Der erste Satz - was fesselt die Leser auf Anhieb?

Hier sind einige erste Sätze aus erfolgreichen und weltberühmten Büchern, internationalen Bestsellern. Ich habe immer nur wirklich den allerersten Satz ausgewählt. Wisst ihr, um welches Buch es sich handelt? Ratet einfach. 

1. Dies ist eine Geschichte aus alter Zeit.

2. Lieber Leser, weißt du, was das Wort Greenhorn bedeutet?

3. Mr. und Mrs. Dursley im Ligusterweg Nummer 4 waren stolz darauf, ganz und gar normal zu sein, sehr stolz sogar.

4. Außerhalb der kleinen, kleinen Stadt lag ein alter verwahrloster Garten.

5. "Blut! Daran ist nicht zu zweifeln!"

6. "Tom!" Keine Antwort.

7. Das Salinas Valley liegt in Nordkalifornien.

8. Sie richtet sich auf, im Garten, wo sie gerade gearbeitet hat, und schaut in die Ferne.

9. Der Sturmwind zerrte an ihm.

10. Nennt mich Ismael.

11. Ich erblickte zu Blunderstone in Suffolk das Licht der Welt.

12. (Beginnt mit einer Spiegelschrift). Diese Inschrift stand auf der Glastür eines kleinen Ladens, aber so sah sie natürlich nur aus, wenn man vom Inneren des dämmerigen Raumes durch die Scheibe blickte.

13. Er war ein alter Mann, der allein in einem kleinen Boot im Golfstrom fischte, und er war jetzt vierundachtzig Tage hintereinander hinausgefahren, ohne einen Fisch zu fangen.

14. Am Anfang war der Tod, und auch am Ende fand er sich wieder ein.

15. Emma Woodhouse, hübsch, klug, reich, mit einem behaglichen Heim und von glücklicher Anlage, schien mit vielen der schönsten Gaben des Daseins gesegnet.

Um die Frage aus der Einleitung dieses Artikels zu beantworten: Der erste Satz ist immer wichtig. So wichtig, dass mir der Kopf raucht. Ich will den Anfang finden, das Ende ist für mich immer wieder ganz einfach. Es ergibt sich wie von selbst.

Der erste Satz aber, ist viel mehr als nur eine Einleitung. Er soll die Leser förmlich in das Buch hineinziehen. Dieser Einstieg muss nicht lang sein und auch nicht kompliziert. Er soll neugierig machen und zum Weiterlesen animieren, die Fantasie anregen. Im Film ist es ebenso, doch kann der Einstieg im Film auch durch die Bilder, bestimmte Blickwinkel oder Bewegung gelingen. Welcher dieser oben genannten ersten Sätze kam euch bekannt vor, welchen kennt ihr sicher und welcher macht euch neugierig? Kennen könntet ihr sie alle … aber wie gut blieben sie in eurer Erinnerung, wie gut wirkten diese Sätze wirklich?

Die Buchtitel und Autoren zu den ersten Sätzen

Wenn man über diesen ersten Satz eines Buches nachdenkt, erwartet man ja von einem weltweit berühmten Schriftsteller und dessen internationalem Bestseller, dass der erste Satz irgendwie beeindruckt. Nun, urteilt selbst - hier sind die Bücher zu den oben aufgeführten ersten Sätzen und deren Verfasser.

