Mit Gefühlsausbrüchen tut der Bayer sich ebenfalls schwer. Er pflegt lieber seinen "Grant". Was jedoch durchaus liebevoll gemeint ist. So ist etwa die Antwort "geht schon" auf die Frage, ob etwas Bestimmtes gefällt oder nicht, als höchstes Lob zu werten. Um seinem Grant gerecht zu werden, und dennoch positiv formulieren zu können, bedient sich der Bayer der doppelten Verneinung. Statt zu sagen "das ist gut " neigt er dazu, zu sagen: "schlecht ist das nicht". Auch wenn dieser Grant in der jüngeren Generation lang nicht mehr so ausgeprägt ist wie bei den Alten, so ist er versteckt doch immer noch vorhanden. Möglicherweise daher kommt auch der Ruf der Münchner, arrogant und verschlossen zu sein. Nicht selten beruht dies schlichtweg auf einem Missverständnis der Kulturen. Nur, weil ein Münchner "grantelt", heißt das noch lange nicht, dass er dem Anderen nicht offen gegenüber steht.

Dasselbe gilt für das Klischee, München sei Schicki-Hauptstadt Nummer eins. Ja, es gibt hier seit Jahrzehnten das P1 und ja, Oliver Kahn hat hier seine Verena kennen gelernt. Und am Samstagabend kommt auch nicht jeder rein, und auch wenn er noch so schick gekleidet ist.Versteckt und von Touristen und Neumünchnern anfangs unbemerkt gibt es aber auch in München eine Punk-, Gothic-, Alternativ- und jede Menge anderer Szenen. Auch hier gibt es Retro-Kneipen und abgefuckte Locations, in denen man mit der Bierflasche in der Hand auf dem Boden sitzt, winzige Clubs, in denen jenseits allen Schickitums bis in die frühen Morgenstunden auf engstem Raum getanzt und gegrölt wird, wie im legendären X-Cess. Nie werde ich die streng geheimen Techno-Partys in alten Abbruchhäusern der 90er vergessen. Es gibt jede Menge Künstler und auch ganze Künstlerviertel wie das Glockenbach oder das alte Neuhausen, im Sommer trommeln Schwarzafrikaner im Englischen Garten, neben unermüdlich Stunde um Stunde auf ihren Slacklines balancierenden Studenten. Seit Jahrzehnten werfen sich an warmen Tagen und teils auch mitten in der Nacht im dürftigen Licht eines durch Notstromaggregat betriebenen Strahlers die Isar-Surfer in die wilden, eisigen Fluten des Eisbachs neben dem Haus der Kunst, manchmal sogar mitten in der Nacht beim dürftigen Licht eines Notstromaggregats. Bis letztes Jahr, als die Isar renaturiert wurde, lebten unter der Wittelsbacherbrücke Obdachlose, die so etabliert waren, dass sie sich über die Jahrzehnte eingerichtet hatten wie in einer richtigen Wohnung, mit Küche und Wohnzimmer. Einst, vor 20 Jahren, gab es hier sogar einen Briefkasten. Und wer hätte gedacht, dass das angeblich so spießige und provinzielle München die einzige Großstadt Deutschlands ist, in der kein grundsätzlicher Leinenzwang für Hunde herrscht?

München ist nicht nur die Stadt der Schönen und Reichen, sondern hat unendlich viele Facetten. Ein Blick hinter die Kulissen lohnt sich.

Buch-Tipps für Neu-Münchner und Zugereiste

Anleitung für Neu-Münchner und Zugezogene in München - Was man als "Zuagroasta" in München unbedingt beachten sollte

