Die Wegbereiter des Jugendstils

Allgemein an üppiger Kunst und floralen Ornamenten Freude findend, war es für mich nur eine Frage der Zeit, bis die Präraffaeliten meinen Weg kreuzten. Es handelt sich dabei um eine Gruppe von viktorianischen Malern, die sich entschlossen hatten, der voranschreitenden Industrialisierung Mitte des 19. Jahrhunderts zu trotzen, indem sie damals unzeitgemäße, ästhetisch beeindruckende "Plakatmalerei" schufen. Meist suchten sie ihre Themen in heroischer Mystik, wie der Gralslegende mit Sir Galahad und Lancelot, den unverwüstlichen griechischen Sagen, dem Mittelalter und deutschen Märchen ("Dornröschen"). Aber auch biblische Geschichten wurden aufgegriffen. Gegründet wurde der Kreis von John Everett Millais und seinem Studienkollegen William Holman Hunt. Die größte Beeinflussung ihrer Werke waren die Renaissance, der Barock und die Nazarener, die sozusagen das deutsche Pendant zu den Präraffaeliten bilden.

Der Anführer und bekannteste Name dieser Bewegung ist jedoch mit Sicherheit Dante Gabriel Rosetti, der nicht nur Kunstmaler war, sondern sich ebenso wie seine Schwester Christina als Dichter hervortat. Über Jahre wurde der illustre Kern der Kunstmaler indes erweitert um Edward Burne-Jones, Simeon Salomon, Ford Maddox Brown und auch Arthur Hughes sowie John William Waterhouse. Zahlreiche Künstler folgten ihrem Stil, der es sich zum Ziel gesetzt hatte, die Natur in all ihrer Schönheit und Reinheit zu präsentieren. Dabei wurde besonderen Wert auf Details gelegt, die gerade bei John William Waterhouse geradezu fotografisch anmuten. Oft ließen sich Landadelige und royale Persönlichkeiten seine Gemälde in Empfangszimmer hängen, damit der Besucher sich beim Betrachten der Bilder die Wartezeit versüßen konnte. Mit Sicherheit kommen euch einige der unten gezeigten Motive bekannt vor; noch heute werden sie bevorzugt als Buchcover oder für andere kommerzielle Zwecke verwendet.

Bekannte Gemälde der Präraffaeliten - Eine Auswahl

La Belle Dame Sans Merci (Bild: Sir Frank Dicksee)

Frühe "Popkultur"

Die Arbeit der Präraffaeliten (die übrigens Raffaels akademischen Stil ablehnten, daher der Name.) beschränkte sich nicht nur auf großformatige Leinwände. Wer etwas auf sich hielt im viktorianischen England, leistete sich Gobelinteppiche mit edlen Rittern für die Wände und Tapetenmuster von William Morris.

Bis zu Beginn des ersten Weltkrieges erlebte die präraffaelitische Malerei eine beispiellose Popularität. Romantisch, naturgetreu und manchmal doch ein wenig überspitzt und verklärt, was die Darstellung des menschlichen Körpers angeht, strahlen die Bilder auch heute noch einen Reiz und ein Können aus, für die man die wohl als etwas verschrobenen geltenden alten Männer unweigerlich bewundern muss. Kein moderner Künstler würde sich wochenlang mit dem Faltenwurf eines Kleides aufhalten oder seinem Modell stundenlange Bäder im kalten Wasser zumuten, um den Freitod der unglücklichen Ophelia so realistisch wie möglich einzufangen. Die Proportionen und das Verhältnis zu Licht und Schatten wurden genauestens analysiert und dann mit einer beinahe unheimlichen Präzision zu Papier bzw. der Leinwand gebracht.

In den letzten Jahren hatte ich das Vergnügen, eine Burne-Jones-Austellung in Stuttgart und in München eine Retrospektive Frederic Leightons zu besuchen, und ich muss sagen, dass diese Art der Malerei wirklich sehr beeindruckend ist, wobei ich mich vor allem auf die Auswahl der Farben beziehe, die meist in warmen Erdtönen gehalten sind. Nicht dass die Motive mich nicht auch ansprechen...

Natürlich habe ich für mich ein paar Lieblings-Präraffaeliten entdeckt. Hervorheben möchte ich neben Waterhouse auch Sir Frank Dicksee, der sich an Shakespeare- und Mittelalterthemen orientierte und dessen "Belle Dame sans Merci" an oberster Stelle meiner Favoriten-Liste rangiert.

Vielleicht ist der Stil nicht jedermanns Sache, so wie es damals in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts war, in der nach einem Ausdruck von Ästhetik verlangt wurde, die sich angesichts des beginnenden Werteverfalls im wahren Leben kaum finden ließ. Gerade in der heutigen Zeit lebt man ja gerne nach dem Motto "Weniger ist mehr". Doch ich finde, dass diese Bilder zeitlos schön sind und man sich in ihnen versenken und die Gedanken wandern lassen kann. Nicht zuletzt inspirieren sie mich und beflügeln meine Phantasie.

 Wenn ich bei dem einen oder anderen Interesse geweckt habe, freut mich das sehr.

 

Wie findet ihr die gezeigten Bilder?
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