Schockstarre

Vielleicht hat man es geahnt, vielleicht hat man nichts gemerkt, vielleicht hat man einfach nicht geglaubt, dass es wirklich passiert. Bewußt wird es viel später, nicht wenn die Nachricht eintrifft.

Wenn sich ein Ehemann, eine Eherfrau, ein Vater oder eine Mutter, ein Sohn oder Tochter, eine Freundin oder Frau, ein Bruder oder eine Schwester oder einfach nur ein geliebter Mensch selbst tötet, ensteht ein Loch. Fast keine Art und Weise diese Welt zu verlassen, wird derartig Gefühle wecken, die so schnell nicht verschwinden werden. Denn nicht wie bei einer langen Krankheit, trifft der Tod unerwartet und mit voller Härte in die Mitte des Alltages. Man hatte keine Chance Abschied zu nehmen, man konnte sich nicht darauf vorbereiten. Und das Schlimmste: Man bleibt zurück mit 1000 Fragen, die nie beantwortet werden können. Nichtmal das Schicksal ist eine Ausrede, denn ist kein Unfall gewesen. Es war ein (mehr oder minder) bewußter Schritt.

Reaktionen und die Schuldfrage anderer

Die Reaktionen auf Selbstötungen sind recht vielfältig. Das reicht von ehrlichem Entsetzen und miteinander trauern bis zu "Warum weinst du denn, er hat es doch so gewollt". Oft dezimiert sich der Freundeskreis der engen Angehörigen immens. Vielleicht sind Einge einfach überfordert, hilflos im Umgang mit den ratlosen und emotionalen Hinterbliebenen.

Der Stiefvater meiner besten Freundin starb an Krebs. Er hat nach der Diagnose noch etwa 3 Monate gelebt. Etwa zwei Monate später nahm mein Vater sich das Leben. Sie sagte zu mir, sei seie wütend auf ihn. Andere wollen leben und dürfen es nicht und er schmeisst seines einfach weg. Ich habe es ihr nicht übel genommen, aber so einfach ist das nicht. Doch das habe ich erst viel später verstanden.

Das Härteste nach einem Suizid ist dieser scheinbar natürliche Trieb des Menschen: einen Schuldigen finden. Nach einem Unfall ist das leichter als nach einer Selbsttötung. Und vielleicht sinnvoller. Sie ist unglaublich zermürbend, diese Schuldfrage. Und statt sich gegenseitig beizustehen, miteinander zu weinen, miteinander zu reden, sucht man die Schuld bei Anderen um des eigenen seelenfriedens Wilen. Denn nichts anderes ist das. Durch Schuldzuweisungen wird niemand mehr lebendig, aber das eigene Gewissen vielleicht etwas beruhigt.

Psychische Erkrankungen als Gründe für Selbsttötung

Warum hat er das getan? Wie konnte er so egoistisch sein?

Es ist unvorstellbar, wieverzweifelt man sein muss um sich selbst zu töten. Welche eigene Hemmschwelle, die er überschreiten muss. Ist es nicht der stärkste Wille des Menschen zu überleben, der in diesem Moment ausgeschaltet ist?


Oft gehen einem Suizid sehr lange Leidenswege vorraus. Die häufigsten Suizidopfer litten an einer psychischen Krankheit. Die Meisten davon litten an Depressionen oder manisch-depressiven Erkrankungen.


Eine Depression oder besser alle psychischen Erkrankungen sind hinterhältig. Es ist nicht wie ein Tumor, den man auf einem MRT- Bild sehen kann. Nein, es ist etwas ungreifbares, unfassbares und leider auch manchmal für andere etwas nicht Bemerkbares.

Ein Appell an das deutsche Gesundheitssystem

In Deutschland sterben halb so viele Menschen bei Verkehrsunfällen, wie durch Suizid.

Es werden Ampeln gebaut, Straßen verbessert, Leitblanken gebaut, kurz, die Verkehrssicherheit wird immer mehr ausgebaut. Und das ist auch gut so. Aber ist es nicht auch an der Zeit etwas für die psychische Gesundheit der Bürger zu tun?
Ehe man einen Termin bei einem Psychotherapeuten bekommt vergehen im besten Fall als Kassenpatient nur Wochen, in der Regel aber Monate oder gar ein Jahr. Dazu muss man den allerdings erst einmal erreichen, denn oft haben liegen die halbstündigen Telefonzeiten ein bis zwei Mal wöchentlich mitten im  Arbeitstag eines Normalbürgers. Es ist als erkrankter ein riesiger Schritt, sich Hilfe zu suchen. Oft sind schwer Depressive nicht in der Lage sich überhaupt um einen Termin zu kümmern. Oder schämen sich gar dafür, reden ihre Probleme klein. Und statt Patienten bei ihren Problemen abzuholen, legt man Ihnen noch alle verfügbaren Steine in den Weg.

Es kann nicht sein, dass Menschen mit psychischen Erkrankungen über lange Zeit auf Hilfe warten müssen!

 

Lernen damit zu leben

Der Verlust eines geliebten Menschen durch Suizid wird einen ein Leben lang begleiten. Der Schmerz wird sich ändern, die Fragen werden sich ändern. Aber bleiben werden sowohl Schmerz, als auch die Fragen.

Schuld ist der bittere Beigeschmack. "Hätte ich doch..." "Was wäre wenn..." sind Aussagen, die immer wieder auftauchen, ob nun ausgesprochen oder nur als Gedanke. Aber es ist davon auszugehen, das wenn ein Mensch so verzweifelt ist sich das Leben nehmen zu können, wird er es auch tun. Vielleicht nicht heute. Aber vielleicht nächste Woche. Der Streit zuvor war sicher nicht der Grund für den Suizid. aber das hört sich so nüchtern an. Jeder muss seinen Wg der trauer selbst beschreiten, wird seine eigenen Erfahrungen machen. Aber so viel sei gesagt, es hat nie jemand alleine Schuld. Es kommen immer viele Faktoren zusammen bis das Fass überläuft, das Haus zusammenbricht.

Es ist jedem Hinterbliebenen zu empfehlen sich Hilfe zu suchen. Im ersten Moment nach dem Auffinden des Suizidopfers werden meist geistliche Seelsorger mit der Polizei anwesend sein. Auch wenn andere, nahe stehende Personen über den Tod informiert werden, sind Seelsorger vor Ort. Meistens bleiben dieses Notfallseelsorger auch weiterhin Ansprechpartner. Langfristig sind Gespräche mit Therapeuten wirklich sinnvoll. Nicht selten kommt es zu posttraumatischen Depressionen. Unbeschreiblich hilfreich ist der Austausch mit anderen Betroffenen. Sie kennen und verstehen den Schmerz und die Fragen, haben selbst eventuell schon einige Antworten gefunden. Sehr empfehlenswert ist dazu die Webseite von Agus. Hier kann man Selbsthilfegruppen finden oder das Forum nutzen. Schon allein das Lesen in einem Forum, kann eine große Hilfe sein.


Ich selber habe meinen Frieden gefunden mit der Art und Weise, wie mein Vater sich 2 Tage vor seinem 54 Geburtstag aus dieser Welt verabschiedet hat. Aber er fehlt mir. Für mich war es der grausame Tod nach einer langen, schweren Krankheit. Aber "Hätte ich doch..." denke ich trotzdem manchmal.

Autor seit 11 Jahren
4 Seiten
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