Senioren an der Uni - Ausgegrenzt und diskriminiert

In Rente gegangen, möchten es einige Senioren noch einmal wissen: Sie beginnen ein Studium. Manche erfüllen sich damit einen Lebenstraum, andere füllen damit einen Teil ihrer neu zur Verfügung stehenden Zeit oder sehen es als ideale Methode, lange geistig fit zu bleiben. Es ist eine Bereicherung ihres Lebens, eine Karriere streben sie nicht mehr an. Sie schreiben sich als Gasthörer an einer Universität ein oder absolvieren ein Seniorenstudium zu ermäßigten Gebühren und ohne Abschlussstress. 

Eine kleine Gruppe möchte mehr. Sie will im höheren Alter zu regulären Bedingungen studieren und Abschlüsse erreichen. Sie ist bereit, dafür je nach Bundesland die gängigen Studiengebühren zu entrichten. Es geht diesen Menschen dabei nicht unbedingt rein um persönliche Selbstbestätigung. Einige von ihnen möchten gern ihre Studienabschlüsse später beruflich nutzen. Zwar haben sie dabei selten Vollzeit-Jobs im Sinn. Doch existiert durchaus Nachfrage für freie Mitarbeit wie Ingenieurleistungen, wirtschaftswissenschaftliche Beratungen oder geisteswissenschaftliche Ausarbeitungen, um nur einige Beispiele zu nennen. Häufig verbindet sich bei den Senioren hierbei die Erweiterung des persönlichen Bildungshorizonts mit einer praktischen Anwendung. Rüstige und geistig rege Personen möchten oft im Alter beruflich aktiv bleiben – und sei es nur, um sich ihren guten Zustand gemäß dem Spruch "Wer rastet, der rostet" lange zu erhalten. Wenn sie dabei anspruchsvolle Wege gehen möchten, dürfen ihnen diese nicht aufgrund ihres Alters einfach verwehrt werden. 

Dies ist jedoch seit kurzem der Fall. Ein Studierwilliger mit einer Abiturnote, mit der er locker den Numerus clausus mehrerer oder sogar aller NC-Fächer knackt, darf diese Fächer nicht mehr studieren, wenn er über 55 Jahre alt ist. Dabei spielt keine Rolle, ob er ein altes reguläres Abiturzeugnis vorweist oder eines aus jüngerer Zeit auf dem zweiten Bildungsweg erlangtes. Er darf sich nur aus dem geringen Angebot der zugangsfreien Fachrichtungen bedienen.


Scheinargumente vs. Fakten

Gern wird dann das Beispiel eines Medizinstudiums bemüht, das in solch einem Alter illusorisch ist. Der alte Student nimmt einem jungen Menschen den Studienplatz weg. Er studiert Medizin, um sich lediglich selbst zu bestätigen und später niemals als Arzt zu arbeiten. Er verbaut einem jungen Schulabgänger den Wunschberuf als Mediziner und verschwendet obendrein die Kosten aus dem Bildungshaushalt, die mit jedem Studienplatz verbunden sind. Das ist plausibel und wäre so auch nicht in Ordnung. Tatsächlich wird ein 60- oder 70-Jähriger nirgends mehr als Arzt beginnen. Das Studium und die ersten Berufsjahre sind zu lang und zu aufwendig und sollten eine spätere Tätigkeit von grob 30 Jahren anvisieren. Jedoch: Etwas mehr Sachlichkeit täte der Diskussion gut. Kaum ein Senior möchte überhaupt Medizin studieren. Gefragt sind Studiengänge wie zum Beispiel Geschichte, Journalismus, Philosophie, Germanistik oder verschiedene andere Sprachen. Auch dort laufen natürlich Verdrängungseffekte ab. Ein Senior wird einem jungen Menschen den Studienplatz wegnehmen. 

Dafür hat dieser Senior zuvor meistens jahrzehntelang Steuern gezahlt und in die Sozialkassen eingezahlt und so indirekt anderen Studenten das Studium oft mitfinanziert, zum Beispiel über BAföG. Er hat damals – aus welchen Gründen auch immer – seinen Studienplatz nicht in Anspruch genommen. Er hat also nicht studiert, seinen Platz nahm jemand anders ein. Nun holt er sein Studium also nach beziehungsweise möchte es. (Ein Zweit-, Drittstudium etc. mal außen vor gelassen.)

Er ist allerdings inzwischen über 55 Jahre alt. Er ist zu alt. Er darf nicht mehr. Jedenfalls für die Fachrichtungen, die mit einen Numerus clausus versehen sind. Die Universitäten schließen Altersdiskriminierung mit dem Argument aus, dass über 55-Jährige bei ihnen NC-Studiengänge studieren dürfen, wenn für das angestrebte Studium "schwerwiegende wissenschaftliche oder berufliche Gründe sprechen". Eine derartige Begründung ist biegsam wie Knetgummi. 

