Kummer im Schlaraffenland: Die Mörder gehen um

Es schlägt immer häufiger und immer früher zu, das Killerpärchen aus Bewegungsarmut und Kohlenhydratmast. Es macht sich die Hände dabei nicht schmutzig. Dafür hat es seine Handlanger: Übergewicht, Diabetes, Bluthochdruck – auch bekannt als metabolisches Syndrom. Was ist schief gelaufen in unserer Entwicklung? In der Steinzeit war doch noch alles in Ordnung.

Gesunde Ernährung in der Steinzeit

Die Steinzeit begann vor 2,6 Millionen Jahren und endete etwa 7000 vor Christus. In diese erste Epoche der Menschheitsgeschichte fällt die neolithische Revolution, die Erfindung von Ackerbau und Viehzucht, vor etwa 14 000 Jahren. Die Menschen gaben ihr Leben als Nomaden zugunsten einer sesshaften Lebensweise auf.

 

gesunde Ernährung: Hülsenfrüchte, Eier

Vor der neolithischen Revolution lebten die Menschen als Jäger und Sammler. Sie waren – wie heute – Allesfresser, ernährten sich in Abhängigkeit von Jahreszeit und Lebensraum sehr vielseitig von Früchten, Beeren, Nüssen, Eiern, Honig, Kleintieren und auch Insekten. Getreide gab es höchstens in homöopathischen Dosen. Diese Lebensmittel wurden von den  Frauen gesammelt und dienten den Menschen als kleiner Snack zwischendurch. Die Hauptmahlzeit bestand aus Fleisch und Innereien, der Beute, die die Männer erlegt hatten. Die Steinzeitmenschen waren muskulöse, aktive Menschen mit einem hohen Energieverbrauch.

 

Paradoxerweise führte der Ackerbau zu einer Mangelernährung, obwohl reichlich Lebensmittel produziert werden konnten. Aber die Vielfalt ging verloren. Es gab fast nur noch Getreide. Als Folge stiegen Kindersterblichkeit, Knochenfehlbildungen, sowie Krankheiten wie Anämie, Infekte oder Karies an. Die Lebenserwartung und auch die Körpergröße der Menschen nahm ab.

 

Unser Wissen über die Lebensweise in der Steinzeit stammt aus Untersuchungen von Fossilfunden und der Beobachtung von neuzeitlichen Naturvölkern. Die Nahrung dieser neuzeitlichen Jäger-Sammler-Gesellschaften besteht zu etwa 60 Prozent aus tierischer Kost. Völker, die in Klimaverhältnissen leben, die denen Europas ähneln, verzehren 30% Kohlenhydrate, 40 – 50% Fett und 20 – 30% Protein.

 

Es ist auf jeden Fall unwahrscheinlich, dass die natürliche menschliche Nahrung, wie sie vor der neolithischen Revolution üblich war, jemals weniger als 35% Fett und mehr als 40% Kohlenhydrate enthielt. Heute empfiehlt man uns eine Mischkost, die zu 65% aus Kohlenhydraten, maximal 30% Fett und 15% Eiweiß besteht.

Ketzer

Es gab Zeiten, da machte man sich keine Freunde, wenn man behauptete, die Erde sei eine Kugel. Heute gerät man in ähnliche Bedrängnis, wenn man sagt, wir essen zu viele Kohlenhydrate.

Allerdings werden die Stimmen der Ketzer immer lauter und tatsächlich sind neuerdings Kohlenhydrate von der Basis der "Ernährungspyramide" verschwunden.

Was ist so schlimm an Kohlenhydraten?

Eigentlich sind Kohlenhydrate ein kostbares Substrat zur Energiegewinnung. Sie werden zu Glucose abgebaut, die dann in den Körperzellen verbrannt wird. Jede Körperzelle kann Glucose verstoffwechseln. Aber das Gehirn ist weitgehend auf Glucose zur Energiegewinnung angewiesen, denn es kann kein Fett verbrennen. Glucose kann auch in dem Muskelzellen kurzfristig ohne Sauerstoff zu Milchsäure vergoren werden. Das ist wichtig, wenn unter Höchstleistung der Sauerstoff zur Verbrennung fehlt. Dann reicht es vielleicht noch auf den Baum, bevor die Kiefer des Verfolgers zuschnappen. Bei geringer Belastung verbrennen die Muskeln aber bevorzugt Fett um die kostbaren Kohlenhydrate zu sparen.

 

Kohlenhydrate satt in Nudeln

Die Qualität der Kohlenhydrate, die wir heute verzehren unterscheidet sich sehr deutlich von den Kohlenhydraten, die der Steinzeitmensch zu sich nahm. In der Steinzeit gab es in erster Linie Früchte, Gemüse und Hülsenfrüchte. Diese Kohlenhydratquellen enthalten viele Ballaststoffe und belasten den Blutzuckerspiegel nur wenig. Die Steinzeitkost enthielt daher eine niedrige glykämische Last. Unsere moderne Ernährung trägt eine hohe glykämische Last: Zu viele Kohlenhydrate, die auch noch starke Blutzuckerschwankungen verursachen.

