Phänomen Tierkult: Hunde-Wellness, Katzenschlösser und ein Stier als Palastherr
Verhätscheln wir unsere Tiere zu sehr? Mag sein, aber neu ist ein solcher Tierkult keineswegs. Schon die Alten Ägypter waren Meister darin.
Wer trägt nicht gern Omas Pullover?
(Bild: Pixabay)
Auch Katzen mögen es gemütlich.
(Bild: Pixabay)
Ein Traum
Die Masse tobte und ich war mittendrin. Voller Erwartung richteten sich unsere Blicke auf ein höher gelegenes Fenster, an dem ER jeden Moment erscheinen würde. ER, der hoch verehrte Verkünder mit den 29 Zeichen. Wie in einem Rausch fieberten wir ihm und seiner Botschaft entgegen.
Als endlich Schritte ertönten und ER sich zeigte, badeten wir im Licht seines weißen Dreiecks auf der Stirn. Als ER das Maul öffnete und zum Sprechen anhob, kam das Abbild eines Skarabäus unter seiner Zunge zum Vorschein. Ich hielt den Atem an – und wachte auf.
Verdammt, nicht jetzt! Ich muss wissen, was er zu sagen hat, dachte ich und rieb mir verärgert die linke Wange, die während meines Spontanschläfchens auf dem Buch "Pharaonen und Propheten" von David Rohl zum liegen kam. Trotz Anstrengungen blieb mir der Weg in den Schlaf zurück verwehrt und ich erfuhr nie, was ER mir am Fenster der Erscheinung zu sagen hatte.
Um wen es in meinem Traum ging? Um niemand geringeren als den Apis-Stier, den heiligen Stier von Memphis des Alten Ägypten. Vor mehr als 3000 Jahren vor Christus wurde dort ein Tierkult zelebriert, der unsere heutigen Bemühungen um die geliebten Vierbeiner blass erscheinen lässt.
Der Apis-Kult: ein Stier als göttlicher Vermittler
So wie unsere zeitgenössischen Haustierliebhaber sahen auch die Alten Ägypter in ihrem auserkorenen Tier nicht bloß ein Tier. Anders als heute ging es ihnen jedoch nicht um Vermenschlichung; darüber könnten sie wahrscheinlich nur müde lächeln. Sie gingen noch einen Schritt weiter und hoben den Apis-Stier in göttliche Sphären.
Hochburg des Apis-Kultes war die Stadt Memphis, die gleichzeitig Hauptkultort des Schöpfergottes Ptah war. Gott und Stier pflegten eine enge Beziehung zueinander: Der Apis-Stier ermöglichte es dem Gott, mit den Menschen in Kontakt zu treten, indem er seine "herrliche Seele" in sich trug und ihn verkörperte. Somit war der Stier Ptahs Medium.
Wie wir aus Geisterfilmen wissen, ist nicht jeder dazu berufen, ein Medium zu sein. Dies galt auch für den Apis-Stier, der zahlreiche äußerliche Kriterien erfüllen musste. So sollte er beispielsweise neben einem schwarzen Fell und einem weißen Dreieck auf der Stirn einen mondsichelförmigen Fleck auf der rechten Flanke und einen Fleck in Form eines Adlers im Nacken aufweisen.
Der Apis-Stier als Palastherr
Ein eigener (Hunde-)Wellnessbereich inklusive Aroma-Tüchern in der Wohnung? Ein (Katzen)schloss als Rückzugsort? Für den Apis-Stier ein Witz – schließlich gehörte ihm ein ganzer Stadtbezirk.
Das verehrte Tier lebte nach seiner feierlichen Inthronisation im heiligen Tempelbezirk des Ptah und residierte dort in seinem eigenen "Palast des lebenden Apis". Ein Hof und ein ausgedehnter Stallbereich gehörten ebenso dazu wie ein Sanktuar. In letzterem befanden sich Kultstatuen "des schreitenden Apis", so dass er, wie auch in unseren Königshäusern üblich, sein eigenes Abbild bewundern konnte. Um soziale Kontakte pflegen zu können, hatte er eine Herde bei sich.
Trotz all des Luxus' vergaß der Stier seine Wurzeln nicht, vor allem besinnte er sich auf seine Mutter. Diese bewohnte auf dem Gelände ein eigenes Sanktuar, in dem sie sich an einem Kultbild ihrer selbst erfreuen konnte. Die Mutterkuh, die mit der Göttin Hathor/Isis gleichgesetzt wurde, hielt häufig gemeinsame Audienzen mit ihrem Sohn ab.
Die Ruinen des Apis-Palastes.
(Bild: Neithsabes, wikimedia, PD)
Der Apis-Stier als gern gesehener Partygast
Beispielsweise zeigte sich das Mutter-Sohn-Gespann an bestimmten Festtagen am sogenannten Erscheinungsfenster. Ähnlich wie beim Papst konnte die Bevölkerung auf diesem Weg einen Blick auf die heiligen Tiere werfen und somit dem Gott näher kommen.
