Kann das sein?

Bevor wir uns falsch verstehen: Ich verkaufe weder hier noch sonstwo einen Haarschneider, schon gar nicht für 10,95€.

Mich erreichte nur eben eine Email mit genau dieser Betreff-Zeile:

Profi Akku Haarschneider für 10,95 Euro, kostenloser Versand

Das Ganze kam von einem großen Versandhändler aus dem Ebay-Umfeld, bei dem ich mal etwas bestellt hatte.Diese Händler sind typisch für Waren unter extremen Preisdruck.

Wenn man die Betreff-Zeile ließt, denkt man zuerst, "WOW! Was für ein Schnäppchen". Ich habe das Produkt nie in Wirklichkeit gesehen noch bestellt. Daher kann ich mich über die tatsächliche Qualität dieses Angebotes nicht auslassen. Der Preis von 10,95€ macht aber skeptisch. Daher lohnt es sich, ein paar Überlegungen zu dem Thema anzustellen. Bei diesen Überlegungen geht es nicht um ein konkretes Produkt und es sagt auch nichts über die Qualität eines konkreten Produktes aus.

Kann das überhaupt sein? Was für ein Gerät kann ich da bekommen?

Bei einem Verkaufspreis von 10,95€ sind 100% Verkaufspreis und 19% Mehrwertsteuer enthalten. Die Mehrwertsteuer muss der Verkäufer an das Finanzamt abführen. Ihm bleiben also nur 9,20€ von einem Verkauf über.

Wenn er jetzt das Produkt versandkostenfrei verschicken kann, heißt das letztlich, dass die Versandkosten im Artikel einkalkuliert sind. Der Artikel wird im besten Fall mit der Post als Warensendung für 1,65€ (netto) Porto zu versenden sein. Dazu kommt noch ein Luftpolsterumschlag, der je nach Einkaufsmenge und Größe vielleicht 0,30€ bis 0,40€ kostet. Sagen wir der Einfachheit halber, Versand und Verpackung für 2,00€.

Damit bleibt dem Anbieter noch 7,20€.

Ein hoch automatisierter Bestellprozess über einen Webshop, Amazon, Ebay oder entsprechende Kanäle ermöglicht eine nahezu personalneutrale Auftragserfassung - das macht der Kunde selbst. Selbst der Payment-Abgleich geht in der Regel zu 99% automatisiert. Die Kosten für solche Systeme variieren stark, da es Kauf-Lösungen, SaaS-Angebote und Eigenbausysteme gibt. Daher lasse ich diese Kosten außen vor - noch vergessen wollen wir sie nicht ganz.

Dennoch muss irgendwann einmal jemand den Auftrag im System aufrufen, einen Lieferschein, Rechnung oder zumindest einen Adressaufkleber ausdrucken, die Ware aus dem Regal holen und in die Luftpolstertasche packen. Selbst bei guter Automatisierung des Druckens etc. bleibt ein Personalaufwand von ein paar Minuten - wie man es dreht und wendet. Ich schätze aus meiner eigenen Erfahrung als Mitarbeiter bei einem Ebay-Powerseller, dass eine geübte Kraft etwa 10-15 Sendungen in der Stunde abfertigt, wenn entweder das Produktsortiment nicht allzu groß ist oder die Kunden selten mehr als einen Artikel bestellen. Das heißt, im besten Fall ist nach vier Minuten die Sendung gepackt und im Postausgang.

Bei einem vorsichtig angesetzten Stundenlohn nebst Lohnnebenkosten etc. heißt das, dass das Einpacken etwa einen Euro gekostet hat.

Damit bleibt dem Anbieter noch 6,20€.

Rückstellungen für Risiken

Jetzt muss unser Anbieter, wenn er seriös kalkuliert, noch verschiedene Risiko-Kosten umlegen:

  1. Warenverlust im Versand:

    Der gewerbliche Versender trägt das Versandrisiko. Warensendungen gehen bei der Post zwar selten verloren, aber es kommt vor. Viel öfter kommt es vor, dass die Ware zwar vom Postboten "vor die Tür" gelegt wurde, die Kunden diese aber angeblich nie gesehen haben oder sie haben nur eine leere Packung bekommen etc. Außerdem kann es passieren, dass die Packkraft einen Fehler macht, das ist menschlich. Als Händler darf man sich nicht darüber ärgern, sonder muss einfach rechnen. Meine Daumenregel ist, das alle 100 Sendungen so was passiert. Damit sind dann auch Beschädigungen beim Versand abgedeckt. Das bedeutet 1/100 des Kaufpreises muss ich auf alle anderen aufschlagen, um den Verlust auszugleichen. Hier also: 0,11€