1. Der kleine Hobbit, J. R. R. Tolkien

2. Winnetou Band 1, Karl May

3. Harry Potter Band 1, J. K. Rowling

4. Pippi Langstrumpf Band 1, Astrid Lindgren

5. Kalle Blomquist Band 1, Astrid Lindgren

6. Tom Sawyer, Mark Twain

7. Jenseits von Eden, John Steinbeck

8. Der englische Patient, Michael Ondaatje

9. Shogun, James Clavell

10. Moby Dick, Herman Melville

11. David Copperfield, Charles Dickens

12. Die unendliche Geschichte, Michael Ende

13. Der alte Mann und das Meer, Ernest Hemingway

14. Der Pferdeflüsterer, Nicholas Evans

15. Emma, Jane Austen

Auf der Suche nach dem perfekten ersten Satz für euer oder mein Buch ist es gut, sich gute Arbeiten anderer Schriftsteller anzusehen. Meine Auswahl für diesen Vergleich ist ziemlich bunt. Dennoch sieht es bei dieser sehr gemischten Auswahl so aus, als ob der erste Satz tatsächlich einfach alles sein kann. Kann er? Klar. Trotzdem hilft es, wenn der Leser oder Kinogänger mit dem ersten Satz emotional eingefangen wird. Catch him! Am besten schaffen dies Sätze, mit denen jeder bestimmte Emotionen verbindet oder augenblicklich Assoziationen verknüpft. Die Farm in Afrika, beispielsweise, spricht Träumer und Abenteurer gleichermaßen an.

Beim Film ist übrigens auch das letzte Bild entscheidend. Der letzte Satz ist oftmals banal, um den Zuschauer zu beruhigen und ihn mit dieser Banalität in seine eigene Realität nach Hause zu schicken. Ein gutes Beispiel ist der letzte Satz in Casablanca. Rick entfernt sich mit dem Gendarmen Louis. Der letzte Satz lautet: 'Louis, ich glaube, dies ist der Beginn einer wunderbaren Freundschaft.' Noch berühmter ist wohl der letzte Satz aus Billy Wilders Film 'Some Like it Hot' (Manche mögen's heiß), der da lautet: 'Well, nobody's perfect.' (Nun, niemand ist perfekt.) Beide Beispiele sind banale Sätze, die den meisten Zuschauern erst auffallen, wenn sie den Film zum zweiten oder dritten Mal sehen. 

In Jenseits von Afrika ist der letzte Satz eingebunden in den letzten Absatz. 'I must remember to tell him…' (Ich darf nicht vergessen, es ihm zu erzählen…).

Die Analyse der oben genannten ersten Sätze

Es ist durchaus sinnvoll, sich generell die ersten Sätze in Büchern und Filmen mal genauer anzusehen. Sehen wir doch mal, womit die oben genannten Bestsellerautoren ihre Leser eingefangen haben. Was zieht die Leser in den Bann? Gibt es ein Geheimnis für den ersten Satz? Vielleicht einen Hinweis auf die Geschichte, die das Unterbewusstsein des Lesers erreicht und so die Neugier hervorruft?

Nun, gehen wir die Liste noch mal durch. Es gibt nämlich tatsächlich in jedem Satz ein Schlüsselwort und dieses liefert fast überall einen Hinweis auf die Geschichte. Hier die Fragen und meine Gedanken (nummeriert nach den oben aufgeführten ersten Sätzen), die mir beim Lesen des ersten Satzes durch den Kopf gingen. Entweder wurde ich neugierig und habe weitergelesen oder nicht. Wie war es bei euch?

1. Welche alte Zeit? Was meint er? - Und schon war ich drin in der Geschichte. (Der kleine Hobbit)

2. Eine Frage als erster Satz und der liebe Leser wird direkt angesprochen. Klar weiß ich, was ein Greenhorn ist. Oder etwa nicht? (Winnetou)

3. Das, was neugierig macht ist, dass jemand stolz darauf ist, ganz und gar normal zu sein. Meine Gedanken: Seltsame Vögel. Und was machen die sonst so? (Harry Potter Bd.1)

4. Ein alter verwahrloster - und womöglich verwunschener - Garten lädt zum Träumen ein. Meine Neugier war geweckt: Das muss ein spannender Ort sein. Ist dort etwas passiert? (Pippi Langstrumpf Bd.1)

5. Blut! - Ein unglaublicher Beginn für ein Kinderbuch! Auch das ist ein guter Trick. Hier passiert das echte Leben. Dass er sich dann nur in den Finger geschnitten hatte, war egal. An meine ersten Gedanken erinnere ich mich bis heute: Oha! Was ist passiert? Wurde ein Toter gefunden? Das ist ja gruselig. (Kalle Blomquist Bd.1)

6. Wer ist Tom? Und wo ist er? Und überhaupt: Wer ruft ihn? Geht ja gut los. (Tom Sawyer)

7. Beschreibung der Landschaft, um ein Gefühl für die Lebenssituation der Menschen zu bekommen. Ja. Schön. Und? Ist da irgendwas Besonderes? - Ich fand den Einstieg langatmig. (Jenseits von Eden)

