Politik muss nicht langweilig sein! Gewiss: Die meiste Zeit über dreschen unsere ebenso weisen, wie gütigen Overlords Allgemeinplätze und reihen hohle Phrasen aneinander, bis selbst an Schlaflosigkeit Leidende in seligen Schlummer verfallen. Mitunter jedoch tragen mutige PolitikerInnen und Politiker das Herz auf der Zunge, oder wie der Volksmund zu sagen pflegt: "Kinder und Narren sagen die Wahrheit". Wobei ich der nachfolgend erwähnten PolitikerIn selbstverständlich herzige Kindlichkeit, und nicht das andere attestieren möchte...

Österreichs Problem: Zu wenige und niedrige Steuern!Was ist geschehen, das kurzfristig sogar die Mainstream-Journaille aus dem gerechten Schlaf der subventionierten Vasallen erweckte? Nun, die österreichische InnenministerIn Johanna Mikl-Leitner hielt auf dem Bundestag des ÖAAB (der "Österreichische Arbeitnehmerinnen- und Arbeitnehmerbund" - ein wichtiger Stützpfeiler der an politischen Bünden nicht gerade armen Republik) eine bemerkenswerte Rede. Danach wurde sie, wie demokratisch zuvor vereinbart, mit 94% der Stimmen zur Obfrau des ÖAAB gewählt. Doch lauschen wir nun gemeinsam den bewegenden Worten einer der mächtigsten FrauInnen Österreichs.

Gestatten Sie mir, das wahrlich ergreifende Zitat in seiner ganzen Unsterblichkeit zu erfassen, auf dass künftige Generationen sich daran ergötzen und emotional laben mögen:

O-Ton: "Und wenn die Abzocker oder die Börsenspekulanten unter den Spitzenverdienern zur Kasse gebeten werden und sie das Gefühl haben, wir zocken sie ab, dann sag' i(ch) euch nur: Die haben sowieso keinen Sinn für das Gemeinsame, für unsere Gemeinschaft. Dann sag' i(ch) bei denen einfach nur: Her mit den Millionen, her mit dem Zaster, her mit der Marie!"

Werte Leser: Lassen Sie mich ohne jeglichen Sarkasmus der Frau InnenministerIn meinen Dank für diese klaren Worte aussprechen. Es geschieht höchst selten, dass VertreterInnen dieses Systems dermaßen transparent das wahre Gesicht des Staates zeigen. Keinesfalls möchte ich mich an Diskussionen darüber beteiligen, ob "Her mit dem Zaster, her mit der Marie!" tatsächlich auf seine semantischen Herkünfte aus dem Rotwelschen hindeuten soll oder es sich um eine etwas gar zu salopp verwendete Umgangssprache handelt (wobei die Begriffe "Zaster" und "Marie" als Synonyme für Geld in Österreich ohnedies eher unüblich sind).

Wohlgemerkt: Die neue ÖAAB-Vorsitzende Miki-Leitner - zu deren Wahl ich ihr natürlich ganz herzlich gratuliere! - gehört keiner österreichischen Version der "Linken"-Partei an, sondern der als konservativ geltenden ÖVP. Freilich erläge der unbedarfte Beobachter einem kapitalen Irrtum, die Parteienlandschaft noch in klassische Muster einordnen zu wollen. Spätestens seit den 1970er-Jahren hat sich sozialistisches Gedankengut in "konservativen", "bürgerlichen", mithin sogar "rechten" Parteien festzementiert. Die Zeiten, als Ludwig Erhard das deutsche "Wirtschaftswunder" mit einer relativ liberalen WIrtschaftspolitik, die heute als menschenverachtender Raubtierkapitalismus für Empörung sorgen würde, ermöglichte und mit eben jener Politik Wohlstand, Arbeitsplätze und Frieden sicherte, sind längst vorbei.

