Totempfahl mit Donnervogel (Bild: werner22brigitte / Pixabay)

Sowohl die Gruppe als auch der Einzelne fühlte sich dem Totem verbunden

Doch nicht immer wurde das Totem bei der Geburt vergeben. Manchmal konnte es auch von dem Heranwachsenden angenommen werden. Für gewöhnlich tat er dies, in dem er sich einer schmerzhaften Prozedur unterzog, um dadurch eine Vision herbeizuführen. Das erste Tier, das ihm in dieser Vision begegnete, war fortan sein Schutzgeist. Manchmal wurde zur Entschlüsselung der Vision auch ein Schamane benötigt.

Der Totemismus war eine unter Naturvölkern verbreitete Naturform. Sowohl der Einzelne als auch eine Gruppe fühlte sich dem Totem, einem Tier und dessen bildlicher oder symbolischer Darstellung verbunden. Das konnte sich bis zur Vorstellung einer Verwandtschaft steigern. Häufig benannte sich die Gruppe nach dem Totem. Aus dem Glauben an das Totem und der Verbindung der Totem-Mitglieder untereinander entstanden Verbote wie Heirat innerhalb der Gruppe und das Töten oder Essen des Totems.

Der Ursprung des Totemismus ist nicht bekannt. Zugrunde liegt ihm jedoch der Gedanke der Einheit alles Lebenden, die sich in der Vorstellung von Metamorphosen zwischen Mensch und Tier ausdrückt. Die Indianer der amerikanischen Pazifikküste stellten ihre Totemtiere auf prachtvollen, bis zu 20 Meter hohen Zedernholzpfählen dar, die zu besonderen Anlässen, wie dem Tod des Häuptlings, der Einführung seines Nachfolgers, zu einem der großen Familienfeste oder zur Einweihung eines neuerbauten Langhauses errichtet wurden. Durch Größe, Form und Farbenpracht der Pfähle und insbesondere durch die dargestellten Tierarten wurden die Herkunft und die gesellschaftliche Stellung des Clans weithin sichtbar.

Nur ausgewählte Familien durften den Donnervogel als Wappentier tragen

Gekrönt von einer verehrten Tierfigur, waren auf ihnen meist besondere Ereignisse aus der Familien- oder Stammesgeschichte festgehalten. Die Totempfähle dienten also auch der öffentlichen Geschichts- und Legendendokumentation, deren Bedeutung um so größer war, da die Nordwestküstenindianer keine Schrift kannten. Mit Tieren lebten die Küstenindianer in alltäglichem Kontakt. Sie jagten Bären, fischten Lachse und fingen Wale, um zu überleben. Wölfe, Seeotter, Raben, Biber, Adler und Frösche hatten in der feuchten, waldreichen Küstenregion ihren Lebensraum.

Meerotter, Seehunde, Rochen und Haie ließen sich fast zu allen Jahreszeiten beobachten. Alle diese Tiere lebten in den Mythen und Legenden der Indianer und sind deshalb auf Totempfählen dargestellt. Ihre Bedeutung als Statussymbol, ihre übernatürlichen Kräfte und ihr Ansehen bei den Ureinwohnern waren jedoch von Art zu Art sehr unterschiedlich. Das Tier mit der größten Bedeutung, das nur ausgewählte Familien als Wappentier führen durften, war der "Kwun-kwane-kulegyi" (Donnervogel), der einem monströsen gehörnten Geier ähnelte.

Meist saß er mit weit abgespreizten Fügeln auf der Spitze des Totempfahls. Er galt als allmächtiger Beherrscher des Himmels und als triumphierender Herr der Elemente. Er half den Menschen beim Bau eines Hauses aus dicken Zedernstämmen. Seine übernatürlichen Kräfte wurden bewundert und verehrt. Angebetet wurde der Donnervogel jedoch ebenso wenig wie alle anderen Totemtiere.

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