8. Der erste Satz ist okay. '(...) und blickte in die Ferne' ist das, was neugierig macht. Was sieht sie, warum blickt sie in die Ferne. Das waren meine Gedanken - doch dann: Der ganze Anfang dieses Buches war auch bei mehrmaligen Versuchen nicht mein Ding - das Buch ist ungelesen. Selbst nach 4 oder 5 Seiten bin ich nicht durchgestiegen. Ich habe mir lieber den Film angesehen - und dann erst den Anfang verstanden. (Der Englische Patient)

9. 'Der Sturmwind zerrte an ihm.' Da ist jemand draußen und den Naturgewalten ausgesetzt, denen er aber offensichtlich trotzt. Das klingt abenteuerlich. (Shogun)

10. 'Nennt mich Ismael.' Genau wie bei Winnetou wird der Leser im ersten Satz direkt angesprochen. Der Leser fragt sich: Warum soll ich ihn so nennen? Heißt er nicht so oder doch? Mein Gedanke war allerdings: 'Von mir aus.' - Ich habe auch bei diesem Buch nie mehr als die erste Seite gelesen. Das ist vermutlich ein Buch für männliche Erdbewohner. (Moby Dick)

11. Das Buch beginnt mit direkter Rede. Da stellt sich jemand dem Leser vor, man wird neugierig darauf, wer das wohl ist. Doch eigentlich dachte ich: So genau wollte ich es gar nicht wissen. Warum erzählt er mir das? - Charles Dickens schreibt sehr langatmig, beinahe umständlich, aber durch seinen Schreibstil und seine Sprache hat mich die Geschichte fasziniert. (David Copperfield)

12. Großartiger Anfang. Endlich mal etwas Anderes. Ich kann auch in Spiegelschrift Geschriebenes lesen und war voller Hoffnung auf eine spannende Geschichte. Doch die Fantasien des Michael Ende waren dann doch nichts für mich. Ich fand nur den Anfang gut, die Geschichte war öde. (Die Unendliche Geschichte)

13. Das Stichwort ist hier schon der alte Mann. Wie traurig. Kann dem keiner helfen? (Der Alte Mann und das Meer)

14. Seltsamer Satz. Was soll das denn heißen? Ich fand die Formulierung nicht so gelungen, doch der Titel des Buches hatte mich derart neugierig gemacht, dass ich wissen wollte, was das ist 'ein Pferdeflüsterer'. (Der Pferdeflüsterer)

15. Und was ist mit ihr? Sie schien gesegnet zu sein. Da stimmt doch irgend etwas nicht. (Emma)

Der erste Satz ist wie ein Mensch.

Drehbuchautoren und Schriftsteller arbeiten alle ganz unterschiedlich an ihren Geschichten. Der erste Satz eines Buches und die ersten gesprochenen Worte in einem Film sind so gut wie nie auch als erstes, also zu Beginn, geschrieben worden. Viele Autoren beginnen ihren Roman mit Fragmenten, die ihnen einfallen. Andere sammeln erst einmal Backups (Hintergrundinformationen), machen Notizen, schneiden Artikel aus Zeitungen und Magazinen, lesen historische Bücher und arbeiten sich durch Bibliotheken, bevor Sie überhaupt einen Satz zu Papier bringen. Einige Schriftsteller können allerdings auch aus dem Stehgreif eine Geschichte hintereinanderweg schreiben. Der Vorteil des Drehbuchs ist, dass man sich viel mehr auf das Wesentliche der Geschichte fokussieren muss. Dabei ist es hilfreich, den Stoff zunächst als Kurzgeschichte zu schreiben und dann auszuarbeiten. Aus den ersten kurzen fünf Seiten werden schnell zehn Seiten. Beginnst du dann aus den zehn Seiten Erzählung Dialoge zu schreiben, ergeben sich die kleineren Handlungen wie von selbst. 

Entscheidend ist aber, die Handlungen in einen spannenden Ablauf zu setzen. Das gilt für einen guten Roman ebenso wie für ein Drehbuch. Die Szenerie muss wechseln, der Leser oder Zuschauer am Ende eines Kapitels oder einer Szene erst einmal neugierig bleiben. Erst am Ende finden alle Handlungsränge zueinander, lösen sich die Fragen und Rätsel auf. Einige Rätsel dürfen auch eher gelöst werden. Damit fühlt sich der Zuschauer oder Leser manchmal besser - und gerät oftmals auf eine falsche Fährte.

