"Micky auf Gespensterjagd": Legendäres Lustiges Taschenbuch Nr. 62
Lustig, makaber und dennoch spannend: Nein, die Rede ist nicht von einem neuen Tim-Burton-Film, sondern vom Lustigen Taschenbuch "Micky auf Gespensterjagd"!Ghostbuster Micky Maus!
Von wegen "langweiliger Saubermann" oder "makelloser Superdetektiv": Insbesondere ältere Geschichten zeichneten mitunter ein ganz anderes Bild von Micky Maus. Dermaßen humorvoll, schrullig und falschen Fährten nachjagend kennt man die berühmteste Maus der Welt heutzutage kaum noch! Ein Grund mehr, den Blick in die Vergangenheit schweifen zu lassen.
Denn was den Comicfan in der Ausgabe 62 der Lustigen Taschenbücher erwartet, ist nicht weniger als eine der besten Geschichtensammlungen aus Entenhausen. Mit viel makabrem Humor untermalt und dennoch spannend inszeniert, wird Micky nicht nur mit dem berüchtigten Schwarzen Phantom, sondern auch mit allerlei Geistern konfrontiert.
"Micky auf Gespensterjagd": Die Geschichten
Begegnung der 4. Art
"Das doppelte Geheimnis des Schwarzen Phantoms" erweist sich als ungemein harte Nuss für Micky. In der von Guido Martina und Romano Scarpa erzählten Geschichte von 1955, bekommt es Micky mit dem Superverbrecher "Das Schwarze Phantom" zu tun. Anders als Erzfeind Kater Karlo setzt der genial-verrückte Verwandlungskünstler auf ausgeklügelte Pläne, statt rohe Gewalt. In dieser Geschichte etwa fädelt er ein raffiniertes Komplott gegen Micky ein. Es gelingt ihm, die superschlaue Maus zu hypnotisieren - übrigens dank des Fernsehers, was einen ironischen Seitenhieb auf das bereits vor Jahrzehnten schrottige Fernsehprogramm darstellt - und zu Handlungen zu bewegen, die sowohl Micky selbst, als auch dem Leser erst später enthüllt werden. Bis zum aufreibenden Showdown gilt es zu klären, wie eine nächtliche Taxifahrt, an die sich Micky nicht mehr erinnert, Erpresserbriefe an Kommissar Hunter und ein Einbruch in das Geschäft des verrückten Hutmachers aus dem Animationsfilm "Alice im Wunderland" zusammenhängen.
Bereits angesichts des grob umrissenen Plots dürfte ersichtlich sein, wie skurril und gleichermaßen spannend diese Geschichte konstruiert ist. Wie bei einem ausgeklügelten Krimi fügen sich scheinbare Kleinigkeiten zu einem Puzzle zusammen. Dabei kommt Mickys Freund aus der 4. Dimension Gamma und seinem Hund Fips entscheidende Mithilfe beim Aufdecken der Verschwörung zu. Zweifellos handelt es sich bei "Das doppelte Geheimnis des Schwarzen Phantoms" um eine der besten Micky-Maus-Geschichten überhaupt. Aus heutiger Sicht ungewöhnlich gewalttätig erscheint ein Mordversuch an Kommissar Hunter. Zur Beruhigung: Natürlich misslingt der Anschlag und keine der Figuren erlitt während des Drehs körperlichen Schaden...
Micky "Jack Sparrow" Maus
Ein seltsamer Spleen erfasst die ansonsten brave Maus: Nachdem seine Abstammung vom gefürchteten Piraten Miguel ruchbar wurde, fühlt er heißes Piratenblut in sich pulsieren. Wie ein übermütiger Junge stellt er im heimeligen Garten das gefährliche Piratenleben nach. Zum Drüberstreuen verfasst er eine Biographie über seinen stolzen Vorfahr. Seine Begeisterung wird aber vom Schatten des zwielichtigen Samson getrübt, der behauptet, in Wahrheit sei Mickys Vorfahr ein Hasenfuß gewesen, und eine Kampagne gegen Micky Biographie startet.
Natürlich ist Micky darob gekränkt und setzt mit Gammas Hilfe zur Ehrenrettung des Piraten an. Das seltsame Männchen aus der 4. Dimension versetzt sich selbst und Micky dank seiner Zeittapeten, die er immer in der Hosentasche mit sich herumträgt, in längst verflossene Zeiten zurück. Nach einigen fehlgeschlagenen Versuchen landen sie in der richtigen Ära - und werden prompt von der Britischen Marine an Bord eines Kriegsschiffes verschleppt, das Miguels Treiben ein jähes Ende treiben soll...
Mit Johnny Depps Verkörperung des Jack Sparrow hat der 1953 erstmals abgedruckte Comic natürlich wenig am Hut. Die damals gängigen Klischees und Konventionen finden sich im "Schrecken des Meeres" zuhauf wieder, ebenso wie die politisch unkorrekte Darstellung des vermutlich aus der Karibik stammenden, hinterhältigen Samson. Wer sich daran nicht stört, erlebt eine durchaus spannende Zeitreisegeschichte mit allerlei skurrilen Details und witzigen Wendungen. Szenenweise sprudelt der Ideenreichtum geradezu über, etwa wenn Zeitreisen nicht wie üblich mit entsprechenden Maschinen, sondern Tapeten angetreten werden, die einfach auf die Gegenwart draufgepappt werden. Dies mutet wie eine augenzwinkernde Hommage an das Medium Comic an und wird zudem ausnehmend originell eingesetzt.
