Seegfrörne am Bodensee - das große Eis 1963
Die Seegfrörne von 1963 - ein vollständig zugefrorener Bodensee.Eisverwerfungen am Jakobsteg bei Konstanz (Februar 1963)
Als erste halbwegs gut dokumentierte Seegfrörne gilt diejenige von 1573. Neben verschiedenen Chroniken aus allen Teilen des Bodenseeraums von Lindau bis Stein am Rhein wurde die Erinnerung an dieses Ereignis buchstäblich in Stein gemeiselt. In der Georgskirche auf der Halbinsel Wasserburg finden sich im Kircheninnern vier Säulen. An drei Säulen sind Gedächtnistafeln zu den Seegfrörnen der Jahre 1573, 1830 und 1963 angebracht. So steht u.a. geschrieben: "Im iar 1573 ist der gantz bodense iberfroren das man uß allen und ieden Insunders umligede stette und fleeke zu Fuß daruf gewadlet ist."
Literarisch verewigt wurde die Seegfrörne des Jahres 1573 im 19. Jahrhundert durch den Heimatdichter Gustav Schwab in "Der Reiter und der Bodensee". Vorbild war der Elsässer Postvogt Andreas Egglisperger, der sowohl den Rhein als auch den Bodensee bei geschlossener Eisdecke überquert hatte. Im Gegensatz zum Gedicht endete diese Episode allerdings nicht mit dem Tod des Protagonisten, sondern ganz gemütlich in einer Überlinger Gastwirtschaft. Vom gleichen Dichter wurde auch eine Begebenheit aus dem Jahre 1830 im Gedicht "Spuk auf dem Bodensee" verwurstet.
1573 fand angeblich die erste Eisprozession statt, wo Schweizer Christen eine Büste des Evangelisten Johannes von der Klosterkirche in Münsterlingen (Schweiz) nach Hagnau ans andere Bodenseeufer getragen haben sollen. "Dieses Bildnis ist Anno 1573, den 17. Feb als der Bodensee überfroren war, von Münsterlingen nach Hagnau übertragen, und dort auf das Rathaus gesezet worden. Nach hundert Jahren wurde sie bei überfrorenem See wieder hieher gebracht." Ob dieses Ereignis tatsächlich so stattgefunden hat ist höchst umstritten. Jedenfalls gelangte die Büste während des großen Eises irgendwie vom Schweizer Ufer nach Hagnau. Weitere Eisprozessionen wurden in den Jahren 1695, 1830 und 1963 abgehalten. Wer das Kunstwerk heutzutage besichtigen will, muß sich daher nach Münsterlingen aufmachen, wo es seit 1963 wieder steht.
Wenden wir uns aber nun den Ereignissen des Jahres 1963 zu. Mehr als zehn Wochen dauerte das einmalige Naturschauspiel: Vom 27. Dezember 1962, als der erste Fußweg über den Untersee freigegeben wurde, bis zum 17. März 1963, als die Autofähre sich nach sechswöchiger Zwangspause wieder ihren Weg durch das Treibeis von Konstanz nach Meersburg bahnen konnte. Schon im Oktober bis Dezember 1962 gabe es Schneefall und Dauerfrost. Im neuen Jahr setzte sich das arktische Klima fort. So zeigte das Termometer -22 °C am 14. Januar, -21,5 °C am 6. Februar und immer noch -17,5 °C am 2.März. Bei schwachen Windverhältnissen und extrem niedrigem Wasserstand fror der 540 km2 große See schnell zu. Am 15. Januar wurde der Weg von der Insel Reichenau nach Allensbach freigegeben, am 5. Februar war der Überlinger See vollständig mit Eis bedeckt und einen Tag später mußte der komplette Schiffsverkehr auf dem Bodensee eingestellt werden. Der Bodensee war auf seiner ganzen Breite von 14 Kilometern und seiner Länge von 60 Kilometern zugefroren. Im Linauer und Bregenzer Hafen besaß das Eis eine Dicke von 25 Zentimetern. Sechs Hagnauer Bürger konnten an diesem Tage als erste Gruppe seit 1830 den zugefrorenen Obersee überqueren.
In den folgenden Tagen wanderten und schlitterten große Spaziergängerströme ameisengleich von einem Ufer zum anderen - am Höhepunkt der Seebegehung bis zu 60000 Menschen. Wanderer und Schlittschuhläufer liefen von einem Ende des Sees zum anderen; Anfang März wurde der See von zwei jungen Burschen in 35 Stunden komplett umrundet. Fahrräder, Autos, Schlitten, Reiter und Eissegler tummelten sich auf der blauschimmernden Riesenfläche - sogar Flugzeuge starteten und landeten auf dem Eis. Am Ufer hatten sich Verkaufsstände mit Würstchen, Tee und Hochprozentigem angesiedelt. Grenzen wurden (fast) bedeutungslos und es etablierte sich schnell ein kleiner Grenzverkehr - wohlwollend beobachtet von den Zollbeamten. So fand am 15. Februar sogar eine 16minütige Autofahrt von Rorschach (Schweiz) nach Nonnenhorn (Deutschland) über den vereisten Obersee statt.
