Facebook als Charakterstudie?
Nicht nur für die Werbung ist Facebook interessant. Auch Psychologen und Soziologen haben die sozialen Netzwerke als Datenlieferant entdeckt.Die berühmten big five der Persönlichkeit
Schon in den 1930er Jahre wurde von typischen Charakterausprägungen ausgegangen, die bei jedem Menschen, egal welchen Alters oder Kultur, in unterschiedlichem Maße vorhanden sind. Zwar wurden Begriffe und Definitionen im Laufe der Zeit immer wieder verändert und angepasst, doch der Kerngedanke blieb der Selbe. Demnach gibt es fünf Faktoren, welche die menschliche Persönlichkeit ausmachen: Neurotizismus, Extraversion, Offenheit für Erfahrungen, Gewissenhaftigkeit und Verträglichkeit. Diese These hat sich in der Psychologie im Laufe der Zeit so sehr verfestigt, dass sie mittlerweile in 3.000 wissenschaftlichen Studien Anwendung fand. Aber auch Arbeitgeber benutzen das Modell, um ihre Belegschaft einschätzen zu können. Und für den Hobbypsychologen gibt es im Internet mittlerweile tausende kostenlose Tests, um den eigenen Charakter einschätzen zu können.
Doch was hat dies mit Facebook zu tun? Die Kommunikationswissenschaftlerin Pavica Sheldon von der University of Alabama wollte überprüfen, inwieweit die Posts auf Facebook Rückschlüsse auf die Big Five der einzelnen Nutzer zuließen. Diese Frage wurde von Andrew Schwartz von der University of Pennsylvania noch spezifiziert: Über Facebook rekrutierte er 75.000 Freiwillige, die online einen Persönlichkeitstest ausfüllten und dem Wissenschaftsteam erlaubten, die Wortmeldungen in Facebook zu analysieren. Schwartz erhoffte sich dadurch Rückschlüsse ziehen zu können, inwieweit sich die Persönlichkeit in der Sprache ausdrückt. Er und sein Team fassten Posts und Wortmeldungen thematisch zusammen, wodurch sich sogenannte Wortwolken bildeten. Je nachdem, wie groß diese waren, wurden sie unterschiedlich häufig genutzt und von den Forschern in Bezug auf die Persönlichkeit gesetzt. Daraus ergaben sich interessante Erkenntnisse.
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Woran erkennt man den Neurotizismus auf Facebook?
Unter diesem fast unaussprechlichen Begriff verbirgt sich die Frage, wie es um die emotionale Labilität der Person bestellt ist. Je stärker der Neurotizismus ausgeprägt ist, desto eher und stärker ist die Person von Ängsten, Anspannung, Nervosität und Unsicherheiten betroffen. Insgesamt sind Menschen mit einer starken Ausprägung grundsätzlich emotional labiler. Kleine Vorkommnisse erschüttern sie mehr als ihre Mitmenschen, bei denen der Neurotizismus weniger oder kaum ausgebildet ist.
Und solche Personen soll man anhand ihrer Einträge in Facebook erkennen können? Laut Schwartz und seinen Kollegen schon. Sie stellten fest, dass Nutzer mit einer starken Ausprägung im Neurotizismus häufiger Ausdrücke benutzten wie " hab's satt", "Depressiv", "einsam" oder "ich hasse" benutzten. All diese Worte verdeutlichten die innere Anspannung, unter welcher Menschen mit ausgeprägtem Neurotizismus leiden. Hingegen bei Nutzern mit geringem Neurotizismus fanden sich wenige solcher Floskeln. Ihre Posts verdeutlichten vielmehr, dass sie ihr Leben im Griff zu haben schienen – wobei die Forscher nicht wirklich darauf eingehen, inwieweit dies auch nur Show sein kann. Statt also negativ belegter Ausdrücke, verwendeten diese Nutzer eher Wörter wie "Familie", "Dankbarkeit" und "schön" und setzten Insgesamt ihrer Posts eher in einen positiven Kontext.
Extravertierte in sozialen Netzwerken? Was ist daran neu?
Wer extravertiert ist, gilt im Allgemeinen als gesellig, aktiv, gesprächig, optimistisch und heiter. Der Hobbypsychologe wird deshalb davon ausgehen, dass diese Art Mensch natürlich auch in Facebook übermäßig häufig vertreten sein wird und die introvertierten Menschen, soziale Netzwerke eher scheuen. Doch dies stimmt nicht so ohne weiteres. Tatsächlich neigen introvertierte Nutzer eher zum passivem Konsum von Facebook: Sie lesen viel in Gruppen und anderen Profilen, verfolgen Diskussionen, beteiligen sich aber selten daran. Demnach kann man sie auch nur schwerlich an ihren Posts erkennen, denn sie hinterlassen wenig verbale Fingerabdrücke.
