Invasion vom Mars!

Dabei beginnt die Geschichte hinter dem größten Hoax der Radiogeschichte ganz harmlos. Nach dem Verlesen des Wetterberichts kündigt der Moderator einen live im New Yorker "Park Plaza"-Hotel eingespielten Musiktitel an. Doch bereits nach wenigen Takten unterbricht der Moderator das Programm mit einer Spezialmeldung: Wie ein Observatorium mitteile, ereigneten sich auf dem Mars unerklärliche Explosionen und irgendetwas schieße mit ungeheurer Geschwindigkeit auf die Erde zu. Unaufgeregt schaltet der Moderator zum Musiktitel zurück, während sich in der Kleinstadt Grover's Mill (New Jersey) Ungeheures ereignet: Ein offenbar außerirdisches, riesiges Metallobjekt schlug nahe einer Farm ein!

Noch gibt es keinen Grund zur Panik – bis sich herausstellt, dass es sich um ein Raumschiff vom Mars landet und die darin befindlichen Marsianer eine Invasion planen. Ihrer weit fortgeschrittenen Waffentechnologie kann die US-Armee nicht standhalten. Schon bald rücken die Invasoren vom Mars mit riesigen Maschinen gegen New York vor und setzen dabei tödliches Giftgas ein. Nichts und niemand kann die Invasoren stoppen …

Orson Welles inszeniert "Krieg der Welten" ...

Orson Welles: Produzent von Krieg der WeltenNatürlich war kein Wort von dem am Vorabend zu Halloween 1938 ausgestrahlten Hörspiel wahr. Vielmehr hatte ein damals völlig unbekannter Theater- und Radioproduzent namens Orson Welles den berühmten Science-Fiction-Roman "The War of the Worlds" seines Beinahe-Namensvetters Herbert George Wells als Radiohörspiel adaptiert.

Seine Inszenierung einer angeblichen Invasion vom Mars verursachte laut Zeitungsberichten an der US-Ostküste eine Massenpanik: Die Telefone in den Polizeistationen liefen heiß, verzweifelt suchen Tausende Zuflucht und Trost in Kirchen (Zufall oder nicht: In der Filmadaption von 1953 geschieht in einer Szene exakt dies), andere flüchteten mit ihren Familien in ihre Luftschutzkeller oder versuchten auf den hoffnungslos verstopften Straßen ihr Glück.

... und Millionen verfallen in Massenpanik!

Doch war dem tatsächlich so? Kein Zweifel kann an der dramaturgisch cleveren Inszenierung bestehen, die für damalige Zeiten äußerst realistisch anmutete. Ähnlich der Romanvorlage "War of the Worlds" bediente sich auch Orson Welles Hörspiel des Kniffs, ein Horrorszenario gewissermaßen vor der eigenen Haustür zu malen.

Während H. G. Wells "seine" Marsianer noch nahe London ihr Unwesen treiben ließen, verlegte der damals erst 23-jährige Orson Welles den Schauplatz der unheimlichen Ereignisse ins ländliche Grover‘s Mill/New Jersey, das sich knapp 50 Meilen von der Stadt New York entfernt befindet. Ein Memorial nahe der im Hörspiel lancierten Landestelle erinnert an jenes Ereignis, das die Kleinstadt Grover's Mill zum ersten und einzigen Mal ins Zentrum des Interesses rückte (siehe Bild recht).

Monument in Grover's Mill (Bild: Wiki-Autor ZeWrestler)

Somit würde es nicht verwundern, hätte das Hörspiel "Krieg der Welten" für Unruhe in der Millionenmetropole gesorgt. Bei näherer Betrachtung handelt es sich bei der angeblichen Massenpanik jedoch um einen künstlich erzeugten Medienmythos, der sich bis heute hartnäckig hält.

Oder doch nicht? Der Medienmythos "Krieg der Welten"

Verantwortlich für den Medienmythos einer durchs Hörspiel "Krieg der Welten" ausgelösten Massenpanik zeichnen einige der damals größten Zeitungen. So titelte etwa die "New York Times" am Tag danach: "Radio Listeners In Panik: Taking War Drama as Fact" und schilderte, dass viele Zuhörer vor den Marsianern geflüchtet seien. Noch dramatischer die Schlagzeilen der ebenfalls in New York beheimateten "Daily News": "Fake Radio War stirs Terror through the U.S.", publikumswirksam mit Fotos von Orson Welles in Büßerpose sowie einer Zuhörerin, die bei ihrer Flucht auf die Straße stürzte und sich dabei den Arm brach, illustriert. Ein paar Tage später sprang auch das "Life Magazine" auf den fahrenden Medienzug auf und veröffentlichte das Foto eines ältlichen, tapferen Farmers, der mit einer Flinte in der Hand die Marsianer bekämpfen wollte. Wie sich später herausstellte, war das Foto gestellt.

