Invasion vom Mars

Die britischen Inseln an der Schwelle zum 20. Jahrhundert. Astronomen beobachten seltsame Blitzerscheinungen auf dem Mars, halten diese jedoch für natürlichen Ursprungs. Tatsächlich steht der Erde aber eine Invasion durch die hochintelligenten Marsbewohner bevor, deren Heimatplanet sich in eine sterbende Welt verwandelt hat. In der Grafschaft Surrey landet die erste von vielen weiteren Raumkapseln, die Tod und Zerstörung bedeuten. Denn kaum auf der Erde gelandet beginnen die Marsianer damit, dreibeinige Kampfmaschinen, die an Größe jeden Kirchturm überragen, zu bauen. Neugierige Beobachter des Geschehens werden mittels Hitzestrahl getötet. Die Armee versucht zwar einen Belagerungsring aufzuziehen, wird von der gigantischen Kampfmaschine aber völlig aufgerieben.

Rasch verbreitet sich die Kunde von den Invasoren und ihrem nächsten Ziel: Die damals größte Stadt der Welt, London! In Panik fliehen Millionen Bewohner und bilden einen Flüchtlingstreck ohne jegliche Organisation oder Verpflegung. Mit dem Mute der Verzweiflung stemmt sich die Armee den Invasoren entgegen, vermag jedoch gegen den Hitzestrahl und Giftgas, das von den Kampfmaschinen versprüht wird, nichts auszurichten. Nur der Stolz der britischen Marine, das Kriegsschiff "Thunderchild", kann eines der Ungetüme zerstören, ehe es selbst Opfer des Hitzestrahls wird. Binnen kürzester Zeit vernichten die Invasoren die schlagkräftigste Armee ihrer Zeit und das Schicksal der Menschheit scheint besiegelt. Und nicht nur ihres: Scharlachrotes Unkraut vom Mars beginnt ebenso unaufhaltsam heimische Pflanzen zu verdrängen, wie die Marsianer die menschliche Spezies.

"Krieg der Welten" als Roman, Film und Musical

Nach "Auf zwei Planeten" erschienen - aber erfolgreicher

Als der italienische Astronom Schiaparelli 1877 Strukturen auf dem Mars entdeckt haben wollte und seine "Canali" (Rinnen) fälschlicherweise mit "Kanäle" ins Englische übersetzt wurden, gewannen viele Menschen die Überzeugung, der Nachbarplanet werde von hochintelligenten Marsianern bewohnt. Später entpuppten sich die Canali als natürliche Formationen oder ganz prosaisch als Täuschungen. Doch der Gedanke an eine andere Zivilisation in unserem Sonnensystem heizte allerlei Spekulationen an, die Ende des 19. Jahrhunderts zu zwei fast zeitgleich veröffentlichten Invasionsromanen führten. Zum einen "Auf zwei Planeten" des deutschen Autors Kurd Laßwitz, dessen menschenähnliche Marsianer eine friedliche Koexistenz beabsichtigen und nur durch bösartige Saboteure in kurze kriegerische Handlungen mit den Erdenbewohnern verwickelt werden.

Und zum anderen natürlich der 1898 erstmals veröffentlichte "Krieg der Welten" von H. G. Wells. Mit Kurd Laßwitz‘ moralisch hochentwickelten, pazifistischen Heilsbringern aus der kosmischen Nachbarschaft wiesen seine Marsianer freilich keine Gemeinsamkeiten auf. Ähnlich den Morlocks aus seinem früheren Werk "Die Zeitmaschine" feilte die Evolution den Verstand ab, bis er nur noch scharfer Intellekt ohne Gefühle war. Wells‘ Marsianer mutierten zu reinen Gehirnwesen und kennen weder Mitleid, noch Reue. Folglich stellt sie der Vernichtungsfeldzug gegen die Menschheit vor keinerlei ethnische Konflikte: Ihre Welt liegt im Sterben, während die Erde ein blühender Planet ist. Und da die menschliche Spezies im Wege steht, muss sie hinweggefegt werden. Nun läge es nahe, diese Gefühls- und Mitleidlosigkeit als abstoßend zu bezeichnen, wäre sie nicht Teil unserer Geschichte und Kultur. Wo immer sich der Mensch ausbreitete, rottete er mit erstaunlicher Effizienz potenziell gefährliche Raubtiere aus. Selbst vor Seinesgleichen macht er nicht Halt, wie Wells anhand des historischen Beispiels Tasmaniens belegt, dessen Ureinwohner von den europäischen Siedlern erbarmungslos ausgerottet wurden. Weshalb, so seine konsequenten Überlegungen, sollte eine außerirdische Spezies moralischer agieren?

