Eine kleine Brücke zwischen BRD und DDR
Die Kluft zwischen den Bundesländern der ehemaligen DDR und der BRD ist längst nicht geschlossen. Im Gegenteil scheint es sogar einige Punkte zu geben, in denen sich die Abgründe vergrößern.Zwei Beispiele
Man stelle sich folgendes Szenario vor: Ein berufserfahrener Meister kommt in Erwartung seiner Arbeitsumgebung bereits schlecht gelaunt dort an und wird dann noch vom Abteilungsleiter fertig gemacht, warum er erst 10 Minuten vor Beginn der Arbeitszeit in der Werkstatt auftaucht. Alle anderen Kollegen seien doch schon seit 20 Minuten anwesend und warten.
Schließlich geht es dann wie jeden Tag vorzeitig an die Arbeit und die sieht nicht viel besser aus, als in Billiglohnländern. Der Fokus liegt darin, billiger zu sein als der Rest, also wird schon mal am Arbeitsschutz gespart. Den ganzen Tag klingelt das Telefon und er wird nur von einem Notfalltermin zum Nächsten geschickt, die Pausen fallen meist unter den Tisch. Dafür bekommt dieser Meister ungefähr 2000 € Brutto pro Monat.
Eine Horrorgeschichte? Falsch! Wer sich in den Firmen umsieht, wird schnell auf die Missstände stoßen, die in großen Teilen des Ostens zum Alltag gehören und die Menscher aber die Arbeit im Westen noch mehr fürchten, als diesen Arbeitsalltag.
Auf der anderen Seite berichten auch immer wieder nach Westdeutschland umgezogene junge Menschen davon, dort mit Bananen am Spind begrüßt zu werden und selbst nach Jahren noch bei der Erhöhung der Lohngruppen übergangen worden zu sein.
Woher kommt diese Abneigung gegeneinander in einer Generation, die beim Mauerfall noch nicht oder nur knapp im schulpflichtigen Alter war?
Häufiger Ablauf eines Auftrages im Osten
Während international denkende Konzerne versuchen, durch neue Leistungen zu überzeugen, die sonst niemand anbietet und bei denen der Preis keine große Rolle spielt, tobt in vielen Firmen des Ostens ein reiner Preiskampf.
Es beginnt beim Auftraggeber, der seine Aufträge ausschließlich danach vergibt, wer ihm den besten Preis macht. Vertraute Geschäftsbeziehungen, die sich über Jahre entwickelt haben, zählen nicht, wenn der Bekannte einen Euro mehr kostet.
Diese Entwicklung setzt sich in den Firmen fort, die krampfhaft versuchen, noch diesen letzten Euro im Preis runterzugehen und dabei an der Ausrüstung der Mitarbeiter oder bei Arbeitsschutzmaßnahmen einzusparen. Auch die Dumpinglöhne (seit der Einführung des Mindestlohns immerhin 8,50€) finden hier ihren Ursprung, verwundern aber auch niemanden, wenn die Arbeitsstunde dem Kunden nicht einmal 30€ kostet.
Wer ernsthaft Gewinn machen möchte, kalkuliert mit dem Faktor 4. Wenn wir nun 4 mal Mindestlohn rechnen, stellen wir fest, dass diese 30€ hier bereits überschritten sind. Von dem langjährigen Mitarbeiter, der tatsächlich 10,00€ verdient, reden wir hier lieber gar nicht.
Das Ergebnis
Der Gewinn des Auftrages wird von der Firma auf minimalem Niveau kalkuliert, um den Auftrag überhaupt zu bekommen und der Auftraggeber wählt diesen Wettbewerber aus, der mit allen buchhalterischen Freiheiten das beste Angebot gemacht hat.
Die Firma kann nun den Auftrag nicht in der kalkulierten Zeit durchführen, weil aufgrund eines stressbedingten und vermeidbaren Arbeitsunfalls ein Arbeiter ausfällt. Sie schreibt rote Zahlen und wird versuchen, die Kuh möglichst verlustarm vom Eis zu holen.
Der Auftraggeber bekommt daher für ein paar Euro weniger nur noch die halbe Qualität, weil die Firma sich streng an Mindestvorgaben halten und jede Lücke im Bauvertrag brutal ausnutzen wird.
Mit ein paar Prozent Mehrkosten wäre der Auftrag deutlich effektiver und qualitativ hochwertiger abgearbeitet worden. Ich habe selbst erlebt, wie die Kosten im Lauf des Projekts so rapide anstiegen, dass der Endpreis deutlich über dem Angebot der spezialisierten Firma lag, die von Beginn an lediglich 8% mehr verlangte.
