Sind Glück und Zufriedenheit ein "Anti-Mobbing-Mittel"?
Mobbing, Psychoterror, ist inzwischen in Deutschland zu einem riesengroßen Problem geworden. Aber warum ist das so? Wo liegen die tieferen Ursachen und was wäre das passende Gegenmittel?Der "World Happiness Report"
Das wohl wichtigste "Glücksbarometer" auf Länderebene ist der "World Happiness Report". Dieser wird vom Earth Institute der Columbia Universität in New York für die Vereinten Nationen erstellt und basiert auf Befragungen von Menschen in 158 Ländern. Und zwar geht es bei den Befragungen um die Selbstwahrnehmung der Menschen hinsichtlich Glück und Zufriedenheit. Gleichzeitig erheben die Forscher Daten zum Alter, Geschlecht, Einkommen und zur Lebenssituation der Befragten, aber auch zur Lebenserwartung und zur wirtschaftlichen und politischen Situation im betreffenden Land. Dabei geht es u.a. um die Arbeitszufriedenheit, das allgemeine Sicherheitsgefühl, also auch das soziale Netz, und die Qualität der Regierung.
Dieser Forschungsansatz ermöglicht, nicht nur festzustellen, wo Menschen am glücklichsten sind, sondern auch warum. Dabei lassen sich, wie die Forscher ermittelt haben, drei Viertel der Unterschiede durch nur sechs Schlüsselfaktoren erklären, nämlich das Pro-Kopf-Einkommen, das Gefühl, anderen Menschen Vertrauen schenken zu können, die Lebenserwartung, aber auch das Gefühl, frei über sein Leben entscheiden zu können, jemanden zu haben, auf den man zählen kann, und schließlich Großzügigkeit.
Wie Jeffrey Sachs, der Direktor des Earth Institute, zusammenfassend feststellt, macht nicht Geld allein ein glückliches Leben aus, sondern hinzukommen müssten Gerechtigkeit, Ehrlichkeit, Vertrauen gegenüber den Mitmenschen und Gesundheit. Ein weiterer wichtiger Faktor sei eine in der Kindheit angelegte positive Grundeinstellung sich selbst und anderen Menschen gegenüber. Unglücklich würden Menschen folglich durch Unehrlichkeit untereinander und gegenseitiges Misstrauen, aber auch durch Krieg und Gewalt sowie durch wirtschaftliche Unsicherheiten und Korruption.
Die Forscher des Earth Institute wollen mit ihrem Glücksindex zeigen, wie das gesellschaftliche Wohlergehen gesteigert werden kann, und damit Regierungen weltweit zu einer Politik bewegen, die dem Glück und der Zufriedenheit der Bürger dient. Man will also die Politiker dafür gewinnen, sich nicht nur am Bruttoinlandsprodukt pro Kopf der Bevölkerung zu orientieren, sondern auch am Bruttonationalglück.
Sieger Dänemark (Bild: Kurious/pixabay.com)
Sieger Schweiz (Bild: Kurious/pixabay.com)
Dänemark und die Schweiz als "Superstars" - Deutschland als "Flop"
Der "World Happiness Report" ist bisher drei Mal erschienen, nämlich 2012, 2013 und 2015. 2012 und 2013 war jeweils Dänemark auf dem ersten Platz gelandet. Im neuesten Bericht haben die Schweizer "die Nase vorn". Am glücklichsten sind also die Menschen zurzeit in der Schweiz. Es folgen Island, Dänemark, Norwegen und Kanada. Auf den Plätzen sechs bis zehn liegen Finnland, die Niederlande, Schweden, Neuseeland und Australien, und damit finden sich sieben der glücklichsten zehn Länder in Westeuropa. Deutschland landet allerdings weit abgeschlagen auf Rang 26.
Dieses schlechte Abschneiden findet sich auch bei anderen Glücks-Rankings. So schaffte die Bundesrepublik auf dem Better-Life-Index der Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD) gerade mal den 17. Rang unter 36 bewerteten Ländern. Im Gegensatz zu Deutschland steht Dänemark in Zufriedenheits-Ranglisten immer weit oben. So fragt die Europäische Kommission seit Mitte der Siebzigerjahre in ihrem Eurobarometer gelegentlich danach, wie glücklich die Europäer sind, und die Dänen waren immer weit vorne dabei. So verwundert es auch nicht, dass 2011 in einer Umfrage der Hamburger Stiftung für Zukunftsfragen 96 Prozent der Dänen dem Satz zustimmten: "Ich bin persönlich glücklich mit meinem Leben".
