Sanfte Enthauptung
Zum Ende des II. Weltkrieges erlitten tausende junger Frauen die "sanfte Enthauptung". Wegen "horizontaler Kollaboration" mit dem Feind scherte man ihnen öffentlich den Kopf kahl.Was vielerorts geschah
Junge Frauen und Mädchen werden aus aus ihren Häusern gezerrt. Meistens sind es zwei oder drei. Manchmal muss auch eine alleine, von harten Männerhänden geführt, den schändlichen Weg gehen. Man treibt sie unter Gejohle und Geschrei zum Marktplatz oder fährt sie auf Karren durch die Straßen des Städtchens zur Rathaustreppe. Dort angekommen, warten schon Hunderte von Menschen, begierig an dem kommenden Schauspiel Teil zu haben. Männer schubsen die verängstigten Frauen auf ein Podest, eine Treppe. Denn jeder will sehen was gleich geschieht. Die Anklage wird verlesen, das Volk schreit und buht vor Empörung. Das Urteil ist schon lange gesprochen und jedem bekannt. Verteidigung, Rechtfertigung ist nicht möglich, unerwünscht. Und dann geschieht, worauf alle schon ungeduldig warten. Die Strafe wird am Leibe vollzogen. Die sanfte Enthauptung beginnt. Ein Mann legt ein Rasiermesser an. Unter wilden Zurufen der aufgeregten Menge, angefeuert von den Umstehenden schert er den Frauen, langsam und gründlich, fast genüsslich, den Kopf kahl. Die weichen Locken fallen zu Boden. Mit gesenktem Haupt, weinend, schluchzend, manche auch trotzig vor Verzweiflung und Angst, lassen sie wehrlos an sich geschehen, was die Meute verlangt. Widerstand ist zwecklos, denn die sie umringende wütend-schaulustige Menge wird jeden Fluchtversuch verhindern.
Kahlköpfig stehen sie schließlich da, werden begafft, bespuckt von Frauen und Männern. Oft sind Nachbarn und Bekannte darunter. Schließlich schubst man sie von der Treppe, zerrt an den Blusen und Röcken. In halbzerrissenen Kleidern müssen sie sich den Weg durch die aufgeregten Menschen bahnen. Nur schnell nach Hause, sich verkriechen, verstecken und wenn möglich für lange Zeit nicht wieder das Haus verlassen. Unglücklichere werden noch durch die Stadt geführt, damit alle sehen was ihnen geschehen ist. Andere werden auf Wagen durch die Straßen gefahren, halbnackt, nackt manche, damit jeder im Ort Teil habe an der Beschämung..
Wann war das? Im Mittelalter? Vor hunderten von Jahren? Vereinzelte Aktionen, spontane Übergriffe?
Nein! Etliche der Opfer,Täter und Augenzeugen der damaligen Ereignisse leben heute noch. Es gibt zahllose Fotos und auch Filmdokumente solcher Strafaktionen, die am Ende des Zweiten Weltkiregs in vielen Provinzstädten Frankreichs, aber auch in anderen Ländern, stattfanden. Es waren oft keine spontanen Aktionen. Systematisch durchsuchte man den Ort, die Stadt. Man zog von Straße zu Straße. Und zitternd saßen die Mädchen und Frauen daheim und warteten, ob sie die nächsten sein würden. die man zur "sanften Enthauptung" zerren würde.
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Schuldige und Sündenböcke
Mit dem siegreichen Vorrücken der allierten Truppe im Sommer 1944 war in den befreiten Gebieten mit der Erleichterung und dem Freudentaumel endlich auch die Zeit der Abrechnung mit den eigen Landsleuten gekommen..
In Frankreich, Belgien und den Niederlanden, aber auch in Dänemark und Norwegen fragte man sich jetzt: Wer war im Widerstand, wer hat mit den Deutschen zusammen gearbeitet? Wer war Resistance und wer war Kollaboration? Diese Frage konnte nicht immer eindeutig und befriedigend geklärt werden und sollte die befreiten Völker noch jahrelang beschäftigen.
Im Sommer 1944 waren die befreiten Länder schon beinahe vier Jahre durch deutsche Truppen besetzt gewesen. Während dieser langen Besatzungszeit hatten sich viele Einheimische mit den deutschen Soldaten auf die eine der andere Weise arrangiert. Manche weil sie sich einen Vorteil erhofften, manche um ihr Überleben und das der Familie zu sichern, andere wieder aus Überzeugung, weil sie der nationalsozialistischen Bewegung nahe standen, wieder andere aus Gewohnheit oder aber - und dies betraf vor allem viele junge Frauen -, weil sie sich emotional an den Feind gebunden hatten.