 

Vampire aus dem Weltall

Im Wesentlichen hält "Krieg der Welten" dem britischen Weltreich einen Spiegel vor und versetzt seine Landsleute in die Situation der von ihnen unterjochten Völker: Wie beängstigend musste die technologisch überlegene britische Militärmacht auf wehrlose Völker gewirkt haben? Die Vergleiche mit gefühllosen Wesen aus einer anderen Welt mochten somit nicht allzu sehr aus der Luft gegriffen erscheinen. Zumindest in Romanform konnte es Wells dem selbstgerechten viktorianischen England heimzahlen. Denn ihrer Technologie kann die britische Armee nichts entgegensetzen, und schlimmer noch: Im Laufe der Handlung wird auch ruchbar, welche Nahrung die Marsianer zu sich nehmen, nämlich frisches Blut. Deshalb werden die Menschen der eroberten Gebiete, so sie keinen Widerstand leisten, von den dreibeinigen Kampfmaschinen wie Früchte aufgelesen, um später von den Invasoren auf unsanfte Weise zur Ader gelassen zu werden. Manche Rezensenten sehen in dieser scheußlichen Nahrungsaufnahme ein Horrorelement des puren Heischens um Sensationen willen. Tatsächlich ergibt sich diese aber schlüssig aus dem evolutionären Prozess der Marsianer, deren Körper fast völlig verkümmerten, sodass sie über keine Verdauungsorgane mehr verfügen und Blut ein probates Mittel zur Energieaufnahme darstellt.

Wie bei Wells‘ Werken durchaus üblich, wird das Geschehen sachlich und nüchtern geschildert. Der – vergleiche "Die Zeitmaschine" – namenlose Protagonist beschreibt rückblickend jene schrecklichsten Monate der Menschheit und zieht aus ihnen seine Schlüsse. Als Journalist ist er in der Lage, das Wesentliche vom Unwichtigen zu trennen, was den Roman zu einem echten Pageturner macht. Auch wenn sein "Krieg der Welten" meilenweit vom Actionfeuerwerk aus Hollywood oder modernen Epigonen entfernt ist: Gerade durch die unaufgeregten Schilderungen wird Spannung sowie eine der Thematik angemessene düstere Atmosphäre geschaffen. Dabei erweisen sich die Erzählweise und die durchaus schlüssig abstrahierte marianische Evolution als überraschend modern. Wer einen "verstaubten Klassiker" befürchtet, wird sich in seinem Vorurteil nicht bestätigt sehen. Wells‘ Romane sind zwar literarische Kinder ihrer Zeit, bewegen sich aber dank ihres meist schnörkellosen, direkten Stils auf einer von ihrer Epoche losgelösten Ebene.

Somit darf es nicht verwundern, dass "Krieg der Welten" mehrfach – mal mehr, mal weniger direkt – verfilmt wurde, drängt sich doch der messerscharf beschreibende Erzählstil geradezu für die große Leinwand auf. Worin sich der Roman von Science-Fiction-Werken moderner Prägung im Wesentlichen unterscheidet, sind zum einen die Fokussierung auf den Erzähler, statt Einführung dutzender Figuren, um dramatische Effekte zu erzielen, zum anderen die gleichmäßig fließende Handlung, der die mittlerweile gängigen Cliffhanger fremd sind. Interessant ist zudem das Fehlen eines Showdowns, der den Höhepunkt solcher Filme darstellt. Dies schwächt aber keineswegs die Wirkung des Romans, im Gegenteil: Kein an den Haaren herbeigezerrter "Deux Ex Machina" löst den Konflikt auf, sondern ein unscheinbarer, aber einleuchtender Umstand bewahrt die Menschheit vor der Vernichtung. Dies mag weniger spektakulär als "Independence Day" erscheinen, wirkt dafür aber weitaus realistischer. Dominiert wird der Roman von Wells‘ pessimistischer Weltsicht die in der Vermutung mündet, wonach Marsianer und Menschen einander ähnlicher seien, als es den Erdenbewohnern lieb sei. Letztendlich – so darf spekuliert werden – ereilt die Menschheit das evolutionäre Schicksal der Invasoren.

