Die „germanische“ Religion – ein Überblick
Innerhalb des germanischen Gebiets existierte eine Fülle unterschiedlicher Glaubensvorstellungen und Riten.Odin - der oberste Gott der nordischen Mythologie. (Bild: pitty666 / pixelio.de)
Gab es überhaupt „die“ germanische Religion?
Nein. Eine einzige germanische Religion hat es nie gegeben. Dies konnte auch nie gewesen sein, weil es die Germanen als solche überhaupt nicht gegeben hat. Der Glaube, es gab ein einheitliches Volk der Germanen, geht zu großen Teilen auf Caesars Beschreibung und auf die Geschichtsschreibung des 19. Jahrhunderts zurück, in der der Nationalismus und der Glaube an eine einzige und wahre deutsche Nation wichtiger waren als die Deutung historischer Quellen. "Die" Germanen waren verschiedene Stämme mit verschiedenen Traditionen und entsprechenden Wirklichkeitskonstruktionen. Darum ist der Begriff "germanische Religion" als ein Sammelbegriff zu verstehen, mit dem sämtliche Glaubensüberzeugungen und Glaubenspraktiken der germanischen Stämme und Völker zusammengefasst werden.
Eine wesentliche Unterscheidung ist hierbei zwischen der germanischen Religion und der germanischen bzw. nordischen Mythologie vorzunehmen – eine Differenzierung, die bei den neuen Heiden oftmals übersehen wird. Wenn von der germanischen Religion die Rede ist, so sind in der Regel drei Sub-Systeme gemeint: die nordgermanische Religion, die südgermanische Religion und die angelsächsische Religion. Diese Unterscheidung geht auf temporäre und lokale Unterschiedlichkeiten der einzelnen Quellen zurück.
Welche Quellen gibt es über die germanischen Religionen?
Zunächst ist zu sagen, dass aus der frühen Zeit nur wenig Quellen erhalten sind. Darum sind viele Deutungen spekulativ und sollten entsprechend bewertet werden. Es ist nicht so, dass man von einer bestimmten Tradition, die lokal ausgeprägt ist, auf das ganze germanische Gebiet schließen könnte. Eine homogene religiöse Gesellschaft gab es de facto nicht. Es ist anzunehmen, dass die Weltanschauungen der alten germanischen Völker von großer Anbetung bis hin zu großer Ablehnung reichten. Aber einen einheitlichen Volksglauben hat es nie gegeben. Bei der Untersuchung alter Religionen ist stets der soziale Kontext zu berücksichtigen. Sicher gab es bestimmte Riten, an denen die damaligen Menschen aus kollektiven Gründen teilgenommen haben. Wer zur Gruppe dazugehören wollte, musste eben auch entsprechende Praktiken ausführen.
Quellen, die über den Glauben an etwas Übernatürliches der germanischen Völker etwas sagen können, sind Grabstätten, Opferplätze und Festhallten – also archäologische Quellen. Dazu gehören auch Sachquellen, wie Amulette, Talismane, Opfergaben und andere Kultgegenstände. Ikonographische Quellen sind Grabbilder, Felsbilder, Teppiche, Darstellungen im Schmuck und christliche Darstellungen aus der Zeit der Missionierung. Zu den literarischen Quellen gehören Zaubersprüche, Gedichte, Lieder, Runenmagie und die Außendarstellung von nichtgermanischen Autoren, beispielsweise Tacitus oder christliche Missionare. Ortsnamen, Personennamen, Volksglauben, Erzählungen und überlieferte Volksbräuche sind ebenfalls relevante Quellen zur Erforschung der germanischen Religiosität.
Wodurch waren die germanischen Religionen geprägt?
Als gemeinsame Merkmale der religiösen Strömungen germanischer Völker lassen sich Polytheismus und Animismus feststellen. Der Glaube an mehrere Götter war vor der Christianisierung weit verbreitet, ebenso der Glaube an einen beseelten Kosmos und an eine beseelte Natur. Magie und Geisterglaube gehören ebenso zu den Merkmalen germanischer Religiosität. Allerdings gibt es teils große Unterschiede zwischen den lokalen Glaubensansätzen. Frühe Gesetzestexte belegen, dass magische Praktiken genutzt wurden und unter Strafe standen. Die skandinavischen Quellen geben darüber relativ ausführlich Auskunft.
Wahrsagerei, Beschwörung und Abschwörung, Jenseitskontakt, Seelenwanderung, Schicksal und Schicksalserfüllung sowie der Glaube an unterschiedliche Gottheiten sind zentrale Kriterien germanischer Religiosität. Es gab Baumheiligtümer, an der Natur ausgerichtete Feste, und Opfergaben an Flüssen, Seen und Mooren.
Literatur
Hans-Peter Hasenfratz: Die religiöse Welt der Germanen. Ritual, Magie, Kult, Mythos. Herder, Freiburg/Br. 1992.
Bernhard Maier: Die Religion der Germanen. Götter - Mythen - Weltbild. Beck Verlag, München 2003.
Rudolf Simek: Götter und Kulte der Germanen. Beck Verlag, München 2004.
Bildquelle:
Barbara Lechner-Chileshe
(Warum gibt es unterschiedliche Haut- und Augenfarben?)