Jahrgang 1909 - Erinnerungen an ein Leben im letzten Jahrhundert - Teil 1
Wir reden so oft von der „guten alten Zeit“, in der alles einfacher war und geruhsamer vor sich ging.Head: Bürgerehre, Scheiterhaufen, KirchenwahnSubhead: Lebendiger und authentischer kann ein historischer Roman nicht sein: Das große Sittengemälde einer Zeit, in der in Deutschl...
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Jahrgang 1909 - Erinnerungen an ein Leben im letzten Jahrhundert - Teil 1
Wir reden so oft von der "guten alten Zeit", in der alles einfacher war und geruhsamer vor sich ging. Wir vergessen aber, dass die erste Hälfte des letzten Jahrhunderts von zwei Weltkriegen und einer Weltwirtschaftskrise bestimmt wurde. Die Geschichte, die ich hier schreibe, geht auf authentische Erzählungen und Briefe einer Frau zurück, die in dieser Zeit groß geworden ist.
Kindheit und Erster Weltkrieg - Eine wahre Geschichte (Namen abgeändert)
Geboren im Jahre 1909 wuchs Barbara in einer kleinbürgerlichen Familie in Nürnberg auf. 1911 kam ihre Schwester Else auf die Welt.
Vater Hans, der als unehelicher Sohn eine recht schwere Kindheit erlebt hatte, hatte nach sehr mageren Jahren eine Arbeit bei der Bahn und bemühte sich nach Kräften seiner jungen Familie ein ordentliches Leben zu bieten. Mutter Berta, eine wohlbehütete, hübsche junge Frau, kam aus dem katholischen Eger. Sie hinkte etwas und litt darunter schrecklich. Im Kleinkindalter war sie an Kinderlähmung erkrankt, wodurch ihr linkes Bein geschwächt war. An diesem bildete sich dann noch ein riesiger Furunkel. Er musste aufgeschnitten werden, und dabei wurde die Sehne verletzt. Als man dies endlich merkte, war es zu spät! Mutter Berta hatte ihr Leben lang Schmerzen in diesem Bein und musste einen Schuh mit erhöhter Sohle tragen.
Mutter Berta und ihre Schwester Anna im Jahr 1904 in Eger
Hans und Berta liebten sich sehr, wobei Hans aus einer streng evangelischen Familie stammte, Berta dagegen aus einer streng katholischen. Sie heirateten 1907 evangelisch und auch die Kinder wurden evangelisch getauft, aber Mutter Berta ging jeden Sonntag in die katholische Kirche.
Hans und Bertas Hochzeit im Jahr 1907
An einem Sonntag alberten die Eltern mit ihren beiden Töchterchen herum. Hans gab seiner Else einen Nasenstüber, und diese schlug die Hände vors Gesicht und lachte. Alle lachten mit – nur hörte Mutter Else nicht mehr auf. Erst als Vater Hans ihr gewaltsam die Hände vom Gesicht nahm, merkte er, dass seine Frau einen Weinkrampf hatte. Barbara kann sich nicht mehr erinnern, was man dann machte, aber sie weiß noch, dass die beiden Kinder vor Schreck das ganze Haus zusammengeschrien hatten. Noch viele Jahre später beobachteten Barbara und Else ihre Mutter ängstlich, wenn sie aus irgendeinem Grund laut zu lachen begann.
Barbara und Else im Winter 1913
Mit dem Ersten Weltkrieg fand die junge Idylle 1914 ein Ende. Vater Hans musste einrücken und bekam nur sehr selten Heimaturlaub. Die fünfjährige Barbara winkte ihm zum Abschied strahlend am Bahnhof nach und konnte gar nicht verstehen, warum ihre Mutter schluchzte.
Der Großvater holte Mutter Berta mit ihren beiden Töchtern ins katholische Eger, ihre Geburtsstadt, denn alleine konnte die junge Frau mit den kleinen Mädchen nicht in Nürnberg bleiben. Allerdings litt der Großvater schwer am Ischias und konnte das Lärmen und Streiten der Kinder nicht gut ertragen. Deshalb kamen die Mädchen in Eger in den katholischen Kindergarten. Natürlich durfte niemand wissen, dass Barbara und Else eigentlich evangelisch waren. Sie fügten sich gut ein, lernten das katholische Vaterunser und das Kreuzzeichen. Allerdings bekam es die kleine Else beim Blasiussegen mit der Angst zu tun und blies zum Schrecken der Nonnen die Kerzen aus.
Als Barbara sechs Jahre alt und schulpflichtig wurde, meinten die Nonnen natürlich, sie würde in die katholische Volksschule gehen. Aber dabei wäre ja der Schwindel aufgeflogen, und das konnte man dem Großvater beim besten Willen nicht antun. Also musste man zurück nach Nürnberg, damit Barbara die evangelische Schule besuchen konnte.
Barbara gefiel es in der Schule gut, sie war eine eifrige, ernsthafte Schülerin. Deshalb verstand ihre Lehrerein beim besten Willen nicht, warum Barbara das evangelische Vaterunser mit dem Kreuzzeichen beginnen wollte und es "falsch" aufsagte, ja nicht einmal die Hände faltete. Als Barbara wegen des Tadels weinend nach Hause kam, klärte ihre Mutter die Sache auf.
Kriegsjahr 1915, Vater Hans ganz links
Es folgte eine schwere Zeit. Die Lebensmittel wurden knapp, die Mutter musste einige ihrer kleinen Schmuckgegenstände versetzen, um einpaar Lebensmittel eintauschen zu können. Die kleine Familie hungerte wirklich sehr. Um etwas Geld einzusparen, gingen die drei öfter einmal in die sogenannte "Volksküche", aber das Essen dort war auch teuer und machte kaum satt. Vor Unterernährung fiel Barbara manchmal aus heiterem Himmel in Ohnmacht und setzte damit ihre Mutter in Angst und Schrecken.
Aber auch diese Hungerjahre gingen vorüber. 1918 war der Krieg beendet und ein paar Wochen später kehrte Vater Hans müde und erschöpft, aber heil in die Heimat zurück.
Fortsetzung folgt
Ein Familienfoto von 1915
Bildquelle:
Barbara Lechner-Chileshe
(Warum gibt es unterschiedliche Haut- und Augenfarben?)