Hiroshima: Der Tag der Atombombe
Am Morgen des 6. August 1945 äscherte eine Atombombe 100.000 Menschen binnen Sekunden ein. War der Atombombenabwurf auf Hiroshima ein Kriegsverbrechen oder notwendiges Übel?Gerüchte über eine neue US-Waffe
Dabei hatte nichts in den Morgenstunden jenes verhängnisvollen Tages auf das Unvorstellbare hingedeutet. Schließlich war die Großstadt Hiroshima bislang nicht zum Ziel der verheerenden Bombenangriffe durch die US Air Force geworden, die mit fortwährender Kriegsdauer immer ungestörter agieren konnte. Eine effektive japanische Luftverteidigung existierte 1945 längst nicht mehr. Gerüchte über eine völlig neuartige Waffe der Amerikaner machten die Runde.
Doch selbst innerhalb der höchsten US-Regierungskreise wusste kaum jemand, über welche alle Vorstellungskraft übersteigende Waffen das Militär verfügte. Auf Flugblättern forderte das US-Militär Zivilisten auf, die Städte zu verlassen, was allerdings zur psychologischen Kriegsführung dazugehörte und deshalb keine besondere Beachtung fand. Zwar hatten zehntausende Einwohner Hiroshima verlassen, doch rund eine Viertelmillion Menschen sollte völlig unvorbereitet getroffen werden.
Gegen 8 Uhr Ortszeit meldete das japanische Radar den Anflug dreier feindlicher Flugzeuge. Routinemäßig wurde Alarm gegeben, der kurz darauf wieder aufgehoben wurde, da dermaßen kleinen Formationen kaum noch Beachtung geschenkt wurde und die Radarmannschaft von Aufklärungsflugzeugen ausging, wie sie unablässig über dem vom Feind beherrschten Luftraum kreisten. Ein fataler Irrtum, wie sich um 8:15 Uhr herausstellte, als Paul Tibbets, Pilot des Langstreckenbombers B-29, den er auf den Namen seiner Mutter Enola Gay getauft hatte, die einzige Bombe an Bord ausklinkte. "Little Boy", so der Spitzname der vier Tonnen schweren Bombe, stürzte durch die Luke. Anstatt aber wie eine konventionelle Bombe am Boden zu explodieren, zündete sie 600 Meter über der Stadt.
Die Folgen der Atombombe
Was dann geschah, schilderte Tibbets später folgendermaßen: "Wäre Dante mit an Bord gewesen, er wäre entsetzt gewesen. Die Stadt, die wir noch wenige Minuten zuvor so klar im Sonnenlicht gesehen hatten, war nun ein hässlicher Schmutzfleck. Sie war gänzlich unter einer schrecklichen Decke aus Rauch und Feuer verschwunden." ("If Dante had been with us on the plane, he would have been terrified. The city we had seen so clearly in the sunlight a few minutes before was now an ugly smudge. It had completely disappeared under this awful blanket of smoke and fire.").
Sinnbild der Zerstörung: Der Atompilz (Bild: https://pixabay.com/)
Der Verweis auf Dante Alighieri hätte kaum treffender sein können: Das höllische Inferno in der ersten von einer Atombombe vernichteten Stadt überstieg die alptraumhaftesten Schreckensvisionen. Eine Hitzwelle von über 6.000 Grad Celsius, heißer als auf der Sonnenoberfläche, äscherte augenblicklich zehntausende Menschen ein. Wer sich im innersten Kern der Druckwelle befand, verdampfte. An den wenigen von der Druckwelle verschont gebliebenen Häuserwänden brannten sich durch die unvorstellbare Hitze die Schattenrisse umstehender Menschen ein.
Die genaue Zahl der Opfer lässt sich nur abschätzen, da sich tausende Zwangsarbeiter in der Stadt befanden. Schätzungen reichen von 70.000 bis hin zu 100.000 Toten. Wer nicht sofort eingeäschert oder von der mit Überschallgeschwindigkeit durchs Explosionszentrum peitschenden Druckwelle buchstäblich zerrissen wurde, zählte nicht unbedingt zu den glücklichen Überlebenden. Zehntausende Einwohner starben an den Folgen der nuklearen Strahlung – ein langsamer, qualvoller Tod. Hibakusha – Explosionsopfer – wurden diese Opfer des Fallouts genannt.