1. Lass dich treiben. Sei offen für alle Eindrücke. Wandere durch die Stadt ohne Plan, ohne Ziel und sieh sie dir an. Die versteckten Ecken, die mittelalterliche Innenstadt, die Szene-Viertel Glockenbach, Haidhausen und Maxvorstadt, das mondäne Schwabing, den riesigen Englischen Garten. Viertel und Ecken von denen du noch nie gehört und von denen du noch nie gelesen hast. Mach die Augen auf und lass dich nicht blenden von Vorurteilen und von dem was du über München gehört hast.
2. Wenn du vor einem In-Club den Satz "Nur für Stammgäste" hörst, bedeutet das nicht, dass du zu unstylish oder zu wenig gut aussehend bist. Es bedeutet "Nur für Stammgäste". Versuch es unter der Woche. Sobald der Türsteher dich kennt, kannst du auch am Samstag rein. Sogar in Jogginghosen.
3. Blick hinter die Kulissen. Wenn du dich in der Schicki-Szene, die laut dem, was du gehört hast, typisch für München sein soll, nicht wohl fühlst - such eine andere! Es gibt sie.
4. Zeigt ein Alt-Bayer nicht allzu große Begeisterung für das, was du ihm erzählst, sondern nimmt es mit einem "passt scho" oder "geht scho" hin, nimm es nicht persönlich. Solange er nicht darüber schimpft, ist die Reaktion positiv zu bewerten.
5. Wenn du dich alleine unwohl fühlst, such dir Leute zum gemeinsamen Ausgehen, zum Beispiel Arbeitskollegen. In der Gruppe ist man offener und wirkt nicht so "bedürftig" jemanden kennen zu lernen.
6. Wenn du einen Münchner ob seiner Art für einen arroganten jungen Schicki oder einen unfreundlichen alten Zwiderwurz hältst - sei nicht ablehnend, sondern lächle ihn an. Denn wie überall auf der Welt ist es auch in München so, dass einem Freundlichkeit begegnet, wenn man Freundlichkeit ausstrahlt und Ablehnung, wenn man sich distanziert verhält.

Kult-Serien in und um München - Wer die Münchner verstehen will, schaut Monaco Franze, Kir Royal und Münchner Gschichten

Nirgends sonst wird das Wesen der Bayern und explizit der Münchner so gut beschrieben wie in den Kult-Serien Monaco-Franze und Kir Royal. Während Monaco Franze - Der ewige Stenz mit dem legendären Helmut Fischer, dem zu Ehren an der Münchner Freiheit sogar ein Denkmal errichtet wurde, eher den stillen und doch sehr erfolgreichen Münchner Charme zum Thema hat, beschäftigt sich Kir Royal in einer wunderbaren Parodie mit der Schicki-Gesellschaft und denen, die dazu gehören wollen. Als die beiden Serien in den 80ern liefen, waren die Straßen Münchens wie leer gefegt - denn jeder, wirklich jeder, ob jung oder alt, saß vor dem Fernseher. Absolut empfehlenswert! Witzig, unterhaltsam, charmant, hintergründig. Die Münchner Geschichten sind vom selben leichten, satirischen Charme getragen. München 7 betrachtet München und die Münchner samt ihren Sorgen und Nöten aus polizeilicher Sicht. Irgendwie und Sowieso spielt zwar nicht in München, sondern etwas außerhalb und vor langer Zeit, Ende der 60er, ist aber dennoch absoluter Kult in München, da das Wesen der Bayern so wunderbar dargestellt und parodiert wird. Die Weißblaue Geschichten mit Gustl Bayrhammer sind nicht ganz so parodistisch, aber ebenfalls charmant und bezeichnend. Vielleicht eher für die etwas ältere Generation.

Im Grunde passt der Münchner Tatort nicht in diese Reihe, denn alle anderen Serien sind eher leicht und satirisch. Dennoch sei er hier genannt, da auch er das Wesen der Münchner und Bayern wiederspiegelt - nicht zuletzt durch die Darsteller Gustl Bayrhammer und Helmut Fischer - und als Kultserie ganz anderer Art Bilder und Eindrücke aus der Stadt München zeigt.

München im Roman

Doch auch auf ganz andere Art und Weise kann man sich München nähern: Über Belletristik. Als ich vor 10 Jahren im Krankenhaus lag, heiterte mich die leichte Satire Frösche und Prinzen über eine Münchnerin auf Partnersuche ungemein auf. Als besonderes Schmankerl werden all die Clubs und Kneipen erwänt, die man auch selbst kennt und die für Neu-Münchner absolut empfehlenstwert sind. Auch wenn es inzwischen neuere angesagte Locations gibt - alle im Buch erwähnten Orte existieren noch. Wer es nicht ganz so leicht mag, dem sei ein in München spielender Krimi ans Herz gelegt, z.B. Nachtnebel, Freitagsflug, Schneejagd, Tatort Oktoberfest: Mörderisches Spiel oder das nicht nur im Titel sehr flott geschriebene Der Anrufer, eine Leiche im Englischen Garten und nicht zu vergessen: Frau Dörfel: Kommissar Max Wetzels erster Fall.

Wizzard, am 18.03.2011
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Bildquelle:
Reisefieber (Dezember in Goa, Indien)

Autor seit 13 Jahren
6 Seiten
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