Eurovision Song Contest 2006: Lordi gewinnen den Kinderfasching
Der große Rückblick auf jenen Song Contest, der alles über den Haufen warf: Anstatt einer beschissenen Ballade gewann ein beschissener Pseudo-Rock-Song. Fucking amazing!.Schweiz, oder: Sechs Flaschen zum Preis von einer
Den Reigen der Peinlichkeiten eröffneten unsere Eidgenossen mit der Multi-Kulti-Söldnertruppe Six4One. Der Gruppenname deutet es bereits an: Die finanzschlauen Schweizer haben ein Schnäppchen gemacht und 6 Flaschen zum Preis von nur einer erworben. "If we all give a little" wurde von Ralph Siegel geschrieben, der bislang ungefähr jeden zweiten deutschen SC-Beitrag der letzten 40 Jahre beigesteuert hat. Droht nun unseren sympathischen Nachbarn im Westen das gleiche Schicksal?
Danach stürmte Moldawien die Bühne, in Form des Sängers von O-Zone, die den Ohr-Bandwurm des Jahres 2004 geliefert hatten. "Loca" hieß das Lied – wenigstens waren sie ehrlich.
Weiter ging es mit unseren nahöstlichen Nachbarn aus Israel. "Together we are one", gesungen von einem großen, dicken Mann, der sich zu Beginn des, nennen wir es der Einfachheit halber so, Liedes auf einem Klavier räkelte. Ich nehme an, dass es kein echtes Klavier, sondern ein Nachbau aus Titanium wäre, denn Holz hätte den Typen unmöglich tragen können. Da jedoch die Backgroundsängerinnen mehrheitlich ebenfalls korpulenter waren, fiel des Sängers Leibesfülle nicht weiters auf. Man kann nur hoffen, dass die guten Leute keine Frust-Esser sind- nach dieser schrecklichen Darbietung haben die wohl das Buffet bei der Siegesfeier alleine abgeräumt.
Den mutigen Versuch eines a-capella-Songs wagten sechs junge Letten. Mit sechs richtigen Sängern hätte das sogar klappen können. Ah, das sind halt die kleinen Feinheiten, mit denen ein noch junges Mitglied des Song Contests überfordert ist!
Ententanz ist out, hier kommt der Elfentanz! Norwegen präsentierte eine mystische Komposition, die unaufdringlich beim einen Ohr rein, beim anderen wieder rausdudelte. Nach all den akustischen Darmspülungen der bisherigen Teilnehmer eine angenehme, einschläfernd wirkende Überraschung, für die man wenigstens kein Rezept benötigt.
Eurovision Song Contest Athen 2006 (2 DVDs) |
Palim-palim! Keine Flasche Las Ketchup, bitte
Umso heftiger der Hammer der auf den leicht einschläfernden Wikinger-Beitrag folgt: Las Ketchup do it again! Zugegeben, die Mädels hatten vor ein paar Jahren den Sommerhit der Saison, aber hat bei den Verantwortlichen in Spanien eigentlich keiner daran gedacht, das "Lied" wenigstens einmal vorher probezuhören? Fiel keinem auf, dass die Tomaten-Tussis selbst bei einem "Starmanie"-Casting von der Jury aus dem Studio geprügelt worden wären? Lasst diese Girls in einer Stierkampf-Arena singen und die Stiere begehen reihenweise Selbstmord.
Dass selten etwas Besseres nachkommt bewies Malta. "I do" versprach der junge Sänger, meinte damit jedoch nicht, dass er mal die eine oder andere Gesangsstunde absolvieren würde. Just do it, Boy!
"No no never" widersprachen daraufhin Texas Lightning, und selbst wenn man zugestehen muss, dass die Sängerin eine wohlklingende Stimme hatte (was allerdings nach den zwei vorangegangenen Darbietungen keine große Kunst ist), war der teutonische Beitrag nicht mehr als eine 08/15-Standard-Countryballade. Dass der Schreiber dieser Zeilen eine Countrysong-Phobie hat, mag bei der negativen Einschätzung des Beitrags durchaus eine Rolle gespielt haben.
"Da Seppl und i spuin jetzt den klassischen Bayern-Kauntri-Song 'Take me home, Straubing Roads'. Sauba, sog i!" (Bild: https://pixabay.com)
Suchrätsel des Abends: Hatte sie ein Höschen an, ja oder nein?
