Aber es muss heute ja englisch sein

Im Anfang war das Wort. Aber was, wenn der Leser dieses Wort gar nicht versteht? Im Deutschland der frühen 1950er Jahre war - wie noch heute so mancher Außenminister - kaum jemand des Englischen mächtig. Im Zuge der Amerikanisierung des befreiten Westeuropas drang jedoch die Kultur der Siegermacht unaufhaltsam vor und begeisterte vor allem die Jugend. Mit Kaugummi, Cola, Hollywood und Hemingway gelangten plötzlich auch Comics nach Deutschland. Eine bis dato praktisch unbekannte Kunstform, die Sprache und Bilder miteinander verband.

Freilich: Völlig unbeleckt in Punkto Donald Duck und Mickey Mouse waren zumindest ältere Generationen nicht, hatten die Ikonen des Disney-Konzerns doch bereits einige Jahre zuvor den Alten Kontinent im Lachsturm erobert. Die unter anderem kulturellen Verheerungen des Dritten Reiches waren aber auch den Cartoonfiguren zum Verhängnis geworden. Kurioserweise war Reichsführer Adolf Hitler selbst glühender Bewunderer und Connaisseur der Disney-Cartoons. Doch schon damals galt: Was dem Jupiter erlaubt ist, ist dem Ochsen nicht erlaubt. Offiziell waren die "entarteten" Cartoons verpönt und durften weder vertrieben, noch konsumiert werden.

 

Erika Fuchs, oder: Wenn unsereins studiert, dann hat er was davon!

Donald Duck, porträtiert von Carl BarksUmso mutiger war der Schritt des dänischen Egmont-Verlags (damals: Gutenberghus), Disney-Comics nur wenige Jahre nach Kriegsende in Deutschland zu etablieren. Darüber hinaus lagen diese Comicabenteuer in englischer Sprache vor und bedurften einer sorgfältigen Übersetzung. Denn fixer Bestandteil der erfolgreichen Heftchenreihe sollte der Hinweis darauf werden, dass es sich um pädagogisch wertvolle Kunst für Kinder handle. Aus der Hüfte geschossene, miserable Übersetzungen schieden damit aus.

Die richtige Person für diese ehrenvolle und gleichermaßen komplexe Aufgabe war rasch gefunden: Dr. Erika Fuchs! Dabei hatte die am 7. Dezember 1906 in Rostock geborene Fuchs mit Comics rein gar nichts am Hut. Sie hatte Kunstgeschichte und Archäologie in der Schweiz und England studiert und übersetzte unter anderem für das "Reader's Digest"-Magazin. Als ihr zum ersten Mal ein Disney-Comic in die Hand gedrückt wurde, war sie, wie sie später in einem Interview amüsiert bemerkte, vom Erfolg dieses Mediums nicht überzeugt. Nun: Auch höchst kluge Menschen irren sich bisweilen.

Carl Barks zeichnet und textet, Erika Fuchs übersetzt

Aber was der Wille erstrebt, erreicht er

Im September 1951 war es schließlich soweit: Das erste Micky Maus Magazin erscheint in Deutschland und Österreich! Ein großer Teil der Auflage kann verkauft werden, der Rest wird eingestampft, was dazu führt, dass ein gut erhaltenes Originalheft aus dem Jahr 1951 Liebhaberpreise im fünfstelligen Euro-Bereich erzielen kann (weshalb in Ermangelung eines prall gefüllten Geldspeichers dem Schreiber dieser Zeilen bedauerlicherweise nicht vergönnt ist, ein solches Exemplar sein eigen zu nennen. Weh mir! Weh mir Armem!). 

Carl Barks Collection zum SchnäppchenpreisDer Rest ist mehr als nur sprichwörtliche Geschichte. Das anfangs monatlich, erst später wöchentlich publizierte Micky Maus Magazin begeistert Millionen Kinder und Jugendliche. Zu verdanken ist die zwei Menschen, die zunächst einander gar nicht kennen: Neben Übersetzerin und Chefredakteurin Erika Fuchs ist es Carl Barks, der jene Comics zeichnet und textet, die noch heute begeistern. Allerdings wurde sein Name erst Jahre später ruchbar, da er zunächst noch völlig anonym für den Disney-Konzern arbeitete. Kurios mutet dabei nicht nur der späte Ruhm - lange nach seiner aktiven Karriere! - an, sondern auch der Umstand, dass er nicht in seiner Heimat, sondern dem fernen Europa, insbesondere Deutschland, zum umjubelten Star am Comichimmel avancierte.

