Das Kaiserhaus

Baden ist ein schöner Ort. Im Stadtkern, der mittlerweile als Fußgängerzone gemütlich durchwandert werden kann, schmiegen sich alte Biedermeierhäuschen aneinander, rahmen den Hauptplatz für die barocke Dreifaltigkeitssäule, die Giovanni Stanetti einst hat in den Himmel wachsen lassen. Die Adresse "Hauptplatz 17" birgt eines der wohl berühmtesten Gebäude der Stadt, das ehemalige Palais Esterhazy, aus dem zu Zeiten Franz II./I. das Kaiserhaus wurde. Gegen den Willen seiner Gattin Maria Ludovica, welche die Räumlichkeiten als nicht standesgemäß bemängelte, kaufte der Kaiser das Anwesen und bestimmte Baden als Ort der jährlichen Sommerfrische, bis zu seinem Tod im Jahre 1835.

Was der Kaiserin so gar nicht passte erwies sich für die Stadt als Segen. Im Gefolge des hohen Sommergastes fanden auch andere Habsburger den Weg nach Baden, der feine wiener Hof entdeckte den Kurort für sich. Noch heute erinnern Strassennamen, sowie Villen und Museen an das rege aristokratische Treiben in den Tagen des Biedermeier, mit dem Tod des guten Kaisers Franz, wie man ihn gelegentlich zu nennen pflegte, wurde allerdings auch das Zeitalter der Prosperität zu Grabe getragen. Ferdinand, älteste Sohn und nächster Träger der österreichischen Kaiserkrone, mied die Stadt und widmete sich anderen Destinationen. Eine regelrechte Antipathie sagte man dem sonst so gütigen Nandl nach, von Baden wollte er nichts wissen.

Der Thronfolger wird verwundet

Die Bergstrasse führte vom Stadtkern in Richtung Helenental, einer malerischen Naturlandschaft, die bis heute zum Wandern und Spazierengehen einläd. Am 9. August gaben sich auch Ferdinand (damals noch Thronfolger) sowie dessen Dienstkämmerer, Feldmarschall – Lieutenant Graf von Salis, dem Vergnügen des Flanierens hin, ohne zu bemerken, dass ihnen ein dunkler Schatten folgte. Als relativ klein wird dieser Verfolger beschrieben, untersetzt, dicklich, sich bereits im fortgeschrittenen Alter befindend. Franz Reindl, pensionierter Hauptmann und notorischer Spieler, marschierte den hohen Herrn hinterher. Er schwitzte ganz gewaltig in seinem schwarzen, zu engen Gehrock, verfluchte Gott und die Welt ob der mörderischen Sommerhitze, die Wut aber trieb ihn voran. Immer wieder tastete er nach seinen Rocktaschen, links und rechts, denn in jeder hatte er ein Terzerol versteckt. Reindl wartete nur auf den richtigen Augenblick um den zukünftigen Kaiser von Österreich seinen Zorn spüren zu lassen. Am Ende der Berggasse schließlich, dort wo die Häuser zurückweichen und den Blick auf die liebliche Landschaft erstmals freigeben, schritt er zur Tat. Mittels Majestätsbeleidigung sicherte sich der korpulente Hauptmann die Aufmerksamkeit des Thronfolgers, allerdings gestaltete es sich als schwierig den phlegmatischen Ferdinand in Rage zu versetzen. Reindl, der die Napoleonfeldzüge mitgemacht hatte und es als alter Soldat gewohnt war, Hass und Angst in den Augen des Gegners zu schüren, wurde durch den verständnislosen, freundlichen Blick Ferdinands irritiert. Als der Thronfolger die endlosen Schimpftiraden Reindls schließlich noch mit dem Satz: "Was mocht denn der Mensch da", quittierte, platze dem Hauptmann der Kragen. Noch bevor Salis reagieren konnte, zog Reindl das Terzerol aus der rechten Rocktasche und drückte ab. Ferdinand wurde getroffen, taumelte, ging aber nicht zu Boden.

Der Ort des Geschehens - Die Marchetstrasse Nummer 37 heute

(Bild: Brenner Wilhelm)

Die Kugeln sind zu schwach

Durch den Tumult auf offener Strasse wurden Personen in der Nähe auf das Geschehen aufmerksam. Franz Tauscher, ein junger Mann, der bei dem Wundarzt Rollett als Gärtner im Dienst stand, erreichte den tobenden Reindl als erstes und riss ihn von hinten zu Boden. Franz Reindl sah die Sache offensichtlich als verloren an – er zog das zweite Terzerol und schoss sich in den Mund. Die Kugel aber blieb im Gaumenbereich stecken ohne weiteren Schaden anzurichten. Andreas Keller, Joseph Glaner und Joseph Bernscherer, die ebenfalls herbei geeilt waren, konnten Reindl schließlich überwältigen, nachdem dieser noch ein drittes Terzerol erfolglos auf Tauscher abgefeuert und ein Stilett aus dem Stiefel gezogen hatte.