Dänemark schickte eine 17jährige Schülerin ins Rennen mit dem "Twist of Love". Ist das etwa das neue Disziplinarsystem an Dänemarks Bildungsanstalten? "Agnatha, du hast heimlich auf der Toilette geraucht und zwei unentschuldigte Fehlstunden – du weißt, was das bedeutet: Nächste Woche musst du zur Strafe beim Song Contest mitmachen!"
Der Beitrag aus Russland lässt vermuten, dass es in Russland möglich ist, als Ersatz für die Ableistung des Wehrdienstes am Song Contest teilzunehmen. Und wenn man sich den Sänger so anhörte, musste man vermuten, dass es nicht viele gibt, die diese Alternative in Anspruch nehmen wollen. Immerhin präsentierten die Russen einen optischen Gag: Aus einem Klavier räkelte sich ein Mensch (bis zuletzt war mir nicht ganz klar, welchen Geschlechts) hervor, dessen Gesicht weiß geschminkt war. Auch keine üble Idee, um sich die Blamage zu ersparen, im Heimatort erkannt zu werden.
Das an diesem Abend obligatorische optische "Shakira"-Imitat kam aus Mazedonien und lieferte ein Suchrätsel: Hat die Dame wenigstens eine sehr kurze Hose an? Die Lösung: Ja! Obwohl es eher ungewöhnlich ist, die Hose oberhalb der Taille zu tragen. Aber was tut man nicht alles, um wenigstens ein paar Mitleidspunkte zu ergattern. Angeblich schreibt sie ihre Lieder selbst und komponiert auch für Kollegen. Jedoch bezweifle ich, dass jemals irgendjemand einen dieser Songs auch vorzutragen pflegt, geschweige denn, dafür bezahlt, weshalb ich eher vermute, dass die Dame sich ihren Lebensunterhalt als go-go-Tänzerin verdient.
"Tornero" heißt der nächste Beitrag, der aus Draculas Heimat stammt. Zwar war es ein cleverer Schachzug das Lied auf italienisch zu singen, da jedoch Italien seit Jahren nicht mehr am Song Contest teilnimmt, gab es dafür keine Punkte aus dem Land wo Vino und Miraculi fließen.
Zu spät erkannte José den Irrtum: Er wollte Tornero singen und musste jetzt als Torero springen (Bild: https://pixabay.com)
We are the Winners of Eurovision! - Nope!
Eine gefühlvolle Ballade – dem Musikkenner auch unter dem Synonym "schmalztriefendes Gedudel" bekannt – sollte den Sieg für Bosnien-Herzegowina herbeischnulzen, wobei ich den Beitrag in seiner ganzen ekelhaften Schleimerei nicht ganz mitverfolgt habe: Ich war zwischenzeitlich auf dem Klo und fand das Rauschen der Spülung erheblich melodischer und unterhaltsamer.
Da gerade Zeit ist, hier nun der Text des litauischen Beitrags in voller Länge:
We are the Winners of Eurovision
We are the Winners of Eurovision
We are the Winners of Eurovision
We are the Winners of Eurovision
We are the Winners of Eurovision
We are the Winners of Eurovision
Beim letzten Refrain bin ich mir nicht ganz sicher, aber ich glaube, der ging so:
We are the Winners of Eurovision
Falls ich irgendetwas verwechselt haben sollte, bitte ich um entsprechende Rückmeldung.
Manche mögen dieses Lied, eine Art Techno-Remake von Queens "We will rock you", als lustige Ironie verstanden wissen – ich finde es einfach nur Scheiße und bin froh, dass sich Litauen nicht für die Fußball-WM qualifiziert hat. Man stelle sich vor, wie tausende besoffene Litauer diesen Schwachsinn bei den Auftritten ihrer Elf singen…
Dabei war Litauens Beitrag geradezu Beethovens Neunte verglichen mit dem, was nun folgte: Daz Sampson (ich bin mir ziemlich sicher, dass Daz ein britisches Idiom für "Volltrottel" ist) sang über das "Teenage Life". Ja, das kennen wir doch alle aus der Schulzeit: Leichtbekleidete Girls räkeln sich auf Schulpulten. Das gibt trotzdem eine schlechte Betragensnote von meiner Seite aus. Nuttige Schulmädchen die anzüglich in Klassenzimmern rumschlampen waren bereits in Tittney-Spears-Videos zum Kotzen. Das Sahnehäubchen auf diese fälschlicherweise als Lied bezeichnete Notdurft war, dass ausgerechnet die Heimat von Musikgiganten wie den Beatles oder den Stones dafür verantwortliche zeichnete. Why, England, why? Was für eine dreiste Chuzpe, sich einerseits dem Euro zu verweigern und andererseits so etwas zum Song Contest zu schicken. Läuft eigentlich schon ein Ausschlussverfahren gegen England bei der EU-Kommission?
