Briefroman in E-Mail-Form

Natürlich erfindet der ehemalige Kolumnist Daniel Glattauer weder das Genre Briefroman an sich, noch "erfindet er es neu", um eine inzwischen abgelutschte Phrase, die ihre beste Zeit nie hatte, zu dreschen. Dafür muss man nicht mehr als zwei Jahrhunderte zu Goethes "Die Leiden des jungen Werther" oder zu Bram Stoker 1897 erschienenen Klassiker "Dracula" zurückblättern. Herbert Rosendorfers SF-Posse "Briefe in die chinesische Vergangenheit" oder Cecelia Ahern Romanze "Für immer vielleicht" zeugen vom gerne als Stilmittel verwendeten Briefroman. Erstaunlicher ist hingegen, wie selten sich ausgerechnet die dafür prädestiniert scheinenden Liebesromane dessen bedienen.

Um argwöhnische Gemüter zu beruhigen: "Gut gegen Nordwind" trieft weder vor Liebesgesülze, noch vor unfreiwillig komischer Melodramatik, auch wenn der Plot nach Groschenroman klingen mag. Denn eigentlich wollte die eloquente Emmi Rothner lediglich per E-Mail das Abo der (fiktiven) Zeitschrift "Like" kündigen. Dass durch einen Tippfehler ihre Mail nicht an die Abostelle, sondern an einen gewissen Leo Leike gelangt, erweist sich im Verlauf der Handlung als von jener Schicksalshaftigkeit, mit der normalerweise Fließbandautoren ihre formelhaft ablaufenden Schmonzetten in Schwung bringen. Von derlei belangloser Massenproduktion für einfältige Gemüter ist der um keinen Wortwitz verlegene ehemalige Journalist Daniel Glattauer Lichtjahre entfernt.

Ohne zu viel von der Handlung verraten zu wollen: Die zunächst ironische, allmähtlich immer intensiver und leidenschaftlicher geführte E-Mail-Beziehung birgt zahlreiche Fallstricke und Überraschungen in sich.

Tatsächlich dürfe das Szenario so manchem Leser nur allzu vertraut sein: Eine ausschließlich per E-Mail geführte Kommunikation wird immer intimer, bis das Gegenüber zum perfekten Partner verklärt wird. Gleichzeitig wächst die Angst vor einem Treffen, das schlichtweg nur ernüchternd sein kann, wenn das Traumbild der Realität weicht. Der Zugang, einen Menschen ausschließlich über seine geschriebenen Worte kennenzulernen, widerspricht natürlich zunächst unseren Gewohnheiten. Wir müssen einen Menschen "riechen können", uns " in seiner Nähe wohlfühlen", die "Schmetterlinge im Magen flattern" spüren, wenn wir ihn nur sehen. Wie kann eine solche emotionale Nähe rein kraft des Schreibens aufgebaut werden? Wer noch nie eine solche "Mail-Beziehung" geführt hat, wird darüber nur den Kopf schütteln, vielleicht aber nach der Lektüre von "Gut gegen Nordwind" ein klein wenig Verständnis aufbringen können.

"Gut gegen Nordwind": Schreiben in ...

"Gut gegen Nordwind": Schreiben in Zeiten der E-Mail (Bild: https://pixabay.com)

Wie Glattauer die bissige, stets ihre harmonische Ehe betonende Emmi und "Graupelbär" (O-Ton Emmi Rothner) Leo charakterisiert, besitzt große Klasse. Überhaupt wird Glattauers stilistische Finesse stark unterschätzt. Seine Romane mögen Unterhaltungsliteratur sein, verwöhnen aber selbst anspruchsvolle Leser mit ihrem trockenen, mitunter beißenden Humor. Gerade "Gut gegen Nordwind" bietet eine Fülle an humorvollen Passagen, die Schnulzenallergiker zum Lachen und Weiterlesen verleiten. Seite für Seite bietet der Mailverkehr Wort- und Sprachwitz, über den eine zarte Romanze auf ungemein lockere Weise transportiert wird.

"Gut gegen Nordwind" als Hörbuch mit Andrea Sawatzki

Nun stimmt es zwar, dass sich manche Themen wiederholen und insbesondere Emmi tendenziell mädchenhaft-zickige Attitüden zeigt. Dadurch wirkt dieser elektronische Briefroman nur noch authentischer. Ihre Spannung bezieht die Geschichte aus der alles entscheidenden Frage, ob sich die beiden treffen sollen oder nicht. Als Leser gerät man rasch ins Grübeln, wie man selber in einer solchen Situation entscheiden würde. Kann eine solche intime Freundschaft den ultimativen Stresstest "Treffen" überdauern oder ist der Abgleich zwischen Wunschvorstellung und Realität per se zum Scheitern verurteilt?

Nicht nur in gedruckter Form avancierte "Gut gegen Nordwind" zum Bestseller: Die Theateradaption wurde gleichfalls zu einem großen Erfolg im deutschsprachigen Raum. Der Rezipient möchte aber ausdrücklich die Hörbuchfassung empfehlen, in der Ex-"Tatort"-Kommissarin Andrea Sawatzki und ihr Lebensgefährte Christian Berkel den jeweiligen Figuren ihre Stimmen leihen und sie geradezu plastisch wirken lassen. Wiewohl Emmi und Leo deutlich jünger als Sawatzki und Berkel sind, passen die Stimmen perfekt zu ihnen und heben die Distanz zum Leser wenigstens akustisch ein Stückchen weit auf.

Darf's ein bisserl mehr Emmi und Leo sein? "Alle sieben Wellen"

Drei Jahre nach dem in mehrere Sprachen übersetzten Bestseller "Gut gegen Nordwind" folgte die Fortsetzung "Alle sieben Wellen", die gleichfalls als E-Mail-Roman konzipiert ist. Zum gänzlichen Verständnis der Fortsetzung sollte man unbedingt den Vorgängerroman gelesen haben, zumal sich viele Anspielungen und Witze erst durch den Kontext aus dem ersten Teil erklären. Auch "Alle sieben Wellen" wurde vertont, erfreulicherweise erneut mit Sawatzki und Berkel.

Fazit: Mit Daniel Glattauers stilistisch ansprechendem, humorvollem und gleichsam romantischem E-Mail-Roman "Gut gegen Nordwind" kann der Leser kaum etwas falsch machen. Ob als Gutenachtlektüre, im Urlaub am Strand oder für ein verregnetes Wochenende: Dieser Roman bietet kurzweilige und amüsante Lektüre – eben perfekte Unterhaltung für Hirn und Herz.

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