L'Amour - die Liebe eben, die nicht auf Feind oder Freund, die nicht auf Gesinnung oder Patriotismus hört, sondern nur ganz dem Herzen folgt - bestimmte ihr Schicksal. Und wenn es nicht die große Liebe war, so war es die kleine Affäre oder die Liebelei einer warmen Sommernacht mit ungeahnten Folgen.
Während die Befreiten sich mit anderen Formen der Kollaboration im nachhinein oft schwer taten, war man bei dieser Gruppe der Landsleute sehr schnell mit dem Urteil fertig und beeilte sich eine entsprechende Bestrafung durchzuführen.
Frauen, die sich während der Besatzungszeit mit deutschen Soldaten eingelassen hatten, mussten sehr rasch für ihr Verhalten im Kriege büssen.
Fakten
Man schätzt die Zahl der Frauen, die 1944/45 allein in Frankreich "sanft enthauptet" wurden, auf ca. 20000. In Norwegen, Dänemark und den anderen besetzten Ländern Europas kam es zu ähnlichen Ausschreitungen. Die Zahl dort ist aber weitaus geringer.
Meistens fanden diesle Aktionen in der französischen Provinz statt. In der Hauptstadt Paris hatte die französische Elite ihr mondänes Leben weiter geführt und ungestört Kontakt mit den deutschen Besatzern geführt. Deren Spitzensoldaten entstammten oft dem deutschen Adel oder Großbürgertum. Man verstand sich und arrangierte sich. Edith Piaf war mit einem deutschen Offizeir liiert. Cho-Ch Chanel arbeitete wahrscheinlich für die Deutschen, ohne spätere Nachteile. Und eine prominente Schauspielerin konnte öffentlich sagen:"Mein Herz gehört Frankreich, aber mein Arsch ist international", ohne dass sie mit Repressalien rechnen musste. Dort gab es keine Strafaktionen genüber Frauen, die sich dem Feind "ergeben" hatten"
Die fanden in der Provinz, zumeist in kleineren Städten und Dörfern, statt, in denen das Leben eher konservativ-klerikal geprägt war und wo die soziale Kontrolle stärker war.
Nachdem man die erste Wut an den "schuldigen" Frauen ausgelassen hatte, mussten in vielen Ländern Europas die "Besatzerkinder" noch jahrzehntelang unter den Folgen leiden.
Das Scheren des Kopfes als Strafe
Warum wurden die Frauen auf diese Weise bestraft? Warum hat man sie nicht ins Gefängnis geworfen. Warum wurden sie nicht öffentlich durchgeprügelt, an den Pranger gestellt oder aus dem Dorf gejagt?
Die Ursachen hierzu sind schwer zu ergründen.
Das Scheren des Kopfes ist ein uraltes Motiv. Schon Samson in der Bibel wurden die Haare geschoren und er damit seiner Kraft beraubt.
Sklaven ließ man entweder scheren oder mit ungepflegten langen Haaren herum laufen, jeweils im Gegensatz zur Haarmode der Sklavenhalter.In Zuchthäusern rasierte man den Strafgefangenen die Schädel.
Die eigene Haartracht ist Ausdruck der individuellen Persönlichkeit. Eine Zwangsfrisur, rasur beraubt den Menschen eines Teils seiner Individualität.
Das Ziel der "sanften Entahuptung" war die Demütigung. Frauen mit kurzen Haaren waren damals unüblich. Eine Frau, die mit geschorenenm Kopf oder kurzem Haar herumlaufen musste, fiel wochen- monatelang auf. Ein Kopftuch half da nur wenig. Die Gründe waren für jedermann ersichtlich. Eine Beschämung auf Dauer angelegt.
Man beraubte die Frauen ihrer Weiblichkeit, weil sie ihren Körper dem Feind geschenkt hatten. Ihnen wurde am eigenen Leibe klar gemacht, dass sie nicht frei über diesen Körper verfügen konnten. Er gehörte nicht ihnen allein, sondern zuerst einmal Frankreich und den französischen Männern.
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Folgen und Folgerungen
Die Haare wuchsen wieder. Die öffentliche Demütigung blieb im Gedächtnis derer, die es erlitten, und derer, die die Strafe vollzogen oder johlend dabei gewesen waren.
Als der Zorn vergangen war, beschloss man - beiderseits beschämt - zu schweigen. Dies trübe Kapitel der Nachriegsgeschichte ist in den ehemals besetzten Ländern kaum beschrieben.
