Welche Rechte hat ein psychisch Kranker überhaupt?

Zunächst einmal gelten wie für jeden Menschen auch für psychisch Kranke die Grundrechte wie das Recht auf Unantastbarkeit der Würde sowie Selbstbestimmung nach den Artikeln 1 und 2 des Grundgesetzes. Auch die Bürgerrechte nach den Artikeln 8, 9 12 und 16 der Verfassung und die Rechte auf Hilfen nach den Sozialgesetzbüchern sind für sie uneingeschrankt gültig.

Dazu kommen Rechte aus dem Behindertengleichstellungsgesetz, auch explizit für seelisch Behinderte, sowie nach dem Psychisch Kranken Gesetz (PsychKG) von Berlin in der Fassung von 2016. Ähnliche Gesetze gelten auch in allen anderen Bundesländern. Das PsychKG gewährt psychisch Kranken das Recht auf freie Arztwahl ebenso wie die freie Wahl des Krankenhauses und die Wahl zwischen verschiedenen Hilfsangeboten, Akteneinsicht, umfassende Information, das Recht auf den Besitz und Erwerb persönlicher Gegenstände sowie ein Besuchsrecht sowie das Recht auf freie Religionsausübung.

Bei stationären Aufenthalten haben sie unter anderem das Recht auf freien Zugang zu einem Telefon, zu Medien sowie der Wahrung des Briefgeheimnisses.

Wesentlich ist auch der Grundsatz -- ambulant vor stationär in der Wahl der Behandlung, wie er im § 15 des PsychKG verankert ist.

Wann dürfen seine Rechte eingeschränkt werden

Diesen Rechten stehen legitime Sicherheitsinteressen der Einrichtungen entgegen, die beispielweise das Einschmuggeln von Drogen sowie die Verabredung zu Straftaten verhindern müssen. Auch bei einer drohenden Eigengefährdung dürfen Rechte psychisch Kranker eingeschränkt werden.

Dabe sind jedoch bestimmte Maßnahmen gerichtlich genehmigungspflichtig. So müssen Sicherungsmaßnahmen, auch als Zwangsfixierung bekannt, bei mehr als 18 Stunden Länge oder regelmäßiger Anwendung ebenso durch einen Richter bestätigt werden wie eine Unterbringung gegen des Willen des Betroffenen, diese spätestens am Folgetag. Auch Langzeitbehandlungen mit Neuroleptika oder jede ärztliche Behandlung, die dem natürlichen Willen widerspricht, stehen unter dem Vorbehalt der gerichtlichen Bestätigung. Ebenso muss ein Richter eine mögliche Sterillisation vorher genehmigen.

Angriffe auf Pfleger und Mitpatienten sowie die Anwendung von, auch sexualisierter, Gewalt, gegenüber diesen Personen rechtfertigen, das dürfte auch unstrittig sein, ebenso zeitlich begrenzte Zwangsmaßnahmen. Denn auch Mitpatienten und das Personal haben Rechte, die geachtet werden müssen.

Dieses Beispiel zeigt, wie differenziert und problematisch das Thema der Einschränkung von Freiheitsrechten in psychiatrischen Einrichtungen ist.

 

Psychisch kranke Menschen und ihr freier Wille

Wie frei sind psychisch kranke Menschen in ihrem Willen? Diese Frage beinhaltet neben rechtlichen auch ethisch-moralische Komponenten.

Unstritttig ist, es gibt innerhalb gewisser Grenzen auch ein Recht auf die Freiheit zur Krankheit.

Das bedeutet, liegt keine Fremd- oder Eigengefährdung vor, darf ein psychisch Kranker theoretisch auch eine Psychose ohne Medikamente durchleben.

Doch wie frei sind psychisch Kranke in ihrem Willen wirklich? Fakt ist, allein die fehlende Bereitschaft, sich behandeln zu lassen, rechtfertigt für sich noch keine zwangsweise Unterbringung in einer psychiatrischen Einrichtung. Eine Zwangsbehandlung nach §28 des Berliner Gesetz über Hilfen und Schutzmaßnahmen bei psychischen Krankheiten (PsychKG) ist nur unter eng definierten Vorraussetzungen möglich .

Eingriffe in Grundrechte wie die Unterbringung in einem Isolationszimmer oder Ausgangsbeschränkungen sind nur in Ausnahmefällen und zeitlich begrenzt zulässig.

Es gilt der Grundsatz, die Betroffenen so weit wie möglich in die Behandlung und Begleitung mit einzubeziehen.

Eine Vorsorgevollmacht oder eine Patientenverfügung können, im Zustand der geistigen Klarheit aufgesetzt, den Willen psychisch Kranker Menschen dokumentieren. Hilfe und Hinweise für die rechlich problematische Formulierung gibt das Bundesministerium der Justiz auf seiner Homepage. Hier sind auch Materialeien online bestellbar.