Durch die wüste Rauferei direkt vor seinen Augen nun angespornt, ließ Ferdinand sich zu einem jener Aussprüche hinreißen, die noch heute als unverkennbares Markenzeichen des sanftmütigen Kaisers gelten:

"Hoits ihn, binds ihn, bringts ihn"(1), soll er den Männern aufgeregt zugerufen haben, bevor er sich mit dem Grafen Salis zurück in das Kaiserhaus machte, um der Familie seine Unversehrtheit persönlich zu demonstrieren. Tatsächlich war Ferdinand an der Schulter getroffen worden, die Kugel hatte das Futter des Überrocks allerdings nicht durchdrungen und nur ein Hämatom hervor gerufen. Ähnlich schwach war auch die Wirkung des zweiten Terzerols gewesen, mit dem Reindl sich hatte selbst richten wollen. Wie man später von Seiten der Polizei feststellte, waren die Treibladungen der Taschenpistolen zu gering gewesen, was Ferdinand und Andreas Keller möglicherweise das Leben gerettet hatte.

Festungsarrest und Volksfeste

Ein Motiv für die Wahnsinnstat eines ehemaligen Hauptmanns war rasch gefunden. Die Fürstin Metternich schreibt dazu:

"Kaum war ich aufgestanden, so hörte ich eine entsetzliche Geschichte. Ein pensionierter Hauptmann namens Reindl, ein Mensch von schlechter Aufführung, hatte den König von Ungarn (Ferdinand war zum Zeitpunkt des Attentats Thronfolger und gekrönter König von Ungarn (Anm.)) um 900 Gulden gebeten um seine Schulden zu bezahlen und seinen Lebensunterhalt zu bestreiten. Da er nur 100 Gulden erhielt, so verfolgte er den König seit mehreren Tagen."

Anders als das berühmte Attentat auf den Thronfolger Franz Ferdinand im Jahre 1914, welches Menschenleben in Sarajewo forderte, löste der Schuss auf den "gütigen Ferdinand" keinen Weltenbrand aus, man begnügte sich mit Dankesmessen und Volksfesten, die weit über das Gebiet von Baden hinaus veranstaltet wurden. Bereits am 12 August fand auf der "Hauswiese" im Helenental ein Freudenfest statt, bei dem auch Johann Strauß Vater mit seinem Orchester zweifellos für Stimmung sorgte. Unter anderem wurde der "Helenenwalzer" zur Aufführung gebracht. Das Rathaus in Baden

Reindl hingegen wurde in das Badener Rathaus geführt und später nach Wien überführt, wo er sich vor einem Militärgericht zu verantworten hatte. Über sein Schicksal berichtet die Badener Zeitung von 1912:

"Seine Untersuchungshaft währte bis zum 27. August. An diesem Tage wurde er dem artikulierten Verhör unterzogen und sodann am 1. September 1832 vom Kriegsgerichte kassiert und zu lebenslänglichem Festungsarrest in Eisen verurteilt. Nach fünzehnjähriger Haft in Ungarn starb Reindl und wurde am dortigen Festungsfriedhofe begraben."  

Auch für die Retter des Thronfolgers sollte dieser Vorfall weitreeichende Konsequenzen mit sich bringen. Besonders das noch junge Leben des Andreas Tauscher veränderte sich nachhaltig. Dr. Rollett erzählte der Presse schmunzelnd, dass sein Gärtnerbub in aller Eile von Bediensteten des Hofes in eine viel zu große Livree gesteckt und dem wiener Hof als Diener eingegliedert wurde, noch bevor dieser sich hätte dagegen "wehren" können. So habe Andreas noch am selben Abend vor seinem Vater gestanden, in dem schlecht geschnittenen Kleidungsstück, mit einem Beutel Dukaten in der einen und Banknoten in der anderen Hand, schluchzend: "Jetzt soll ich Leiblakai werden!"

Im Jahre 1869, als Ferdinand längst abgedankt hatte und die Zeiten des Biedermeier einer neuen Epoche gewichen waren, starb Andreas Tauscher, als pensionierter Saalkammerdiner der Kaiserin Mutter, Karoline Auguste. Mit ihm wurde einer der letzten Augenzeugen jenes Attentats auf einen Thronfolger zu Grabe getragen, welches kaum in einer Fußnote der Geschichte Erwähnung findet. Nur Ferdinand selbst, welchem man aufgrund seiner schwächlichen Konstitution und den geistigen Einbußen stets ein kurzes Dasein prognostiziert hatte, lebte immer noch, residierte in Böhmen, vermehre seinen Reichtum und kommentierte die Fehltritte seine berühmten Neffen, Kaiser Franz Joseph, stets mit den Worten:

"Na, des hätt ich auch noch zammbracht!"

 

1) "Haltet ihn, bindet ihn, bringt ihn"

 

Dieser Artikel ist Teil des Projektes "Malefizgeschichten - Böses aus der guten, alten Zeit".

 

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