Die "Alligatoren-Menschen" von Hiroshima
Vielleicht noch grausamer hatte es jene erwischt, die später bisweilen als die "Alligatoren-Menschen" bezeichnet wurden – dermaßen grauenhaft entstellte Überlebende, dass sie kaum noch an Menschen, sondern vielmehr an Reptilien erinnerten. In seinem auf Grund einiger Ungenauigkeiten in Bezug auf das US-Militär umstrittenen Buch "The Last Train From Hiroshima”, schreibt Autor Charles R. Pellegrino: "Die Alligator-Menschen schrieen nicht. Ihre Münder konnten keine Schreie mehr formen. Die Geräusche, die sie machten, waren schlimmer als Schreie. Sie gaben ein fortwährendes Geräusch von sich, wie Heuschrecken in einer Mittsommernacht." ("The alligator people did not scream. Their mouths could not form the sounds. The noise they made was worse than screaming. They uttered a continuous murmur — like locusts on a midsummer night.")
Und weiters: "Ein auf verkohlten Fußstummeln taumelnder Mann trug ein totes Baby verkehrt herum." ("One man, staggering on charred stumps of legs, was carrying a dead baby upside down.”)
Zu den unheimlichsten Augenzeugenberichten zählt der Anblick entstellter Blinder, die ziellos anderen folgend durch die zerstörte Stadt zogen. Ein Pferd, dessen Haut völlig von der Hitze verbrannt war, trabte noch eine Zeitlang umher, bis es endlich tot umfiel. Eine Überlebende glaubte, sie könnte noch sehen, obwohl sie ihre Augäpfel in Händen hielt.
Nach Hiroshima: Nagasaki
Ähnliche Horrorszenarien ereigneten sich am 9. August 1945 mit dem Abwurf der zweiten Atombombe – "Fat Boy" genannt – auf Nagasaki. Am nächsten Tag akzeptierte Kaiser Hirohito die bedingungslose Kapitulation Japans, wie sie die Alliierten gefordert hatten. In einer national ausgestrahlten Radioansprache am 15. August teilte Hirohito diese Entscheidung seinem Volk mit. Für die meisten Japaner war es das erste Mal, dass sie die Stimme ihres Herrschers vernahmen. Obwohl der Zweite Weltkrieg offiziell erst mit der Kapitulation der japanischen Streitkräfte in Singapur am 12. September 1945 endete, waren die Kampfhandlungen auf den japanischen Inseln bereits Ende August eingestellt worden. Dennoch begingen viele Japaner aus Furcht vor den amerikanischen Invasoren Suizid. Ihnen wurde erzählt, sie würden in Gefangenschaft grausam gefoltert werden. Heute erinnert nur noch die Atombombenkuppel an den Atombombenabwurf am 6. August 1945.
Die Atombombenkuppel in Hiroshima (Bild: https://pixabay.com/)
Hätte sich Kaiser Hirohito nicht gegen den Willen seines eigenen Militärs gestellt und die japanische Kapitulation erklärt, wäre womöglich nach Hiroshima und Nagasaki die Stadt Sapporo ausgelöscht worden.
Obwohl offiziell nie bestätigt, war angeblich für den 21. August die Vernichtung Sapporos durch eine weitere Atombombe vorgesehen, falls Japan nicht endlich kapitulierte. Tatsächlich scheint das atomare Arsenal der USA zum damaligen Zeitpunkt mit drei Atombomben erschöpft gewesen zu sein. Eine war zu Testzwecken über Los Alamos (New Mexico), zwei über Hiroshima und Nagasaki abgeworfen worden. Allerdings setzte das Militär alles daran, seine "Wunderwaffe" in möglichst hoher Zahl zu entwickeln, um den sich abzeichnenden Kalten Krieg mit der neuen Supermacht UDSSR für sich zu entscheiden.
Atombombenpilot empfand keine Reue
Während ein nuklear vernichtetes Sapporo oder gar Berlin, das eigentliche Ziel der ersten Atombombe, wäre diese früher einsatzbereit gewesen und hätte das Deutsche Reich nicht bereits kapituliert, Spekulation bleiben, mehren sich mit den Jahren die Stimmen, wonach die Atombombenabwürfe auf Hiroshima und Nagasaki Kriegsverbrechen, da völlig unnötig gewesen seien. Um sich dieser Frage auf einer sachlicheren Ebene zu nähern, könnten Bomberpilot Paul Tibbets Ansichten zu der Thematik helfen. Während man ihm Zynismus vorwerfen könnte, wenn er die Meinung vertrat, er würde keine Reue über seine Rolle im Krieg empfinden und er würde unter denselben Umständen wieder genauso handeln wie damals, vermerkte er auch: "Ich habe Pearl Harbor nicht bombardiert. Ich habe den Krieg nicht begonnen, aber ich würde ihn beenden." ("I didn't bomb Pearl Harbor. I didn't start the war, but I was going to finish it.”). Dass er seine Mission als eine betrachtete, die Leben retten sollte ("I viewed my mission as one to save lives"), mag als Gipfel des Zynismus erscheinen. Hierzu muss man jedoch den historischen Kontext sehen.
