Trauerbewältigung
Trauerbewältigung ist schwer. Manchmal dauert sie Jahre. Der Abschied von geliebten Menschen und Tieren ist bei jedem anders.Trauer ist natürlich und ein Zeichen von emotionaler Verbundenheit...
Im Januar dieses Jahres geschah für mich etwas sehr Unerwartetes, mit dem doch jederzeit zu rechnen war: mein Kater Joschi, stolze 22 Jahre alt, bisher immer munter, glücklich und zufrieden, kam plötzlich nicht mehr ohne Hilfe die Treppe hinauf. In den letzten beiden Jahren war er zwar fast blind, kannte sich jedoch sehr gut aus in seinem großen Revier, fand ohne Schwierigkeiten sein Klo und pochte beharrlich auf seine katzeneigene Selbständigkeit. Außerdem war er ein echter Gourmet mit einem gesegneten Appetit, der uns bei seinem Alter oft verblüfft hat. Umso härter traf es uns, als er von einem Tag auf den anderen das Fressen verweigerte. Vom Finger schleckte er eine Portion, um dann abrupt den Kopf wegzudrehen, so als wollte er sagen: "Nein, ich mag nicht mehr. Es war schön bei euch, aber jetzt bin ich müde." Und irgendwie wussten wir da wohl schon, dass er Abschied von uns nehmen würde.
Zehn Tage lang war der Alltag bestimmt von Hoffen und Bangen, denn eine Katze, besonders eine so propere wie mein Joschi, ist zäh. Normalerweise ziehen sie sich zum Sterben zurück, aber Joschi konnte das nicht mehr. So haben wir ihm ein Plätzchen im Wohnzimmer am Sessel gerichtet, ihn gestreichelt und mit ihm geredet, ihm ab und zu Wasser eingeflößt und sogar Musik gespielt oder ihm etwas vorgesungen. Für Leute ohne Haustier mag das sonderbar anmuten, aber es hat ihn beruhigt, zu wissen, dass "seine" Menschen in der Nähe waren.
Bis zuletzt sah er so schön aus, obwohl er stark abgebaut hat ohne Nahrung. Aber er blieb sauber und besonders, wollte keine Last sein, und sogar im Tod, in seinem Karton mit dem Vlies, war er immer noch unser Joschi.
Paradise Found IV (Bild: Victor Giordano)
Sind Tierbesitzer sentimental, wenn sie ihr Tier verlieren?
Um Joschi habe ich mehr getrauert als um meinen Großvater. Warum? Ich war erst acht Jahre alt, als mein Opa starb, und außerdem hatte ich keine feste Bindung zu ihm. Er war mir irgendwie immer ein bisschen unheimlich, wenngleich er nie viel mit mir gesprochen hat. Alles, was mein Kater nicht tat. Er war da, fast zweiundzwanzig Jahre meines Lebens, nie grantig, manchmal launisch, oft schmusig, lustig und faul - und oh, was hat er mir nicht alles zu erzählen gehabt. Leider habe ich nicht alles verstanden, aber ich habe immer gern zugehört und auch gern auf langen Urlaub verzichtet. Nach spätestens einer Woche Trennung haben wir uns nämlich beide einander vermisst.
Vermissen. Das ist eigentlich das Schlimmste an einem lebenslangen Abschied. Das Gefühl eines unersetzlichen Verlustes. Erinnerungen an Situationen mit dem, der plötzlich fehlt und die erst mal sehr weh tun. Besonders mit dem Lebenspartner oder einem Tier entwickelt man gewisse Rituale und Gewohnheiten im Alltag, die einfach dazugehörten und nun nicht mehr ausgeführt werden können. Das hinterlässt eine unsagbar schmerzliche Leere.
Zeit heilt alle Wunden, sagt man.
Das Sprichwort "Zeit heilt alle Wunden" mag stimmen - es wäre sehr schlimm, wenn man nicht irgendwann über persönliche Verluste und Niederlagen hinweg käme, obwohl es auch das geben soll und Fälle bekannt sind, in denen der Ehemann kurz nach der Ehefrau aus Kummer und Lebensunlust ohne seine zweite Hälfte stirbt.
Eine Freundin erzählte mir einmal von ihrem Pferd, das vor Jahren bereits verstorben ist und dessen "Kopie" sie sich wieder gekauft hat, zumindest äußerlich. Die "Kopie" ist ein lieber Kerl, so riesig wie sanftmütig, und trotzdem hatte meine Freundin Tränen in den Augen, als sie ihren Bericht beendet hatte.
Mein anderer Opa hatte als Witwer die Reiselust entdeckt und mit seiner neuen Lebensgefährtin die halbe Welt umrundet. Viele warfen ihm deshalb Oberflächlichkeit und Desinteresse am Tod meiner Großmutter vor, aber ich glaube, es war seine Art der Trauerbewältigung. Und er kam besser darüber hinweg als manch anderer, der sich einen Schrein einrichtet und in Sack und Asche geht.
Joschis Tod hat mich so mitgenommen, dass ich mich dort aussprach, wo ich mich verstanden fühlte: unter lauter Katzenbesitzern. Und zwar online. So dumm mir das anfangs vorkam, es hat tatsächlich geholfen, wenn mir nicht gerade jemand die "Regenbogenbrücke" schickte. Viele hatten ähnliche Erfahrungen gemacht und fanden sehr ermutigende und tröstende Worte für mich.
Inspirierende Worte: Glaube (Bild: Debbie DeWitt)
Mein größter Trost ist mein Glaube...
Ganz ehrlich: ohne den Glauben an Gott und die Schöpfung würde ich keinen Sinn im Leben sehen. So schön wie es sein kann und ist: wäre es nicht schade, wenn all das, was schön ist und Spaß macht, mit einem letzten Atemzug verpufft? Ich finde schon.
Ich möchte glauben, dass unser irdisches Leben aufhört, wo das überirdische beginnt, und zwar für Mensch und Tier. Dass es dort noch viel besser und toller ist als auf Erden, und dass alle Wesen dort in paradiesischen Zuständen zusammen leben. Das hilft mir, mit Joschis Abschied besser fertigzuwerden. Auch die Vorstellung, er träfe seinen alten Kumpel wieder, könne mit scharfen, glänzenden Augen durch die Gegend springen und wieder genussvoll die Krallen wetzen, bis ich irgendwann auch dort ankomme und er mich begrüßt, macht mich irgendwie glücklich. Vermissen wird er mich, denke ich, nicht. Er hat soviel zu entdecken in der neuen Dimension, und Zeit spielt "da oben" ohnehin keine Rolle.
Joschis sterbliche Überreste haben wir im Garten begraben, nahe des Strauches, an dem er sich so gern gerieben und gekratzt hat. Zuerst wollte ich es gar nicht als Grab haben - der Gedanke war zu schlimm, und ich dachte auch, dass es albern wäre, eine Art Gedenkstätte für ein Haustier anzulegen. Aber Joschi war viel mehr als ein Haustier, und irgendwie hatte ich doch das Bedürfnis, die Stelle nicht ganz überwuchern zu lassen. In den ersten warmen Tagen habe ich es bepflanzt, und musste feststellen, dass mir auch das ein bisschen Trost gab. Es ist nicht albern oder dumm, seine Trauer vielleicht auch auf diese Art auszudrücken und zu verarbeiten.
Für die eine oder andere Träne, die ich immer noch gelegentlich um ihn weine, schäme ich mich nicht. Wer mir deswegen Sentimentalität und Albernheit unterstellt, hat nie einen Begleiter wie Joschi gehabt.