Wenn Therapeuten zudringlich werden - Sexuelle Gewalt gegen Patienten

Seit nunmehr zehn Jahren ist im Strafgesetzbuch festgeschrieben, dass es Psychotherapeuten untersagt ist, mit Patienten sexuelle Kontakte zu pflegen, da dies das Arzt-Patienten-Verhältnis schwer stören kann. In der Praxis ist dieses Gesetz allerdings fast gänzlich wirkungslos geblieben. Noch immer kommt es zu sexuellen Übergriffen durch Therapeuten und ihr kriminelles Verhalten wird nach wie vor kaum rechtlich verfolgt. Trotz der veränderten Gesetzeslage werden Therapeuten heute in Deutschland nur unwesentlich häufiger bestraft als vor dem Inkrafttreten des neuen Gesetzes.

Aus Scham und Angst scheuen Betroffene ein Verfahren

In einer Studie der Universität Köln haben über zwei Drittel der Befragten Patienten angegeben, sich über eine Strafverfolgung der Täter Gedanken gemacht zu haben. Aber auch die Mehrheit derer, die rechtliche Schritte zumindest erwogen haben, entschied sich letztlich gegen eine Strafverfolgung. Vor allem eine tiefempfundene Scham, die Angst vor den Folgen eines Gerichtsverfahrens, das Gefühl einer Mitschuld am Geschehenen und die Furcht, aufgrund der bei ihnen liegenden Beweispflicht unglaubwürdig dazustehen, lässt viele Betroffene vor solch einem Schritt zurückschrecken.

Therapeuten überschreiten die Grenze zwischen Beruf und Privatleben

Therapeuten haben häufig Probleme, die Grenze zwischen beruflichem Engagement und privaten Gefühlen zu ziehen. Insgesamt 10 Prozent aller befragten Therapeuten männlichen Geschlechts haben angegeben, wenigstens einmal sexuelle Erfahrungen mit Patientinnen gemacht zu haben. Dabei ist die Tatsache verwunderlich, dass es meist erfahrene Therapeuten waren, die ihre ärztliche Verantwortung missbrauchten und keine Berufseinsteiger. Hier liegt zumindest die Vermutung nahe, dass sich einige Therapeuten nicht klar von den jeweiligen Patienten und ihrem Schicksal abzugrenzen vermochten und auf diese Weise Gefühle für die ihnen anvertrauten Menschen entwickelten, die dann in intimen Situationen endeten. Anderen Tätern muss wohl kriminelle Energie unterstellt werden, die sie dazu verleitete, die "Machtposition", in der sie sich als Therapeuten befanden, auszunutzen. Sehr häufig ist zu beobachten, dass in dieser Form straffällig werdende Therapeuten sehr widersprüchliche Persönlichkeitsmerkmale aufweisen.

Misstrauen, Angst und Rückzug - Die Schäden für die Opfer sind immens

Wer Opfer eines sexuellen Übergriffes durch seinen Therapeuten geworden ist, erleidet häufig eine massive Traumatisierung. Insgesamt 75 Prozent aller Missbrauchsopfer gaben an, unter schweren beziehungsweise schwersten Traumatisierungen zu leiden. Als klassische Symptome gelten beispielsweise ein starkes Misstrauen, der emotionale Rückzug aus dem bisher vertrauten Umfeld sowie verstärkt auftretende Angstzustände. Fast jeder dritte Betroffene erklärte auch, dass nach dem sexuellen Übergriff durch den Therapeuten die Beschwerden, die überhaupt erst zur Therapie führten, sich verstärkten. Zudem machte die Studie deutlich, dass sich bei über 65 Prozent der Betroffenen neue, oft massive Beschwerden einstellten. Insgesamt betrachtet, ähneln die Folgen eines sexuellen Übergriffes durch einen Therapeuten sehr stark denen von Inzest- beziehungsweise Vergewaltigungsopfern.

Betroffene brauchen eine Therapie gegen den Therapeuten

Um die Folgen eines solchen Übergriffes zu überwinden, so dies überhaupt möglich ist, bedarf es einer kompetenten psychologischen Betreuung. Mehr als die Hälfte der Betroffenen gab an, großes Interesse an einer Psychotherapie zu haben, um die oft massiven Folgen der Ereignisse verarbeiten zu können. So widersinnig es erscheinen mag, aber die Opfer brauchen eine Therapie gegen ihren Therapeuten.

Immer mehr Therapeutinnen werden zu Täterinnen

Die durchgeführte Studie hat erstaunlicherweise gezeigt, dass nicht nur männliche Therapeuten Täter sein können. Auch die Zahl von weiblichen Therapeuten, die sich an ihren männlichen Patienten vergreifen, steigt stetig an. Aus diesem Grund gilt die klassische Zuordnung nicht mehr per se, dass der Mann immer der Täter ist und die Frau das Opfer. Es ist zu vermuten, dass Übergriffe durch Therapeutinnen seltener publik werden, weil sich männliche Betroffene sehr viel schwerer damit tun, den sexuellen Übergriff durch eine Frau anzuzeigen. Zu sehr ist vielleicht noch das klassische Bild des Mannes als starkes Geschlecht verankert.

Übergriffe durch Therapeuten oder Therapeutinnen sollten immer angezeigt werden

Auch wenn der Schritt, zur Polizei zu gehen, für die Opfer sexueller Übergriffe stets ein schwieriger ist, sollte dennoch in jedem Fall eine strafrechtliche Verfolgung angestrebt werden. Einerseits zeigt dies dem Opfer, dass es dem Täter gegenüber nicht wehrlos ist und andererseits trägt eine Anzeige dazu bei, dass der Therapeut oder die Therapeutin nicht noch weitere Übergriffe unternehmen und so weiter ungehindert zum Täter oder zur Täterin werden kann.

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