Iain Banks "Die Wespenfabrik"
Vom Wahnsinn des medizinisch Machbaren - Eine RezensionDer 1984 erstmals veröffentlichte Roman "Die Wespenfabrik" (The Wasp Factory), welcher 1991 in der Reihe "Science Fiction & Fantasy" im Wilhelm-Heyne-Verlag München erschien, ist das Erstlingswerk des schottischen Bestsellerautors Iain Banks. Obgleich das in mehr als 20 Sprachen übersetzte Buch 1992 als bester Science-Fiction-Roman des Vorjahres mit dem Kurd-Laßwitz-Preis ausgezeichnet wurde, handelt es sich dabei gerade NICHT um ein utopisches Werk. Vielmehr zeigt die an einen Psychothriller erinnernde Erzählung auf schockierende Weise die unabsehbaren Auswirkungen des medizinisch Machbaren auf Leben und Psyche eines Heranwachsenden, der zu spät begreift, was ihm als Kind angetan wurde – und auf seiner Suche nach den Schuldigen selbst zum Monster mutiert.
Frank lebt gemeinsam mit seinem Vater auf einer kleinen Insel vor der schottischen Küste. Der 16jährige ist ein seltsamer Junge: fantasievoll, klug, verschlossen, grausam und aggressiv. Frank ist behindert, verstümmelt durch einen tragischen Unfall in frühester Kindheit. Nie wird er ein "richtiger" Mann sein.
Schuld an allem ist Saul, der Hund, und deshalb hasst Frank Tiere und tötet sie auf makabere Weise, wo immer er ihrer habhaft werden kann.
Die Wespenfabrik, ausgeklügelte Tötungsmaschine und Orakel zugleich, Erfindung eines eiskalt berechnenden jugendlichen Psychopathen, der gleichermaßen Täter wie Opfer ist: Die Wespen selbst bestimmen die Art ihres Todes!
Frank jagt und tötet Möwen, Kaninchen, einfach alles, was sich bewegt. Seine Waffen sind Steinschleudern, Benzinbomben, heimtückische Fallen und ein äußerst effektives Luftgewehr. Die mumifizierten Köpfe seiner Opfer spießt er auf Pfähle rund um sein Versteck, einen alten Betonbunker.
Der Junge lebt in seiner eigenen, selbst erdachten Welt, die nur er versteht.
Genau genommen existiert Frank überhaupt nicht. Sein Vater, ein seltsamer Sonderling, der rätselhafte medizinische Forschungen betreibt, hat ihn der Welt verschwiegen. Frank ist ein unexistenter Untoter und zugleich ein "Es" zwischen den Geschlechtern.
Niemand ahnt etwas von seiner höchst kriminellen und an Grausamkeit kaum zu übertreffenden Vergangenheit. Frank hatte mehrere Geschwister und Halbgeschwister. Sie alle, bis auf den älteren Halbbruder Eric, starben auf skurrile Weise. Drei "Unfälle", und alle drei so merkwürdig, dass es etwas Vergleichbares noch nie gab. Nur Eric lebt und Frank liebt seinen Bruder – trotz allem …
Doch Eric bereitet Probleme, dem Vater, den Bewohnern der nahe gelegenen Stadt und der Polizei. Während seines Medizinstudiums hat Eric auf Grund eines schrecklichen Erlebnisses im Krankenhaus den Verstand verloren. Nun ist er aus der Heilanstalt entwichen, in die man ihn eingewiesen hatte und ist unterwegs zur Insel und zu seinem Bruder Frank. Je näher Eric kommt, umso merkwürdiger verhält sich der Vater. Er hat ANGST, aber wovor und warum?
Als er betrunken nach Hause kommt und sofort einschläft, nutzt Frank die Gunst der Stunde und dringt in das immer verschlossene Arbeitszimmer des Vaters ein. Was er findet übersteigt jede Vorstellungskraft:
Konserviert in Alkohol: Genitalien eines kleinen Jungen. In den Schränken und Schubladen männliche Hormonpräparate, massenhaft! Der Vater hatte den Hund erwürgt und aufgeschnitten. Doch hat sich alles WIRKLICH so abgespielt, wie es scheint?
Der verrückte Eric – er war aufgebrochen, um seinen Bruder zu besuchen. Doch die Wahrheit ist schneller!
Es gibt keinen Bruder. Es gibt keinen Frank und es hat ihn nie gegeben. Sein Leben - eine einzige Lüge, ein widerwärtiges Experiment am lebenden Kind. Das einzig Wahre in Franks Leben ist der Vater, ein Monster, ein Wahnsinniger, der versucht hat, Gott zu spielen und dafür seine eigenen Kinder opferte...
Medizin und Ethik heute
Was DARF ein Mensch? Was darf ein Arzt im Namen der Wissenschaft oder der Medizin Kindern zumuten?
Wo enden medizinische Notwendigkeit, medizinische Vernunft und Verhältnismäßigkeit – und wo beginnen Arroganz und Egoismus des Stärkeren oder des Geldes?
Wie weit reicht das elterliche Recht, Behandlungen an Kindern gegen oder ohne deren Willen zuzulassen, die deren Körper, Seele und Zukunft nachhaltig und unumkehrbar verändern?
Fragen, die angesichts einer immer mehr vom Gesundheitswesen zur Gesundheitswirtschaft entartenden Medizin aktueller sind denn je!
Frank ist eine Fiktion. Aber Frank ist nicht utopisch!
David (Bruce, Brenda) Reimer (22.08.1965 – 04.05.2004), ein Junge, der durch eine missglückte und zudem völlig sinnlose Beschneidung verstümmelt und von einem besessenen Arzt erfolglos zum Mädchen gemacht wurde, hat wirklich gelebt. Parallelen sind kaum zu übersehen. David wurde ein Leben lang im Namen der Wissenschaft missbraucht, belogen und gequält. Im Mai 2004 hat er sich das Leben genommen. Der Arzt, der im Namen der Wissenschaft nicht nur sein Leben zerstört hat, starb zwei Jahre später als gefeierter Wissenschaftler …
© Mario Lichtenheldt
Foto und Vorschaublid: Ibefisch, www.pixelio.de
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