Jahrgang 1909 Erinnerungen an ein Leben im letzten Jahrhundert, Teil 2 - Einleitung

Deutschland war 1914 unter Kaiser Wilhelm II in den Ersten Weltkrieg geführt worden. Am Ende des Krieges machten die Siegermächte es zur Bedingung für einen erträglichen  Waffenstillstand, dass der Kaiser auf den Thron verzichtet.

Schon während des Krieges sammelten sich in der Heimat Kräfte, die nach russischem Vorbild durch einen internationalen Klassenkampf den Frieden erzwingen wollten. Sie nannten sich Spartakusbund und brachten zusätzliche Unruhe ins Land.

Photopostkarte aus den Jahren 1914 - 1918 - Kaiser Wilhelm II
Kaiser Wilhelm II

Kaiser Wilhelm II

Unruhige Jahre 1918 -1924

Auch Vater Hans ärgerte sich über die Bedingungen des Waffenstillstands, aber man war ja obrigkeitstreu erzogen worden und außerdem hatte man genügend damit zu tun, die eigene Familie durchzubringen.

Die Lutherschule, in der Barbara und Else unterrichtet wurden, lag im Süden von Nürnberg in der Nähe der Siemenswerke. Immer wieder gab es auch dort Spartakistenaufstände, so dass die Lehrkräfte die kleineren Schüler nach Hause begleiteten. Kinder von auswärts konnten einige Zeit überhaupt nicht mehr zur Schule kommen, weil keine Züge verkehrten.

Im Juni 1919 musste Deutschland den Versailler Vertrag unterschreiben, in dem es die alleinige Kriegsschuld auf sich nahm, Gebietsverluste anerkannte und zu enormen Reparationszahlungen verdonnert wurde.

Das Kleine Journal - 11. November 1918

11. November 1918

In Deutschland ging es drunter und drüber. 1919 wurde die Weimarer Republik ausgerufen und der größte Teil der Bevölkerung erhoffte sich wieder ruhigere Zeiten. Aber die deutsche Wirtschaft war in den Folgejahren nicht stark genug, um die von den Siegermächten des Ersten Weltkriegs verlangten Zahlungen zu leisten.
Vater Hans kam wieder bei der Bahn unter, aber weiterhin war "Schmalhans Küchenmeister".
Fleisch gab es nur am Sonntag für den Vater, denn er musste die Familie ja ernähren. Die restliche Familie freute sich über Kartoffeln mit Soße, Brennnessel- und Löwenzahngemüse oder ein paar selbst gezogene Karotten.

Barbara wechselte im Jahr 1919 aus der 4. Klasse Volksschule an das sechsjährige Lyzeum Zeltnerschule, eine "Höhere Töchterschule". (Der Abschluss am Lyzeum wäre heute wohl einer Mittleren Reife gleich zu setzen). Leider zog sie sich bald eine schwere eitrige Bindehautentzündung zu und durfte ein Vierteljahr lang überhaupt nicht in die Schule. Sie war überglücklich, als sie endlich wieder am Unterricht teilnehmen konnte, allerdings durfte sie noch 3 Monate nur zuhören, nichts schreiben oder lesen, um die Augen zu schonen.

Massendemonstration gegen den "Gewaltfrieden" vor dem Reichstagsgebäude in Berlin im Mai des Jahres 1919: viele Deutsche sahen in den Beschlüssen des Versailler Vertrags eine tiefe Ungerechtigkeit und Demütigung. (Quelle: Wikipedia) -> Siehe folgendes Bild

Massendemonstration gegen den "Gewaltfrieden"
Massendemonstration gegen den ...

