Unumstritten hat das duale Ausbildungssystem sowohl einen historischen als auch einen aktuellen Wert. In der freien Marktwirtschaft sind die Schwachen oft die Verlierer. Es zählt daher zu einer der größten historischen Errungenschaften der Gewerkschaften, gesetzliche Regelungen für die Berufsschüler auf Bundesebene durchgesetzt zu haben. Was einst erkämpft werden musste, gehört heute zur Alltäglichkeit. Denken wir nur an die inhaltlichen, methodischen und zeitlichen Vorgaben der Ausbildungsberufe. Was vielfach für die allgemeine Schulausbildung bemängelt wird, wurde in der Berufsschulausbildung durchgesetzt – ein bundesweit einheitliches System, einschließlich der abzulegenden Prüfungen. Auf diese Weise wurde eine Qualitätsgrundlage geschaffen. Eine berufliche Ausbildung dauert je nach Beruf zwei oder drei Jahre, und nicht 6 Monate oder 5 Jahre. An diese Regeln haben sich staatliche Schulen und Berufsschulen in freier Trägerschaft gleichermaßen zu halten. Oder denken wir an die arbeitsrechtlichen Bestimmungen. Auch einem Lehrling steht bezahlter Urlaub zu und das Mindesteinkommen gestaffelt nach Ausbildungsjahr ist festgeschrieben.

Neben diesen rein rechtlichen Bestimmungen besteht der Kernge- danke in der Kopplung von Berufsschule und Arbeit in einem Unternehmen, also von Theorie und Praxis.

All das ist nicht nur das Ergebnis eines arbeitsrechtlicher Kampfes, sondern auch einer immense verwaltungstechnischen und päda- gogischen Arbeit. Für über 400 Berufe mussten allgemeingültige Lehrpläne ausgearbeitet werden. In den letzten 10 Jahren sind viele neue Berufe hinzugekommen, wie z.B. der Sport- und Fitnesskaufmann, und andere wurden den veränderten Bedingungen auf dem Arbeitsmarkt angepasst. Mehr und mehr Bedeutung erlangt in den Abschlussprüfungen die Bewältigung praxisnaher Aufgaben.

 

Insofern ist es kein Wunder, dass angesichts der oft hohen Jugendarbeitslosigkeit sowohl europäische Nachbarn als auch nichteuropäische Staaten mit Interesse auf das deutsche System schauen. Doch wie so oft hat die Medaille zwei Seiten. Die zentrale Frage ist, ob das duale Ausbildungs- system in Zukunft Chancen hat. Möglicherweise wird diese Frage überraschen. Wieso soll das System gefährdet sein, wenn es doch so gut läuft?

 

Zur Beantwortung dieser Frage müssen wir bedenken, dass das duale Ausbildungssystem im Zuge der industriellen Revolution entstanden ist. Bis heute ist der gesamte Arbeitsalltag davon geprägt. Doch die Zeiten ändern sich und der Übergang zur Wissensgesellschaft nimmt immer mehr Gestalt an. Was das bedeutet, erklärte ein Teilnehmer des Podiumsgespräches genau. Das Unternehmen ist in der Nanotechnologie zu Hause. Typisch für diesen Wirtschaftsbereich ist die Kurzwertzeit des Wissens. Was heute noch gültig ist und dem höchsten Stand der Technik entspricht, ist morgen hoffnungslos überaltert. Was bedeutet das für die Berufsausbildung? Zum einen werden unzählige neue Berufe und Spezialisierungen entstehen, von denen wir im Moment noch kaum etwas wissen. Doch damit nicht genug. Der Inhalt dieser Berufe wird sich rasant entwickeln. Vermutlich wird die Tinte, verwendet für die Erarbeitung der Richtlinie eines neuen Berufes noch nicht trocken sein, da ist der Inhalt schon überholt. Wir haben also ein Verfahren, was nicht mehr mit der Veränderungsgeschwindigkeit konform geht. Und die Nonotechnologie ist nur ein Beispiel.

 

Ich vermute daher, dass es zu einer "Revolution" in Fragen Berufsausbildung kommen muss und wird, in der hoffentlich wertvolle Errungenschaften erhalten bleiben und doch der Fokus neu gesetzt wird. So wird das Lernen im Prozess der Arbeit - oder besser durch die Arbeit - einen viel höheren Stellenwert erhalten als das heute der Fall ist. Das betrifft durchaus nicht nur Wissen, sondern auch Fähigkeit, z. B. die Fähigkeit schnell mit Veränderungen umgehen zu können. Möglicherweise muss auch in Bezug auf die Berufsschule die Frage nach Grundlagenwissen, nach Grundlagenfertigkeiten und nach Kompetenzen neu beantwortet werden.

 

Dr. Kristina Schubert

Beratung und Training

Autor seit 11 Jahren
3 Seiten
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