Führen nationale Rekapitalisierungen zum Zerfall des europäischen Interbankensystems?

Tatsächlich scheinen sich jene Befürchtungen nun zu bewahrheiten. Mehrere Berichte vermeldeten in den letzten Monaten, dass die Staatsanleihen der Nationen vermehrt durch die Banken im eigenen Land aufgekauft werden würden. Um diesen Tendenzen entgegen zu wirken, wurde der Plan zur Bankenunion entworfen, der auf den europäischen Gipfeltreffen zäh verhandelt und schlussendlich lediglich als eine weitere Absichtserklärung behandelt wurde.
Ein neuer Bericht von Goldman Sachs – sarkastisch oftmals als Government Sachs bezeichnet – bestätigt die geschilderten Erosionsvorgänge mit deutlichem Nachdruck. So hätten die zwei EZB-Tender in der Vergangenheit mit ihrem Volumen von insgesamt mehr als einer Billion Euro eben nicht dazu geführt, das Interbankensystem Europas zu stärken. Das Gegenteil sei laut GS eingetreten. Aus Furcht vor einem Bankencrash ziehen sich die Geldinstitute nun in ihre Heimatstaaten zurück, was die Fragmentierung weiter vorantreiben würde.
Die Kapitalverkehrsströme innerhalb der EU trocknen somit langsam ein. Befeuert würde dieser Vorgang – so GS – durch die nationalen Aufsichtsbehörden, die die Rekapitalisierungsraten der Banken nach oben treiben würden. Entsprechende Pläne werden auch in Deutschland anvisiert. In möglichst naher Zukunft wolle die Bundesregierung verschärfte Eigenkapitalregeln auf den Weg bringen.

Besonders heftig mache sich nun das Nord-Süd-Gefälle bemerkbar. Die Finanzhäuser Nordeuropas würden ihr Engagement in Südeuropa drastisch zurückfahren, heißt es. Die Gründe lägen auf der Hand: Aufgrund der unsicheren wirtschaftlichen und politischen Situation würde die Panik in den Geldinstituten regieren. Die Rückzahlung sei im Falle eines Crashs nicht gesichert.
Zu einem ähnlichen Ergebnis kam auch die amerikanische Morgan Stanley vor wenigen Wochen. Der Interbankenhandel Europas sei auf den niedrigsten Stand seit November gefallen. Im ersten Halbjahr des Jahres 2012 ging die Kreditvergabe von deutschen Finanzinstituten an italienische Geldhäuser um 25 Prozent zurück – zum Vergleich: Im gesamten Jahr 2011 wurde das Engagement lediglich um 7 Prozent zurückgedreht. Die "Balkanisierung des Bankensystems" gefährde die Wirtschaft und die Stabilität des ganzen Systems. Die Einlagen der nordeuropäischen Finanzinstitute steigen – im Gegensatz zu dem südeuropäischen Pendant.

Zu diesen Nachrichten gesellen sich Meldungen über einen Abzug von Kapital aus dem spanischen Königreich. Die Investmentbank Nomura ermittelte aus den Statistiken der vergangenen drei Monate, dass das außer Landes geschaffte Kapital rund 50 Prozent des gesamten Bruttoinlandsproduktes betragen würde. Den Banken und somit auch der ansässigen Wirtschaft werden dadurch wichtige Geldmittel entzogen. Wird das Ausbluten der Finanzinstitute nicht gestoppt, droht Spanien ein ähnliches Szenario wie Griechenland: Ein Absinken des Wohlstandes verbunden mit einem Machtverlust des Staates.

Abfolge von Schuldenkrise und Kapitalmangel (Bild: Die Urheberrechte liegen beim Autor.)

Ein kurzer Windhauch oder ein Tornado?

Für die spanische Regierung dürfte es hingegen nur ein schwacher Trost sein, dass die EZB unbegrenzt Staatsanleihen aufkaufen möchte. Das Misstrauen gegen Bonds ist die eine Sache - ein ganz anderer Komplex ist dabei die Industrieproduktion eines Staates, da hauptsächlich durch diesen Wirtschaftssektor in Europa Werte geschaffen werden. Aus diesem Grund wird Meldungen aus dem sekundären Sektor ein höheres Gewicht zugeschrieben, als denen des Dienstleistungssektors.

Während in Griechenland die Rezession insbesondere mit den Sparprogrammen einsetzte, befindet sich die iberische Industrieproduktion bereits seit 10 Monaten im Niedergang. Bezieht man die Monate der Stagnation mit ein, so wächst die spanische Industrie seit Februar 2011 nicht mehr. Monatlich schrumpft das produzierende Gewerbe im Jahr 2012 um mindestens 6 Prozent, wobei der Monat April mit einem Minus von 8,3 Prozent bisher den traurigen Jahresrekord hält.
Das Nationale Statistikbüro Spaniens (INE) teilte der Öffentlichkeit mit, dass die Industrie im Juni um 6,3 Prozent geschrumpft ist. Besonders die Produktionen von Verbrauchs- und Investitionsgütern sind die Sorgenkinder der spanischen Wirtschaft, wobei erstere um 11,9, letztere um 12,8 Prozent sanken. Die Gründe liegen unter anderem in der schwachen Nachfrage im In-, wie auch im Ausland. Eine Besserung ist aufgrund des hohen Eurowertes nicht in Sicht.Eine Abwertung der europäischen Gemeinschaftswährung steht derzeit nicht zur Debatte. Auch das angekündigte Aufkaufprogramm von Staatsanleihen durch die EZB dürfte den Euro-Dollarkurs nicht in einem Maße abwerten lassen, dass die europäischen Sorgenstaaten mit einer bedeutenden Erleichterung im Exportgeschäft rechnen können. Vielmehr könnte der neue Kurs der Zentralbank die Realwirtschaft sogar gefährden, da Draghi beabsichtigt, die durch den Bondkauf in Umlauf gebrachte Geldmenge durch das Abschöpfen an anderer Stelle konstant zu halten, was die Kreditvergabe im privaten Sektor dämpfen könnte.
Gleichzeitig hat das spanische Königreich mit den Sparpaketen, der hohen Arbeitslosigkeit und den Insolvenzen zu kämpfen. Allein im letzten Quartal (Quartal II des Jahres 2012) wurden über 2 270 Konkurse vermeldet, was einen unrühmlichen Rekord darstellen dürfte. Zum Vergleich: Im gleichen Vorjahreszeitraum lag die Zahl der Insolvenzen um fast ein Drittel niedriger. Rund 30 Prozent der Bankrotte wurden im Baugewerbe registriert.
Besonders betroffen von dieser Pleitewelle sind die sogenannten mittelständischen Betriebe mit einem Jahresumsatz von weniger als 2 Millionen Euro. Durch dieses Sterben wird die spanische Wirtschaft einen nicht unwesentlichen Teil ihrer Flexibilität einbüßen.

Autor seit 11 Jahren
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