In Wahrheit konnte von einer Massenpanik keine Rede, geschweige denn Schlagzeile sein. Beim Sender CBS, der das Hörspiel ausstrahlte, gingen lediglich ein paar Anrufer mehr als gewöhnlich ein. Von flüchtenden Menschen oder überlasteten Polizeinotrufen konnte erst recht keine Rede sein. Tatsächlich dürfte die Einschaltquote äußerst niedrig gewesen sein. Nach einer unter 5.000 Haushalten durchgeführten Umfrage während der Sendung gaben lediglich zwei Prozent an, dem Hörspiel "Krieg der Welten" zu lauschen. Klarer Gewinner der Einschaltquoten war übrigens Comedian Edgar Bergen, ein Bauchredner …

Krieg der "alten" gegen die "neuen" Medienwelten

Hadley Cantril, Professor an der Princeton-Universität, beschäftigte sich in seiner Studie "The Invasion from Mars" (1940) intensiv mit den Ursachen und Auswirkungen von Massenverhalten und drückte dem Hörspiel sogar einen akademischen Stempel auf. Freilich: Auch er war dem Medienmythos einer von Orson Welles verursachten Massenpanik auf den Leim gegangen!

Die Hindenburg-KatastropheHeute würde man wohl von einer Medienkampagne gegen Welles sprechen, dessen Hörspiel der ideale Aufhänger für einen "Medienkrieg" der Zeitungen gegen das an Popularität stark gewinnende Radio bot. Während Zeitungen naturgemäß dem Tagesgeschehen nachhinkten, wurden Radiohörer erstmals über das aktuelle Geschehen informiert. Manchmal sogar aus erster Hand, wie bei der berühmten Live-Übertragung von der Hindenburg-Katastrophe in Lakehurst (New Jersey) am 6. Mai 1937, als ein fassungsloser Reporter das Unglück Millionen Zuhörern schilderte. Hinzu gesellten sich alle möglichen Arten von Hörspielen – darunter solche wie die Actionserie "The Shadow", dessen Protagonist von Orson Welles verkörpert wurde -, Musikübertragungen oder Interviews mit Berühmtheiten.

Fortan naschte das Radio am Werbekuchen kräftig mit, was der Zeitungsbranche natürlich missfiel. Mit der durch das Hörspiel "Krieg der Welten" angeblich verursachten Massenpanik sollten die vom relativ neuen Medium Radio ausgehenden Gefahren drastisch veranschaulicht werden. Wohl nicht zufälligerweise eröffnen sich Parallelen zum Internetboom, der insbesondere in den 1990er Jahren von den etablierten Medien, das Radio eingeschlossen, mit wachsender Sorge beobachtet und für allerlei Unheil verantwortlich gemacht wurde und wird.

6 Tote wegen eines Hörspiels

Big BenBekanntlich gibt es nichts Neues unter der Sonne, und Orson Welles‘ Hörspiel von 1938 bildet davon keine Ausnahme. Denn bereits am 16. Jänner 1926 hatte der katholische Priester Ronald Knox die Idee, eine BBC-Radiosendung für eine angebliche Sondersendung zu unterbrechen. Demnach war es auf den Straßen Londons zu Ausschreitungen gekommen, in deren Verlauf Big Ben mit Mörsern beschossen, das Savoy Hotel niedergebrannt und ein Minister gelyncht worden seien. Anders als "Krieg der Welten" zwölf Jahre später, soll diese rein fiktive Sendung von einigen Engländern tatsächlich als real erachtet worden sein.

Dennoch blieb das Hörspiel "Krieg der Welten" buchstäblich nicht ohne Folgen: Weltweit wurde es zigfach neu aufgelegt. Am 12. November 1944 landeten die Marsianer in Chile, 15 Meilen von der Hauptstadt Santiago de Chile entfernt, um exakt zu sein. Ähnlich dem berühmten Vorbild, wurde auch in diesem Fall eine Sendung auf Grund der angeblichen mysteriösen Ereignisse unterbrochen. Allerdings soll der Spaß ein Todesopfer gefordert haben: Ein Zuhörer soll das Hörspiel für bare Münze genommen haben und an Herzversagen gestorben sein. Inwiefern diese Behauptung zutrifft, ist fraglich.

