Walt Disney erfindet in der Not Micky Maus

Walt Disneys Aufstieg zum Synonym für hochwertige Zeichentrickfilme ist der Stoff, aus dem die Träume sind. Ein Traum, der freilich bereits in jungen Jahren geplatzt schien. Nachdem er gemeinsam mit seinem Bruder Roy und dem Freund und Zeichner Ub Iwerks eine Reihe kurzer Zeichentrickfilme namens "Alice Comedies" produziert hatte, erfand er 1927 für Universal Studios die Zeichentrickfigur Oswald the Lucky Rabbit.

In den nächsten beiden Jahren produzierte Disney insgesamt 26 Kurzfilme mit Oswald in der Hauptrolle, der rasch zum Publikumsliebling wurde. Disney, schon damals von künstlerischem Ehrgeiz angespornt, verlangte 1929 bei einem Treffen mit Universal Pictures-Produzent Charles Mintz ein höheres Budget, um die schlichten Animationen verfeinern zu können. Durchaus berechtigt, machte Universal Studios doch satte Gewinne, nicht zuletzt dank einiger Merchandisingprodukte, was Oswald the Lucky Rabbit zur ersten Trickfigur der Filmgeschichte machte, mit der Merchandising betrieben wurde.

Disney, vielleicht noch zu sehr Grünschnabel in der harten Geschäftswelt, erlitt eine bittere Lehrstunde: Das Studio entzog ihm sowohl die Produktion der Filme, als auch mehrere wichtige Mitarbeiter. Selbst die Rechte an Oswald liegen bei Universal, sodass Disneys Karriere gelaufen schien. Viele hätten an der Stelle des schmächtigen jungen Mannes mit dem Schicksal gehadert und sich aus der Geschäftswelt zurückgezogen. Nicht so Walt Disney: Noch auf der Heimfahrt vom Treffen mit Charles Mintz dachte er über die Erschaffung einer neuen Zeichentrickfigur nach.

Der Legende nach sollte diese Mortimer Mouse heißen, was seine Frau Lillian jedoch kategorisch ablehnte, da sie den Namen Mortimer zu großspurig fand. Die Disneys einigten sich schließlich auf Mickey Mouse. Angeblich. Doch ob gut erfunden oder tatsächlich wahr: Mickey Mouse sollte ihren eigenen Erfinder bei weitem überleben und feiert am 18. November 2013 ihren 85. Geburtstag!

Mickys Geburtsstunde: Steamboat Willie

Obwohl Walt Disney zweifellos der Erfinder der Micky Maus war, verdanken wir das Aussehen der Maus seinem kongenialen Freund und Zeichner Ub Iwerks. Unverkennbar ist freilich, dass Micky dem Hasen Oswald verblüffend ähnlich sieht. Nach dem Motto "Punkti, punkti, strichi, strichi, fertig ist das Mausgesichti" konzipierte Iwerks den anfangs noch recht frechen Nager für seine ersten Leinwandabenteuer.

Die Uraufführung des Kurzfilms "Steamboat Willie" am 18. November 1928 wird seither als Mickys Geburtsstunde betrachtet, da die Maus ihren ersten Auftritt darin hatte. Genauer betrachtet ist dies freilich nicht richtig, genauso wenig wie der Mythos, "Steamboat Willie" sei der erste vertonte Zeichentrickfilm der Geschichte.

Plane Crazy: Mickys erster Leinwandauftritt

Bereits ein halbes Jahr vorher, am 15. Mai 1928, war der allererste Micky-Maus-Cartoon "Plane Crazy" vor einem Testpublikum aufgeführt wurden. Zunächst allerdings noch ohne Ton. Die Hoffnungen, einen Verleih für den Film zu finden, erfüllten sich nicht. Erst im Zuge des Erfolgs von "Steamboat Willie" wurde der Kurzfilm nachvertont und lief als vierter Micky-Cartoon in den Kinos an, obwohl er dessen Debütfilm darstellte. Gerüchten nach soll Disney mit "Plane Crazy" noch während der Produktion an den Oswald-Zeichentrickfilmen begonnen und Zeichner Ub Iwerks täglich 700 (!) Zeichnungen für den Film abgeliefert haben.

