Was ist Soziales Unternehmertum?

Vermutlich wird vielen Kritikern des Kapitalismus aus den eingangs genannten Gründen die Vorstellung von einer humanen Marktwirtschaft bzw. einem mitfühlenden Kapitalismus und damit auch die Etikettierung von Unternehmertum als "sozial" als eine Contradictio in adiecto erscheinen, als ein Widerspruch in sich. Tatsächlich geht es beim Sozialen Unternehmertum darum, die beiden konträren Logiken der Profit- und der Sozialmaximierung miteinander zu kombinieren, also gewinnbringend am Markt zu agieren und gleichzeitig einen sozialen Mehrwert zu generieren, sich am Gemeinwohl zu orientieren.

Man kann auch sagen: Soziales Unternehmertum, auch Social Entrepreneurship oder Social Business genannt, versucht, durch die Verbindung von unternehmerischem Handeln und sozialem Denken bestehende gesellschaftliche und soziale Probleme zu lösen und dadurch nachhaltigen sozialen Wandel zu erreichen. Man spricht hier auch vom "Social Impact" des unternehmerischen Handelns. Konkret bedeutet dies, dass – häufig im Rahmen innovativer Geschäftsmodelle – der größte Teil des Gewinns in das anvisierte soziale Projekt investiert wird, also mit der unternehmerischen Tätigkeit soziale Ziele verfolgt werden, oder dass von einem Unternehmen gesellschaftliche Verantwortung übernommen wird, wobei die Gewinnorientierung in den Hintergrund tritt und der Erfolg sich stattdessen am gesellschaftlichen Nutzen orientiert.

In Anlehnung an den Begriff "Return on Investment" (die Rendite einer unternehmerischen Tätigkeit) könnte man auch von "Social Return on Investment" (gesellschaftlicher Mehrwert einer unternehmerischen Tätigkeit, Sozialrendite) sprechen. Soziales Unternehmertum scheint also wirklich ernstzumachen mit Artikel 14 des Grundgesetzes, in dem es bekanntlich heißt: "Eigentum verpflichtet. Sein Gebrauch soll zugleich dem Wohle der Allgemeinheit dienen."

Wesentliche Merkmale von Social Entrepreneurship

Sozialunternehmen zeichnen sich aus durch gesellschaftliche Verantwortung (Corporate Social Responsibility / CSR) und bürgerschaftliches Engagement (Corporate Citizenship / CC) - um ihre wesentlichen Merkmale zu benennen.

Bei der Corporate Social Responsibility / CSR geht es darum, dass Unternehmen Verantwortung für soziale, kulturelle und ökologische Belange übernehmen, und zwar, indem sie sich am Kriterium der Nachhaltigkeit orientieren. Das heißt: Vorrang hat eine Art, zu wirtschaften, die vermeidet, zukünftigen Generationen ihre Lebensgrundlagen zu entziehen, und dabei gleichzeitig den langfristigen Erfolg des Unternehmens sichert. Grundlage dafür ist eine Verankerung der CSR-Ziele in der Unternehmensphilosophie, den Unternehmensleitlinien und im Managementsystem. Diese kommen aber auch in der "Mitarbeiterführung" zum Ausdruck. Corporate Citizenship / CC meint das Engagement von Unternehmen im Gemeinwesen. Wichtige Betätigungsfelder sind hier die Förderung von Ausbildung und Beschäftigung sowie die Integration Behinderter, die Unterstützung von Familien und der Einsatz für Menschenrechte sowie für den Umweltschutz.

Zur Abgrenzung gegenüber der Sozialwirtschaft

Social Entrepreneurship muss gegenüber der Sozialwirtschaft, die auch als Dritter Sektor, Intermediärer Sektor oder auch als Non-Profit-Bereich bezeichnet wird und zwischen dem privatwirtschaftlichen und dem öffentlichen Sektor (Staat) angesiedelt ist, abgegrenzt werden, obwohl es durchaus Fälle geben kann, in denen der eine Bereich in den anderen übergeht. Und zwar geht es hier darum, dass Social Entrepreneurship von Non-Profit-Un­ter­neh­men betrieben wird mit dem Ziel, durch die Gestaltungsspielräume des Unternehmertums ihre Mission besser erfüllen zu können.