Da meiner Meinung nach die Befindlichkeit von Menschen und damit auch ihre Neigung, andere Menschen zu mobben, abhängig ist von den gesellschaftlichen Bedingungen, unter denen sie leben, ist zu fragen, worin sich Dänemark von Deutschland unterscheidet. Das heißt: Wenn man wüsste, warum die Dänen so glücklich sind - und zwar so glücklich, dass sie bei Glücks-Rankings immer auf vorderen Plätzen landen - wüsste man möglicherweise auch, wie man Mobbing verhindern kann.
Warum sind die Dänen so glücklich?
Bei den Ursachen für das "Dänenglück" handelt es sich um ein Gemisch aus persönlichen, politischen und sozialen Faktoren. Der erste Faktor ist die Berufstätigkeit. Das heißt: Die überwiegende Mehrheit der Dänen, Männer wie Frauen, geht einer beruflichen Tätigkeit nach und findet darin offensichtlich Erfüllung und Sinn. Auch Frauen können deshalb selbstbestimmt leben. Dabei hilft ihnen eine vorbildliche staatliche Kinderbetreuung. So haben berufstätige Mütter in Dänemark im Gegensatz zu Deutschland nicht nur einen Anspruch auf Krippen- und Hortplätze, sondern es gibt auch genügend davon. Möglicherweise ist das auch der Grund dafür, dass Frauen in Dänemark im Schnitt knapp zwei Kinder bekommen, während Frauen in Deutschland nur noch – statistisch gesehen - etwas mehr als ein Kind bekommen, so dass Deutschland mittlerweile bei der Geburtenrate weltweit Schlusslicht ist. Das heißt: In keinem anderen Land der Welt werden gegenwärtig so wenig Kinder geboren wie in Deutschland.
In Dänemark können die Mütter auch darauf vertrauen, dass ihre Kinder in der Schule gut aufgehoben sind. So werden alle Kinder von der Vorklasse bis zur neunten Klasse zusammen unterrichtet. Erst danach trennen sich die Wege, wenn die einen aufs Gymnasium gehen und die anderen in eine Berufsausbildung. Und weil keiner sitzenbleiben kann und Zensuren erst in den höheren Klassen gegeben werden, sind die dänischen Schüler weniger unter Druck als die deutschen. Zudem lernen die Kinder in den Schulen – wie es eine junge dänische Politikerin beschreibt - nicht nur Rechnen, Lesen und Schreiben, sondern auch Kritikfähigkeit und Engagement. Für ihr eigenes politisches Engagement ist es ihr wichtig, dass die Politiker in Dänemark dicht an den Menschen dran sind, dass sie also bürgernah sind und überhaupt nicht abgehoben. Dazu gehöre auch, dass sich selbst hochrangige Politiker ohne Bodyguards "unter das Volk mischen".
Ein anderer Faktor, der zum Glücksempfinden der Dänen offensichtlich in hohem Maße beiträgt, ist der fürsorgliche Sozialstaat. Eine dänische Wissenschaftlerin beschreibt dies folgendermaßen: "Wir wissen, dass wir nie auf der Straße landen, wenn wir unsere Rechnungen nicht bezahlen können, unseren Job verlieren oder krank werden. Bildung und Gesundheitsversorgung sind kostenlos, und Eltern erhalten einen monatlichen Scheck für ihre Kinder unter 18 Jahren. Ich denke, ein großer Teil des hohen "Glücksfaktors" ist, dass wir uns sicher fühlen und wissen, dass uns im Falle eines Schicksalsschlages geholfen wird." –
Natürlich hat diese Fürsorge ihren Preis, nämlich eine hohe Steuerlast. Aber die Dänen sind ohne Murren bereit, diesen Preis zu zahlen, weil für sie der Staat ein Freund ist und kein Feind. Demgegenüber ist ja in Deutschland oftmals der Staat das Feindbild Nummer 1. Hinzu kommt, dass die dänische Gesellschaft eine Konsensgesellschaft ist. Das heißt: Konflikte werden möglichst harmonisch ausgetragen, und es herrscht die Zuversicht vor, dass sich für jedes Problem eine Lösung finden lässt. Das Lebensmotto der Dänen lautet: sich miteinander wohlfühlen.