Obwohl mit Minnie Maus und Kater Karlo zwei Figuren eingeführt wurden, die Micky bis heute begleiten sollten, erscheint sein Charakter ungewohnt infantil und sogar latent aggressiv. In "Plane Crazy" drängt er Minnie auf einen Kuss, in "Steamboat Willie" missbraucht er Tiere als Musikinstrumente, wirbelt eine Katze am Schwanz herum und beschießt einen Papagei mit einer Kartoffel, sodass dieser im Wasser landet. Übrigens stammten die Stimmen von Minnie und Micky in den ersten Cartoons von Walt Disney persönlich.

Donald überflügelt Micky

"Steamboat Willie" war nur der erste einer Reihe grandioser Erfolge für die Zeichentrickmaus. Micky wurde zu Disneys Cash Cow, da er, wie einst bei Oswald the Lucky Rabbit, die Figur zur Marke aufbaute und mittels Merchandising Millionen verdiente. Kurzfilm auf Kurzfilm folgte und eröffnete Walt Disney die Möglichkeit, den abendfüllenden Zeichentrickklassiker "Schneewittchen" zu produzieren. Kein Wunder, dass er später über seine berühmte Figur sagen sollte: "Ich hoffe nur, dass wir eines nie vergessen: Dass dies alles mit einer Maus begann."

Die Kurzfilme mit der frechen Maus mochten keine große Filmkunst sein, aber sie brachten jenes Geld herein, das für die Produktion sündteurer Zeichentrickfilme nötig war. Mickys mitunter rüdes Verhalten in seinen Jugendjahren ist heute kaum noch vorstellbar. Neben der Anwendung von Gewalt waren es der Tabak- und Alkoholkonsum, der schon damals Viele dazu veranlasste, über schlechte Vorbilder auf der Leinwand zu zetern. Insbesondere dem Alkohol schien Micky zugetan, wie eine 1931 in Deutschland publizierte Postkarte belegte, auf der zu lesen stand: "Klein Micky Maus ist sehr vergnügt und trinkt, bis sie am Boden liegt."

Selbst in den Comics sprach Micky noch viele Jahre später dem Alkohol zu, was unter anderem in den "Lustigen Taschenbüchern" zu verschämten redaktionellen Eingriffen führte.

Offenbar fruchtete der Protest gegen die hemmungslose Maus, denn im Laufe der Jahre wurde Micky reifer, ernsthafter und geradezu bieder. Als Gegenpol zur "braven" Maus schuf Disney den cholerischen Tunichtgut Donald Duck, der anfangs noch eine Nebenfigur war und zum Freundeskreis von Micky gehörte. Das Publikum fand Gefallen an der gleichermaßen aufbrausenden, wie hartnäckig sein Ziel verfolgenden Ente, und binnen weniger Jahre überflügelte Donald den einstigen Star Micky in der Publikumsgunst. Obwohl auch weiterhin Cartoons mit Micky produziert wurden, erwies sich Donald als Zuschauermagnet, der auch von den Zeichnern favorisiert wurde, denen es leichter fiel, verrückte, lustige Storys mit Donald zu zeichnen, als der mehr und mehr angepassten Maus die geeignete Plattform zu verschaffen.

Micky erobert Europa

Seinen kreativen Vater verlor Micky schon bald. Ub Iwerks sprang 1930 völlig überraschend ab und eröffnete mit dem Geld, das ihm einer der Vertriebspartner Disneys bot, sein eigenes Trickfilmstudio. Obwohl Iwerks unter anderem den ersten farbigen Trickfilm mit Ton erschuf, war ihm kein Erfolg mit seinem Studio vergönnt. 1940 kehrte er zu Disney zurück, seinen "Verrat" sollte ihm Walt jedoch nie verzeihen.

Der Krieg in Europa hinterließ auch bei Disney seine Spuren. Zusehends brach ihm Europa als wichtiger Markt weg und 1935 stellte Disney den Vertrieb seiner Filme nach Europa völlig ein. Sehr zum Leidwesen Adolf Hitlers: Der Reichführer war glühender Bewunderer der Filme aus Disneys Studios. Ob er sogar eigenhändig Aquarelle zu Schneewittchen und Pinocchio anfertigte, wie dies ein norwegischer Museumsdirektor behauptet, ist umstritten und wird sich wohl nie beweisen lassen. Belegt ist hingegen ein ganz besonderes Weihnachtsgeschenk des Reichspropagandaminsters Joseph Goebbels, der in seinem Tagebuch vermerkte: "Ich schenke dem Führer zwölf Micky-Maus-Filme zu Weihnachten! Er freut sich sehr darüber. Ist ganz glücklich über diesen Schatz."

