Bei Tuataras geht alles sehr langsam

Tuataras sind rund 50 Zentimeter lange Echsen, deren Name Stachelrücken bedeutet und aus der Sprache der Maori stammt, die vor rund 1000 Jahren Neuseeland eroberten. Wegen eines brückenartigen Schläfenknochens werden die Tiere im Deutschen auch Brückenechsen genannt. Ihre Beobachtung ist deshalb schwierig, weil alles sehr langsam verläuft. Bis zu 15 Stunden am Tag sitzt der Tuatara vor seiner Wohnhöhle und tut buchstäblich nichts. Man könnte ihn für tot halten, weil er sich stundenlang überhaupt nicht bewegt. Manchmal sieht man einen mit offenem Maul; wenn man genug Zeit hat und ihn 20 Minuten lang beobachtet, erkennt man, dass er einfach nur einmal gegähnt hat.

Die neuseeländischen Echsen sind ungefähr ein Kilogramm schwer, fressen aber nur rund 250 Gramm pro Jahr. Sie sind Fleischfresser, die sich besonders gern von Insekten ernähren, aber auch andere kleine Tiere verspeisen. Als Jäger kann man sie aber nicht bezeichnen; sie warten eher ab, bis einmal etwas Fressbares von alleine vorbeikommt. Die Mahlzeit dauert dann unter Umständen einige Stunden. Die Fortbewegung geschieht normalerweise im Zeitlupentempo; Schnecken oder Schildkröten müsste man im Vergleich als hektisch bezeichnen.

Probleme mit dem Sex

Die Brückenechsen wachsen sehr langsam. Sie werden zwar mit etwa 15 Jahren geschlechtsreif, haben aber erst mit rund 30 Jahren ihre volle Körpergröße erreicht. Alle drei bis vier Jahre haben sie Lust auf Sex, im späten Frühling oder im Sommer ein paar Wochen lang. Der Mann umkreist dann stundenlang eine Frau – sehr, sehr langsam und in einem seltsam gestelzten Gang. Wenn sie das toll findet, kommt es zur Paarung, die etwa ein bis zwei Stunden in Anspruch nimmt.

Leider hat der Geschlechtsverkehr nur selten eine Vermehrung zur Folge. Oft passiert gar nichts. Häufig legt das Weibchen zwar Eier, deren Befruchtung jedoch irgendwie nicht funktioniert hat, sodass aus ihnen nichts wird. Manchmal legt das Weibchen rund zwölf befruchtete Eier. Das geschieht etwa neun Monate nach der Paarung. Das Weibchen legt dazu eine spezielle Nesthöhle an und bewacht sie auch. Nur in Ausnahmefällen reifen in allen Eiern auch Babys heran; meistens gehen viele Eier kaputt, oft sogar alle. Wenn wider Erwarten alles gut ging, schlüpfen etwa 14 Monate nach der Eiablage (also rund 23 Monate nach der Paarung) die Kinder. Wenn es im Nest durchschnittlich 18 Grad oder kälter war, sind alle Kinder Mädchen. Je höher die Durchschnittstemperatur gewesen ist, desto höher ist der Prozentsatz der Jungs – bei 22 Grad schlüpfen aus über drei Vierteln der Eier männliche Tiere.

Schwierige Vermehrung – ein Rätsel für die Tierforscher

Seit 1887 werden Tuataras in Zoos gehalten, heutzutage außerhalb von Neuseeland in sechs Zoos insgesamt rund 50 Tiere. Immer wieder rätselten die Forscher, warum sie sich so schlecht vermehren. Vielleicht liegt es an falscher Ernährung? Man experimentierte mit dem Futter, fand jedoch keine Lösung. Brückenechsen besitzen eine Körpertemperatur zwischen 7 und 14 Grad, sie mögen keine Hitze; aber auch in gekühlter Umgebung klappte es mit der Fortpflanzung nicht gut.

Bei dem in Neuseeland in der Nähe von Invercargill lebenden Tuatara-Männchen Henry wurde 2002 ein Geschwür entdeckt und entfernt. Das Foto zeigt ihn 2004 im Alter von 106 Jahren (Copyright beim Autor). Möglicherweise hatte ihn das Leiden körperlich oder seelisch vom Sex abgehalten. 2006 jedenfalls warf er dann mit 108 Jahren der 72-jährigen Mildred Blicke zu, wenn man stundenlanges bewegungsloses Anstarren so bezeichnen darf. Im Februar 2007, als in Neuseeland Sommer war, überkam die beiden die Liebeslust, und im Januar 2009 wurden sie stolze Eltern von elf Kindern.

Brückenechsen leben nicht in eheähnlichen Zweierbeziehungen. So hat Henry mittlerweile auch andere Freundinnen. Ende 2010, also noch vor dem neuseeländischen Sommer, versuchte er es erst mit der 31-jährigen Juliet und dann doch wieder mit der mittlerweile 76-jährigen Mildred. 2011 legte Juliet 12 Eier, die alle unfruchtbar waren. Mildred legte 16 Eier; immerhin waren vier dabei, aus denen vielleicht etwas werden könnte.

Neue Vermutungen über die Sexualität der „letzten Dinosaurier“

Die Tuataras werden manchmal als die letzten Dinosaurier bezeichnet, weil sie tatsächlich zu einer Reptilienordnung gehören, die es schon vor 200 Millionen Jahren gab und die lange als ausgestorben galt. Zum Vermehrungsverhalten der Brückenechsen wurden jetzt Gedanken geäußert, die gewissermaßen mit ererbten Genen aus uralten Zeiten zu tun haben.

Die erste Vermutung: Wie man an Henry sieht, werden Tuatara-Echsen sehr alt; man schätzt, dass sie durchaus 200 werden können. Vielleicht steckt aber in ihrem Erbgut die Fehlinformation, das Leben würde noch sehr viel länger dauern, zum Beispiel 500 Jahre. Es wäre dann verständlich, dass sie sich mit dem Sex erst einmal lange Zeit lassen. Auch von den inneren Körpervorgängen her werden sie möglicherweise erst als Hundertjährige allmählich sexuell richtig aktiv, weil ihr Körper gewissermaßen davon ausgeht, dass die besten Jahrhunderte erst noch bevorstehen.

Die zweite Vermutung: Man hat beobachtet, dass es unter Männchen mitunter zu Revier- und Rangkämpfen kommt, aber auch ein Wettbewerbsverhalten unter den Weibchen stattfindet. Dahinter könnte ein Erbe aus der Vorzeit stecken, in der womöglich blutige Kämpfe um die Fortpflanzungsmöglichkeiten stattfanden. Es könnte nun sein, dass die inneren hormongesteuerten Vorgänge nur dann richtig funktionieren, wenn zumindest zeitweilig echte Rivalitäten ausgelebt werden können. In kleinen Gruppen von Tieren, die im Zoo gehalten werden, klappt das natürlich nicht richtig. Eine erste Schlussfolgerung besteht darin, Tuataras nach Möglichkeit nur noch in Gruppen von mindestens acht Tieren zu halten. Außerdem soll das Terrarium groß genug sein, damit jede Echse ein eigenes "Revier" von rund drei mal drei Metern besitzt, das sie gegen Rivalen "verteidigen" kann.

Kleobulos, am 02.10.2011
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Bildquelle:
a.sansone (Kapern - Woher sie kommen, wie sie aussehen und wo sie besonders gu...)
https://pagewizz.com/users/Adele_Sansone (Rosen und die Frage: Dorn oder Stachel?)

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