Die japanischen Spice Girls von Links nach Rechts: Pepperoni, Chilili, Erogano, Vanilla und Soja. Ganz rechts ein Groupie (Bild: https://pixabay.com)
Die Gewinner des "Wer ist am miestesten?"-Wettbewerbs: Lordi!
Sehr gastunfreundlich präsentierte sich danach Griechenland: Mit einem solchen Lied komplimentiert man normalerweise Gäste raus, die partout nicht nach Hause gehen wollen, obwohl man müde ist und endlich ins Bett will. Knapp 50 Jahre ist die Sängerin Anna Vissi (wenn man es schnell ausspricht, klingt es fast wie "Sissi" – gut, hat jetzt nichts mit dem Lied zu tun, erscheint mir aber wesentlicher interessanter), und man sah ihr ihr Alter nicht an, da während des Beitrags ihr ca. ein Meter langes Haar ständig vor dem Gesicht baumelte wie ein Perlenvorhang. Und hätte es nicht eine Windmaschine gegeben, die während des Abends auf Volltouren lief, hätte man von ihrem Gesicht überhaupt nichts gesehen. Dass sich Anna wie Shakira auf dem Boden rumräkelte und dabei Wischmob spielte, gab auch keine Bonuspunkte. Wie bereits erwähnt, hielten sich vermutlich die meisten Teilnehmer für ungeheuer clever, indem sie Shakira imitierten. Im Endeffekt stellte sich das als ähnlich originell heraus, als würde jemand bei einem Elvis-Double-Casting sich bewerben und darüber wundern, warum alle gleich angezogen sind.
Welch ein perfekter, nahtloser Übergang zur Attraktion des Abends und den Siegern beim Kinderfasching: Lordi aus Spinn-, äh, Finnland! Mit "Hard Rock Hallelujah" stürmten sie die Bühne, die Herzen derer die Punkte vergaben sowie den Gipfel der Lächerlichkeit. Ein paar Jungs und Mädels bedienen sich aus der Wühlkiste mit den Halloween-Kostümen und geben sich voll arg böse – huh, da hab ich mich aber echt gefürchtet! Für jemanden, dessen letzter Erkenntnisstand musikalischer Evolution der "Twist" darstellt, mag die Darbietung schockierend gewesen sein.
Objektiv betrachtet waren Lordi weder musikalisch, noch kostümtechnisch sonderlich aufregend: Jugendfreier Schaubudenzauber für 14jährige Jungs, die noch nicht aufs "Motörhead"-Konzert dürfen. Das einzig Bedenkliche an Lordis Triumph ist meines Verachtens nach, dass der Song tatsächlich zu den musikalischen Highlights des Abends zählte. Relativ gesehen ist das natürlich so, als würde man in einer Karaoke-Bar einen Sieger mit der Begründung küren, es sei der einzige Sangesbeitrag gewesen, bei dem man nicht nach draußen gelaufen wäre und sich übergeben hätte. Trotzdem: Glückwunsch nach Finnland und eine Frage: Haben bei euch geistesgestörte Rentiere entschieden, Lordi nach Athen zu schicken oder war das ein verzweifelter Schrei nach Aufmerksamkeit? Sollen wir Finnland jetzt unter therapeutische Quarantäne stellen und zehntausende Psychologen in den hohen Norden entsenden? Wollt ihr darüber sprechen, Finnen? Ihr müsst euch schon helfen lassen! Ohne eure Mithilfe können wir euch bei euren Problemen nicht helfen!