     
  2. Rücksendungen:

    Bei Artikeln unter 40€ kann der Händler die Rücksendekosten dem Käufer auferlegen, die Hinsendekosten muss er aber tragen (Stand 2010). Je nach Artikel kann man recht schnell eine Rücksendungsquote ermitteln. Diese kann von 1/100 bis jede Zehnte (übel) alles sein - kommt auf das Produkt an. Meine Erfahrung ist, dass bei billigen Artikeln die Leute das Teil eher seltener zurückschicken, dafür aber das zurückgeschickte Produkt dann auch entsorgt werden kann. Gehen wir als von einem Komplettausfall alle 30 Stück aus, was wahrscheinlich treffen dürfte. Also 1/30 des Kaufpreises auf alle anderen umlegen: 0,35€

     
  3. Rückstellungen für Gewährleistungen:

    Auch hier kommt es auf das Produkt an, ich würde mal eine Rücksendung bei jedem hundertsten Gerät erwarten, eher etwas weniger. Bei einer Gewährleistung in diesem Preisbereich muss man jedoch vom Doppelausfall ausgehen, da das gelieferte Produkt defekt ist und man ein neues rausgeben muss. Also statt 1/100 bringt das 1/50 - in Euro sind das 0,23€.
     

In Summe macht das 0,69€ an Rückstellungen. Ein vorsichtiger Kaufmann würde aber eher 1€ annehmen. Ich rechne im Folgenden mit 0,70€ Rückstellung.

Damit bleibt dem Anbieter noch 5,50€.

Man sieht also deutlich, gut die Hälfte der Einnahmen bei diesen Billigartikeln geht bereits für zwingend vorhandene Kosten verloren - diese lassen sich auch nicht sonderlich drücken. Denn eine Packkraft, die schneller arbeiten soll, macht mehr Fehler. Damit verschiebt man nur die Lohnkosten in Richtung Rückstellungskosten.

Und nun?

Von 5,50€ muss der Händler die Ware beschaffen und in sein Lager transportieren, seinen Verwaltungsapparat, Werbung und Infrastruktur (Räume, Internet, Telefon etc.) finanzieren und den verbleibenden Gewinn mit dem Finanzamt im Rahmen von Einkommensteuer oder Körperschaftssteuer teilen.

Wahrscheinlich kostet bei Palettenabnahme oder Container-Abnahme ein solcher Haarschneider in Fernost etwa einen Euro, vielleicht etwas weniger. Mit Frachtkosten von Fernost nach Europa, ggf. CE-Zertifikat, Zinsen für Vorfinanzierung - die meisten Anbieter in Fernost hätten auch gerne Vorkasse - und den Verpflichtungen für Elektroaltgeräteentsorgung, Batterierücknahme usw., die ein Hersteller in der EU auferlegt bekommt (der Importeur gilt als Hersteller), dürften die Gestehungskosten, bis die Haarschneider im eigenen Lager liegen, bei rund zwei bis drei Euro liegen. In dieser Größenordnung liegen auch die Preise von entsprechend spezialisierten Großhändlern.

Der Händler halt also für seine produktunabhängigen Kosten und seinen Gewinn einen Betrag von 2,50€ bis 3,50€ über - kein großer Reichtum und kein Wunder, dass die Händler auf Masse drängen.

Der Hersteller in Fernost hat aber nur etwa einen Euro für seinen Langhaarschneider bekommen...
Wie gut mag dann ein

"Profi Akku Haarschneider für 10,95 Euro, kostenloser Versand"

tatsächlich sein, wenn der Hersteller des Produktes seinerseits nur einen Euro bekommt? Der Hersteller muss ja auch wieder Löhne, Entwicklungskosten, Material, Energie usw. davon finanzieren - das kostet sogar in China Geld.

Also ich kaufe meinen Profi-Haarschneider lieber im Friseureinkauf - das ist dann zwar nicht ganz so billig, aber zum einen können damit nicht nur der Händler und der Hersteller auch leben, zum anderen erhalte ich ein Produkt, was eine entsprechende Wertigkeit hat.

Eure Erfahrungen - Habt ich schonmal solche Billigangebote genutzt?

Über den Autor dieses Artikels: Peter Dreuw

profkm, am 15.07.2011
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