Parallel zur Situation des Deutschen Reiches, stand das japanische nach militärischen Anfangserfolgen, die sogar die eigenen Erwartungen übertrafen, nach einer Reihe von Niederlagen mit dem Rücken zur Wand. Dennoch kam eine Kapitulation, schon gar nicht eine bedingungslose, aus verschiedenen Gründen nicht in Frage. Obwohl der Pazifikkrieg 1945 längst verloren war, beschwor Japan den Kampf bis zum letzten Mann, ohne wie von den Alliierten erhofft angesichts der völlig aussichtslosen Lage die Waffen zu strecken. Trotz praktisch uneingeschränkter Hoheit zu See und zu Luft, vermochten insbesondere die USA die Kampfmoral des Feindes nicht zu brechen. Im Gegenteil befürchteten führende Militärs die Kriegsmüdigkeit des eigenen Volkes, falls sich der Krieg noch jahrelang hinauszöge.
Operation Downfall
Deshalb erschien die Invasion Japans als einzige Möglichkeit, den Krieg endgültig zu beenden. Der kühne Plan hierfür hieß "Operation Downfall". Unter Berücksichtigung der Kamikaze-Angriffe, die zwar nicht mehr kriegsentscheidend waren, jedoch die Moral vieler US-Soldaten untergruben, und des vermuteten Widerstandes der japanischen Zivilbevölkerung, wurden Studien zur Abschätzung der Opferzahlen auf amerikanischer Seite erstellt. Selbst die "optimistischsten" Schätzungen gingen von zehntausenden Toten innerhalb der ersten Wochen aus. Das Militär rechnete mit einem dermaßen hohen Blutzoll, dass die Herstellung einer halben Million (!) "Purple Hearts", dem in den USA gebräuchlichen Orden für verwundete bzw. gefallene Soldaten, in Auftrag gegeben wurde. Diese "Purple Hearts" werden seither für sämtliche US-Opfer in Kriegen aufgebraucht. Selbst nach den Kriegen in Korea, Vietnam, dem Irak und Afghanistan liegen immer noch weit über 100.000 Orden auf Lager.
Dabei sollte die halbe Million Orden lediglich für die erste Phase der "Operation Downfall" reichen und es war vorgesehen, eine weitere halbe Million Orden prägen zu lassen. Der Verlust von hunderttausenden Soldaten wäre der heimischen Bevölkerung nur schwer als notwendig zu verkaufen gewesen, zumal in Europa bzw. im Pazifik bereits eine Viertelmillion Tote beklagt werden mussten. Erneut wenigstens eine halbe Million amerikanische Soldaten zu opfern, wie es eine weniger "optimistische" Studie prognostizierte, schien unvorstellbar.
So grausam es klingen mag: So gesehen ergeben Tibbets Worte Sinn. Um viele Leben seiner Landsleute zu retten, opferte er jene feindlicher Zivilisten. Es herrschte Krieg, und jener Pazifikkrieg war durch den Angriff Japans auf Pearl Harbor und die Invasion Südostasiens vom Zaun gebrochen worden. Dies rechtfertigt zwar nicht die zahlreichen unschuldigen Opfer, doch wie ebenfalls Tibbet sagte: Im Krieg gibt es keine Moral.
Verriet ein Cartoon das Geheimnis um die Atombombe?
Die Entwicklung der Atombombe unter dem Tarnnamen "Manhattan-Projekt" verlief streng geheim. Dennoch war Stalin dank Spionage vermutlich lange vor dem erfolgreichen Test der ersten Atombombe im Bilde. Kurioserweise zeigte sich das US-Miltär besorgt, unabsichtlich sein eigenes, größtes Geheimnis verraten zu haben. Auslöser war der Cartoon "Private Snafu", eine speziell für US-Soldaten entworfene Zeichentrickserie rund um den tollpatschigen Soldaten Snafu, der auf unterhaltsame Weise Soldaten auf allerlei Gefahren hinweisen sollte.
Der Cartoon "Private Snafu Going Home" warnte davor, kriegswichtige Geheimnisse dem Feind zu verraten. In einer Szene wird eine angebliche Geheimwaffe demonstriert, die die Japaner buchstäblich in die Luft sprengen könne. Einer der "Private Snafu"-Produzenten, der für seine Bugs-Bunny-Cartoons bekannte Animator und Zeichentrickfilm-Regisseur Chuck Jones, erinnerte sich später an ein bizarres "Verhör" durch Militärbeamte: Diese suchten ihn auf und stellten ihm allerlei Fragen in Zusammenhang mit dem Cartoon, wobei sie in Unkenntnis des Manhattan-Projekts selbst nicht so recht wussten, was an dem Zeichentrickfilmchen zu beanstanden wäre. Auch wenn keiner der am Cartoon Beteiligten Kenntnis von den Atombomben besaß, mutet die Szene rückblickend betrachtet fast schon prophetisch an.
Bildquelle:
kendoman26 / Flickr
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