H. P. Lovecraft: Meister der Horrorliteratur
Erst postum wurde er zu einem der einflussreichsten Horrorautoren: H. P. Lovecraft, Schöpfer des Cthulhu-Mythos und der modernen Horrorliteratur.Der Schöpfer des "Cthulhu-Mythos"
Popkultur auf Cthulhus Spuren
Tappen Sie im sprichwörtlichen Nebel, wenn Stephen Kings berühmte Novelle "Der Nebel", kontroversiell von Frank Darabont verfilmt, als Verbeugung vor dem Cthulhu-Mythos bezeichnet wird? Oder im Horrorgenre Sätze fallen wie: "Könnte von Lovecraft stammen"? Vielleicht haben Sie Computerspiele wie " Prisoner of Ice" oder Shadow of the Comet" gezockt, die auf den Werken von Howard Phillips Lovecraft basieren, oder Sie sind "Metallica"-Fan und Ihnen gefällt der Titel "The Thing That Should Not Be" besonders gut, der von Ex-Bandmitglied Cliff Burton als Hommage an den Autoren geschrieben wurde. Und was hat es mit dem oftmals zitierten Buch "Necronomicon" auf sich?
Die Antwort auf diese Fragen ist simpel: Falls Sie auch nur peripheres Interesse am Horrorgenre in all seinen Ausprägungen der Popkultur besitzen, kommen Sie am Urvater der modernen Schauerliteratur nicht vorbei. Ich lade Sie deshalb ein, ein bisschen mehr über Howard Phillips Lovecraft zu erfahren, dessen Leben sich wie ein geradezu klischeehaftes Hollywood-Drama liest und viel zu früh endete.
Neurotische Mutter macht Lovecraft zum Außenseiter
Geboren wurde Lovecraft am 20. August 1890 in Providence, der Hauptstadt des US-Bundesstaates Rhode Island, als einziges Kind von Sarah Susan Phillips und Winfield Scott Lovecraft. Als der Junge drei Jahre alt war, wurde sein Vater in die Psychiatrie eingeliefert. Offiziell hatte er einen Nervenzusammenbruch erlitten - wahrscheinlich war er aber an Syphilis erkrankt, was aus naheliegenden Gründen verschwiegen worden war.
Zwei Jahre später starb sein Vater und der kleine Howard wurde nunmehr von seiner Mutter, zwei Tanten und dem Großvater aufgezogen. Eben jenem Großvater verdankte er sowohl seine Hingabe zu Büchern, als auch den Hang zur Phantastik, indem er ihn mit den Klassikern der Weltliteratur vertraut machte, darunter den Geschichten aus "Tausendundeine Nacht". Hierbei entwickelte Howard eine Leidenschaft für orientalische Mystik, die im fiktiven "Necronomicon", das vom verrückten Araber Abdul Alhazred geschrieben worden sein soll, ihre deutlichsten Spuren hinterlassen sollte.
Außenseiter Lovecraft
Der Grundstein für Lovecrafts bizarren Lebenswandel wurde hauptsächlich von seiner Mutter gelegt, die den Jungen wie ein Mädchen kleidete und ihm Locken wickelte. Gleichzeitig verbot sie ihm das Haus zu verlassen, da er angeblich ungewöhnlich hässlich und von abscheulicher Gestalt sei. In der 1921 verfassten Kurzgeschichte "Der Außenseiter" (The Outsider), unter anderem im Hörbuch "Necrophobia" enthalten, nahm Lovecraft direkten Bezug auf diese Kränkungen, die er sein Leben lang nicht verwinden konnte und in deren Schatten er zu eben jenem Außenseiter heranwuchs.
Trotzdem liebte ihn seine Mutter über alles und war wohl von der Furcht beseelt, ihr Sohn könnte sie verlassen. Mit ihrer Überfürsorglichkeit schirmte sie den Jungen von der Welt außerhalb der eigenen vier Wände weitgehend ab. Die Schule konnte Lovecraft auf Grund ständiger Krankheiten nur unregelmäßig besuchen, wobei sich auch hierbei die Frage stellt, inwiefern seine Mutter Einfluss auf seine Unpässlichkeiten hatte. Dank der riesigen Bibliothek seines Großvaters wuchs er dennoch als ungewöhnlich gebildetes Kind heran, vermochte bereits mit vier Jahren zu lesen und zu schreiben, und entwickelte insbesondere für die Astronomie größtes Interesse.
Freundschaft zu Robert E. Howard
Der Tod seines Großvaters 1904 stellte eine weitere Zäsur in Lovecrafts Leben dar. Sein Erbe war rasch aufgezehrt und erstmals stürzten die Lovecrafts, deren Stammbaum sich angeblich bis zu den ersten englischen Siedlern des Bundesstaats zurückverfolgen ließ, in Armut. Sie mussten ihr ehrwürdiges Anwesen verlassen und in eine ganz gewöhnliche Pension ziehen. Kurz vor dem Ende der High School erlitt Howard, wohl infolge der Veränderungen, einen Nervenzusammenbruch. Da er die High School nicht abschloss, blieb ihm auch das angestrebte Astronomie-Studium versagt, was er wiederum als Beweis seines beschämenden Versagens wertete.