Auswirkungen auf die Moral
Dieser dauerhafte Kampf auf Messers Schneide zerrt gewaltig an den Nerven von Geschäftführung, Buchhaltung und Personalabteilung. Die angespannte Stimmung in Firmen zieht sich dann schnell durch wie ein roten Faden bis hinunter zum kleinen Hilfsarbeiter.
Chefs schreien machtlos ihre Unterstellten an und verordnen unzählige Überstunden, um das viel zu hohe Arbeitspensum zu bewältigen, welches die Geschäftsführung selbst verschuldet hat. Die schlechte Stimmung sowie fehlender Arbeitsschutz fördern langfristige Krankheiten sowie Personalfluktuation.
Ein Beispiel aus eigener Erfahrung ist eine Handwerksfirma, von deren 10 Mitarbeitern 4 innerhalb von 12 Monaten eigenständig verschwanden und ein Fünfter durch Mobbing rausgeekelt wurde. Alle Trennungen liefen derart bösartig ab, dass keiner von ihnen je zurückblicken wird.
Fünf neue Mitarbeiter wurden eingestellt, aber wer wird schon ewig dort bleiben wollen, wo er wie Vieh behandelt wird?
Wer bleibt bei einem Arbeitgeber, der lautstark verkündet, dass er ja auch "jemand anderes holen kann, um die gleiche Arbeit zu erledigen", wenn sich jemand einmal nicht unterdrücken lässt?
Wer hört schon gern, dass er austauschbar ist wie eine Maschine?
Und was passiert dabei mit dem Ruf der Firma als Arbeitgeber?
Die langfristigen Auswirkungen dieser Personalführung
Die Arbeitgeber in den Regionen, wo der oben beschriebene Ablauf dem Alltag entspricht, haben noch nicht verstanden, dass die neue Generation von Facharbeitern mit ein klein wenig Respekt behandelt werden will.
Einige junge Menschen, die gerade ihre Ausbildung beendet haben, verlassen den Osten, oder machen bereits die Ausbildung in den alten Bundesländern. Der Großteil dieser Menschen ist nicht einmal 30 Jahre alt.
Dank der geläufigen Meinung im Osten, dass alle "Wessis" arrogant und unfreundlich sind, wagen nicht sehr viele Ostbürger diesen Schritt. Interessant ist aber, dass der Großteil von denen, die sich trauen, nicht wieder zurückkehrt. Der Effekt, der im Osten ja immer wieder erwünscht wird, dass diese jungen Menschen alle wieder zurückkehren, bleibt häufig aus.
Wenn dieser Entwicklung in den nächsten Jahren nichts Tatkräftiges entgegengesetzt werden kann, werden wir in 10 oder 15 Jahren einen Osten ohne neue Fachkräfte erleben. Noch ist der Fachkräftemangel im Osten nur unterschwellig spürbar, da meist nur zu schlecht bezahlt wird, um angemessenes Personal zu finden.
Das könnte sich aber schon bald ändern.
Wenn weiterhin alle Jungfacharbeiter nach besten Kräften vertrieben werden, dann hat der Osten bereits in wenigen Jahren mit einem wirklichen Fachkräftemangel zu kämpfen.
Dann, werte Chefs, hilft Ihnen auch die Drohung nicht mehr weiter, jeden Mitarbeiter zu ersetzen, der nicht nach Ihrem Willen tanzt. Die Mitarbeiter werden es selbst merken, wenn sie nicht mehr so leicht entbehrlich sind.
Einmal mehr Qualität vor Quantität
Es wäre eine Überlegung wert, die Preise um ein paar Prozent zu erhöhen und dafür den einen oder anderen Auftrag zu verlieren. Wenn die restlichen Aufträge diesen Verlust durch die Mehreinnahme kompensieren, dann haben doch alle etwas davon, oder nicht?
Die Mitarbeiter erwirtschaften den gleichen Umsatz bei weniger Arbeitsaufwand und die verbliebenen Aufträge können gewissenhaft und ohne Einsparungen erfüllt werden. Hier und da fällt vielleicht sogar ein wenig ab, um die seit Jahren defekte Ausrüstung wieder instand zu setzen.
Sicherlich gehört hier ein klein wenig Mut dazu, diesen Schritt zu gehen, aber wäre es nicht das Risiko wert, wenn die Firma sich dadurch aus ihrer grenzwertigen Lage befreien kann?