Massendemonstration gegen den "Gewaltfrieden"

Im Jahr 1921 wurde Vater Hans plötzlich sehr krank. Er bekam richtige Anfälle. Es warf ihn manchmal im Bett so hoch, dass man ihn kaum festhalten konnte. Als der Arzt endlich kam und ihn untersuchte, meinte dieser ganz trocken: "Kein Wunder, das ist eine ausgewachsene Nikotinvergiftung!"  Die Männer rauchten damals die unmöglichsten Sachen, wobei Kastanienblätter noch das geringste Übel waren. Der Tabak wurde selbst fermentiert und jeder hielt seine eigene Methode für richtig. Da die Männer körperlich vom Krieg und Hunger sehr geschwächt waren, vertrugen viele von ihnen den selbst produzierten Tabak nicht und wurden krank.

Vater Hans hat später die Nikotinvergiftung immer vehement abgestritten, denn seine Fermentierungsmethode war ja perfekt!

1920: Vater Hans mit Barbara und Else im „Sonntagsstaat“

1920: Vater Hans mit Barbara und Else

Am  Abend trank er gerne mal ein Bier, aber nach seiner Krankheit vertrug er es nicht mehr. Er bekam Bauchkrämpfe, Hustenanfälle und Atemnot. Als er wieder einmal sehnsuchtsvoll  jammerte, wie gut doch jetzt ein Bierchen wäre, besorgte seine Frau einen Doppelbock. Der war zwar recht teuer, aber sie dachte, den könnte Hans vertragen.
Vater dankte ihr überschwänglich, als sie ihm das Bier mit der Schaumkrone hinstellte. Genießerisch nahm er einen Schluck – und schnappte nach Luft! Er hatte einen fürchterlichen Anfall von Atemnot.

Mutter Berta war verzweifelt. Sie konnte das teure Doppelbock-Bier doch nicht wegschütten!
Also beschloss sie es selbst zu trinken. Und das blieb nicht ohne Folgen. Plötzlich hörten die Kinder ihre Mutter lauthals lachen und rannten zu ihr. Else saß auf der Closchüssel und hörte einfach nicht mehr auf zu kichern. Hans und die Kinder packte die Angst, Mutter könnte wieder einen starren Weinkrampf haben. Aber diesmal war es anders! Else hatte einen ausgewachsenen Rausch! Am nächsten Tag war sie sterbenskrank – vom Kater!
Als es ihr wieder besser ging, beschwor Hans sie, nie mehr so eine Dummheit zu machen.

Barbara (2. v. l.) und Else (1. v. r.) im Kreise ihrer Freundinnen - Sommer 1922

Sommer 1922

Wie ich schon erzählt habe, kam Mutter Berta aus einer streng katholischen Familie, Vater Hans dagegen aus einer ebenso streng evangelischen. Beide hatten evangelisch geheiratet, die Kinder wurden evangelisch getauft. Mutter Berta fühlte sich ihrem Glauben aber weiterhin verpflichtet und besuchte am Sonntag stets die katholische Kirche, während Hans in die evangelische ging. Sie beide fanden das ganz in Ordnung.  Allerdings machten
die Nachbarn im Haus Berta die Hölle heiß und in der katholischen Kirche wurde sie wie eine Sünderein behandelt.
Während der Vorbereitung auf Barbaras Konfirmation wurden Berta die ewigen Auseinandersetzungen zu viel. Ohne Wissen ihres Gatten trat sie aus Anlass der Konfirmation zum evangelischen Glauben über – schließlich war Gott in beiden Kirchen derselbe.

Bierfilzchen der Fürther Brauerei Geismann aus dem Jahr 1920

Geismann aus dem Jahr 1920

Im Herbst 1924 wurde Vater Hans von der Bahn nach Würzburg versetzt. Barbara hatte ihr letztes Schuljahr am Lyzeum vor sich. Natürlich sollte sie ihren Abschluss dort noch machen. Also brachte man sie bei einer den Eltern bekannten Familie gegen Kostgeld unter, während die Eltern mit Else nach Würzburg zogen.

Für Barbara begann eine schlimme Zeit, alleine bei fremden Leuten.

Fortsetzung folgt!

Barbaras Konfirmation, Palmsonntag 1923

Barbaras Konfirmation, Palmsonntag 1923

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