schließung der Uranbergwerke und der letzten Zinnbergwerke um 1990/91 wurde der Bergbau im Erzgebirge weitgehend eingestellt. Im 21. Jahrhundert könnte es jedoch im Erzgebirge zu einem "vierten Berggeschrey" und damit zu einem Wiederaufleben des Bergbaus kommen, weil dieses Gebiet immer noch reich an Bodenschätzen ist und die Nachfrage nach Rohstoffen seit Jahren weltweit steigt.

Der Fichtelberg (Bild: Oimheidi/pixabay.com)

"Miriquidi" (Bild: Fritz_the_Cat/pixabay.com)

Die industrielle Entwicklung des Erzgebirges

Während jedes "Berggeschrey" eine Phase des Aufschwungs des Bergbaus nach sich zog, hat es im Laufe der über 800-jährigen Geschichte des Bergbaus im Erzgebirge aber auch immer wieder Phasen des Niedergangs des Bergbaus gegeben, in denen sich die Menschen andere Erwerbsmöglichkeiten suchen mussten. Es entstanden die Bergbaufolgeindustrien wie die Textil-, Papier – und Holzspielzeugindustrie. In neuerer Zeit kamen hinzu die Metall-, Elektro-, Automobil- und Kunststoffindustrie sowie die industrielle Anwendung der Halbleiter- und Umwelttechnik. In diesen Branchen gibt es eine Vielzahl an kleineren und mittleren Unternehmen, die das Erzgebirge zu einem industriellen Ballungsraum machen, ohne dass diese Region die landschaftlichen Reize eingebüßt hätte, die sie zu einer der schönsten Mittelgebirgslandschaften in Europa machen.

In der Region Erzgebirge wurde sogar in manchen Branchen Pionierarbeit geleistet. So kamen die ersten serienmäßig gefertigten Metallkarosserien für PKW Anfang des 20. Jahrhunderts aus dem Erzgebirge, und auch der weltweit erste FCKW-freie Kühlschrank wurde hier gebaut. Ferner gibt es im oder in unmittelbarer Nähe zum Erzgebirge sechs Hochschulen und über 20 außeruniversitäre Forschungseinrichtungen, in denen im Bereich wichtiger Zukunftstechnologien Grundlagenforschung betrieben wird.

Die Bedeutung von Kunsthandwerk, Brauchtum und Tradition

Bei allen Erfolgen in der Ansiedlung moderner Industrien darf nicht vergessen werden, dass das Erzgebirge auch berühmt ist für das hier vor Jahrhunderten entstandene Kunsthandwerk und die von diesem geschaffene Volkskunst. Dabei geht es um das Klöppeln feinster Spitzen und die Herstellung von Weihnachtssymbolen aus Holz. Vor allem in der Adventszeit verbindet sich diese Volkskunst mit der kulturellen Prägung des Erzgebirges durch den Bergbau. Denn in der Adventszeit leuchten überall in den Fenstern Lichterengel und Schwibbögen, ein Brauch, in dem einst die Sehnsucht der Bergleute nach Licht und Geborgenheit zum Ausdruck kam. Ferner gibt es in der Adventszeit in vielen Orten Bergmannsparaden, und es werden Mettenschichten – traditionell die letzte Schicht der Bergleute vor Weihnachten – gefeiert.

Aber auch außerhalb der Adventszeit begegnet einem im Erzgebirge das Brauchtum der Bergleute noch überall. So ist es immer noch üblich, sich mit "Glück auf!" zu begrüßen. Mit diesem Bergmannsgruß verband sich einst die Hoffnung auf reiche Silberfunde und eine glückliche Heimkehr aus den Tiefen des Berges. Sich so zu begrüßen, hat also seinen Ursprung in dieser Region und verbreitete sich von hier aus in ganz Deutschland. Ferner ist die Überzeugung tief verwurzelt, dass das Erzgebirge auch seinen heutigen Wohlstand letztlich dem Bergbau verdankt. Davon zeugt der Ausspruch: Alles kommt vom Bergwerk her! Die bergmännischen Traditionen bestimmen also noch immer maßgeblich das Leben im Erzgebirge.