Extravertierte hingegen sind wahrlich sehr aktiv: Entsprechend ihres geselligen Charakters nutzen sie das Medium, um ihren Bekannten- und Freundeskreis zu erweitern und zu pflegen. Sie sind auch mit Posts nicht zurückhaltend, sondern produzieren häufig mehrere pro Tag, wobei sie aber oft den Bezug zur Außenwelt (Partys, Vereine etc.) haben. Sprachlich erkennt der geschulte Wissenschaftler den Extravertierten an Ausdrücken wie "kann's kaum erwarten" und anderen Vorfreude verdeutlichenden Floskeln.
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Woran erkennt man den sozial verträglichen Nutzer?
Verträglichen Menschen neigen häufig zum Altruismus. Sie beziehen das Gegenüber in ihre Überlegungen mit ein, sind verständnisvoll, wohlwollend, hilfsbereit und besitzen ein angemessenes Mitgefühl. Dies zeigt sich auch in ihrem Facebook-Verhalten. Sie benutzen häufig positive Wörter wie "wundervoll", "begeistert" und "dankbar" und nehmen oft Bezug auf die Religion. Inwieweit letzteres spezifisch für die amerikanischen Probanden ist, bleibt offen.
Sozial unverträgliche Poster baden oft geradezu in Kraftausdrücken. Flüche wie "Scheiße" oder "verdammt" gehören scheinbar ebenso zu ihrem alltäglichen Wortschatz wie Beleidigungen anderer Nutzer als "Nutte" oder Ähnliches. Jeder, der in der ein oder anderen Facebook-Gruppe aktiv ist, kennt mindestens ein solches Mitglied. Denn die soziale Unverträglichkeit führt leider nicht dazu, dass diese Charaktere sich zurückziehen und im Stillen vor sich hin grummeln. Vielmehr wollen sie ihrem Unmut über Gott und die Welt lauthals Gehör verschaffen – koste es was es wolle.
Gewissenhaftigkeit auf Facebook?
Dies mag gerade in der heutigen Zeit, in der viele Menschen so unbesonnen mit ihren persönlichen Daten umgehen, fast wie ein Scherz anmuten. Wie kann jemand, der jeden Tag etwas aus seinem Privatleben postet, gewissenhaft sein? Ist dies nicht ein Widerspruch in sich? Hier ist wohl ein Jein angebracht. Gewissenhaftigkeit meint, der Grad an Zielstrebigkeit, Selbstkontrolle und Genauigkeit. Gewissenhafte Menschen handeln planend, sorgfältig und organisiert. Wenn sie also etwas über sich im Internet posten, machen sie sich vorher Gedanken über das wie und wo. Deutlich zeigt sich dies darin, dass gewissenhafte Nutzer häufig über ihren Job posten und dabei Wörter wie "begeistert", "beschäftigt" und "bereit" benutzen.
Posts von Menschen ohne ausgeprägte Gewissenhaftigkeit strotzen hingegen eher von Flüchen und Kraftausdrücken. Auch beschäftigen sich ihre Einträge kaum mit ihren Jobs, sondern vielmehr mit Comics, Filmen und grundsätzlich allem, was von ihnen keine Eigeninitiative oder Engagement verlangt.
Offen für Neues?
Jeder Mensch hat seine Vorlieben und Interessen, doch nicht jeder ist offen für neue Erfahrungen. Bei vielen Menschen ist die Bereitschaft sich Dingen jenseits des bisherigen Erfahrungshorizontes zu widmen geringer ausgeprägt als bei anderen. Sie neigen zu konservativen Einstellungen und bewährten Verhaltensmustern. Dies lässt sich auch an ihren Posts erkennen. Sie scheinen bei ihren Wortbeiträgen Zeit sparen zu wollen und nutzen deshalb häufig Abkürzungen wie "u" statt "you" oder ähnliches. Außerdem verleihen sie ihrer Überraschung über Unerwartetes Ausdruck, indem sie Floskeln wie "kann nicht glauben, dass…" benutzen, wodurch aus psychologischer Sicht bestätigt wird, dass es solchen Menschen schwer fällt, das Unkonventionelle für möglich zu halten.
Wer hingegen offen für neue Erfahrungen und Themen ist, postet gern Wörter wie "Universum", "Schreiben", "Träume" oder "Seele".
Was bedeuten diese Erkenntnisse für den einzelnen Nutzer?
Bisher noch nicht all zu viel, da Forscher Facebookdaten nicht ungefragt für ihre Studien nutzen dürfen. Doch sollten die Forschungsergebnisse sich auch bis zu den Arbeitgeber rumsprechen, besteht die Gefahr, dass sie ihre Mitarbeiter und Bewerber anhand ihrer Facebookeinträge (neu) bewerten. Dann ginge es nicht mehr nur darum, ob ein Bewerber Partybilder von sich online stellt, sondern auch darum, was für ein Charakter sich hinter dem Profil verbirgt. Solche Spionagen sind zwar offiziell verboten – doch die Praxis zeigt: Wer will den Arbeitgebern beweisen, dass Facebook sie beeinflusst hat.
Quelle:
Psychologie heute, 42. Jahrgang, Heft 2 "Was Facebook über uns verrät"
Wikipedia "Big Five"