Den wohl bedeutendsten Schritt auf dem Weg zum Schriftsteller setzte er 1914 mit dem Beitritt zur Hobbyautoren-Vereinigung "United Amateur Press Association". Durch die Korrespondenz mit Gleichgesinnten fasste er Mut, seine Geschichten diversen Magazinen anzubieten, was 1917 in der Veröffentlichung zweier Texte Früchte trug. Darüber hinaus kam Lovecraft mit anderen aufstrebenden Jungautoren wie Robert E. Howard (berühmteste Schöpfung: Der Barbar Conan) und Robert Bloch (unter anderem Autor des später von Alfred Hitchcock verfilmten Romans "Psycho") in Kontakt und führte mit ihnen rege Briefwechsel.
Frauenheld H. P. Lovecraft?
Diesen ersten kleineren Erfolgen zum Trotz meinte es das Schicksal nicht allzu gut mit dem jungen Lovecraft: Seine über alles geliebte Mutter wurde wegen psychischer Leiden 1919 ins Butler Hospital eingeliefert, wo bereits sein Vater verstorben war. Sie starb zwei Jahre später und hinterließ einen mit der Unbill des Lebens hadernden Sohn. Dennoch geschah in eben jener Trauerphase etwas, mit dem wohl niemand, am Allerwenigsten Lovecraft selbst, gerechnet hätte. Auf einer Tagung lernte er die weitaus ältere damalige Präsidentin der APA (Amateur press association) Sonja Greene kennen und lieben. 1924 heirateten die beiden und Lovecraft unternahm seinen ersten und einzigen Versuch, der Tristesse seines Lebens zu entkommen, indem er mit ihr nach New York zog.
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Eine verblüffende Wendung in seinem Leben, bedenkt man seine extrem konservative Einstellung, die unübersehbar in seinen Werken hervortritt. Ausgerechnet das von Einwanderern aus aller Welt besiedelte New York sollte die neue Heimat eines Mannes sein, der den "guten, alten Tagen" Neuenglands nachtrauerte. Zudem war Sonja Greene eine aus der Ukraine stammende Jüdin mit unorthodoxem Lebensstil. Sie war resolut und beim Verfolgen ihrer Ziele selbstbewusst. Wenig überraschend war die partnerschaftliche Initiative von ihr ausgegangen.
Heirat ohne Happyend
Ein Happyend war ihrer Beziehung aber nicht beschieden: Greene musste nicht zuletzt auf Grund der Wirtschaftskrise ihr Hutgeschäft schließen und Lovecraft war außerstande, sich in der multikulturellen Großstadt einzuleben. Die Aufnahme einer regulären Arbeit war dem sichtlich überforderten Jungautoren schier unmöglich. Fünf Jahre lang hielt die ungleiche Partnerschaft, ehe sich die beiden trennten und Lovecraft nach Providence zurückkehrte. Rechtskräftig geschieden wurde die Ehe allerdings nicht, da er die Scheidungspapiere nie unterzeichnet hatte. Davon erfuhr Sonja Greene, die später erneut heiratete, erst viele Jahre später.
Lovecrafts Tanten empfingen den verlorenen Sohn freudig und wohl auch mit einer Portion Schadenfreude, hatten sie doch seine Partnerschaft strikt abgelehnt. Bis zu seinem Lebensende führte er wieder das gewohnte einsiedlerische Leben, beschränkte zwischenmenschliche Kontakte auf seine unglaublich umfangreiche Korrespondenz, und verfasste seine berühmtesten Kurzgeschichten und Novellen.Obwohl viele davon in Horrormagazinen abgedruckt wurden, konnte er mit den Erlösen kaum seine bescheidenen Lebenskosten decken. Deshalb war er gezwungen, nebenher als Ghostwriter und Lektor zu fungieren. Einige dieser lektorierten Geschichten, die über weite Passagen hinweg von Lovecraft umgeschrieben wurden, bis sie wie seine eigenen wirken, sind in der Anthologie "Das Grauen im Museum" zu finden.
Der erhoffte schriftstellerische Durchbruch blieb ihm zu Lebzeiten versagt und 1937 starb er schließlich nach qualvoller Krankheit in Folge von Darmkrebs so, wie er gelebt hatte: Weitgehend unbeachtet.
Derleth erweckt Cthulhu zu neuem Leben
Möglicherweise wäre H. P. Lovecraft jene literarische Randfigur des Horrors geblieben, die er zu Lebzeiten darstellte, oder wäre gar völlig in Vergessenheit geraten, hätte nicht ein gewisser August Derleth zu seinen wenigen wahren Freunden gezählt. Der gleichfalls schriftstellerisch tätige Derleth gründete 1939 in Memoriam den Verlag "Arkham House", der größtenteils Lovecrafts Geschichten abdruckte. Benannt nach einer immer wieder in seinem Oeuvre erwähnten fiktiven Stadt, erschienen zahlreiche Kurzgeschichtensammlungen des bis dato nur in engsten Fankreisen bekannten Autors. Derleth fällt auch der Verdienst zu, den Begriff "Cthulhu-Mythos" begründet zu haben, wiewohl diese wohl berühmteste Schöpfung Lovecrafts in seinen eigenen Werken keine herausragende Rolle spielte. Vielleicht geht der Name Cthulhu trotz der wenigen Vokale leichter von der Zunge als der seiner Götterkollegen Nyarlathotep, Yog-Sothoth oder Shub-Niggurath.