Man verfolge beliebige Fernsehdiskussionen oder lese - so man hierzu nervlich in der Lage ist - Interviews mit PolitikerInnen jeglicher Coleur. Was noch vor wenigen Jahrzehnten als linke oder gar kommunistische Position gegolten hätte, wird nicht einmal mehr in Frage gestellt. Neue Steuern? Aber sicher doch! Der Gerechtigkeit halber benötigen wir mehr Umverteilung durch Übervater Staat! Selbstbestimmung der Bürger? Machen Sie sich nicht lächerlich! Was sind Sie? Ein Rechtskonservativer? Die Ausgaben des Staates zurückfahren? Klar: Damit Kinder auf offener Straße verhungern! Unmensch!

Der von Dutschke propagierte "Marsch durch die Institutionen" wackerer 68er-Kämpfer hat Westeuropa binnen weniger Jahre völlig umgekrempelt. Wer auch nur die leistesten Zweifel an der Sinnhaftigkeit dieser oder jener Staatsinterventionen äußert, sich für ein Recht unbescholtener Bürger auf freien Waffenbesitz ausspricht, die Ursache der "Wirtschaftskrise" nicht im Treiben amerikanischer Heuschreckenspekulantenschwärme sieht und das offenbar unsäglich dumme Gefühl verspürt, der Staat und seine Vasallen mischten sich mittlerweile sogar ins private Leben der Bürger zu viel ein, steht rasch im Verdacht ein "Rechter" zu sein. Und mit "rechts" ist mittlerweile keine konservative Position mehr gemeint, sondern des Deutschen liebstes Schimpfwort: Nazi!

So verwundert es denn auch nicht, wenn die österreichischen Regierungsparteien nicht im Entferntesten an Kürzungen der Staatsausgaben interessiert sind - niemand, der über eine entsprechende Lobby verfügt, lässt sich ohne empörte Aufschreie "wohlerworbene Anrechte" am Vermögen anderer Leute wegnehmen. Stattdessen werden vage "Einsparungen" in den Raum gestellt, während fleißig an neuen Einnahmequellen gebastelt wird. Denn die sozial gerechte Umverteilung muss forciert werden! Offenbar wurde immer noch nicht genug eingenommen, um die Armut auszurotten wie dereinst die Pocken. Optimistisch äußert sich hierzu die ArbeitnehmerInnenvertretung "Arbeiterkammer", laut der eine Million Österreicher armutsgefährdet sei. Neben originellen Ratschlägen wie "Erwerbsarbeit bietet Schutz vor Einkommensarmut", hält der Artikel zur Armutsgefährdung fest, weshalb der "Sozialstaat wirkt":

In Österreich wären ohne den Einsatz von Sozialleistungen (inkl. Pensionen) 43 Prozent der Bevölkerung armutsgefährdet. Durch staatliche Transfers verringert sich die Zahl der armutsgefährdeten Menschen von rd. 3,5 Millionen auf eine Million.

Natürlich könnte ein Zyniker einwenden, dass die Armutsgefährdung möglicherweise abnehmen würde, wenn der Staat weniger Steuern einheben und somit das Einkommen entlasten würde. Aber auf dieses rechtspopulistische, neo-liberale Gesabbere wollen wir uns gar nicht erst einlassen! Es erscheint glasklar, dass die "Reichen" in der Pflicht stehen, ihren Zaster und ihre Marie (damit ist hoffentlich nicht FinanzministerIn Maria Fekter gemeint!) abzuliefern. Ehrlich, lieber Leser: Wir stehen so kurz davor, die Armut zu besiegen! Nur ein bisschen höhere Steuern, und schon fließen Milch und Honig die Donau entlang! Da müssen wir alle wie eine Mannfrau zusammenstehen und dürfen uns nicht beklagen, wenn vom Brutto weniger Netto übrigbleibt, die gefühlte Inflation die amtliche merkwürdigerweise bei Weitem übertrifft und Arbeitsplätze munter weiter Richtung Osten verlagert werden, weil die Lohnkosten und die Bürokratie - absurd! - angeblich überbordend seien! Wer da nicht mitmacht, ist sowieso ein herzloser Raubtierkapitalist...

Autor seit 13 Jahren
815 Seiten
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