Motto des Abends: Every song is a cry for love
Wo waren wir? Ach ja, da gab es ja noch mehr Lieder. Warum auch nicht: Nach Lordi war schon alles egal! Wie passend, dass die Ukraine eine (natürlich blonde&halbnackte) Shakira-Schnitte auf den Laufsteg der Eitelkeiten schickte. Nein, liebe Ukraine, eine Tussi, die "Show me your love" rauswürgt und einen Balztanz auf offener Bühne exorziert (wofür zahlt man eigentlich Kirchensteuer, wenn im Bedarfsfall kein Geistlicher anwesend ist?), ist nicht ganz das, was man mutig oder gar originell nennen könnte.
Gewohnt unfreundlich zeigte sich Frankreich und streckte dem Zuschauer den Mittelfinger in Form einer "Il était temps" singenden Friseuse entgegen. Für Virginie Pouchain war es sicher eine angenehme Abwechslung zum haarigen Arbeitsalltag und für die Stammgäste des Friseur-Salons, in welchem sie tätig ist, eine Wohltat, während des Haarefärbens nicht mit den eher bescheidenen Gesangskünsten der jungen Dame zwangsbeglückt zu werden.
Neben den Krampussen aus Finnland war es vor allem der kroatische Beitrag, der für Diskussionen im Vorfeld gesorgt hatte, denn die gute Dame erfreut sich großer Bekanntheit dank der aktiven Teilnahme an einem Porno ("Wieso kennst du die, Schatzi-Bärli?" – "Äh, hm, ne, hab ich wohl verwechselt…"). Ihre Vorzüge spielte sie in Form ihrer den sommerlichen Temperaturen angepassten Kleidung aus, sowie der etwas zu aufdringlich geratenen Schminke, die mich an die ersten Schminkversuche einer Achtjährigen erinnerten.
Selbst mit viel Schminke hätte der irische Beitrag nicht mit einem echten Lied verwechselt werden können: "Every song is a cry for love". Yeah, and this one is a cry for psychological help!
Das IKEA-Modell "Carola" aus Schweden hatte vor ein paar Jahren den Sieg beim Song Contest davongetragen und nicht mehr zurückgebracht. Tatsächlich wirkte das Lied wie aus dem ABBA-Bausatz zum Selberkomponieren für Anfänger. Gibt es nicht irgendwelche arbeitslosen ABBA-Doubles, die man das nächste Mal zum SC schicken könnte?
Neu bei IKEA: Stummer Diener "Svensön" zum selber zusammenbauen (mit Ersatzschnurrbart) (Bild: https://pixabay.com)
You think you are a Süperstar ...
"Superstar" lautete der nächste Beitrag, der aus der Türkei stammte und einen zusätzlichen Konfliktpunkt bei den Beitrittsverhandlungen zur Türkei darstellen könnte: Wer so etwas allen Ernstes zum Song Contest schickt, erweckt Argwohn. Angeblich fährt die Sängerin bei Rallys mit. Man kann ihr nur wünschen, dass sie den Ganghebel leichter findet als eine Gesangsnote. Wenigstens gab es dafür die obligatorischen 12 Points aus Deutschland.
Der letzte Beitrag des Abends wurde von Armenien ins Rennen geschickt. Dieses Land nahm zum ersten Mal am Song Contest teil, und schon nach den ersten Takten wünschte man sich, sie wären auch heuer nicht dabei gewesen. Der Sänger soll der größte Popstar Armeniens sein. Ich vermute mal, das ist ungefähr so, als würde man stolz behaupten, man sei der bekannteste Countrysänger Pakistans oder der beste Fußballer Österreichs.
Danach folgte das dröge Verkünden der Voting-Ergebnisse. Um das Ganze abzukürzen, wurden nur die jeweils besten Drei pro Land verlesen, was dann eine Art MTV-Version der Abstimmung ergab, da alles so schnell ging, dass man kaum mit dem Gucken nachkam. Größere Überraschungen gab es nicht: Die skandinavischen Länder schoben sich die höchsten Punktezahlen ebenso zu, wie die Balkan-Länder untereinander. Deutschland landete wie üblich hinten und Österreich schnitt trotz Absenz auch nicht schlechter ab als sonst.
Für den nächsten Song Contest bedeutet Lordis Sieg: Castingshows für drittklassige Metal-Acts quer durch Europa. Und Deutschland muss endlich "Knorkator" entsenden!
Bildquelle:
Karin Scherbart
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