Rezension: Curt Letsche, Bilder einer anderen Welt – Science-Fiction Erzählung
Der Autor will zeigen, dass unsere Welt aus der Sicht von Außerirdischen ein gleichzeitig abstoßender und faszinierender Ort ist und wie sie sich infolgedessen verändern müsste.(Bild: https://www.isbn.de/buch/97...)
Die Außerirdischen entdecken einen fremden Planeten
In Letsches Erzählung bekommen die sogenannten Außerirdischen - über deren mögliche Existenz vor allem nach Sichtung sogenannter Ufos in unseren Medien immer wieder wild spekuliert wird - ein Gesicht. Und zwar geht es dabei um die Bewohner eines fernen Planeten, die nach Fertigstellung einer neuen Antennenanlage auf einmal Fernsehbilder von einem anderen Planeten empfangen können, der sich, wie sich bald herausstellt, "Erde" nennt, während die Erdbewohner als "Menschen" bezeichnet werden.
Die Erde ist, wie die Berechnungen der außerirdischen Astronomen zeigen, acht bis neun Lichtjahre entfernt. Da ein Lichtjahr 9,5 Billionen Kilometer entspricht, handelt es sich dabei um eine Entfernung von ca. 80 Billionen Kilometern. Infolgedessen wird es kaum, wie die Astronomen vermuten, zu einer direkten Begegnung kommen. Aber ein Nachrichtenaustausch wird für möglich gehalten. Es wird deshalb eine Gruppe von Wissenschaftlern aus verschiedenen Fachrichtungen damit beauftragt, an Hand der Fernsehbilder ein möglichst genaues Bild von der Erde und ihren Bewohnern zu skizzieren und der Bevölkerung vorzustellen, damit diese darüber abstimmen kann, ob es zu einer Kontaktaufnahme kommen soll oder nicht.
Erste Eindrücke von der fremden Welt
Zunächst fallen den Wissenschaftlern Unterschiede im Aussehen zwischen ihnen und den Bewohnern des Planeten Erde auf. So gehen diese zwar aufrecht wie sie, sind aber kleiner und besitzen im Gesicht eine ihrer Meinung nach sonderbare Nase und rechts und links eigenartige Ohren. Wahrscheinlich besitzen die Außerirdischen an diesen Stellen nichts Vergleichbares, sondern nur Öffnungen. - Leider wird der Autor in diesem Zusammenhang nicht konkreter. - Ansonsten erscheinen die Außerirdischen aber doch recht menschenähnlich.
Wesentlich sind auch die geologischen und klimatischen Unterschiede zwischen den beiden Planeten. So ist der Planet der Außerirdischen wesentlich kleiner als die Erde und ein recht ungemütlicher Ort, da es hier zahlreiche Vulkane gibt, die regelmäßig ausbrechen. Deshalb leben und arbeiten die Außerirdischen in riesigen stabilen Kuppelbauten, wo sie vor dem Steinhagel und den Folgen der Erdstöße, die die Vulkanausbrüche begleiten, geschützt sind, während die Bewohner des Planeten Erde, wie sie beobachtet haben, in "höhlenartigen Bauwerken aus Holz oder Stein" leben, die sie "Häuser" nennen.
Ferner ist den außerirdischen Wissenschaftlern aufgefallen, dass die Erdbewohner, sobald sie ihre Behausungen verlassen haben, in kleine längliche fahrbare Kästen steigen, die sie dann selbst steuern. Demgegenüber kennen sie selbst "nur" die Magnetbahn, die alle nutzen und die sie in rasender Geschwindigkeit an ihre Zielorte bringt. Sie sind zudem erstaunt über die Vielfalt an Sprachen, die es auf der Erde gibt, und dieser Umstand erschwert auch die Bemühungen ihrer Sprachforscher, die Bedeutung der einzelnen Worte zu entschlüsseln und schließlich ganze Sätze zu verstehen.
Die Bedeutung des Geldes auf der Erde
Was die außerirdischen Wissenschaftler sehr überrascht, ist die große Rolle, die "Geld" auf der Erde spielt. So haben sie festgestellt, dass in fast jeder Fernsehsendung über Geld gesprochen wird, und sie haben den Eindruck gewonnen, dass es für die meisten Menschen ihr einziges Lebensziel ist, möglichst viel Geld zu verdienen. Das erscheint ihnen jedoch insofern logisch, da die Erdbewohner in den Warenlagern, die sie "Geschäfte" nennen, nur etwas von den dortigen Vorräten erhalten, wenn sie "Geld auf den Tisch legen".