Der Genesungsbegleiter als Fürsprecher der Patienten

Diese Vorbemerkungen waren notwendig, um das Wirken des Genesungsbegleiters als Fürsprecher im Gesamtkontext darzustellen. Er bewegt sich auf der Grundlage von Bedürfnissen der Patienten, aber auch Ablaufprozessen im Klinikalltag, Miissverständnissen und Differenzen zwischen Betroffenen und professionellen Helfern sowie gesetzlichen Vorgaben.

Er ist, so sehe ich das, ein Scharnier zwischen Patienten und Personal. Er vermittelt behutsam und einfühlsam zwischen den berechtigten Interessen beider Parteien. Und er ist, auch so definiere ich für mich diese Aufgabe, jemand, der im hektischen Alltag der Einrichtungen entschleunigt, der zuhört, der sich Zeit nimmt für Patienten und ihre Bedürfnisse, auch nach emotionaler Nähe.

Denn Fürsprache fängt beim Aufnehmen dessen an, was den Patienten bewegt. Als Ansprechpartner ist der Genesungsbegleiter auch einfach mal nur ein stummer Zuhörer bei entlastenden Gesprächen. Er organisiert schnelle und unbürokratische Lösungen für die Patienten, nimmt Beschwerden auf und sucht das Gespräch mit Ärzten und Pflegern, um konkrete Lösungen zu finden.

Dabei unterliegt er der Schweigepflicht ebenso, wie die Annahme von Geschenken untersagt ist.

Er bietet dem Patienten neben der professionellen Distanz der Ärzte und Pfleger die pofessionelle Nähe des ehemals selber Betroffenen. Daraus ergibt sich eine ganz andere Kommunikationsebene für den Patienten. Die rationale Ebene des Personals wird um die emotionale Ebene des Genesungsbegleiters erweitert, was dem Patienten mehr Freiraum gibt, in Kontakt mit dem ExIn-ler zu treten.

Wie viel Fürsprache braucht ein Patient?

Hier habe ich eine klare Meinung -- so viel wie nötig, nicht wie möglich.

Wo es passt, sollte der Patient seine Bedürfnisse selber vertreten. Ein Gespräch zu dritt, mit dem Genesungsbegleiter als Moderator, halte ich für effektiver als eine Weitergabe der Wünsche des Patienten durch den Ex IN-ler. 

Hier gilt für mich die Frage von Dorothea Buck, einer der Pionierin der Anti-Psychiatrie-Bewegung; Warum sprecht Ihr immer über uns, doch nie mit uns?

Wo es möglich ist, sollte nach meiner Meinung ein Betroffener immer selber seine Interessen vertreten. Wenn ein Genesungsbegleiter dafür die Vorraussetzungen schafft und als Mutmacher mit beim Gespräch anwesend ist, so ist das ok.

Anders sieht es aus, wenn der Patient offenkundig unfähig ist, sich selber zu artikulieren, aus welchen Gründen auch immer. Dann sehe ich es als Pflicht des EX IN-lers an, erst einmal zu ergründen, wie könnten denn die Bedürfnisse des Patienten aussehen und diese anschließend zu vertreten. Gleiches gilt bei unterschiedlichen Ansichten von Patient und Personal, wo der Genesungsbegleiter, wie oben schon geschrieben, behutsam und achtsam eine Lösung oder einen Kompromiss unter Einbeziehung aller Beteiligten suchen muss.

Wie hat dieses Modul auf mich gewirkt?

Ehrlich, es wirkt immer noch. Dieses Thema ist eines der wichtigsten Aufgabenfelder eines Genesungsbegleiters. Es bedeutet das Ausloten von Kompromissen, das Aushandeln tragfähiger Lösungen, das empathische Aufnehmen der Wahrnehmungen von Klienten.

Wie oben beschrieben, treffen hier ethisch-moralische Fragen und Standpunkte, wie weit darf ein psychisch kranker Mensch eigene Bedürfnisse einfordern?, auf berechtige Interessen der Einrichtungen, deren Einhaltung für deren Aufgabenerfüllung zwingend notwendig ist.

Dadurch entsteht eine Konstellation, die einerseits sehr spannend und reizvoll erscheint, andererseits aber auch viel Konfliktpotential beinhaltet.

Hier tauchen Fragen auf, die mich weiter beschäftigen werden und auf die es keine pauschalen und einfachen Antworten gibt.

Fürsprache, für jemanden sprechen, dessen Interessen vertreten, bedeutet auch, ein hohes Maß an Verantwortung übernehmen. Es sind Menschen, für die ein Genesungsbegleiter spricht.

Menschen, die nicht nur juristisch verbriefte Rechte haben. Nein, deren Rechte leiten sich auch aus dem simplen Mensch-Sein ab, wie bei Euch und mir auch. 

 

Fotos by: pixabay.com

 

Als freiberuflicher Systemischer Coach in Berlin absolviere ich im Moment eine EX IN Ausbildung. Über jedes Modul schreibe ich eine solche Zusammenfassung, was mir beim Sortieren der vielfältigen Gedanken und Ideen hilft, die mir in der Ausbildung kommen.

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