Prä-Astronautik lange vor Däniken
Der Pantheon der Götter in Lovecrafts Universum ist mitunter verwirrend und durch die auf den ersten Blick ironisch scheinende Tatsache gekennzeichnet, dass der Autor überzeugter Atheist war. Allerdings bediente sich der Rationalist eines kleinen Tricks: Die von den primitiven Völkern der Erde als Götter verehrten, wie auch gefürchteten Wesenheiten à la Cthulhu stellen lediglich äußerst mächtige Außerirdische dar. Anders aber wie später bei Erich von Däniken und weiteren Vertretern der Prä-Astronautik-Theorie, liegt diesen Wesenheiten nichts am Wohl der Menschheit. Tatsächlich rückt Lovecraft seine Protagonisten - meist Ich-Erzähler, die dem Grauen mit knapper Not entronnen - vom Zentrum an den Rand des Geschehens. Angesichts der überwältigenden Macht der Außerirdischen können seine Figuren dem Treiben der vermeintlichen Götter lediglich mit ohnmächtiger Ehrfurcht beiwohnen.
Bedeutung kommt den Menschen einzig als niedere Helferwesen zu, wenngleich in der Geschichte "Das Grauen von Dunwich" Yog-Sothoth mit einer Frau zwei Söhne zeugt, von denen einer ganz nach seinem Vater gerät... als amorphe Masse, die jeden irdischen Betrachter alleine dank seiner Abscheulichkeit in den Wahnsinn treiben könnte. So es denn für menschliche Augen sichtbar wäre. Allerlei naive Zeitgenossen versuchen freilich, die "Götter" zu beschwören, indem sie die Rituale des gefürchteten Necronomicon ausführen.
Das Necronomicon: Gefürchtet und doch begehrt
Das meist als "Buch der Toten" übersetzte Necronomicon wurde erstmals in einer 1924 erschienenen Kurzgeschichte erwähnt. Geschrieben vom bereits erwähnten verrückten Araber Abdul Alhazred, enthält das in Menschenhaut gebundene Werk wertvolle Informationen über die Herkunft und Absichten der außerirdischen Wesenheiten sowie die für ihre Anrufung benötigten Rituale. Obwohl Lovecraft selbst auf die Fiktionalität dieses Buches hinwies, halten sich hartnäckig unbewiesene Behauptungen, wonach das Necronomicon tatsächlich existiere. Der Schweizer Künstler H. R. Giger - unter anderem Schöpfer der "Alien"-Kreatur aus den gleichnamigen Filmen - machte sich daraus einen Spaß und betitelte zwei seiner Bücher nach dem legendären Werk.
Bewiesen Forscher Cthulhus' Existenz?
Lovecrafts Einfluss auf die Popkultur, insbesondere natürlich Horror und Science Fiction, kann gar nicht hoch genug eingeschätzt werden. Dabei rümpfen Literaturkritiker heute genauso wie zu seinen Lebzeiten die Nase über seinen Stil und nicht zuletzt die manchmal sehr offen gehegten rassistischen Äußerungen. Ob seine Geschichten gehobene Prosa darstellen oder auf Augenhöhe mit Groschenromanen liegen, bleibt Ansichtssache. Der Artikelautor ist seit seiner ersten Begegnung mit dem Oeuvre des "Einsiedlers von Providence" deklarierter Anhänger des schwülstigen Stils, der ausufernden Beschreibungen unwesentlicher Kleinigkeiten und des alles umspannenden mystischen Rahmens.
Während Lovecrafts Vorbilder, denen er nacheiferte, mit Ausnahme von Edgar Allan Poe und Ambrose Bierce kaum noch gelesen werden, wächst die Popularität seiner eigenen Werke weiterhin stetig an. Der umstrittene französische Schriftsteller Michel Houellebecq verfasste mit "Gegen die Welt, gegen das Leben" eine bemerkenswerte und kenntnisreiche Biographie, Computerspiele wie der 3D-Shooter "Quake" wurden merkbar von Lovecraft inspiriert, kurzum: Viele Jahrzehnte nach seinem Tode faszinieren die Kurzgeschichten und Novellen aus der Feder des menschenscheuen Außenseiters mehr denn je.
Und wer weiß: Vielleicht existiert die versunkene Stadt R'yleh tatsächlich und das 1997 von US-Forschern aufgezeichnete mysteriöse "Bloop"-Geräusch im Pazifik war lediglich der Weckruf des Großen Cthulhu...
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Bildquelle:
Karin Scherbart
(Asterix bei den Pikten – Rezension)