Hollywood entdeckt den "Krieg der Welten"

Kein Grund zur Panik

In die Popkultur ging "Krieg der Welten" insbesondere durch das Hörspiel von Orson Welles am Vorabend zu Halloween 1938, das entgegen landläufiger Meinung keine Massenpanik auslöste, dafür dank seiner cleveren Inszenierung glänzte, die ein wenig an eine akustische "Found Footage"-Variante gemahnt.

Steven Spielbergs "Krieg der Welten"Die erste Leinwandadaption erfuhr das Buch 1953 durch den von George Pal produzierten Klassiker "Kampf der Welten". Mit der Vorlage selbst wies er jedoch kaum noch Gemeinsamkeiten auf: Die Handlung wurde vom viktorianischen England in die USA der Gegenwart verlegt, der Protagonist ist ein attraktiver Wissenschaftler, der sich neben der Erforschung an einem biologischen Kampfstoff gegen die Invasoren um ein hübsches Dummerchen kümmern muss, das in 1950er-Jahre-Manier nur im Frühstück kochen und hilflos Kreischen gut ist, und die charakteristischen Tripods der Marsianer wurden aus Budgetgründen gestrichen und durch Fluggeräte ersetzt. Trotzdem bietet der mit einem Oscar für die Besten Spezialeffekte ausgezeichnete Klassiker noch heute gute Unterhaltung, wenngleich die religiösen Untertöne an Penetranz nur schwer zu überbieten sein dürften und im völligen Widerspruch zu H. G. Wells‘ atheistischer Überzeugung standen. Am Rande sei vermerkt, dass der Name des von Gene Barry verkörperten Protagonisten Dr. Clayton Forrester in der Comedy-Serie "Mystery Science Theater 3000" für einen gleichnamigen "mad scientist" stehen sollte.

Überraschenderweise näher am Original orientierte sich 2005 Steven Spielbergs "Krieg der Welten". Nicht nur werden die dreibeinigen Kampfmaschinen beeindruckend realistisch zu ihrem feurigen Tod versprühenden Leben erweckt, es wird auch eine Fluchtsequenz zu Meer aufgegriffen, die in der Version von 1953 fehlt. Und: Tom Cruise singt ein Wiegenlied! Zugegeben: Diese Szene ist im Roman nicht enthalten...

Musical "War of the Worlds"

Für Aufsehen sorgte das 1978 veröffentlichte Konzeptalbum "War of the Worlds" von Jeff Wayne, der aus dem Science-Fiction-Werk ein grandios komponiertes Musical schuf. Auch wenn man dem Album seine Produktionszeit inmitten der dräuenden Disco-Ära anmerkt oder vielmehr anhört: Jeder einzelne Titel erweist sich als Ohrwurm und die Handlung schmiegt sich verblüffend eng an die Vorlage an (mit Ausnahme des eher unnötigen Epilogs).

Aus Platzgründen unerwähnt bleiben müssen zahlreiche Romane, Filme, TV-Serien und Computerspiele ("Jeff Waynes War of the Worlds" der ehemaligen Softwareschmiede "Rage Software") bleiben. Wie kaum ein anderes literarisches Werk zuvor oder danach, beschäftigte Wells‘ "Krieg der Welten" die Phantasie seiner Leser und regte so manche von ihnen zu eigenen Variationen der Thematik an. Weshalb ein weit über einhundert Jahre alter Roman nach wie vor mit Begeisterung gelesen wird, lässt sich wohl mit dem Umstand erklären, dass seine Grundaussagen – leider – offenbar zeitlos sind.

Originaltitel: The War of the Worlds

Autor: H. G. Wells

Veröffentlichungsjahr: 1898 (Großbritannien) bzw. 1901 (Deutschland)

Seitenanzahl: 352 Seiten (Taschenbuchausgabe)

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