Katja K.: Wenn die Kuckuck zweimal klingelt - Buch-Rezension
Was eine Gerichtsvollzieherin in ihrem Berufsalltag so alles erlebt28 Kurzgeschichten quer durchs pralle Leben
In exakt 28 Kurzgeschichten stellt Katja K. verschiedene Schuldnerschicksale in München vor und was sie bei ihren Hausbesuchen erlebt. Die Geschichten sind sehr abwechslungsreich. Von unglücklichen Lebenswendungen bis hin zu »selbst schuld« ist alles dabei. Ebenso sind die Reaktionen beim Eintreffen der staatlichen Geldeintreiberin sehr unterschiedlich. Dabei ist die Autorin nie schadenfroh oder bedient gar voyeuristische Instinkte. Ihre eigenen Emotionen verschweigt sie jedoch nicht. Auch nach vielen Jahren im Job fühlt sie mit bei erschütternden Umständen. Trotzdem ist sie inzwischen professionell genug, sich innerlich zu distanzieren, sonst könnte sie ihren Job nicht lange aushalten. Umgekehrt packt sie schon mal die Wut, wenn hoch verschuldete Menschen Ratschläge in den Wind schlagen und nicht einsehen, dass sie ihr Verhalten ändern müssen, um aus dem Teufelskreis des Schuldenmachens herauszukommen. Katja K. sieht sich also häufig auch als Sozialarbeiterin. Sie spricht mit den Menschen, hört ihnen zu, gibt Tipps, statt einfach nur ausstehende Gelder einzutreiben und ein Pfandsiegel -– den Kuckuck -– aufs Wohnungsinventar zu kleben. Wer ihr hingegen frech kommt, Fantasiegeschichten auftischt oder sich für so unantastbar hält, dass ihr Ansinnen für ihn einer Majestätsbeleidigung gleichkommt, sodass er mit Beschwerden oder Klagen droht, lernt die knallharte Seite von Frau Kuckuck kennen.
Dabei hat auch »die Kuckuck« einst klein angefangen. Heißt: Sie fiel in ihrer Anfangszeit als Gerichtsvollzieherin auf eine Schuldnerin herein, die ihr eine dermaßen rührselige und dabei durchaus glaubhafte Geschichte auftischte, dass sie glatt ihr Portemonnaie zückte und der scheinbar verzweifelten jungen Frau eigenes Geld zusteckte. Noch auf dem Weg durchs Treppenhaus zur Straße erfuhr sie dann von einer mitteilsamen Nachbarin die Wahrheit. Das war ihr künftig eine Lehre, abgesehen davon, dass private Zuwendungen aus Mitleid für eine Gerichtsvollzieherin tabu sein müssen. Im weiteren Verlauf ihrer Arbeit erwarb sich Katja K. eine enorme Menschenkenntnis und lernte viele Tricks und menschlichen Erfindungsreichtum kennen. Dabei spürt man, wie sehr sie ihren Beruf und den Umgang mit den unterschiedlichsten Menschen liebt. Die Reaktionen auf ihr Erscheinen und die Gespräche sind unterhaltsam und offenbaren teilweise erstaunliche Lebensweisen und Einstellungen. Der sensible Umgang von Frau K., ihre Bereitschaft, dabei auch die Perspektive der Schuldner einzunehmen und ihre gleichzeitige Konsequenz wecken im Leser den Wunsch: Sollte er jemals in eine ernste finanzielle Bredouille geraten, möge der zuständige Vollstreckungsbeamte bitte vom Schlage der Katja K. sein.
Der statistischen Normalverteilung folgen die im Buch dargestellten sozialen Milieus allerdings nicht. Neben ein paar Beispielen aus Haushalten »von nebenan« -– Rentner, Arbeitslosengeld-II-Empfänger, Alleinerziehende, allzu sorgloses Shopping-Victim, arroganter Stiesel -– überwiegen im Buch die Geschichten von erzählerisch unkenntlich gemachten Prominenten, erfolglosen Künstlern in prekären Verhältnissen, einer spielsüchtigen, verarmten Adligen, einer Bordellbesitzerin, einem Gigolo-Opfer oder einem realitätsfremd gewordenen Ex-Fußballer. Die Klientel der Gerichtsvollzieherin umfasst alle Kreise und Lebenslagen, woraus sie als Autorin eine möglichst vielfältige und anschauliche Auswahl getroffen hat. Der Fall einer Kindesherausgabe macht bewusst, dass es bei einer Vollstreckung nicht ausschließlich um Geld oder Gegenstände geht.
