Die Protestbewegung der Gelbwesten in Frankreich
Die Bewegung der Gelbwesten in Frankreich kämpft für soziale Gerechtigkeit und direkte Demokratie und damit für eine grundlegende Veränderung der französischen Gesellschaft.Die Entstehung der Gelbwesten-Bewegung
Konkreter Anlass für die Entstehung der Gelbwestenbewegung war Mitte November der Plan des französischen Präsidenten Emmanuel Macron, eine Ökosteuer auf Diesel einzuführen, während gleichzeitig auch die Steuern auf Benzin erhöht werden sollten. Dieser Plan erregte den Zorn derjenigen, die auf PKWs angewiesen sind, um zur Arbeit zu kommen, weil sie nicht auf andere Verkehrsmittel ausweichen können. Um ihrem Unmut Ausdruck zu verleihen, blockierten Betroffene in gelben Warnwesten Tankstellen, Autobahnauffahrten, Einkaufszentren und machten diese Aktionen über soziale Netzwerke im Internet publik, so dass sich immer mehr Nachahmer fanden.Aber niemand konnte wohl vorhersehen, dass sich an einer Erhöhung der Spritpreise dermaßen der Volkszorn entzünden würde. Aber vielleicht war ja die Spritpreiserhöhung der berühmte Tropfen, der das Fass zum Überlaufen gebracht hat, so dass sich nun lange angestauter Unmut entladen hat..
Forderungen der Gelbwesten nach einer Verbesserung ihrer Lebenslage
Die Gelbwesten-Bewegung vertritt schwerpunktmäßig die Interessen der unteren Mittelschicht, also einer Bevölkerungsgruppe, deren Kaufkraft seit etlichen Jahren stagniert, während gleichzeitig ihre monatlichen festen Ausgaben kontinuierlich gestiegen sind. Diese untere Mittelschicht besteht aus ehemaligen Angestellten, die arbeitslos geworden sind, den 10 Prozent der Angestellten, die lediglich den Mindestlohn verdienen, sowie den 40 Prozent der Angestellten, die einen Lohn beziehen, der den Mindestlohn um nicht mehr als um ein Drittel übersteigt. Die Gelbwestenbewegung ist folglich Ausdruck der massiven Unzufriedenheit vieler Franzosen mit ihren Lebensverhältnissen.
Die Forderungen der Gelbwesten gingen deshalb auch sehr schnell über die Streichung der Ökosteuer hinaus und zielen inzwischen auf eine umfassende Verbesserung der Lebenssituation von Geringverdienern ab. Hier geht es vor allem um eine Stärkung der Kaufkraft durch eine Senkung der Steuern und durch die Erhöhung der Löhne und Renten. Im Gegenzug soll die volle Vermögenssteuer für Reiche wieder eingeführt werden, die jetzt auf den Immobilienbesitz reduziert ist. In letzter Konsequenz laufen diese Forderungen auf einen Systemwechsel hinaus, bei dem die Reichen viel abgeben müssen und die Armen fast alles behalten dürfen. Man könnte dies auch als einen Großangriff auf die von Präsident Macron vertretene wirtschaftsliberale Position bezeichnen, wonach die Reichen geschützt werden müssen, damit sie irgendwann die Armen mitziehen können.
(Bild: markschlicht/pixabay.com)
Hinzukommt die von der Gelbwestenbewegung erhobene Forderung nach einer radikalen Demokratisierung und damit einer grundlegenden Umgestaltung der politischen Entscheidungsprozesse. Konkret geht es hier um die Einrichtung einer "Bürgerversammlung", die über die gesunkene Kaufkraft in Teilen der französischen Gesellschaft, soziale Not und den ökologischen Wandel diskutieren soll, sowie um die Einführung von Volksabstimmungen nach Schweizer Vorbild. Die Gelbwesten wollen mit anderen Worten, dass Politik im Interesse der einfachen Bürger und auch direkt durch die einfachen Bürger gemacht wird und nicht von irgendwelchen abgehobenen Eliten. Sie wollen direkte Demokratie.