Der Geistersammler
Die vielleicht beste Story dieses überragenden Erzählbandes liefert die dritte Geschichte mit dem Titel "Das verkorkste Gespenst". Nach ihrer verfrühten Rückkehr aus dem Urlaub müssen sich Micky und Goofy vorübergehend eine neue Bleibe suchen, da sie ihre Häuser noch einige Wochen lang vermietet haben. Von einem Makler wird ihnen eine (O-Ton) "Bruchbude" angeboten. Notgedrungen akzeptieren die beiden das Angebot, werden aber bereits in der ersten Nacht von seltsamen Geräuschen aus dem Keller aufgeschreckt. Als sie der Ursache hierfür auf den Grund gehen, stellen sich ihnen die Nackenhaare auf: Ein waschechter Geist treibt dort unten sein Unwesen! Wie sie später herausfinden, handelt es sich um den einstmals nicht zimperlichen Räuber Guido, der vor 150 Jahren von verräterischen Kumpanen bei lebendigem Leibe eingemauert worden war.
Zunächst herrscht zwischen den Lebenden und dem Toten noch leichte Missstimmung und Guido macht Goofy beinahe um einen Kopf kürzer. Aber im Laufe der Zeit freunden sich die beiden mit dem unorthodoxen Gespenst, das isst, trinkt und den ganzen Tag über sichtbar ist, an. Guido erweist sich sogar als umgänglicher Zeitgenosse, erledigt trotz einiger Schwierigkeiten - der Staubsauger verschluckt ihn - den Haushalt und erzählt begeistert lauschenden Kindern gruselige Geistergeschichten. Aber dann wird er Opfer eines Komplotts und von Micky verstoßen. Der nicht besonders helle Geist fällt in die Hände des verrückten Professors Ali Blabla, der Gespenster jeglicher Art sammelt. Derweil drückt Micky das schlechte Gewissen und er begibt sich auf die Suche nach Guido. Dummerweise gerät er in die Fänge des Professors, der ihn mit Hilfe einer Gehirnoperation zum willenlosen Sklaven machen möchte. Zu spät bemerkt Guido, dass man seine Gutmütigkeit ausgenutzt hat. Kann er Micky vor der Zombifizierung retten?
Die längste Story in "Micky auf Gespensterjagd" ist an Originalität und Witz kaum zu toppen. Nie zuvor wirkte Entenhausen auf schrullige Weise gruseliger und seltsamer. Fast jedes Haus gleicht einem klassischen Spukanwesen, die Straßen sind schmutzig und von merkwürdigen Gestalten bevölkert. Nostalgischen Charakter atmet die Technologie und Atmosphäre: Kerzentelephone, wie man sie nur noch aus Stummfilmen kennt, klobige Radiogeräte und im Kino preisen Bauchladenverkäufer Eis an. Prägender ist aber natürlich der Spannungsbogen, der unablässig zum Weiterlesen animiert und mit allerlei Gags aufgelockert wird. Heimlicher Star der Geschichte ist das Gespenst Guido, das anfangs blutrünstig wirkt, sich später aber als gutmütiger Charakter herausstellt. Skurriler Höhepunkt der Story: Ali Blablas Geistersammlung, die unter anderem Ghostwriter (etwas missverständlich als "Geisterschreiber" eingedeutscht) umfasst. Ein gerüttelt Maß an Gewalt ist auch in dieser Geschichte nicht zu verleugnen: Goofys Kopf wird beinahe abgeschlagen und ein Entenhausener wird von einer Explosion buchstäblich durch die Decke geschossen.
Schwächelnder Abgang
Den drei an Spannung, Witz und cleveren Plots nur schwer zu überbietenden Geschichten folgen zum Abschluss zwei schwächere Storys. Da wäre zunächst "Micky und die gigantischen Grillen", die durchaus witzig damit beginnt, dass Micky und Goofy unabsichtlich für Chaos auf einem Jahrmarktrummel sorgen. Ebenso unbeabsichtigt gerät Goofy in den Bann eines Hypnotiseurs und glaubt fortan, er wäre der Boss einer skrupellosen Gangsterbande. Diese plant, ein Wachstumsserum der Sieben Zwerge an sich zu reißen. Es kommt, wie es kommen muss: Das Serum wird versehentlich freigesetzt und lässt die titelgebenden Grillen zu gigantischen Monstren heranwachsen, die Entenhausen terrorisieren...
Gewiss: Die Idee, Micky, Goofy, Donald und die Sieben Zwerge in einer Geschichte gemeinsam auftreten zu lassen, hat was. Leider flacht der Plot nach starkem und witzigem Beginn rasch ab und mündet in einem wenig spektakulären Showdown.
Kaum erwähnenswert ist der Vierseiter "Ein tragisches Ende": Micky verabredet sich mit Minnie zum Picknick am nächsten Morgen, wird aber durch allerlei Zwischenfälle aufgehalten. Das ist weder besonders spannend, noch witzig, kann aber angesichts des enorm hohen Niveaus des Bands leicht verschmerzt werden.
Fazit: "Micky auf Gespensterjagd" stellt einen Höhepunkt der Serie Lustiges Taschenbuch dar und überzeugt trotz oder gerade wegen der sehr alten Geschichten über weite Strecken hinweg. Die makabren, gruseligen Passagen werden durch die Comicform dermaßen abgeschwächt, dass sie selbst Kindern bedenkenlos zugemutet werden können.
Bildquelle:
Karin Scherbart
(Asterix bei den Pikten – Rezension)