Vom Deutschunterricht zum Germanistikstudium - Wenn die Kreativität auf der Strecke bleibt

Nach meinen Abitur habe ich mich hauptsächlich deswegen dazu entschieden, Germanistik zu studieren, weil mir der Deutschunterricht in der Schule immer viel Spaß gemacht (zumindest im Vergleich zu den anderen Fächern) und die Noten gestimmt haben. Woraus der Deutschunterricht in meiner Schule bestanden hat? - Hauptsächlich aus der Lektüre von Klassikern, die wir dann gemeinsam im Kurs oder als Hausaufgabe oder Kursarbeit schriftlich analysiert haben. Dabei waren unserer Kreativität quasi keine Grenzen gesetzt. Ich kann mich noch gut erinnern, wie ich Goethes "Faust" gelesen und unzählige Notizen an den Seitenrand gekritzelt habe. Zu fast jedem Wort ist mir eine mehr oder weniger plausible Interpretationsidee gekommen, die ich am nächsten Tag im Unterricht mit dem Kurs diskutieren wollte. Ähnlich lief das in den Kursarbeiten ab: Kreativität wurde belohnt.

An der Uni ist das anders. Wer sich dazu entscheidet, Germanistik zu studieren, muss sich daran gewöhnen, wissenschaftlich zu arbeiten. Das heißt, es kann nicht mehr munter drauflos interpretiert werden, wie in der Schule, sondern es gilt vor allem eines: Alles muss belegt werden! Wer also im Verlaufe seines Germanistik-Studiums eine Hausarbeit schreibt (und das wird sicher kein einmaliges Erlebnis sein!), der wird vor allem eines tun: unzählige Bücher, die sogenannte Sekundärliteratur, lesen, um die Primärliteratur zu analysieren. Es reicht also nicht mehr, Goethes "Faust" zu lesen und Mutmaßungen über den verborgenen Sinn anzustellen. Die eigentliche Arbeit besteht vor allem darin, sich mit wissenschaftlichen Texten über den "Faust" auseinanderzusetzen. Mit eigenen Interpretationsversuchen begibt man sich schnell auf gefährliches Glatteis - vor allem in den unteren Semstern.

Rückblickend muss ich feststellen: Die Kreativität, die mir in der Schule so viel Spaß am Deutschunterricht bereitet und die mir damals meine guten Noten beschert hat, ist mir während meines Germanistikstudiums sehr stark abhanden gekommen, weil sie schlicht nicht mehr genutzt wurde. Sehr schade!

Berufsvorbereitung in Eigenregie

Nach dem Grundstudium, in dem noch Klausuren geschrieben werden, erarbeiten sich die StudentInnen im weiteren Verlauf des Germanistikstudiums die sogenannten "Credit-Points", indem sie ihre Seminare mit einer Haus- bzw. Seminararbeit, wie ich sie oben bereits kurz beschrieben habe, abschließen. Was ich in diesem Zusammenhang zunächst einmal positiv anmerken möchte: Die StudentInnen bekommen zwar Hilfestellungen durch ihre DozentInnen, sind aber in der Regel mehr oder minder auf sich allein gestellt und dadurch gezwungen, sich wichtige Eigenschaften anzueignen. Jeder Absolvent der Germanistik hat während seines Studiums vor allem eines gelernt: eigenverantwortliches, selbstständiges Arbeiten und die Fähigkeit zur intensiven Recherche. Außerdem die eindringliche Auseinandersetzung mit einzelnen Themen und Durchhaltevermögen.

Was jedoch völlig auf der Strecke bleibt, ist die Vorbereitung auf "richtige" Berufe. Wer seine Zukunft nicht als wissenschaftlicher Mitarbeiter oder Dozent an der Uni geplant hat, wird enorme Schwierigkeiten bekommen, einmal eine Arbeitsstelle zu finden, solange er seine Berufsqualifikation nicht selbst in die Hand nimmt. Das haben auch die Universitäten längst erkannt und erinnern ihre GermanistikstudentInnen immer wieder daran, sich "Schlüsselqualifikationen" anzueignen und Praktika zu absolvieren. Und aus eigener Erfahrung kann ich euch nur empfehlen: Beherzigt diesen Ratschlag! Anders als Studienabsolventen naturwissenschaftlicher oder technischer Fächer, werden Germanisten nicht händeringend gesucht und erst recht nicht angeworben. Wer einen Job will, muss selbst aktiv werden. Da es den Beruf "Germanist" so nicht gibt, sollten sich GermanistikstudentInnen klar darüber werden, was sie später einmal machen wollen und konsequent daraufhin arbeiten, sich für diese Arbeit zu qualifizieren. Du willst Journalistin werden? Dann bewirb dich für ein Praktikum bei einer Zeitung und verbessere deine Schreibqualitäten, indem du Artikel für ein Uni-Magazin schreibst. Wo auch immer du dich einmal auf eine Stelle als Journalistin bewerben wirst, ohne Arbeitsproben hast du keine Chance. Auch ehrenamtliches Engagement macht sich später gut in deiner Bewerbung - vor allem, wenn dein Ehrenamt etwas mit deinem Berufswunsch zu tun hat. Ebenso entscheidend kann die Wahl des Neben- bzw. Begleitfachs sein. Versuche von Beginn an auch um dein Germanistikstudium herum alles auf dein berufliches Ziel auszurichten. Ein Germanistik-Studium allein, kann keinen Arbeitgeber beeindrucken.

Zum guten Schluss...

Vielleicht seid ihr durch meinen Artikel nun sehr abgeschreckt und habt erst einmal gar keine Lust mehr, Germanistik zu studieren. Das war auch mein Ziel. Denn ich habe mich damals sehr leichtfertig für mein Studienfach entschieden und möchte, dass ihr euch wirklich gut überlegt, ob Germanistik das richtige für euch ist.

Generell kann jeder Germanistik studieren, der ein gutes Sprachgefühl, vor allem schriftlich, hat und gerne sehr viel liest. Es werden im Studium keine Wunderwerke von euch gefordert und eure Noten hängen sowieso von der subjektiven Beurteilung eurer Dozenten ab. Es macht auch wirklich Sinn, Germanistik zu studieren, wenn man bereits vor Beginn des Studiums weiß, dass man einmal einen typischen Germanistenberuf ausüben, zum Beispiel Journalistin oder Lektorin werden möchte. Dann kann man von Beginn an auf dieses Ziel hinarbeiten und wird sich den Wunsch ganz sicher erfüllen können. Schwierig wird es für die StudentInnen, die ohne ein bestimmtes berufliches Ziel Germanistik studieren möchten, sich viel Zeit zum entscheiden nehmen und sich neben dem Studium nicht engagieren. Wie bereits gesagt: Ein Master in Germanistik allein, überzeugt heute keinen Arbeitgeber mehr!

Zum guten Schluss möchte ich noch unbedingt darauf hinweisen, dass es sich hierbei um meine ganz persönlichen Erfahrungen und Ansichten handelt. Ich habe meinen Master of Arts in Germanistik mit dem Schwerpunkt "Neuere deutsche Literatur und Medienwissenschaft" in NRW absolviert und begebe mich gerade selbst auf die von den Geisteswissenschaftlern gefürchtete Jobsuche.

Vielleicht hast du ja auch Germanistik studiert und siehst das alles ganz anders? Dann teile doch deine Erfahrungen mit uns! Allen, die sich noch in der Entscheidungsphase befinden, beantworte ich auch gerne nähere Fragen zu meinem Studium.

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