Höhepunkt der neuen Eiszeit war am 12. Februar 1963 die große Eisprozession, wo ca. 3000 Menschen bei Nebel und dichtem Schneetreiben von Münsterlingen hinüber nach Hagnau zogen, um die Johannes-Büste von Deutschland ans Schweizer Ufer zu bringen - allen voran Georg Stärr aus Fischbach als "Reiter vom Bodensee".
Trotz des Volksfest-Charakters, das dieses säkuläre Ereignis sicher besaß - Anfang März 1963 fand in Nonnenhorn sogar eine öffentliche Gemeinderatssitzung mitten auf dem Eis statt - sollen hier die Schattenseiten nicht verschwiegen werden. Zum einen war da das Leid der Tiere, die zum Teil in Form von Fütterungsflügen per Flugzeug mit Nahrungsmitteln versorgt werden mußten. Oft wurden auch große Futterlöcher ins Bodensee-Eis geschlagen. Zum anderen forderte die Seefrörne auch insgesamt vier Todesopfer.
Ende Februar Anfang März sorgte milderes Klima in Form eines Föhnsturmes für ein Ende der Kälteperiode. Ab Mitte März war der See fast wieder eisfrei und die Schiffe fuhren wieder. Die Eisdecke brach auf und die Massen türmten sich zu bizarren Riffen am Ufer auf oder schwamm in gewaltigen Schollen den Rhein hinunter. Auf der Gedenktafel in der Wasserburger Klosterkirche steht geschrieben: "Seegfrörne 1963. Vom 7. Februar bis 10. März war der See so fest zugefroren, daß man ihn scharenweise zu Fuß, mit Fahrrädern und Autos überqueren konnte, sogar Flugzeuge starteten und landeten auf der Eisfläche."
Nun sind seit diesem besonderen Ereignis bereits 50 Jahre vergangen und es stellt sich natürlich die Frage, ob wir Nachgeborenen auch einmal eine Seegfrörne erleben werden. Im Zeitalter des Klimawandels scheint dies mehr als fraglich. Auch in den vergangenen Jahrhunderten gab es verhältnismäßig wenig Gfrörnen und es waren sehr viele Zufälle notwendig. Ein Problem ist natürlich, daß der Wärmehaushalt des Sees - der Bodensee ist ein gigantischer Wärmespeicher - für ein mildes Klima sorgt. "Benötigt" wird daher eine lange Kälteperiode ab dem Spätherbst, wenig Wind und ein extrem niedriger Wasserstand. Kommen all diese Faktoren zusammen, dann könnte es vielleicht noch einmal klappen. In der Wasserburger Klosterkirche wird jedenfalls eine Säule für eine Gedenktafel freigehalten.
Gondelhafen Konstanz: Eisfreie Stellen geben den Wasservögeln Überlebensmöglichkeiten (Dezember 1962)
Die Seegfrörnen des Bodensees - Historischer Überblick:
875 (?), 895 (?), 1074(?), 1076 (teilweise), 1108 (?), 1217 (?), 1227 (?), 1277 (teilweise), 1323 (?), 1325 (vollständig),1378 (teilweise), 1383 (?), 1409 (?), 1431 (?), 1435 (teilweise), 1460 (?), 1465 (teilweise), 1470 (teilweise), 1517 (teilweise), 1553 (teilweise), 1560 (teilweise), 1565 (teilweise), 1571 (teilweise), 1573 (vollständig), 1587 (?), 1684 (?), 1695 (vollständig), 1788 (teilweise), 1796 (teilweise), 1814 (teilweise), 1830 (vollständig), 1880 (teilweise), 1929 (teiweise), 1963 (vollständig)
Steckbrief: Der Bodensee
- Oberfläche: ca. 540 km²
- größte Tiefe: Obersee 254 m, Untersee 40 m
- Wassererneuerungszeit: ca. 4,5 Jahre
- Volumen: 48.4 km³
- nach dem Plattensee (594 km²) und dem Genfersee (582 km²) flächenmäßig der drittgrößte, gemessen am Wasservolumen nach dem Genfersee (89 km³) der zweitgrößte See Mitteleuropas.
- Gliederung in die Gewässereinheiten Obersee, Untersee und Seerhein; der nordwestliche, fingerförmige Arm des Obersees heißt Überlinger See und wird i.a. als eigenständiger Seeteil betrachtet.
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Bildquelle:
kendoman26 / Flickr
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