Greta Silver begeistert die Generation 60+
Glückssucherin und Mutmacherin in einer Person: Großer Ansturm im Hamburger Stage Club(Bild: Gabriele Schreib M.A.)
Eine Lesung, fast vollständig frei vorgetragen
Greta beginnt ihre Lesung sehr gut unterstützt von der gemeinnützigen Initiative www.oll-inklusiv.de im Hamburger Stage Club mit frei vorgetragenen Texten. Die meisten stammen aus ihrem Buch "Wie Brausepulver auf der Zunge", erschienen im Scorpio Verlag München, ISBN 978-3-95803-171-5. Gerade auf dem Markt, ist das Buch schon in die Bestsellerliste im SPIEGEL aufgestiegen. Die erste Geschichte des Abends macht nicht nur nachdenklich, sie bringt auch zum Lachen. Greta beschreibt, wie sie sich Nachts durch einen lauten Knall geweckt vor Einbrechern fürchtet. Adrenalin pur. Das Telefon im Wohnzimmer, Pfefferspray nicht zur Hand. "Ich weiß nicht, wie lange ich auf nackten Sohlen vor der Tür stand, bis ich es zurück ins Bett wagte, wo ich angespannt lauschend und steif wie ein Brett liegen blieb, die Decke hochgeschlagen bis zum Kinn. Gegen Morgengrauen schlief ich endlich ein. Bei Tageslicht wagte ich es, das Schlafzimmer zu verlassen, um mich mit den Spuren des Einbruchs zu konfrontieren. Doch alles sah aus wie immer. Bis auf den Balkon. Dort war ein Brett umgefallen." Es hatte also alles, so das Fazit, in ihrem Kopf stattgefunden. Und genau darauf will Greta mit dieser kleinen Geschichte hinaus. Auch das Älterwerden, so Greta, findet im Kopf statt. Wenn ich diese lange Phase des Lebens nur als entbehrungsreiche Zeit ansehe, erlebe ich sie auch als solche. Greta entdeckt aber im Gegensatz dazu das Alter als eine Zeit, in der sie frei von beruflichen und familiären Pflichten wieder völlig selbstbestimmt und mit überaus viel Lebensfreude ihre Tage genießen kann. "Ich habe nach dem Abitur nicht studiert!" lacht sie ihr Publikum an und doch hat sie mit diesen Gedanken eine der wichtigsten sozialwissenschaftlichen Theorien hinter sich: Die sogenannte self-fulfilling prophecy, die sich selbst erfüllende Prophezeiung, meint genau das.
Angst als Verkaufsinstrument von Presse, Politik und Wirtschaft
Die Zeit des Berufslebens ist vorbei, die Kinder sind aus dem Haus, oft ist auch die Beziehung zum Partner wieder auf dem Prüfstand oder sogar ganz vorbei. Da muss man beziehungsweise frau sich mal wieder ganz neu erfinden. Greta hat es vorgelebt: Ihre drei Kinder sind erwachsen, das offizielle Arbeitsleben ist vorbei. Ihre Geschichte mit dem Einbrecher zeigt, dass Angst wohl kein guter Ratgeber ist. Angst ist ein Verkaufsinstrument der Presse, der Politik und auch der Wirtschaft. Aber es macht keinen Sinn, mit Angst auf eine Lebensphase zu blicken, die lang sein kann - "Von 60 bis 85 sind ebenso viele Jahre wie von 35 bis 60, und was war da nicht alles los! Diese Zeit können wir doch nicht passiv absitzen!" lacht Greta und nimmt ihr begeistertes Publikum mit. Die meisten der rund 180 Zuhörer natürlich 60+, aber es haben sich auch einige Jüngere eingefunden. Mark Twain brachte es auf den Punkt, so Greta weiter: "Ich bin ein alter Mann und habe viel Schreckliches erlebt. Aber das meiste davon ist nie passiert."