Wiewohl das Nazi-Regime Disneys Filme offiziell verteufelte, war es Hitlers Herzenswunsch, eine Disney ebenbürtige deutsche Zeichentrickproduktion aufzubauen. Derweil überbrückt Disney die finanziell schwierigen Kriegsjahre mit der Produktion von Propagandafilmen gegen das Dritte Reich und seine Verbündeten. Obwohl Micky beispielsweise für Kriegsanleihen warb, hielt ihn Disney aus den Propagandafilmen heraus. Eher unfreiwillig steuerte die Maus ihren Teil zum Sieg über die Achsenmächte bei: Eines der Codewörter der Alliierten für die Landung in der Normandie lautete "Mickey Mouse".

"Fantasia" floppt

Auf gewohntem Leinwandterrain verbucht Micky Maus hingegen einen kapitalen Misserfolg: Disneys dritter abendfüllender Zeichentrickfilm, der aufwändig produzierte " Fantasia", floppte gnadenlos. Was als Mickys Comeback-Film geplant war, erwies sich als finanzielles Desaster, wiewohl der Streifen im Laufe der Jahre Kultcharakter erwarb und viele Millionen Dollar einspielte. Immer seltener wurden die Kinoauftritte der Maus und 1953 folgte sein vorläufig letzter mit dem lieblos produzierten Kurzfilm "The Simple Things".

Micky bleibt zwar die Ikone des Disney-Konzerns, in den Kinos sollte er aber erst 1983 wieder in "Mickey Christmas Carol" zu sehen sein. Populär blieb die Maus insbesondere in Deutschland – und dies nicht auf Grund der Filme, sondern wegen der Comics. Bereits zwischen 1936 und 1937 hatte sich ein Schweizer Verlag an der Herausgabe eines Micky-Maus-Comics versucht. Doch erst 1951 sollte im Zuge der Amerikanisierung Deutschlands Micky endgültig Fuß fassen. Das nach ihm benannte Micky Maus Magazin erzielte in Spitzenzeiten eine Auflage von einer Million Stück und etablierte sich als fester Teil der Populärkultur.

Oswald als Mickys Widersacher

Zwar erreichte Micky auch in den Comics nie Donalds Beliebtheit, doch Disney ohne Micky Maus blieb und bleibt unvorstellbar. Gewiss: Weg ist der schnoddrige Charme, die freche Unbekümmertheit und der Griff zur Flasche. Trotzdem hat Micky etwas ungemein Liebenswertes an sich, das ihn zwar nicht zur beliebtesten Figur im Disney-Universum macht, aber zur wertbeständigsten. Jemanden wie ihn möchte man zum Freund oder Nachbarn haben, ganz im Gegensatz zum Wüterich Donald Duck oder dem arroganten Schnösel Gustav Gans.

Wobei einige der besten Micky-Maus-Comics, oft aus der Feder des 2005 verstorbenen Zeichners Romano Scarpa stammend, vor Originalität und Witz nur sprühen. Hierzu sei etwa auf die makabren Geschichten im Lustigen Taschenbuch "Micky auf Gespensterjagd" verwiesen. Weniger erfolgreich war seine Kandidatur für das US-Präsidentenamt 2008 (Hinweis: Die Website "mickeyforpresident.com", auf der seine Kandidatur bekanntgegeben wurde, existiert leider nicht mehr)

Ironischerweise erhielt der Medienkonzern Disney rund 40 Jahre nach dem Tod von Gründer Walt Disney die Rechte an Oswald the Lucky Rabbit zurück. Und fast scheint es, als würde Oswald, der einst Pate für Micky gestanden hatte und fast völlig in Vergessenheit geraten war, nicht mehr von seiner Seite weichen. Nach einem Kurzauftritt im Kinohit "Falsches Spiel mit Roger Rabbit", feierte Oswald sein Computerspieldebüt im Spiel "Disney Micky Epic" – ausgerechnet als Mickys Widersacher …

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