Genau das ist das Prinzip, wonach die Firmen im Westen schon seit Jahrzehnten handeln. Zwar kommen uns deren Preise von über 60€ pro Stunde überzogen vor, wenn wir aber die vernünftige Ausrüstung und Bezahlung der Mitarbeiter mit in Betracht ziehen, verschwindet dieser Eindruck.
Auch die Ersparnis an Zeit, die durch die bessere Ausrüstung zustande kommt, relativiert den Preisunterschied.
Noch eine kleine Bitte
Werte Arbeitgeber im Osten,
die Sie immer abwertend über Ihre kapitalistisch veranlagten Feinde im Westen sprechen, denken Sie bitte kurz darüber nach, warum es denen besser ergeht, als Ihnen.
Das liegt meist nicht daran, das diese ihre Umgebung ausbluten wie Vieh, ihre Freunde über den Tisch ziehen oder einfach schon immer das Geld hinterhergeworfen bekamen. Vielleicht hat es einfach nur damit zu tun, dass Ihre eingeschworenen Feinde im Westen sich selbst, ihre Mitarbeiter und deren Arbeitskraft nicht unter Wert verkaufen.
Das gipfelt meist in einer deutlich besseren Moral der Menschen, in niedrigeren Krankheitsquoten und in langen Betriebszugehörigkeiten. Denken Sie ab und zu daran, was Ihnen ein Bewerbungsverfahren mit anschließender Einarbeitung an Zeit und Geld kostet, bevor Sie Ihre Belegschaft leichtfertig gehen lassen oder sogar wegen kleiner Streitigkeiten vertreiben.
Unsere Marktwirtschaft kann häufig unfair sein und sie macht es nötig, dass jede Entscheidung auf Herz und Nieren geprüft wird, da sich ihre Auswirkungen über viele Jahre erstrecken können. Dafür können Sie, wenn Sie es richtig angehen, sich selbst und Ihren Mitarbeitern ein deutlich luxuriöseres Leben bieten, als es zu Zeiten der DDR möglich war.
Werte Arbeitgeber im Westen,
die häufig der Meinung sind, dass im Osten noch nie gearbeitet wurde: Denken Sie einmal kurz daran, dass ein Jeder in der DDR gearbeitet hat, Männer als auch Frauen. Arbeitslosigkeit existierte nicht und das heutige System, dass der Mann das Geld verdient und die Frau "Familienmanagerin" ist, war in der DDR unbekannt.
Während die Besatzungsmächte Ihrer westlichen Regionen von der ersten Minute an den Aufbau einer funktionierenden Wirtschaft vorantrieben, wurde den Menschen im Osten ein Regierungssystem vorgesetzt, welches den Betrieben großteils die Kontrolle entzog und es nicht nötig machte, wirtschaftlich und vorausschauend zu handeln. Der Staat dachte und plante hier, die Geschäftsführung führte nur staatliche Pläne aus.
Nun, nach jahrzehntelangem Bestehen dieser Firmen im zentral gesteuerten Sozialismus, sollen diese plötzlich wirtschaftlich arbeiten und sich selbst tragen. Es versteht sich doch von selbst, dass es bei dieser Umstellung zu Problemen kommt und leider auch der eine oder andere Betrieb auf der Stecke bleibt.
Das ist aber noch kein Grund, den "Ossi" im Betrieb als faul und unfähig einzustufen. Geben Sie ihm oder ihr einfach eine Chance. Die meisten Chefs, die diesen Versuch wagen, sind von dem Arbeitstempo ihrer ostdeutschen Mitarbeiter positiv überrascht. Es liegt am Anfang meist nur daran, dass diese die Arbeit als solches unter einem anderen Zusammenhang kennengelernt haben.
Gliedern Sie Ihre "Republiksflüchtlinge" vernünftig ein, dann erhalten Sie treue und arbeitswillige Mitarbeiter, die Ihre Wertschätzung durch gute Ergebnisse erwidern.
Fazit
Ein Sprichwort besagt: "Wer lesen kann, ist klar im Vorteil."
Also nehmen Sie sich eine Minute Zeit, um über diese Worte nachzudenken und vielleicht den einen oder anderen Schluss zu ziehen. Werfen Sie Ihre Vorurteile für ein paar Minuten über den Haufen und versetzen Sie sich in die Lage des Anderen.
Damit könnten Sie einen wichtigen Beitrag zur Wiedervereinigung Deutschlands leisten, welche ja offensichtlich, zumindest in den Köpfen der Menschen, noch nicht annährend abgeschlossen ist.