Die Reaktion der französischen Regierung auf die Gelbwesten-Bewegung
Als Reaktion auf die Proteste der Gelbwesten hat Präsident Macron in einer Fernsehansprache nicht nur die Erhöhung der Steuern auf Diesel und Benzin zurückgenommen, sondern auch soziale Maßnahmen in Aussicht gestellt. So sollen von 2019 an Überstunden von Sozialabgaben und Steuern freigestellt werden. Zudem werden rund 70 Prozent der Rentner in Frankreich von der Erhöhung einer umstrittenen Sozialabgabe ausgenommen. Ferner sollen Beschäftigte auf Mindestlohnniveau pro Monat 100 Euro mehr bekommen. Das Sozialpaket wird auf insgesamt 10 Milliarden Euro geschätzt. - Aber das ist wenig im Vergleich mit den Wohltaten für Reiche, die der Präsident plant. So beläuft sich sein Förderprogramm für Unternehmen und Wohlhabende allein im Jahr 2019 auf rund 45 Milliarden Euro. Ferner lehnt er die Forderung nach einer Wiedereinführung der vollen Vermögenssteuer weiterhin ab.
Allerdings hat Macron inzwischen offen Verständnis für die weiterreichenden Forderungen der Gelbwesten und auch für ihre Wut gezeigt und hat alle Unzufriedenen eingeladen, sich an einem Bürgerdialog zu beteiligen. Und zwar sollen die Bürger bis zum 15. März bei im ganzen Land stattfindenden Gesprächsrunden ihre Kritik äußern und Reformvorschläge machen können. Die Franzosen schätzen allerdings die Erfolgsaussichten dieser "nationalen Debatte" als eher gering ein. Laut einer Umfrage für den Sender France Info und die Zeitung "Le Figaro" glauben sieben von zehn Franzosen, dass die Debatte nicht zu nützlichen Maßnahmen führen wird. Es ist deshalb auch eher unwahrscheinlich, dass die Stimmen bei den Gelbwesten, die Macrons Rücktritt fordern, in den nächsten Monaten wieder verstummen werden.
Weder "rechts" noch "links" und nicht-hierarchisch
Die Gelbwestenbewegung wird weder durch Gewerkschaften noch durch politische Parteien gesteuert und entzieht sich damit einer Vereinnahmung von "rechts" oder "links". Jedenfalls liefen entsprechende Versuche der Rechtspopulistin Marine Le Pen und des Linksparteichefs Jean-Luc Mélenchon bisher ins Leere. Das Gleiche gilt für andere Vertreter von Interessengruppen wie z.B. Vorsitzende von Gewerkschaften. Ferner sind die Gelbwesten auch abseits der großen Städte aktiv.
Eine weitere Besonderheit ist die basisdemokratische Struktur der Gelbwesten-Bewegung. So haben die Gelbwesten keinen Anführer im eigentlichen Sinne und organisieren sich allein über soziale Netzwerke. Zuletzt ernannten sie jedoch einen achtköpfigen Sprecherrat, der die Verhandlungen mit der Regierung führen soll. Die Gewaltexzesse und schweren Sachbeschädigungen, zu denen es bei den Protesten im Dezember gekommen war, wurden nach Expertenmeinung von Links- und Rechtsextremisten verübt, die sich unter die friedlich demonstrierenden Gelbwesten gemischt hatten.
Die Dominanz von Frauen
Die Gelbwestenbewegung zeichnet sich weiter dadurch aus, dass hier Frauen eine herausragende Rolle spielen. An erster Stelle ist die 31 Jahre alte Krankenpflegerin Ingrid Levavasseur aus Rouen(!!!) zu nennen. Sie ist mittlerweile das Gesicht der Gelbwesten-Revolte in Frankreich, weil kaum einer das Leid der unteren Mittelschicht so gut beschreiben und damit die Gründe für den Protest so gut erklären kann wie sie. Vor allem ihrer Argumentation in vom Fernsehen übertragenen Debatten ist es wohl zu verdanken, dass Präsident Macron sein Zehn-Milliarden-Euro-Paket zu Gunsten der Geringverdiener geschnürt hat. Die vielen Franzosen, die die Gelbwestenbewegung unterstützen oder mit ihr sympathisieren, vergleichen Ingrid Levavasseur bereits mit der Marianne, dem Symbol der Französischen Revolution.