Und um an das Geld zu kommen, muss man arbeiten, wobei die außerirdischen Wissenschaftler allerdings auch beobachtet haben, dass es Menschen gibt, die scheinbar nicht arbeiten oder nur leichte Tätigkeiten ausüben und dennoch weitaus besser leben als diejenigen, die hart arbeiten müssen. Demgegenüber ist bei den Außerirdischen wichtig, dass jeder nach seinen Fähigkeiten und Wünschen tätig sein kann, um damit das Leben aller zu erleichtern, weil hier auch der Gemeinschaftsgedanke großgeschrieben wird, und sie sind es gewohnt, dass sie sich aus riesigen Warenlagern, "Magazin" genannt, immer das holen können, was sie benötigen, und zwar "unentgeltlich", wie man auf der Erde sagen würde.
Die Unfähigkeit der Erdbewohner zum Frieden
Eng verbunden mit der Gier nach Geld, ist, wie die außerirdischen Wissenschaftler schließlich herausgefunden haben, das Streben nach Macht. Denn wer Macht besitzt, kann – so ihre Erkenntnis - anderen den eigenen Willen aufzwingen, um sie auszubeuten und sich dadurch noch mehr zu bereichern. Daraus aber erwächst ein erhebliches Konfliktpotenzial, wobei die Konflikte in der Regel mit Gewalt gelöst werden, was bereits zu zahlreichen kriegerischen Auseinandersetzungen geführt hat und schließlich in zwei Weltkriegen eskaliert ist. Und die Erfindung von Atomwaffen lässt nach Meinung der Wissenschaftler auch für die Zukunft nichts Gutes erwarten.
Den Wissenschaftlern wird durch die Fernsehbilder auch vor Augen geführt, welche schrecklichen Folgen die massive soziale Ungleichheit und die häufigen kriegerischen Auseinandersetzungen für die Bevölkerung haben. So sehen sie Bilder von verhungernden Kindern, von Frauen und Kindern, die wie Sklaven gehalten werden, und von der Bergung der Opfer von Bombenangriffen, die sie zutiefst schockieren.
Politik und Religion
Äußerst seltsam ist für die außerirdischen Wissenschaftler auch der Glaube an übernatürliche Mächte, die den Menschen angeblich zu einem "ewigen Leben" verhelfen und deren Vertreter auf Erden ebenfalls weitreichende Machtbefugnisse besitzen. Wahrscheinlich wollte man mit solchen Vorstellungen, wie sie vermuten, die Menschen über ihr armseliges irdisches Leben hinwegtrösten. Demgegenüber führen die Außerirdischen ein Leben in Wohlstand und Würde, bei dem jeder erhält, was er benötigt. Und es ist auf diesem Planeten dank der medizinischen Forschung gelungen, den Prozess des Alterns so stark zu verzögern, dass hier fast alle hundert Jahre alt werden.
Natürlich ist den außerirdischen Wissenschaftlern nicht entgangen, dass es auf der Erde nicht nur despotische Machthaber gibt, sondern auch – wie die Menschen es nennen – freiheitliche Demokratien, in denen scheinbar das Volk das Sagen hat, und zwar indem Volksvertreter in einem besonderen Gremium, dem Parlament, über alle wichtigen Angelegenheiten beraten und abstimmen. Das ist den Außerirdischen nicht fremd. Aber sie sehen hier einen wichtigen Unterschied. Denn anders als auf ihrem Planeten, wo die Vertreter aus den Ansiedlungen in den Regional- und Provinzkonferenzen in langen Auseinandersetzungen ihre Meinungen austauschen, gemeinsam nach einer Lösung suchen und anschließend auch noch darüber abstimmen, bestimmt im Parlament die Mehrheit, und alle müssen sich fügen.
Die Ambivalenz der menschlichen Natur
Andererseits müssen die außerirdischen Wissenschaftler zur Kenntnis nehmen, dass die Menschen auf den Gebieten von Kunst und Kultur sowie Technik und Wissenschaft beeindruckende Leistungen vollbringen. So sind die Außerirdischen den Menschen zwar auf dem Gebiet der Energieerzeugung voraus, da es ihnen gelungen ist, den gesamten Energiebedarf durch erneuerbare Energien zu decken. Andere technische Errungenschaften wie Raumfahrt und Schifffahrt aber sind ihnen unbekannt. Besonders fasziniert sind sie von eindrucksvollen Bauwerken, großartigen Kunstwerken und wunderbaren Musikstücken, die von Menschen geschaffen worden sind. Sie bewundern deshalb die Menschen für ihre Kreativität und Phantasie und fragen sich, ob sie von ihnen nicht auch etwas lernen könnten.