Aus die Maus in Deutschland?

In Deutschland wird beklagt: Dem deutschen Staat gehen die Akademiker aus. Das reißen die paar Ausnahmen der Senioren angeblich auch nicht, die auch im fortgeschrittenen Alter sich nicht mit einem Seniorenstudium oder gar Gasthörerstatus begnügen, sondern voll studieren möchten und dazu so fit sind, dass ein anschließendes akademisches Arbeiten bestens bei ihnen vorstellbar ist. Warum werden sie dann umgekehrt als so mächtige Phalanx hingestellt, die jungen Studenten angeblich das Studium vereitelt? Glaubwürdig ist so etwas nicht. 

Ebenso wenig übrigens, dass Arbeitnehmer über 50 oder gar 40 als zu leistungsschwach gelten, um sie unbefristet einstellen zu wollen. Umgekehrt werden 60- oder 70-Jährige intensiv umworben, um Ehrenämter zu übernehmen, bei denen es sich keineswegs um bequem in den Monat zu integrierende wenige Stunden mit leichten Verrichtungen handeln muss. Da beraten Rentner mit passender beruflicher Vorgeschichte zum Beispiel frisch gegründete oder marode Firmen. Pensionierte Lehrer engagieren sich im Lesetraining und in Nachhilfestunden. Nun wird die wertvolle Lebenserfahrung betont und bestätigt, dass die "jungen Alten von heute" doch noch enorm fit sind. Ach ja? Eine Arbeitsleistung wird nun gern beansprucht, denn die Rente kommt ja regelmäßig. Am schönsten passt es, wenn diese Rente dazu als Zuwendung empfunden wird, für die man doch nicht einfach zu Hause bleiben darf oder egoistischen Interessen nachgehen.

Sarkasmus-Knopf wieder aus - Oldies sind das Salz in der Bildungssuppe. Punkt.

Zugegeben: Ohne Ehrenämter geht es nicht. Jedenfalls nicht überall. Es gibt allerdings Graubereiche, wo mit einer sogenannten Aufwandsentschädigung als Feigenblatt nur leicht auf kaschierte Mitarbeit oder Unterstützung spekuliert wird, die anders honoriert werden könnte. 

Es gibt auch Senioren, die nach einem langen Arbeitsleben bewusst im Alter kürzer treten möchten oder sich gern in einem Ehrenamt einbringen. Leider sind dazu einige tatsächlich körperlich oder geistig nicht mehr so belastbar. 

Jeder kann selbst sehen, wie unterschiedlich die Menschen gerade in höheren Lebensjahren sind. Mit einer bemerkenswerten Biografie bezüglich lebenslanger beruflicher sowie sportlicher Aktivität kann beispielsweise die 1994 im Alter von 96 Jahren verstorbene Dr. Margarete Steinbach aufwarten. 

Wer das Glück hat, in einem eigentlich freien Land wie Deutschland zu leben, das dazu aufgrund seiner Demografie einige Probleme zu erwarten hat, sollte nicht aufgrund eines bloßen Alters diskriminiert werden. Wenn jemand trotz gutem Abitur nur Zugang zu zulassungsfreien Studiengängen erhält, ist das vielleicht noch kein Skandal. Schließlich handelt es sich um ein Luxusproblem, wenn man sich in anderen Staaten umsieht, wo in extremen Fällen potenzielle Hochschulprofessoren ihr Leben als Analphabeten verbringen müssen. Bei Deutschland aber handelt es sich um eines der reichsten Länder der Erde. Es parkt einerseits leistungswillige Menschen leichtfertig in Frühverrentung oder Hartz-IV-Existenz, aus welcher viele nicht wieder herausfinden, wenn sie erst einmal entsprechend stigmatisiert sind. Andererseits verweigert es bereits Menschen mittleren Alters, die noch mehrere Lebensjahrzehnte zu erwarten haben, ein Studium, für das diese Personen nicht einmal BAföG beanspruchen und sogar freiwillig die vollen Studiengebühren zahlen würden. 

Deutschland ist wohl – noch? – nicht so weit. Schade.


Gewisse Polemik ist Absicht – die grundsätzliche Kritik ernst gemeint.

 

Rar und teuer: Aktuelle Bücher zum Thema - Trotzdem: Sie seien hier erwähnt.
Die Bedeutung wissenschaftlicher Bildung im Alt...Theoretische Grundlagen von Curricula für Senio...
Textdompteuse, am 12.09.2011
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Bildquelle:
Reisefieber (Wo kann man Tourismus studieren?)
TH Aschaffenburg (Studierende und Unternehmen knüpfen Kontakte)

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