Zum Umgang mit Mobbing in Dänemark
Natürlich herrscht auch in Dänemark nicht immer "eitel Sonnenschein", und es gibt auch hier Fälle von Mobbing. In Dänemark wird dieses Problem jedoch offen thematisiert, und die Opfer können auf Hilfe hoffen. Es gibt auch ein sehr ambitioniertes Programm zur Mobbing-Prävention. Hier wird bereits im Kindergarten begonnen, die Kinder darüber aufzuklären, was Mobbing ist und wie sie sich dagegen wehren können, und sie werden dazu angehalten, sich anderen gegenüber mitfühlend und rücksichtsvoll zu verhalten.
Sollte sich Deutschland an Dänemark orientieren?
Wenn man die Faktoren Revue passieren lässt, die für das Wohlbefinden der Dänen verantwortlich sind, dann kristallisieren sich vier Trends heraus, nämlich eine wirkliche Gleichberechtigung von Männern und Frauen, ein hoher Standard bei der sozialen Sicherheit, das Prinzip, die Schüler zu fördern und nicht auszusortieren, und das starke gegenseitige Vertrauen unter den Menschen. Demgegenüber ist ja in Deutschland das System der sozialen Sicherung so umgebaut worden, dass die Furcht vor sozialem Abstieg mittlerweile allgegenwärtig ist. Das Schulsystem ist auf Selektion ausgerichtet, in keiner anderen Industrienation ist der Erfolg in der Schule so sehr vom Geldbeutel der Eltern abhängig wie in Deutschland, und man spürt allerorten ein starkes gegenseitiges Misstrauen.
Insgesamt herrscht unterschwellig eine große Angst davor, dem Druck der Leistungsgesellschaft irgendwann nicht mehr gewachsen zu sein und dadurch in eine existenziell bedrohliche Lage zu geraten. Das heißt: Viele Menschen in Deutschland haben einen guten Job, aber niemand kann sicher sein, dass das auch so bleibt, und wenn der Job dann wirklich verloren geht, droht ein Sturz ins Bodenlose. Man kann deshalb sagen, dass in Deutschland zu leben, eine ziemlich stressige Angelegenheit ist. Aber nur Menschen, die nicht bzw. nicht übermäßig gestresst sind, können überhaupt – das haben Forscher jetzt herausgefunden – Mitgefühl für andere empfinden. Stark gestresste Menschen neigen zu einem mitleidlosen und unbarmherzigen Verhalten. Wenn man all dies bedenkt, verwundert es nicht, dass Deutschland offensichtlich ein Eldorado für Mobber ist. Das würde sich folglich nur dann ändern, wenn die Deutschen glücklicher und zufriedener würden, und dazu müßten in Deutschland Reformen nach dänischem Vorbild durchgeführt werden.
"Das liebe Geld"
Dass die Schweiz in diesem Jahr zum glücklichsten Land gekürt worden ist, scheint zu bestätigen, dass – neben anderen wichtigen Faktoren – eine ausreichende finanzielle Absicherung glücklich macht, denn jeder Schweizer besitzt im Schnitt mehr als 550 000 Franken. Das ist so viel wie nirgendwo sonst. Vielleicht wird ja in der Zukunft über jeden Schweizer, also auch über die, die jetzt noch arm sind, ein Geldregen niedergehen, weil 2016 die Schweiz über die Einführung eines bedingungslosen Grundeinkommens abstimmt. Im Gespräch sind 2.500 Franken für jeden. – Zumindest wird hier mit der Abstimmung und der vorherigen Debatte darüber ein Stein ins Rollen gebracht. Den Schweizern zuvorkommen könnten übrigens die Finnen. Hier hat die neu gewählte Regierung bereits beschlossen, ein bedingungsloses Grundeinkommen einzuführen. Nur die Höhe ist noch unklar.
Fazit
In Abwandlung eines Ausspruchs von Alice Schwarzer möchte ich zum Schluss festhalten: Man wird nicht als sadistischer Mobber geboren, man wird dazu gemacht, und zwar durch ein Klima der Angst und des Misstrauens, wie es leider in Deutschland weit verbreitet ist. Wenn man also Mobbing verhindern will, muss man eine Atmosphäre schaffen, in der die Menschen sich wohlfühlen und deshalb glücklich und zufrieden ist. Das ist offensichtlich in Dänemark der Fall. Gesellschaftspolitische Reformen nach dänischem Vorbild wären deshalb die wirkungsvollste Waffe im Kampf gegen Mobbing.
Bildnachweis:
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Quellen:
http://www.fuersie.de/psychologie/persoenlichkeit/artikel/das-lebensgefuehl-der-daenen
https://www.youtube.com/watch?v=tbeZVqC7P8A