Der Mensch ist deshalb für sie insgesamt betrachtet ein widersprüchliches Wesen, und sie stellen verschiedene Vermutungen hinsichtlich der Ursachen dieser Widersprüchlichkeit an. So werfen sie die Frage auf, ob es den Menschen vielleicht an Mitgefühl mangelt oder ob sie eine andere Form von Vernunft besitzen als sie selbst. Es gibt hier auch die Überlegung, dass es einfach zu viele Menschen auf der Erde gibt und deshalb die Ressourcen knapp sind, so dass jeder um seinen gerechten Anteil kämpfen muss. Und die geringe Lebenserwartung könnte die Menschen zusätzlich unter Druck setzen.
Sie vermuten aber auch, dass das sonderbare Denken und Handeln der Menschen Ausdruck von krankhaften Störungen ihres Bewusstseins und damit ihres Denkens sein könnte, die mit wiederholt auftretenden Veränderungen im elektromagnetischen Feld der Erde sowie deren Gravitation oder mit gewaltigen Eruptionen und Magnetstürmen auf ihrer Sonne im Zusammenhang stehen könnten.
Das Ergebnis der Abstimmung
Das Ergebnis der Abstimmung unter der außerirdischen Bevölkerung über eine mögliche Kontaktaufnahme mit den Erdbewohnern ist eindeutig. Gut 70 Prozent haben dagegen gestimmt. Für dieses Abstimmungsverhalten ausschlaggebend waren Abscheu vor dem aggressiven und egoistischen Denken und Handeln der Menschen sowie Angst vor den Folgen einer möglichen Invasion in der Zukunft. Hier wird u.a. argumentiert: "Sie haben sich eine Technik geschaffen, mit der eine Landung auf unserem Planeten nicht auszuschließen ist. Und in ihrer Gier nach dem Gold, das auch bei uns als Metall für viele Zwecke verwendet wird, sind sie eine Gefahr für jeden Stern, den sie betreten."
Der Blick in die Zukunft, den der Autor am Ende des Buchs skizziert, ist dennoch nicht ganz pessimistisch. Denn die große Antennenanlage, die die Bilder von der Erde geliefert hat, wird nicht demontiert. Anscheinend will man die Entwicklungen auf der Erde weiter verfolgen und hofft auf eine Wende hin zum Besseren, die eine Kontaktaufnahme doch noch ermöglichen könnte.
Bewertung
Indem der Autor schildert, wie entsetzt und verständnislos die Angehörigen einer friedlichen und intelligenten außerirdischen Zivilisation auf die gravierenden Missstände reagieren, die es auf der Erde gibt, hält er den Menschen einen Spiegel vor, in dem sie erkennen können, was in ihrer Welt alles "schief läuft". Demgegenüber erscheinen die politischen und sozialen Bedingungen, unter denen die Außerirdischen leben, als ein nahezu perfektes Gemeinwesen.
Allerdings betreibt der Autor keine Schwarz-Weiß-Malerei, da er die Außerirdischen durchaus anerkennend auf die herausragenden Leistungen der Menschen blicken lässt, die ihrer Phantasie und Kreativität zu verdanken sind, während sie selbst, wie sie selbstkritisch einräumen, nur einige wenige "Highlights" hervorgebracht haben. Den Außerirdischen wird mit anderen Worten bewusst, dass sie zwar friedlich zusammenleben und Jedermann/Jedefrau das erhält, was er/sie zum Leben benötigt, dass ihr Leben aber gleichzeitig durch eine gewisse Monotonie und Gleichförmigkeit geprägt ist. Sie beneiden daher auch die Menschen um ihren übersprudelnden Einfallsreichtum und wollen von ihnen lernen. In diesem Zusammenhang kommt auch der Humor nicht zu kurz. Denn man muss unwillkürlich schmunzeln, wenn man liest, mit welcher Begeisterung eine der außerirdischen Wissenschaftlerinnen auf die modische Vielfalt reagiert, die es auf der Erde gibt.
Insgesamt will der Autor mit seinem Werk offensichtlich eine bestimmte Botschaft in die Welt senden, nämlich dass das Zusammenleben von intelligenten, sozialen Lebewesen auf bestimmten Grundsätzen basieren sollte, die nicht verhandelbar sind. Diese sind die friedliche Austragung von Konflikten, ein solidarisches Miteinander und soziale Gerechtigkeit sowie ein Höchstmaß an persönlicher Freiheit und Selbstbestimmung. Vielleicht könnte man sagen, dass für den Autor die Verbindung des Besten beider Welten, also der Welt der Menschen und der Welt der Außerirdischen, wie er sie beschreibt, das Optimum wäre. Er reiht sich deshalb mit seinem Roman ein in die Riege der großen utopischen Denker, und vielleicht brauchen wir ja gerade in der Gegenwart Utopien als Richtschnur für unser Denken, Fühlen und Handeln.