Mit ein bisschen Catwalk am Fenster war es natürlich nicht getan. Um besondere Volksnähe zu demonstrieren, verließ der Apis-Stier an Feiertagen und Festen seine heiligen Hallen und führte in Memphis große Prozessionen an.
Doch was war mit den Menschen, die außerhalb der Stadt wohnten? Auch sie feierten die Großevents und wollten den Stier sehen. Da die Technik des Public Viewing zur damaligen Zeit noch nicht ausgereift war, musste auf andere Mittel zurückgegriffen werden. Die Lösung: Man setzte eine Apis-Statuette auf einen Schlitten und führte diesen bei Feierlichkeiten außerhalb von Memphis herum.
Eine Darstellung des Apis-Stieres.
(Bild: Jastrow, wikimedia, PD)
Wer nun denkt, der Apis-Stier hätte die ganze Zeit gefeiert und dem süßen Leben gefrönt, der liegt falsch. Auch ein verehrtes Tier wie er musste arbeiten. Umzüge mit dem Ziel, die Fruchtbarkeit der Felder und Herden zu gewährleisten, lagen ebenso in seinem Aufgabenbereich wie die verantwortungsvolle Tätigkeit des Orakelns.
Vielleicht erinnern Sie sich an den WM-Krake Paul, der bei der Fußballweltmeisterschaft 2010 die Sieger vorhersagte, indem er ein Leckerli aus einer von zwei beflaggten Boxen fischte. Ähnlich gingen die Alten Ägypter vor: Um Auskunft zu erteilen, betrat der orakelnde Stier nach einer gestellten Frage einen von zwei Ställen. Je nachdem, welcher Stall gewählt wurde, ergab dies ein günstiges oder ungünstiges Zeichen. Eine weitere Methode bezog die kindlichen Apis-Begleiter bei Festzügen mit ein: Sobald diese in Ekstase gerieten, konnten sie die Fragen der Besucher und die jeweilige Antwort des Stieres in Form seines Verhaltens weiterleiten.
Der letzte große Auftritt
Im Gegensatz zu Paul, der Krake – dessen Asche übrigens nach 33-monatiger Lebensdauer in einer Urne im Sea Life Oberhausen ruht – lebte ein Apis-Stier weitaus länger, im Schnitt 20 bis 25 Jahre.
Nachdem er eines natürlichen Todes gestorben war, brachten Priester seinen Leichnam zu einem See im Norden, wo Riten und Rezitationen stattfanden. Im Anschluss wurde er zurück auf das Tempelgelände in das "Haus der Reinigung" gebracht, wo er gewaschen und mit Natron präserviert wurde. Ziel war dabei, Unreinheit zu entfernen und den Weg für eine Wiedergeburt zu ebnen. In einem vorerst letzten Schritt wurde der Leichnam im "Einbalsamierungshaus" mumifiziert, was bis zum 68. Tag dauerte.
In dieser langen Zeit waren nicht nur die beteiligten Priester mit dem Tod des Apis-Stieres konfrontiert, sondern das ganze Volk – es herrschte 70 Tage lang Staatstrauer. Es wurde Trauerkleidung getragen und die Haare durften nicht geschnitten werden. Auch das Waschen war verpönt. In den ersten vier Tagen wurde gefastet, danach gab es Gemüse, Brot und Wasser.
70 Tage nach seinem Tod ging der mittlerweile mumifizierte Apis-Stier ein letztes Mal auf Reisen. In einer feierlichen Prozession wurde er, begleitet von der Öffentlichkeit, zu seiner Krypta getragen. Diese befand sich in der Totenstadt Sakkara westlich von Memphis unterhalb eines großen Apis-Tempels. Als letzte Handlung wurde das Mundöffnungsritual vollzogen, um das Tier – das fortan mit dem Gott Osiris identifiziert wurde – zu beleben und zu beseelen.
Nach der Beisetzung begann die Suche nach einem neuen Apis-Stier.
Eine Darstellung des Osiris-Apis, mit dem der verstorbene Apis-Stier identifiziert wurde.
(Bild: Jastrow, wikimedia, PD)
Tierkulte – Menschen auf der Suche?
Wie ersichtlich wurde, haben Anhänger eines Tierkultes weder damals noch heute an ihren Lieblingen gespart.
Auffällig ist, dass der Apis-Kult einen kollektiven Charakter besaß und alle Bevölkerungsschichten involvierte. Das Bemühen um den heiligen Stier war religiös motiviert und hatte zum Ziel, etwas Unsichtbares – Gott Ptah – sichtbar zu machen und mit ihm zu kommunizieren.
Im Gegensatz dazu bleiben Anhänger heutiger Tierkulte, die reines Privatvergnügen sind, lieber unter sich und finden keine allgemeine Zustimmung der Bevölkerung. Es wird in den Tieren auch nicht mehr nach einem Gott gesucht, sondern nach Menschlichem.
Man könnte lang darüber philosophieren, was von beidem seltsamer ist. Man könnte sich aber auch die Frage stellen, was eigentlich mit uns passiert ist, damit einige Leute ihre Tiere mehr schätzen als Mitmenschen.
Bildquelle:
Droemer-Verlag
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