Am meisten betroffen waren die Kinder, die solchen Beziehungen zwischen Besatzern und einheimischen Frauen entstanden. Jahrzehntelang wurden sie dikriminiert, ausgegrenzt und als minderwertig betrachtet. In endlosen Prozessen mussten sie sich mühsam ihr Recht erkämpfen, als gleichberechtigter Teil der Gesellschaft zu gelten, In all den ehemals deutsch besetzten Ländern gibt es heute Vereinigungen von Kindern aus solchen Beziehungen, die bis heute für ihre Rechte streiten.
Der Krieg ist der Feind der Ordnung. Er entwurzelt, enthemmt und wirft alles durch einander. Auch die Beziehungen in Familie und Partnerschaft. Im Krieg und am Ende des Krieges ist nichts mehr in Ordnung. Das alte Gefüge ist dahin.
Außerordentliche, oft grausam schmerzhafte Dinge müssen geschehen, damit wieder eine neue Ordnung herrsche, jeder einen neuen Platz finde und der Alltag seinen Gang wieder aufnehme. Allein mit dem Leid und den Erinnerungen bleiben die Opfer, die Überlebenden.
Daher meide den Krieg und pflege den Frieden!
Ursachen der "horizontalen Kollaboration"
In Frankreich gab es als Folge der hohen Verluste im Ersten Weltkrieg und der aktuellen Kriegsgeschehnisse eine ausgeprägte Männerknappheit. Auf drei französische Männer kamen zur damaligen Zeit etwa fünf französische Frauen im gebärfähigen Alter.
Tausende junger Französinnen arbeiteten damals - meistens zwangsverpflichtet - für die deutsche Militärverwaltung, für die Zivilverwaltung unter deutscher Aufsicht, für die Organisation Todt und andere deutsche Organisationen. Sie hatten so - anders als die meisten Franzosen - ständigen Kontakt zu den Deutschen. Für sie waren die Besatzer eben nicht blutgierge Monster,sondern sie sie erlebten die deutschen Soldaten im Alltag. Sie erkannten schnell, dass es in der Mehrzahl nicht wilde SS-Schergen oder überzeugte Nazis waren, sondern einfach junge Männer, die vom Arbeitsplatz weg zum Kriegdienst eingzogen worden waren und die das Schicksal nach Frankreich, Holland, Kreta oder sonstwohin verschlagen hatte.
Dort, zum erstenmal fern der heimatlichen Bezüge, weit weg von den deutschen Mädels, für die man zu Hause geschwärmt hatte, trafen diese jungen, ungebundenen Männer auf ebenso junge französische, norwegische oder belgische Frauen. Die waren meist wenig gebildet, hatten selten ihren Ort verlassen, interessierten sich nicht sonderlich für Politik und Weltgeschehen. In ihren jungen Jahren, unter den Lasten des Krieges, der ganz Europa und alle Lebensbeeiche erfasst hatte, suchten beide nach ein wenig privatem Glück.
Daher war es kein Wunder, dass Beziehungen, Liebschaften, auch Ehen zwischen Besatzern und Besetzten entstanden. So lange der Krieg währte sollten diese, durch den Kampf der Völker erst herbei geführten, privaten Beziehungen auch zeitweilig Bestand haben.
Es kam in allen westlichen und nordischen Ländern zu Eheschließungen zwischen deutschen Soldaten und einheimischen Frauen. In wenigen Fällen auch in Osteuropa. Die Ehen wurden mit Genehmigung der lokalen Behörden und der Wehrmacht geschlossen. Zehntausende von Besatzungskindern wurden gezeugt. Die meisten allerdings unehelich. Denn die Mehrzahl der Beziehungen war wohl eher kurzfristig und wurden durch die Kriegsereignisse oft jäh unterbrochen.
Aber die Folgen waren unübersehbar. Die Kinder der Deutschen blieben da, auch als die feindlichen Soldaten fort waren. Wie mit den Müttern dieser verhassten Kinder umgehen? Was soillte man tun mit Mädchen und Frauen, die sich dem Feind auf besondere Weise ergeben hatten? In Frankreich nannte man es horizontale Kollaboration.
Kollaborateure wurden angeklagt und zu harten Strafen verurteilt. Einige wurden hingerichtet, viele ins Gefängnis geworfen. Doch was sollte man mit den Frauen machen? Liebe an sich ist ja kein Verbrechen. Liebe mit dem Feind, zu dem Feind aber schon. Ein Dilemma, das sich seine Lösung suchte.
Und so kam es, dass nach Kriegsende tausende Frauen durch die Straßen führte, mit Schildern um den Hals ausstellte, dass man sie öffentlich beschimpfte, ihnen die Köpfe kahl schor und die Kleider vom Leib riss.
Bildquelle:
tedknudsen /Flickr
(Die Amish-Glaubensgemeinschaft in Amerika)