Was passiert mit den Kohlenhydraten?

Der Verzehr von Kohlenhydraten führt zu einer Zunahme des Blutzuckerspiegels. Daraufhin setzt die Bauchspeicheldrüse Insulin frei. Insulin ist unser Wohlstandshormon. Es fördert die Aufnahme von Glucose in die Körperzellen. Dadurch sinkt der Blutzuckerspiegel wieder. Insulin aktiviert aber auch ein Enzym, das die Aufnahme von Fettsäuren in die Fettzellen fördert und sie dort nicht wieder raus lässt. Deswegen können Kohlenhydrate dick machen, auch wenn die Energiebilanz ausgeglichen ist.

 

Wenn ständig viel Glucose im Blut auftaucht, ermüdet das System irgendwann und die Wirkung des Insulins an der Zelloberfläche lässt nach. Darauf reagiert der Körper zunächst mit der vermehrten Ausschüttung von Insulin, einem erhöhten Insulinspiegel und später Insulinresistenz und Diabetes. Die Zellen reagieren nicht mehr auf Insulin und die Glucose bleibt im Blut.

 

Es gibt einen Ausweg aus dem Dilemma: Bewegung. Muskelarbeit induziert die Aufnahme von Glucose in die Zellen. Sie benutzt dabei sogar dasselbe Transportsystem, nur benötigt sie dazu kein Insulin. Für hochaktive Menschen ist eine hohe Kohlenhydratzufuhr sicher kein Problem. Man kann Kohlenhydrate auch verbrennen. Für unsere sessile, bewegungsarme Lebensweise ist diese Kohlenhydratmast allerdings Gift. Vielleicht ist nicht die neolithische sondern die industrielle Revolution die eigentliche Katastrophe gewesen, denn seither nehmen Maschinen den Menschen die körperliche Arbeit ab und wie werden immer träger. Bei unserer modernen Lebensweise ist oft die Bauchspeicheldrüse der einzige Sportler.

Was soll dann auf den Teller?

Wenn man weniger Kohlenhydrate essen soll, muss man sie durch etwas anderes ersetzen. Der Fett- oder Proteinanteil der Nahrung steigt also automatisch an. Durch einen höheren Proteinanteil kommt ein gesunder Mensch nicht zu Schaden. Und auch Fett ist gar nicht so böse, wie man immer sagt. Zahlreiche medizinische Studien aus jüngerer Zeit belegen auch, dass eine fettarme, kohlenhydratreiche Kost die Blutfettwerte, die für die Entstehung von Herz- Kreislauferkrankungen ausschlaggebend sind, insgesamt nicht verbessert. Zwar sinkt das "böse" LDL Cholesterin unter diesen Bedingungen, das "gute" HDL Cholesterin sinkt aber noch mehr, so dass sich der Quotient von LDL und HDL insgesamt verschlechtert. Auch die Triglyceride im Blut steigen bei Kohlenhydratmast um etwa 30 Prozent. Im Gegensatz dazu senkt eine kohlenhydratarme, fettreiche Kost fast alle Blutfettwerte.

Einschränkungen

Genetisch betrachtet unterscheiden wir uns so wenig vom Steinzeitmenschen, dass wir unsere Ernährungsgewohnheiten getrost bei ihm abgucken dürfen. Das gleiche gilt gerne auch für die Bewegungsgewohnheiten. Für die Evolution sind 14 000 Jahre nur der Bruchteil eines Wimpernschlags. Allerdings dürfen wir nicht vergessen, dass wir uns in dieser Zeit einem enormen Selektionsdruck durch Kohlenhydratmast ausgesetzt haben. So dürfte es nicht verwundern, wenn die wenigen Unterschiede, die uns genetisch vom Steinzeitmenschen trennen, den Kohlenhydratstoffwechsel betreffen. Für eine gewisse Anpassung der Europäer an getreidereiche Kost spricht auch die Tatsache, dass Angehörige anderer ethnischer Gruppen viel stärker und früher Zivilisationskrankheiten entwickeln, sobald sie auf "westliche" Ernährungsweise umsteigen.

 

Aber an manchen Fakten darf man einfach nicht rütteln. Schon die alten Römer wussten mit hundertprozentiger Sicherheit, dass für Wasserleitungen kein anderes Material als Blei geeignet ist. Und wo sind sie heute? Weg.

Bilder: © Daniela B. / PIXELIO' © iwona golczyk / PIXELIO'

Autor seit 13 Jahren
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