Unter Sozialwirtschaft im eigentlichen Sinne versteht man den Teilbereich des Wirtschaftssystems, der durch das Erbringen sozialer Dienstleistungen - die der Lösung sozialer Probleme dienen - die direkte Produktion von individueller und gemeinschaftlicher Wohlfahrt anstrebt. Diese Leistungen werden im Wesentlichen über den Staat refinanziert. Das heißt: Die Sozialwirtschaft liegt meist in den Händen traditioneller Wohlfahrtsverbände und –träger und damit gemeinnütziger Organisationen, die ihre Erlöse durch Abrechnung von sozialen Leistungen erwirtschaften. Im Gegensatz zu Sozialunternehmern tragen also die Organisationen des Dritten Sektors kein unternehmerisches Risiko, und die von ihnen erbrachten Leistungen haben auch kaum einen innovativen Charakter.

Die Bedeutung der Skalierbarkeit von Sozialunternehmen

In der Betriebswirtschaftslehre versteht man unter Skalierbarkeit die Fähigkeit eines Geschäftsmodells, zu expandieren, und zwar beispielsweise durch Erschließen neuer Märkte. Bei Sozialunternehmen ist diese Fähigkeit die Basis, um das Ziel der Sozialmaximierung zu erreichen. Das heißt: Sozialunternehmer streben danach, dass positive soziale Effekte, die durch das einzelne Sozialunternehmen erzielt wurden, in kurzer Zeit in der Gesellschaft verbreitet werden. Man kann auch sagen: Es sollen möglichst schnell möglichst viele Nutzer und Nachahmer gefunden werden, damit sich die gewünschten Effekte sozusagen durch das ”Klonen” des Geschäftsmodells und andere Lernprozesse weiter verbreiten. Diese Übertragbarkeit und möglichst großflächige Umsetzung der jeweiligen Vorhaben werden u. a. durch Expansion, durch eine hohe Replizierbarkeit des Modells oder einfach durch Wissensdiffusion erreicht.

In diesem Zusammenhang wird auch deutlich, dass anders als bei klassischen Märkten das Thema Konkurrenz für Sozialunternehmen eher keine Rolle spielt, dass sie Akteure, die sich um dieselbe soziale Herausforderung kümmern, in erster Linie als potenzielle Kooperationspartner sehen, nicht als Konkurrenten. Und auch wenn Sozialunternehmen, die Gewinne machen wollen, auf Konkurrenten achten müssen, ist die Gefahr durch Wettbewerber gering, da die meisten Sozialunternehmen, wie gezeigt, auch soziale Innovatoren sind, die alte Pfade verlassen und neue beschreiten.

Zur Förderung des Sozialunternehmertums

Sozusagen Vorreiter beim Aufbau und bei der Finanzierung von Sozialunternehmen war der Banker Mohammed Yunus. Er gründete 1983 in Bangladesch die Grameen-Bank, die Kleinstkredite zu günstigen Konditionen an Menschen vergibt, die die für einen Kredit üblicherweise verlangten Sicherheiten nicht vorweisen können. Yunus war davon überzeugt, dass Ethos und Verantwortungsgefühl im Menschen reines Gewinnstreben ersetzen könnten.

Generell wird Sozialunternehmertum von Nicht-Regierungs-Organisationen, aber auch von staatlicher Seite gefördert. Beispiele für erstere sind die Schwab Foundation for Social Entrepreneurship, die Social Entrepreneurship Initiative & Foundation (seif), das gemeinnützige Genisis-Institut sowie die internationale gemeinnützige Organisation Ashoka, die in über 70 Ländern aktiv ist. Was die staatliche Seite betrifft, so gab es am 25. Oktober 2011 eine Initiative der Europäischen Kommission mit dem Ziel, "zur Schaffung eines günstigen Umfeldes für das soziale Unternehmertum und für die gesamte Sozialwirtschaft in Europa beizutragen". Konkret ging es hier um die Aufstellung eines kurzfristigen Aktionsplans zur Förderung der Gründung und Entwicklung von Sozialunternehmen, mit dem u.a. der Zugang der Sozialunternehmen zu Finanzmitteln verbessert werden sollte.

Seit dem 1. Januar 2012 gibt es als ein Gemeinschaftsprojekt von Bundesfamilienministerium und KFW (Kreditanstalt für Wiederaufbau) ein weiteres Finanzierungsprogramm für Social Entrepreneurship. Und zwar sind bei einer finanziellen Förderung von Sozialunternehmen neben dem Projektziel vor allem das Konzept zur langfristigen Umsetzung, Finanzierung und Ausweitung des Projekts ausschlaggebend für die Förderentscheidung. Weitere Einnahmequellen für Sozialunternehmen sind Spenden, Stiftungsgelder oder auch Crowdfinanzierung. Bei letzterer stellen Unternehmensgründer ihr Vorhaben auf einer speziellen Internetseite vor, und Nutzer der Seite, die sich für dieses Vorhaben interessieren, stellen für dessen Realisierung mehr oder minder große Geldbeträge zur Verfügung.