Katja K. wünscht sich viele Leser für ihr Buch. So hat sie mit ihrer Auswahl der Fälle vermutlich richtig entschieden, dabei den Schwerpunkt auf spektakulärere Begebenheiten und Persönlichkeiten zu legen, statt einfach das prozentuale Verhältnis aus ihrem Alltag wiederzugeben, indem es vorrangig um Mietschulden, unbezahlte Versandhausrechnungen und ähnliches von »Tante Gertrud« oder dem Nachbarn aus dem 3. Stock geht.
So mögen Leser nun darüber rätseln, welche Charity-Lady mit operativ nicht so gelungenen Schlauchlippen wohl gemeint sein könnte. Handelt es sich hier vielleicht doch um ein raffiniertes Ablenkungsmanöver und die Dame sieht in echt anders aus? Oder sie amüsieren sich über den Mann, der als Frau auftritt, und mit seinem launigen Spiel seine gerade anwesenden Gäste erheitert und die Gerichtsvollzieherin verwirrt. Wird die Sängerin mit ihren mehreren Hundert Paar Designerschuhen sich wenigstens von einigen trennen können -– alles ihre »Babys«, mit denen sie emotional eng verbunden ist? Oder geht sie doch lieber ins Dschungelcamp? Oder wählt am Ende beides?
Ein Dschungel wartet zur Abwechslung wiederum in der alltäglichen Nachbarschaftsszenerie auf die Gerichtsvollzieherin, als sie Forderungen des Finanzamts in einer Zoohandlung eintreiben muss. Nein, es geht hier nicht um einen buchhalterischen Dschungel, sondern um den Besuch in einem naturnah gestalteten Biotop voller auf den ersten Blick gut getarnter Tiere: Schlangen, Skorpione, Vogelspinnen ...
Ein paar ergänzende sachdienliche Hinweise zum Schluss
Das Buch schließt mit einem Kapitel namens »Serviceteil«, das dem Leser für den Fall der Fälle über die Geschichten hinausgehend über die Einsatzgründe und die Aufgaben eines Gerichtsvollziehers aufklärt, was er pfänden darf und was nicht, was unter einer Taschenpfändung zu verstehen ist, was eine eidesstattliche Versicherung bedeutet und wie man am besten mit dem Gerichtsvollzieher kooperiert.
Auf zur Sternevergabe ...
Das Buch »Wenn die Kuckuck zweimal klingelt« von Katja K. erschien im Mira Taschenbuchverlag und wurde mir als E-Book durch BloggdeinBuch für eine Besprechung zur Verfügung gestellt. Beim Verlag und der Rezensionsplattform bedanke ich mich herzlich dafür.
Mir hat das Buch so gut gefallen, dass ich ihm volle 5 Sterne gebe. Die Autorin hat sehr kurzweilige, teils skurrile und dazu informative Beispiele aus ihrem Aktenfundus gegriffen, ohne dabei ins Niveaulose abzudriften. Von mir aus hätte dennoch die Gewichtung zugunsten der Schicksale aus der Normalbevölkerung stärker ausfallen dürfen. Ob die Inhalte der Storys unbedingt alle 1:1 genau so passiert sind, wie beschrieben, sei mal dahingestellt. Aus dramaturgischen Gründen mussten eventuell manche Sachverhalte deutlicher hervorgearbeitet werden oder verwickelte Ereignisse erzählerisch gestrafft werden. Die Geschichten sind schwungvoll erzählt, dialogreich, richtig mitreißend und mit immer wieder aufblitzendem Humor, der niemals penetrant wirkt. Insgesamt zeigt sich die Autorin empathisch und lässt ihre Leser an ihren Gedanken während der Schuldnerbesuche teilhaben. Bei einigen Besuchten bleibt offen, ob sie schließlich die Kurve kriegen werden. Gern würde man als Leser mehr dazu erfahren, aber das würde den Rahmen des Buches sprengen.
Bildquelle:
Karin Scherbart
(Asterix bei den Pikten – Rezension)