Als dramatischer entpuppte sich eine am 12. Februar 1949 ausgestrahlte Adaption eines Radiosenders in der kolumbianischen Hauptstadt Quito. Wiederum nach dem Strickmuster von Orson Welles‘ Vorlage angefertigt, wurde das Hörspiel um eine schicksalsträchtige Nuance erweitert: Die sich als Bürgermeister der Stadt sowie als Innenminister ausgebenden Schauspieler forderten die Bürger zur Verteidigung der Stadt auf, die angeblich im Begriff stand, von den Marsianern angegriffen zu werden.

Diesmal erfolgte tatsächlich eine Massenpanik, die sich auch aus der Angst vor einer Invasion des damals feindlich gesinnten Nachbarstaates Peru gespeist haben könnte. Als die Bürger der Stadt gewahr wurden, einem Hörspiel aufgesessen zu sein, bildete sich ein wütender Mob, der das Gebäude, in welchem sich der hierfür verantwortliche Radiosender befand, anzündete und den Haupteingang verbarrikadierte. Die meisten Eingeschlossenen konnten sich zwar retten, sechs Menschen schafften es aber nicht mehr aus dem Gebäude und starben.

Medienphänomen "Krieg der Welten"

Weniger dramatisch waren glücklicherweise die deutschen Adaptionen des berühmtesten Hörspiels der Radiogeschichte. Der WDR erstellte 1977 eine deutsche Version durch Klaus Schöning und pünktlich zu Halloween 2010 strahlte der Hamburger Sender "Oldie 95" eine in die Heimatstadt verlegte Fassung aus, die offenbar real genug erschien, um einige Anrufe besorgter Hörer bei der Polizei zu rechtfertigen. Was natürlich die Frage aufwirft, was die Polizei im Falle einer außerirdischen Invasion ausrichten sollte.

"Krieg der Welten" ging nicht nur in die Radiogeschichte ein, sondern erwies sich als multimediales Phänomen. Neben den auf H. G. Wells‘ basierenden Kinohits "Kampf der Welten" (1953) sowie Steven Spielbergs "Krieg der Welten" (2005), wurden und werden billige Direct-to-Video-Ableger produziert, die mit dem Originalstoff mal mehr, mal weniger zu tun haben. Bekannt ist das 1978 veröffentlichte Konzeptalbum von Jeff Wayne, das sich 13 Millionen Mal verkaufte und unter anderem ins Deutsche synchronisiert wurde.

Der Einfluss des Science-Fiction-Klassikers "Krieg der Welten" kann kaum überschätzt werden. Er ist unbestritten ein Meilenstein des Genres und diente kaum noch zählbaren Filmen, Büchern oder Computerspielen als Inspiration. Kurioserweise erfuhr Wells‘ Roman selbst mehrere literarische Fortsetzungen. Im Veröffentlichungsjahr 1898 erschienen in Form einer in die USA verlegten Version namens "Fighters from Mars: The War of the Worlds in and near Boston" sowie "Edison's Conquest of Mars" zwei Fortsetzungen, die unverhohlen mit dem Namen des britischen Autors warben, der möglicherweise nicht einmal von der Existenz "seiner" Nachfolgeromane wusste.

Einen gewissen Unterhaltungswert dürfte zumindest "Edison's Conquest of Mars" besessen haben: Darin studiert Erfinder-Ikone Thomas Edison persönlich ein in die Hände der Erdenmenschen gefallenes Mars-Raumschiff, um es schlussendlich gegen die Marsianer ins Felde zu führen. Interessanterweise stellt sich im Laufe der Geschichte heraus, dass die Marsianer bereits vor tausenden von Jahren die Erde besucht und unter anderem die Pyramiden und die Sphinx von Gizeh errichtet hatten, was an Erich von Dänikens Paläo-Seti-Theorie erinnert.

Medienkampagne gegen Orson Welles

Orson goes to HollywoodAuch wenn das Hörspiel "Krieg der Welten" 1938 keine Massenpanik verursachte, so bleibt es doch zum einen ein bemerkenswertes Exempel für die Entstehung eines Mythos, zum anderen bereitete es den Hollywood-Einstieg seines Produzenten Orson Welles vor. Dieser überwarf sich mit seinem an das Leben des Zeitungs-Moguls William Randolph Hearst angelehnten Meisterwerk "Citizen Kane" mit diesem, was zu einer regelrechten Hetzkampagne von Hearsts Verlagen gegen Welles führte.

Die Kampagne zeigte Wirkung: "Citizen Kane" floppte und der neunfach für einen Oscar nominierte Film gewann nur jenen für das beste Originaldrehbuch. Bei der Dankesrede wurde Welles vom Publikum ausgebuht und die ihm gebührende Karriere sollte nie so recht in Gang kommen. Man kann nur schwer umhin, im Umstand, gleich zweimal Opfer einer Medienkampagne zu werden, eine launige Ironie des Schicksals gegen Orson Welles zu sehen.

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