Mehr noch: Seine Werke bildeten die Grundlage des so genannten "Donaldismus", der 1977 in der Vereinigung D.O.N.A.L.D. (Akronym für: Deutsche Organisation nichtkommerzieller Anhänger des lauteren Donaldismus) offiziellen Vereinscharakter erhielt. Die akribische Beschäftigung mit den Werken Barks wird hierbei mit wissenschaftlicher Hingabe und Ernsthaftigkeit betrieben. Sogar über eine eigene Hymne verfügt D.O.N.A.L.D., basierend auf dem Comic "Der Schnee-Einsiedel". Darin gewinnt Donald einen Wettbewerb mit seinem rührseligen Schlager, dessen Text in besagter Hymne verewigt wurde.

Aus Duckburgh wird Entenhausen

So wankelmütig ist die Gunst des Volkes!

Carl Barks - der Vater der DucksBis 1988 sollte Erika Fuchs Chefredakteurin bleiben und ganze Generationen mit ihren höchst freien Übersetzungen prägen. Allerdings nicht ganz ohne Widerstand selbsternannter Tugendwächter und Zivilisationsretter, die in den bunten Heftchen mit den Sprechblasen eine grenzenlose Verdummung der Kinder und schlussendlich den Untergang des Abendlandes herandräuen sahen. Thilo Sarrazin kam offensichtlich sechzig Jahre zu spät mit seiner These der aktiven Selbstabschaffung Deutschlands. Doch weder Comicverbrennungen, noch Pamphlete wider den Schmutz oder "Tausche Schundliteratur gegen ein gutes Buch"-Aktionen konnten den enormen Erfolg der Disney-Comics verhindern.

Ende der 1960er Jahre gehörte es in rebellischen Studentenkreisen gar zum guten Ton, Donald-Duck-Geschichten zu lesen. Kein Wunder: Die eigentlich unpolitischen Comics ließen sich vortrefflich im Sinne des Widerstands gegen autoritäre Strukturen interpretieren. Etwa, wenn Tick, Trick und Track ihren gestrengen, nicht selten körperlich züchtigenden Onkel austricksten oder die Exekutive Entenhausens als völlig unfähig der Lächerlichkeit preisgegeben wurde.

Dabei machte Carl Barks nie ein Hehl daraus, konservativer Gesinnung zu sein und etwa das Medium Fernsehen zu verabscheuen, was dankenswerterweise zu einigen der besten Comics aus seiner Feder überhaupt führte. Mitunter schimmerten dennoch politische Statements durch, etwa in der negativen Darstellung eines Staates namens "Brutopien", der von einem höchst sowjetisch anmutenden Diktator beherrscht wird. Oder wenn Donalds Neffen über ein Exemplar von Adolf Hitlers "Mein Kampf" dort stolpern, wo es von Anfang an hingehört hätte: Auf einer Müllhalde.

Entenhausen: Die SehenswürdigkeitenBisweilen entschärfte Erika Fuchs die oft zynischen Vorlagen Carl Barks' zumindest textlich. Einer ihrer größten Verdienste ist freilich die Eindeutschung der ur-amerikanischen Geschichten. Aus Duckburgh wurde Entenhausen, aus Duck, gesprochen: "Dack", wurde der deutsche Familienname Duck, und Geizkragen Scrooge McDuck - eine Anspielung auf Charles Dickens Werke - hört in hiesigen Breiten auf den royalen Namen eines Merowingergeschlechts: Dagobert.

Lediglich die deutschen Namen für Tick, Trick und Track (irrtümlich in der Erstausgabe der Micky Maus noch mit den dänischen Namen Rip, Rap und Rup bezeichnet) wurden ihr vorgegeben - ansonsten ließ man Erika Fuchs völlig freie Hand bzw. freie Gedanken.

 

Wir haben Reden von bestechender Einfalt und verblüffendem Scharfsinn gehört.

Allerdings übersetzte sie nicht nur Donald-Geschichten, sondern auch die weitaus harmloseren (und meist belanglosen) Comicstrips von Ede Wolf oder Hansi Hase. Während diese Cartoons heute kaum noch eine Rolle spielen, haben viele der Barks-Geschichten die deutsche Comickultur geprägt. Am 22 April 2005 verstarb sie in München im hundertsten Lebensjahr. Übrigens gleich dem kongenialen Carl Barks, der 2000 ebenso wenige Monate vor dem Erreichen des hundertsten Lebensjahres verstorben war. 

Die Erben höchster Comickunst sind Generationen begeisterter Leser, zu denen Künstler wie Manfred Deix und Gottfried Helnwein, aber auch Politiker wie der ehemalige Klubobmann der Österreichischen Grün-Partei, Alexander van der Bellen. Denn anders, als Donald wehmütig sinniert: "So zerinnen die Träume, so verrauscht das Glück!", sind die Werke des Gespanns Barks/Fuchs wahrhaft zeitlos. Davon zeugen zahlreiche Nachdrucke, wie etwa im Rahmen der höchst empfehlenswerten "Carl Barks Collection". 

Übrigens: Die kursiv gesetzten Sätze entstammen Erika Fuchs' Übersetzungen und können auf der Website www.savoy-truffle.de nachgelesen werden. 

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