Die Geschichte der Legende – Heiligenverehrung und Wundergläubigkeit

Der Legende liegt das Phänomen der Heiligenverehrung zugrunde. Das Gedenken an die Heiligen anlässlich ihrer Jahrestage, ihre Rolle als Übermittler von Fürbitten sowie eine zunehmende Verankerung im Gottesdienst und im Volksglauben trugen die Legendenbildung maßgeblich voran. Votivbilder und Mirakelbücher in Wallfahrtsorten des Christentums zeugen von der religiösen Wundergläubigkeit (nicht nur) früherer Zeiten. Um Auswüchsen des Volksglaubens Einhalt zu gebieten, wurde vonseiten der Kirche das Instrument der Kanonisierung eingeführt – nachweisbar angewandt erstmals 993 im Fall des heiligen Ulrich von Augsburg – und im Lauf der Jahrhunderte verfeinert.
Die christlichen Legenden kommen einerseits dem Bedürfnis nach, genaueres über das Leben von Heiligen und ihre Taten zu erfahren. Andererseits wurden sie auch gezielt eingesetzt, um den Bekanntheitsgrad einzelner Heiliger zu erhöhen. Als älteste Legende des Christentums kann die nachträglich in die Bibel eingefügte Geschichte von Jesu Geburt und der Ankunft der Heiligen Drei Könige angesehen werden.

Legende und Vita – das Leben der Heiligen

In Viten wurden auch die Leidensgeschichten der Märtyrer nach und nach mit Motiven und Zitaten aus verschiedensten Quellen ausgeschmückt und mutierten somit zu Legenden. Allgemein ist der Unterschied zwischen Vita und Legende häufig nur ein stilistischer, da viele Viten ohne Wissen um historische Fakten und in großem zeitlichen Abstand zur historischen Person verfasst wurden. Spätestens im 7. Jahrhundert nach Christus entstanden erste Legendensammlungen wie die "Passiones et vitae Sanctorum". Vom frühen Mittelalter bis in unsere Tage unterlag die Legende vielen Wandlungen hinsichtlich Erzählform und Erzählart, wurde im Einzelfall Opfer von Parodie oder inhaltlich verweltlicht. Nichtsdestotrotz blieb ihr (spezifischer, sprich definitorischer) Kern erhalten.

Gattungsspezifische Merkmale der Legende

Zunächst ist eine Legende an die Religion der Region gebunden, in der sie entsteht. Diese Nähe zu einer bestimmten Religion und die Zugehörigkeit zu einer Religionsgemeinschaft konstituiert die Legende über Gattungsgrenzen wie Erzählung, Bericht, Drama oder Lied hinaus, da sie formal Elemente all dieser Formen annehmen kann. Die typische Grundform entspricht jedoch einem einfachen, naiven Bericht.
Des Weiteren ist die Legende an eine Figur gebunden. Sie ähnelt somit in ihrer Form und im Personenbezug der weltlichen Heldensage – nach dem Literaturwissenschaftler Hellmut Rosenfeld kann in ihr eine Art religiöse Heldensage gesehen werden: Der Held erhält durch seine Tugend und seinen Glauben heroische Züge, gleichzeitig besitzt die Legende für eine Religionsgemeinschaft einen ähnlichen Wahrheitsanspruch wie eine Sage für einen bestimmten Kulturkreis und bezieht sich wie diese auf bestimmte namentlich genannte Persönlichkeiten.

Legenden: Zeugnisse von Gottes Macht und der Kraft des Glaubens

Daneben wird die Legende oft im Kontext des Märchens und des Mythos erläutert und in Abgrenzung zu diesen verwandten Formen definiert. So beinhalten viele (aber nicht alle) Legenden eine Wundererzählung. Das Wunder nimmt dabei, anders als das Wunderbare im Märchen, die Funktion eines Zeugnisses für die Allmacht Gottes an. Dieses Zeugnis bewirkt in Kombination mit dem heroischen Charakter, sprich der Vorbildfunktion des Heiligen die typische Intention dieser Gattung: Der Legende wohnt ein erbaulicher Charakter inne (wodurch sie tendenziell der säkularen Fabel ähnelt), sie soll zur Nachahmung anregen. Die Vita des Heiligen wird dabei verklärt. Legenden stellen somit keine authentischen Zeugnisse im Sinne einer historisch gesicherten Biographie, wohl aber Zeugnisse der historischen Wahrnehmung einer Religion und ihrer Kirche dar.

Die Legende entzieht sich einer exakten formalen Bestimmung. Ihre Abgrenzung als eigenständige Gattung ist aufgrund der vielen verschiedenen Ausprägungen und ähnlichen Formen alles andere als einfach und primär auf stoffliche Elemente wie die Figur des Heiligen sowie den religiösen Kontext allgemein begrenzt. Hinzu kommen die häufige Berichtform des Erzählten und eine erbauliche Intention.

Literatur:
Hellmut Rosenfeld: Legende. Sammlung Metzler Band 9 (4. Aufl.), Stuttgart 1982.

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