Erinnerung an den Bergbau (Bild: 499585/pixabay.com)

Schwibbogen (Bild: Gellinger/pixabay.com)

Zur Bedeutung der Stadt Freiberg

Dass durch den Bergbau im Erzgebirge eine einzigartige Kulturlandschaft entstanden ist, kann man am besten selbst erkunden, wenn man der sogenannten Silberstraße folgt. Sie durchquert das Erzgebirge zwischen Zwickau und Dresden und lädt dazu ein, sich alle bedeutenden Sehenswürdigkeiten wie Museen und Schaubergwerke sowie mittelalterliche Stadtzentren mit sehenswerten Sakralbauten anzuschauen. Hervorheben möchte ich hier zunächst die Stadt Freiberg.

Da im Raum Freiberg, wie oben gezeigt, die ersten reichen Silbererzvorkommen entdeckt wurden, wird diese Stadt immer noch als Berghauptstadt bezeichnet. 1765 entstand in Freiberg eine Bergakademie, mit der die Ausbildung der Bergleute sichergestellt werden sollte. Sie hat heute den Rang einer Technischen Universität und ist damit die älteste noch bestehende montanwissenschaftliche Bildungseinrichtung der Welt. Freiberg beherbergt ferner eine der größten Mineraliensammlungen der Welt. Mit dem restaurierten und denkmalgeschützten Altstadtkern, der umgeben ist von Teilen der historischen Stadtmauer, ihren stattlichen Bürgerhäusern und zahlreichen Denkmalen gilt Freiberg zudem als eine der schönsten Städte Sachsens.

 

Sehenswerte Sakralbauten in Freiberg, Annaberg-Buchholz und Seiffen

Freibergs Dom St. Marien besitzt Stilelemente verschiedener Epochen und ist damit einer der bedeutendsten mittelalterlichen Sakralbauten in Sachsen. Hervorzuheben sind hier die Goldene Pforte, ein spätromanisches, um 1230 geschaffenes Rundbogen-Sandsteinportal an der Südseite des Doms mit Skulpturen und reich verzierten Säulen sowie die Tulpenkanzel aus dem frühen 16. Jahrhunderts und die Bergmannskanzel aus dem Jahr 1638. Weiter kann man im Dom die restaurierte kurfürstliche Grabanlage der Wettiner besichtigen.Die Kirche beherbergt ferner eine große und eine kleine Orgel des berühmten Orgelbaumeisters Gottfried Silbermann. Die Bergstadt Annaberg-Buchholz - in der im 16. Jahrhundert Adam Ries, der "Vater des modernen Rechnens", in der Bergbauverwaltung tätig war - besitzt mit der St. Annenkirche die größte spätgotische Hallenkirche Sachsens.

 

 

 

St. Annenkirche in Annaberg-Buchholz (Bild: geme/wikimedia.org)

Freibergs Dom St. Marien (Bild: Leviathan1983/wikimedia.org)

Das erzgebirgische Städtchen Seiffen ist bekannt für die hier ansässigen Spielzeugmacher und deren Schauwerkstätten und trägt deshalb den Beinamen Spielzeugdorf. Die Kirche, die hier das Ortsbild prägt, wurde zwischen 1776 und 1779 in Anlehnung an die Dresdner Frauenkirche errichtet und weist einen für eine Dorfkirche ungewöhnlichen achteckigen Grundriss auf. Über dem Eingang der Kirche, die als ein Zeugnis der Frömmigkeit der Bergleute gilt, befindet sich die Weiheinschrift: "Zur Ehre Gottes und zum Heil der Menschen". Die Bergkirche Seiffen – wie sie offiziell heißt – ist ein beliebtes Motiv der Erzgebirgischen Volkskunst und auf unzähligen Schwibbögen dargestellt.

Schlusswort: Die Bedeutung der Silberstraße für Dresden

Die Silberstraße war auch der Weg, auf dem das Silber aus dem Erzgebirge bis nach Dresden gelangte und dort den Reichtum der sächsischen Kurfürsten begründete, mit dessen Hilfe diese all die prächtigen Bauwerke errichten ließen, die Dresden zu einer europäischen Kulturmetropole machen.

Quellennachweis:

https://www.montanregion-erzgebirge.de/welterbe-entdecken/unesco/montanes-erbe-als-welterbe.html

https://www.erzgebirge-gedachtgemacht.de/erzgebirge/geschichte/#c1253

https://www.erzgebirge-gedachtgemacht.de/erzgebirge/wirtschaft/

https://www.planet-wissen.de/kultur/mittelgebirge/erzgebirge/index.html

https://www.auerbach-erzgebirge.de/geschichte/66-das-gro%C3%9Fe-berggeschrey.html

Bildnachweis:

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499585/pixabay.com

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