Eine internationale Erfolgsgeschichte?

Der Sektor des sozialen Unternehmertums scheint rasant zu expandieren. So steckt inzwischen laut der Europäischen Kommission hinter einer von vier Unternehmensgründungen in Europa ein Sozialunternehmen. Aber soziales Unternehmertum ist nicht auf Europa beschränkt. Auch in Entwicklungs- und Schwellenländern sind Sozialunternehmer aktiv. Das heißt: Dort, wo die Regierung es nicht schafft, soziale und ökologische Missstände zu beseitigen, sind es neben klassischen NGOs auch Sozialunternehmer, die sich für die Gemeinschaft und die Umwelt einsetzen.

Aus einer aktuellen Studie des Civil Society Center-Instituts der Zeppelin Universität in Friedrichshafen am Bodensee, die in Kooperation mit der SIEMENS-Stiftung durchgeführt wurde und in der über 400 Sozialunternehmen und Investoren in den Schwellenländern Kolumbien, Mexiko, Kenia und Südafrika untersucht wurden, geht hervor, dass sich das soziale Unternehmertum tatsächlich als nachhaltige Lösung für vielfältige Herausforderungen in den Problemregionen dieser Welt erweist. Ein weiteres interessantes Ergebnis der Studie ist, dass in Schwellen- und Entwicklungsländern immer mehr hochqualifizierte Arbeitskräfte Gefallen an einer sozial verantwortlichen Tätigkeit finden. Anscheinend strebt zunehmend auch die Elite in diesen Ländern danach, die Lebensumstände des ärmeren Teils der Bevölkerung zu verbessern.

 In Deutschland wird inzwischen auch gezielt der Nachwuchs für Social Entrepreneurship ausgebildet und gefördert, und zwar in fünf speziellen Studiengängen. Hervorheben möchte ich hier die Social Entrepreneurship Akademie in München, die 2010 als Netzwerk-Organisation der vier Münchner Hochschulen gegründet wurde. Und zwar bietet die Akademie derzeit in der Lehre ein Qualifizierungsprogramm an, fördert gezielt soziale Gründungsprojekte und treibt den Aufbau eines breiten Netzwerks zur Verankerung von Social Entrepreneurship in unserer Gesellschaft voran.

 

Resümee

Die kapitalistisch verfasste Marktwirtschaft bringt soziale Probleme hervor, die weder ein Wirtschaftsunternehmen noch die Öffentliche Hand lösen können oder vielleicht auch gar nicht lösen wollen. In die Bresche springen Sozialunternehmen, also Unternehmen, die sozusagen eine Mischform zwischen einer Non-Profit-Organisation mit ihrer Orientierung an sozialen Zielen und einem traditionellen kapitalistischen Unternehmen mit seiner Orientierung am Ziel der Profitmaximierung darstellen. Sozialunternehmen versuchen mit anderen Worten, das scheinbar Unvereinbare miteinander zu vereinen, nämlich Gutes zu tun, die Welt zu verbessern und dabei Geld zu verdienen. Und wie der Erfolg solcher Unternehmen zeigt, scheint dies wirklich zu gelingen. Daraus könnte meiner Meinung nach langfristig eine grundlegende Umgestaltung unseres Wirtschafts- und Gesellschaftssystems als Ganzes erwachsen.

Quellennachweis:

http://www.bpb.de/partner/akquisos/140470/das-prinzip-social-entrepreneurship

http://www.bmwi-unternehmensportal.de/DE/Unternehmensfuehrung/Verantwortung-Nachhaltigkeit/Sozial-Engagieren/Sozial-engagieren.html?cms_docId=84000&cms_notFirst=true

https://www.zu-daily.de/daily/tiefenbohrung/2015/05-04_weiss_cisoc-studie.php

http://www.alumniportal-deutschland.org/nachhaltigkeit/wirtschaft/artikel/social-entrepreneurship.html

Bildnachweis:

Alle Bilder: pixabay.com

 

 

 

Autor seit 10 Jahren
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