Stellvertretend für viele andere Frauen in der Gelbwestenbewegung sei hier noch Jacline Mouraud erwähnen, eine Aktivistin, die das Protest-Video gedreht und auf "Youtube" veröffentlicht hatte, das zum Startschuss für die Gelbwestenbewegung wurde. Mouraud möchte demnächst eine Gelbwestenpartei gründen. Diese soll den Namen "Die Aufstrebenden" tragen und bei den Kommunalwahlen 2020 antreten.
Auf die Beteiligung so vieler Frauen an der Gelbwesten-Bewegung ist wohl der pragmatische Charakter, aber auch die starke soziale Dimension der Bewegung zurückzuführen. Das heißt: Viele Teilnehmer erleben hier ein Verständnis für ihre Probleme und damit eine Solidarität, die sie vorher nie erfahren hatten. Andererseits entwickeln die Frauen aufgrund der bedeutenden Rolle, die sie in der Bewegung spielen, ein neues Selbstbewusstsein.
Zum Stellenwert der Gelbwesten-Bewegung in Frankreich
Anscheinend sind die politischen Positionen, die Präsident Macron vertritt, und die Forderungen der Gelbwesten unvereinbar wie Feuer und Wasser. Aber de facto argumentieren die Gelbwesten zum Teil ähnlich wie Macron in seinem Buch "Révolution", das 2017 die Grundlage seines Präsidentschaftswahlkampfs war und in dem er gelobte, Frankreich von Grund auf zu erneuern, also die alten Eliten zu entmachten und die zentralstaatlichen Strukturen abzubauen. Und auch Macron hatte sich ja, was seine politische Position betrifft, jenseits des herkömmlichen Schemas von "rechts" und "links" verortet.
Als Präsident hat er sich jedoch auf die Stärkung der Wirtschaft konzentriert und dabei Maßnahmen ergriffen wie beispielsweise Steuersenkungen für Reiche, mit denen er dem herrschenden wirtschaftsliberalen und damit eher "rechten" Zeitgeist gefolgt ist. Die Gelbwesten verlangen zwar auch Steuersenkungen - aber für Arme - und kämpfen gegen die Privilegien der Reichen. Nimmt man ihre Forderung nach einer vollständigen Revision der politischen Verhältnisse in Frankreich noch hinzu, könnte man sagen, dass sie die Revolution, die Macron angekündigt hatte, die aber schnell ins Stocken geraten war, konsequent weiterführen wollen.
Könnte der "Gelbwesten-Virus" auch auf andere Länder übergreifen?
Nach Expertenmeinung könnte der Gelbwesten-Protest in Frankreich ein Vorbote für kommende Entwicklungen auch in Deutschland sein. So bestünden auffällige Parallelen zwischen den "Gilets jaunes" und den Geringverdienern in Deutschland. Das heißt: Nicht nur in Frankreich, sondern auch in Deutschland gibt es eine Bevölkerungsgruppe, deren verfügbares Haushaltseinkommen immer mehr schrumpft.- Und man kann sagen: Nicht nur in diesen beiden Ländern: Das Entstehen einer unteren Mittelschicht, deren Angehörige immer mehr verarmen, ist längst ein gesamteuropäisches Problem geworden.
Ursache dieser Entwicklung ist die ungleiche und damit ungerechte Verteilung der Steuerlast sowie der Sozialabbau in den europäischen Ländern. Das heißt: Menschen mit kleinen und mittleren Einkommen tragen einen immer größeren Teil der Steuerlast, während die großen Konzerne nur für einen winzigen Bruchteil ihrer Profite Steuern zahlen. Gleichzeitig sind die Sozialleistungen gekürzt worden. Es ist deshalb nicht verwunderlich, dass mittlerweile auch in anderen Ländern Menschen in gelben Westen protestieren, nämlich in Belgien, Griechenland, den Niederlanden und in Großbritannien, wenn auch nicht in dieser massiven Form wie in Frankreich. Jedenfalls zeigt das Übergreifen des Protests auf andere Länder, dass sich eine europaweite Gelbwesten-Bewegung entwickeln könnte, wenn Europa sich nicht wieder stärker auf seine sozialen und demokratischen Tugenden zurückbesinnt.
Quellennachweis:
https://www.zeit.de/2019/02/ingrid-levavasseur-gelbwesten-frankreich-protest/komplettansicht
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