Doch egal, ob ihr ein ganzes Drehbuch, einen Roman oder eine Kurzgeschichte schreibt: Sinnvoll ist es auf jeden Fall, sich vor dem Schreiben Notizen zu machen, sobald euch irgendetwas durch den Kopf schießt oder vor die Nase kommt, das auch nur ansatzweise zu eurer Geschichte passen könnte. So haltet ihr die Ideen fest. Hilfreich sind auch Personenbeschreibungen und Charakteristiken. Überlegt dabei, wie sich eure Figuren entwickeln sollen oder könnten. Viele Autoren haben dann das Problem, ein Ende zu finden. In einem Ende sollten alle Handlungsstränge zusammenlaufen, die meisten Konflikte sich auflösen und Leser entweder glücklich oder verwirrt oder neugierig auf mehr zurückgelassen werden. Das fällt dem einen Schriftsteller leicht, andere arbeiten wochenlang daran, die letzten Absätze zu feilen. Genauso ist es mit dem ersten Satz. Der eine schreibt einfach, der nächste macht's wie Erich Kästner und wechselt mal die Perspektive, indem er sich auf den Fußboden legt und dann entscheidet, dass sein Held Emil Tischbein heißt.

Im Grunde genommen ist dieser erste Satz wie ein Mensch. Der Leser findet ihn augenblicklich entweder sympathisch oder nicht. Dabei ist es völlig unwichtig, ob der Satz lang ist oder nur ein Ausruf, der aus einem Wort besteht. Kurze Sätze sind schnell gelesen. Du hast blitzschnell auch den zweiten und dritten Satz gelesen und bist drin in der Geschichte. Etwas längere Sätze arbeiten mit Schlüsselworten und Emotionen, die auf die Geschichte hinzuweisen scheinen… Die alte Zeit, das Blutkeine Antwort, der Sturmwindalt und verwahrlost, der Tod et cetera.

Der Trick besteht also darin, etwas aus dem Inhalt preiszugeben, ohne es zu benennen. Der erste Satz eines Romans lässt den Leser entweder kalt oder aber sofort mitfiebern. Wenn ihr ein eigenes Buch schreiben möchten, solltet ihr zuvor das Erzählen von Geschichten üben.

Der Grund dafür: Auch der Schriftsteller braucht einen bestimmten Einstieg in eine Geschichte. Etwas, das ihn so neugierig gemacht hat, dass er sich an seinen Computer setzt, weil er die Geschichte schreiben muss. Er muss selbst neugierig sein, auf das, was der liebe Gott oder das Universum durch ihn hindurchfließen lässt, sodass es aus seinen Fingern auf das Papier fließen kann. Steckt die Geschichte irgendwie fest, kannst du nicht weiter. Es sei denn, du kannst an einer anderen Stelle ein Stück schreiben. Funktioniert das nicht, musst du warten. Das kann man sich nicht immer leisten. Dann hilft nur eiserne Disziplin. Jeden Tag ein Stück schreiben. Jeden Tag eine Stunde oder auch nur 15 Minuten. Ganz wichtig ist dabei, dass man das Geschriebene nicht liest. Wenn du irgendwie unsicher bist und nur schreibst, um im Fluss zu bleiben, dann lies deine Sätze bloß nicht!

Sobald du dich durch die Leere in deinem Kopf gearbeitet hast, kannst du wieder lockerer werden. Die Korrekturen solltest du alle erst nach Fertigstellung des ersten Entwurfs des Buches oder Skripts vornehmen. Korrekturen gehören zum ersten Überarbeiten und haben somit im Schreibfluss, im Entstehungsprozess der Geschichte, noch nichts zu suchen!

Fehlt dir am Ende noch immer der erste Satz, dann ist es sehr wahrscheinlich, dass dir jetzt die richtigen Worte aus den Fingern fließen. Plötzlich ist es ganz einfach und der Kreis schließt sich. Ich liebe das Schreiben!

Betty, am 22.10.2014
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