Rundum-Fürsorge-Verträge kündigen
Greta macht weiter, sie spricht fast den ganzen Abend frei und das macht ihren Vortrag überaus lebendig. "Der Mann hat rasende Kopfschmerzen. Ob er genug getrunken habe. Hat er nicht. Schnell laufe ich in die Küche, hole ein Glas Wasser und renne ihm, dem Armen, in den nächsten zwei Stunden mit einer Karaffe Wasser hinterher. Irgendwann zwischen Küche und Wohnzimmer fällt es mir wie Schuppen von den Augen: War ich eigentlich bescheuert? Lag es in meiner Verantwortung, ob mein Mann genug Wasser trank? Ich kenne Frauen, die würden das bejahen, weil ein schlecht gelaunter Mann ihnen den Tag verdirbt. Aber sprechen wir hier von Männern oder Kindern?" Greta erläutert, was sie genau damit meint. Es gebe, so Greta weiter, Geheimverträge, die es zu kündigen gelte. Den Rundum-Fürsorge-Vertrag zum Beispiel. Aber auch andere Geheimverträge, die uns das Leben schwer machen. "Du (der Partner, der Chef, das Kind, die Freundin) bist dafür verantwortlich, dass ich glücklich bin!" Das ist ein Irrglaube, meint Greta. Zuständig dafür, dass ich glücklich bin, kann nur ich selber sein. Und das schlechte Gewissen ist nur für eines gut: Für schlechte Gefühle. Auch hier gibt es wieder ein Beispiel: "Das Wetter ist herrlich. Ich habe große Lust auf eine Fahrradtour. Der Mann möchte lieber Formel-I kucken. Was hindert mich daran, einfach aufzustehen, ihm einen Kuss auf die Wange zu drücken und loszuradeln? Nein, ich bleibe sitzen. Wie viel schöner wäre der Fahrradausflug allein gewesen!"
Geschichten aus einem langen Leben
Greta ist gerade 70 geworden. Sie lebt das, was sie den Zuhörern empfiehlt, selber vor. Mit 66 Jahren startet sie ihren You-Tube-Kanal "Zu jung fürs Alter". Millionenfach wird sie inzwischen angeklickt, ihre kleinen Filmchen zu den verschiedensten Themen sind erfrischend und so voller Lebensfreude. Auch bei Facebook tummelt sie sich unter dem Namen Greta Silver. Sie schafft es in Illustrierte, Zeitungen, Talk-Shows. Ihre rasch angewachsene Fan-Gemeinde nimmt alle ihre Anregungen dankbar auf, denn jeder, der sie virtuell oder wie jetzt in Hamburg im richtigen Leben kennen gelernt hat, spürt, dass sie unglaublich authentisch ist. Inzwischen modelt sie auch und ist somit eine gefragte Influencerin für ihre ganze Generation. Grau und beige ist ihre farbenfrohe Mode jedenfalls nicht! Im Buch beschreibt sie es nochmal ganz genau: "Meine Klicks summierten sich zu schwindelerregenden Zahlen, und ich erhielt bezaubernde Resonanz auf meine Filme. Sie schienen wirklich etwas zu bewirken, manche Follower berichteten von ihren Erfolgen, ja, dass sie durch meine Filme wertvolle Impulse erhalten und tatsächlich etwas in ihrem Leben geändert hatten. Manchmal kamen mir die Tränen vor Glück. Der You-Tube-Kanal veränderte mein Weltbild, denn ich erfuhr, dass es Hunderttausende gibt, die so ticken wie ich und dem Pessimismus das Alter betreffend widersprechen. Die ihr Leben auch im Alter selbst in die Hand nehmen. Die nicht jammern, sondern anpacken. So ist meine Arbeit mit dem Kanal zu einer sinnvollen Tätigkeit geworden. Das macht glücklich. Mutig sein, sich etwas getrauen, passt so gut zu diesem Alter. ... Längst schalte ich die Kamera ein und rede einfach drauflos. Natürlich kann man sagen, dass dies an meiner zunehmenden Professionalität liegt. Doch insgeheim bin ich der Meinung, es liegt auch am Alter. Denn je älter, desto besser!"